In der Mangel: Der Kampf der Abfallwirtschaft gegen Fachkräftedefizit

Die Abfallwirtschaft meldet Personalprobleme. Worauf ist solch ein Mitarbeitermangel zurückzuführen? Und was können die Verbände und die ihnen angeschlossenen Unternehmen tun?

Seinen Personalmangel beziffert der bvse mit schätzungsweise vier bis sechs Prozent hauptsächlich im gewerblichen Bereich. Bei den kleinen und mittleren Unternehmen im BDE beklagen 60 Prozent der befragten Unternehmen ein Kraftfahrerdefizit, bei den großen Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern 76 Prozent. Im Bereich der angestellten Mitarbeiter sind fehlende Mitarbeiter für 26 Prozent der befragten kleinen Unternehmen ein aktuelles Thema, jedoch nur für sechs Prozent der mittleren und acht Prozent der großen Unternehmen. Laut einer aktuellen Umfrage haben 71 Protent der BDSV-Betriebe Probleme damit, geeignetes Personal zu finden.Der VDMA sorgt sich zwar nicht um Personalaufbau, aber um die Besetzung offener bestehender Arbeitsstellen. Der VDM ist nach wie vor auf der Suche nach Ingenieuren und guten Metallhändlern. Und wie der VKU berichtet, wird es zunehmend schwieriger, qualifizierte Bewerber für Ausbildungsberufe zu bekommen: Insbesondere sollen im Bereich Fachkräfte für Kreislauf- und Abfallwirtschaft, aber auch bei der Besetzung von Führungspositionen im Bereich IT und Finanzen Schwierigkeiten in der Personalakquise auftreten. Ganz besonders spürbar sei ein zunehmendes Defizit an Kraftfahrern.

Der Mangel an ausgebildeten Kraftfahrern ist kein spezielles Manko der Abfallwirtschaft und auch kein neues Phänomen. Einer der Auslöser war die letzte Wirtschaftskrise: Konjunkturbedingt legten vor 2010 bundesweit Speditionen schätzungsweise 70.000 bis 80.000 Lastwagen still, was Folgen für  den Arbeitsmarkt hatte. Hans Wormser, Präsident des Landesverbandes der Bayerischen Transportunternehmen, beschrieb 2011 die Situation so: „Ich hätte 2010 liebend gerne sieben Auszubildende zum Berufskraftfahrer eingestellt, aber der Markt scheint wie leergefegt.“ Insbesondere im Nahverkehr auf kleineren Lkw von 7,5 bis zwölf Tonnen fehlten damals Leute.

Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz und Folgen
Die Situation hat sich seitdem nicht gebessert. „Derzeit übertrifft die Zahl der Arbeitslosen beziehungsweise Arbeitsuchenden im gesamten Bundesgebiet die Zahl der gemeldeten offen Stellen noch mehr oder weniger deutlich“, meldete vor einem Jahr das Bundesamt für Güterverkehr. Das liegt hauptsächlich daran, dass Quereinsteiger durch das Berufskraftfahrer-Qualifikations-Gesetz, das eine Grundqualifikation oder beschleunigte Grundqualifikation verlangt, der Zugang zum gewerblichen Güterverkehr erschwert wird. Dies bedeutet zusätzliche Kosten, Zeitinvestitionen und Prüfungsrisiken für den zukünftigen Fahrzeugführer. Eine andere, mehrfach genannte Ursache für den Mangel an qualifizierten Fahrern begann 2011. Bis dahin wurde an den bundeswehreigenen Fahrschulen Personal ausgebildet, das nach Ende seiner Dienstzeit mit guter Qualifikation und Fahrpraxis prinzipiell für den Gewerbekraftverkehr zur Verfügung stand. Mit dem Ende der Wehrpflicht fiel die Bundeswehr als Hauptausbilder für Lastkraftwagenfahrer jedoch aus.

Dieser Mangel schlägt sich jetzt in der Abfallwirtschaft nieder. So gaben bei der letzten Mitgliederbefragung des BDE 65 Prozent der Unternehmen an, „dass der Mangel an Kraftfahrern derzeit ein Thema in ihrem Betrieb ist“. Damit sei der Fachkräftemangel im Bereich Kraftfahrer „das wichtigste Thema der Branche“. Die Lage könnte bald noch prekärer werden: Wie das Institut der deutschen Wirtschaft 2014 meldete, gehören 44 Prozent aller Berufskraftfahrer zur Generation 50 plus, und daher werden in absehbarer Zeit etwa 230.000 von 520.000 Berufskraftfahrer den Arbeitsmarkt verlassen. In der Praxis macht sich der Mangel bereits dadurch bemerkbar, dass es in Urlaubszeiten oder bei krankheitsbedingten Ausfällen zu Fahrzeugstillständen und zur Nichterfüllung von Verpflichtungen kommen kann. Das zieht neue Stellenausschreibungen mit zusätzlichem Personalaufwand, Einarbeitungszeiten und hohe Lohn- und Gehaltskosten nach sich. Letztere – gibt der bvse zu bedenken – hätten ein Niveau erreicht, durch das die erzielbaren Erlöse stark belastet würden, zumal Preisgleitklauseln zur Weitergabe der Mehraufwändungen an den Kunden meist erst zeitverzögert greifen oder wie bei den Drei-Jahresverträge für die DSD-Sammlungen erst gar nicht vorgesehen sind.

Offene Stellen nehmen tendenziell zu
Im Juni 2016 meldete die Bundesanstalt für Arbeit für den Bereich „Führen von Fahrzeug- und Transportgeräten“ insgesamt 37.300 offene Stellen – 20 Prozent mehr als im Vorjahr. „Die Zahl der offenen Stellen nimmt tendenziell zu“, versichert das Bundesamt für Güterverkehr. Nach Darstellung des BDE suchten aktuell zwei Drittel der Speditionen und Logistik-Dienstleister ebenfalls qualifizierte Berufskraftfahrer, obwohl die Abfallwirtschaftsbranche bei den Durchschnittsgehältern von Berufskraftfahrern deutlich über dem Niveau des Transportgewerbes liege. Der VKU plädiert daher für eine „strategische Gewinnung von Fahrernachwuchs“, indem die Unternehmen ausbilden, interne Qualifizierungsprogramme für Kraftfahrer anbieten und langfristige Anreize schaffen. In diesem Sinne äußerte sich vor wenigen Wochen der bildungspolitische Leiter der DEKRA, Dr. Peter Littig, den die Fachzeitschrift Überland mit der Aussage zitierte: „Zusätzlich müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es auch kleineren Unternehmen vereinfachen, Berufskraftfahrer auszubilden oder zu qualifizieren.“ Denn bislang könne sich nur etwa jedes dritte Unternehmen die Ausbildung von Berufskraftfahrern oder das Anbieten von Nachwuchsförderprogrammen leisten.

Falls das weiterhin zutrifft oder falls keine – wie im März 2013 die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di vorschlug – attraktiveren Arbeitsbedingungen für Azubis und Fahrpersonal geschaffen werden, bleibt vermutlich nur die gezielte Suche im Ausland. Um eine solche zu unterstützen, hatten schon im Sommer 2013 die Verlage Heinrich Vogel und Etrasa eine Spanisch-Deutsche Personalvermittlung für Berufskraftfahrer gegründet. Ziel war, dem Fachkräftemangel in Deutschland und der eklatanten Arbeitslosigkeit in Spanien Abhilfe zu schaffen, indem spanische Berufskraftfahrer an deutsche Unternehmen vermittelt werden. Unterstützung erhielt das Projekt durch das SOC (katalonisches Arbeitsamt) und das Goethe-Institut. Darüber, ob und inwieweit diese Maßnahmen erfolgreich sind, liegen aber keine genaueren Erkenntnisse vor.

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Zwei Stellen – ein Arbeitssuchender
„Qualifizierte Fach- und Führungskräfte stehen heute nicht mehr in ausreichender Zahl zur Verfügung und viele Arbeitgeber können die Arbeitsplätze schon nicht mehr durch externe Einstellungen besetzen“, bemängelte die VKU Akademie im Frühjahr 2014. Im Juli 2015 urteilte das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, dass akademisch qualifizierte Experten der Berufsgattungen Informatik sowie Ver- und Entsorgung zu den zehn Männerberufen mit dem größten Personalmangel gehören. Und ebenso seien im Bereich „Metall“ Berufe mit anhaltenden Engpässen vertreten. Zum damaligen Zeitpunkt lag im Bereich Ver- und Entsorgung die Relation von Arbeitssuchenden mit Hochschulabschluss auf Anforderungsniveau „Experte“ zu gemeldeten offenen Stellen bei 0,49; anders ausgedrückt: Auf zwei Stellenausschreibungen kam ein Arbeitssuchender. Und im Juni 2016 gab die Bundesanstalt für Arbeit ihre bis dato letzte „Fachkräfte-Engpass-Analyse“ heraus und bescheinigte, dass es auch bei Spezialisten in der Metallbau- und Schweißtechnik sowie bei Experten für die Ver- und Entsorgung einen bundesweiten Mangel gibt.

Daran wird sich so schnell nichts ändern lassen, denn zumindest mittelfristig laufen zwei Trends gegeneinander: die Entwicklung der arbeitenden Bevölkerung und die Nachfrage nach technischem Fachpersonal. So ist einerseits ein „dramatisch schrumpfendes Reservoir an Arbeitskräften im erwerbsfähigen Alter“ zu beobachten, die schon 2030 in einer Fachkräftelücke von bis zu fünf Millionen Arbeitskräften resultiert und selbst bei einer starken Nettozuwanderung zu einer über 20prozentigen Senkung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter führen wird. Andererseits lässt die technische Entwicklung den Bedarf an Fachkräften weiter steigen. Das zeigt auch die Entwicklung im Maschinenbau: 1982 waren nur sieben Prozent der Beschäftigten Ingenieure, 2013 bereits fast siebzehn Prozent. Die aktuellen Zahlen belegen diesen Fachkräftebedarf: Bei der Bundesagentur für Arbeit wurden im April 2015 gut 5.900 zu besetzende Stellen aus dem Maschinenbau gemeldet. Die Zahl der tatsächlich offenen Stellen schätzt der VDMA sogar auf 14.000.

Große Lücke bei Fachkräften erwartet
Zwar sah 2015 der Markt für Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung (Berufsklassifikation 34302) eine Relation von arbeitssuchenden Personen zu offenen Stellen von 1,16 und für die letzten fünf Jahre sogar 1,43. Doch das könnte sich zukünftig ändern, meldete doch im Juni 2016 die Darmstädter FAIN GmbH (Fach- und Industriemeisterschule) einen spürbaren Fachkräftemangel vor allem in der beruflichen Ausbildung. Da sich laut aktueller Prognosen der Engpass an Fachkräften bei Akademikern aufgrund hoher Studierenden-Zahlen merklich verringere, würde „eine große Lücke im Bereich der Fachkräfte“ geöffnet. So würden beispielsweise in der Metall- und Elektroindustrie mit Stand September 2015 rund 164.400 beruflich qualifizierte Mitarbeiter fehlen, zukünftige Abgänge von Rentnern nicht einkalkuliert.

Mit negativem Image behaftet
Der bvse bedauert, dass Arbeitsplätze in der Entsorgungsbranche nicht zu denen mit der höchsten Attraktivität gehören. Das könnte damit in Zusammenhang stehen, dass beispielweise die Metallrecyclingbranche nicht selten immer noch als „Schmuddelbranche“ wahrgenommen wird. So listet die im Auftrag des BDSV verfasste Studie „Zukunft Stahlschrott“ die Wahrnehmung als „Hinterhofaufbereiter“, eine negative Konnotation des Begriffs „Schrott“ und die „Rufschädigung der gesamten Branche durch zwielichtige Geschäfte einzelner Unternehmen“ auf. Da auch die Kommunikation mit dem Bürger bis jetzt branchenintern als unnötig erachtet wurde, sei „die gesamte Branche mit negativem Image behaftet“. Diese Einschätzung mag zu hart sein, aber auch die Stadt Stuttgart kam anläßlich 125 Jahren Abfallwirtschaft zu dem Schluss: „Doch nur langsam ändert sich auch das Image der Abfallwirtschaft. Müll und Dreck sind vielen Menschen nach wie vor unangenehm.“

Makel schlechter Bezahlung?
Möglicherweise hängt der Branche der frühere Makel angeblich schlechter Bezahlung an. So hatte der „Stern“ im Jahr 2010 Ellen Naumann, Fachgruppenleiterin Abfallwirtschaft bei der ver.di, mit den Worten zitiert: „Müllwerker oder Kraftfahrer verdienen im öffentlichen Dienst etwa einen Stundenlohn von 16 bis 17 Euro, bei privaten Konzernen erhalten diese Berufsgruppen 13 bis 14 Euro. Wenn die Abfallunternehmen diese Jobs über ihre Leiharbeitsfirmen vergeben, zahlen sie im Schnitt nur den Mindestlohn von acht Euro.“ Jeder fünfte Arbeitnehmer in der privaten Abfallwirtschaft sei nach ver.di-Schätzungen bereits Leiharbeiter; somit würden sich viele private Abfallunternehmen die lukrativen Aufträge über Lohndumping sichern. Inzwischen hat ver.di die früheren Einschätzungen relativiert: „Der Mindestlohn in der Entsorgungsbranche hat sich als feste Größe etabliert und gilt als wichtiges Instrument für die Beseitigung von Dumping-Löhnen in der Branche“, betonte Andreas Scheidt, ver.di-Bundesvorstandsmitglied bei den letzten Tarifverhandlungen.

Doch sieht sich die Nehlsen AG genötigt, auf ihrer Webseite noch auf die häufig gestellte Frage „Bezahlt Nehlsen seine Mitarbeiter tatsächlich bis zu 30 Prozent unter dem Branchenlohn?“ zu antworten und aufzuklären: „Es existieren drei wesentliche Tarifregelungen, die für die Branche Gültigkeit haben. Nur circa 25 Prozent der rund 170.000 Beschäftigten in der Branche werden nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlt, weil sie dort beschäftigt sind und fast ausschließlich kommunale Aufgaben übernehmen. Weitere 25 Prozent werden nach dem BDE-Tarif des Bundesverbandes der Deutschen Entsorgungswirtschaft bezahlt. Die übrigen circa 50 Prozent der in der Entsorgungsbranche Beschäftigten werden nach dem Tarif des Güterkraftverkehrs oder nach keinem festen Tarif, sondern über betriebliche Regelungen bezahlt, wobei letztere überwiegen.“

Jobs in allen Gehaltsstufen
Allerdings kann das Entlohnungssystem nicht das ausschlaggebende Argument für schlechtes Image und einen möglicherweise daraus resultierenden Fachkräftemangel sein. Denn zum einen trifft das Personaldefizit auch auf den Bereich der im öffentlichen kommunalen Dienst Beschäftigten und Entlohnten zu. So muss aktuell sogar das Karlsruher Amt für Abfallwirtschaft als Müllentsorger in den kommenden beiden Jahren auf Leiharbeiter zurückgreifen. Zudem beklagt der bvse zwar Personalmangel im gewerblichen Bereich, doch kann er keinerlei Probleme im kaufmännischen Bereich erkennen. Und in kleineren Unternehmen im Metallbereich werden handwerklich qualifizierte Sortierer überdurchschnittlich gut bezahlt, weiß Ralf Schmitz vom VDM. Lediglich  Hochschulabsolventen bestimmter Fachbereiche wie BWL, VWL und IT sowie etliche Führungskräfte finden die Bezahlung nach dem TVöD nicht lukrativ genug; daher können – so der VKU – auch einige Leitungsfunktionen nur schwer besetzt werden.

Doch bescheinigt insgesamt die Webseite gehalt.de, betrieben von der PersonalMarkt Services GmbH, dass Akademiker als Abfallwirtschafts-Ingenieure die besten Chancen haben, in eine gute Position mit einem entsprechenden Gehalt zu kommen, Fachkräfte für Kreislauf- und Abfallwirtschaft besonders für kommunal betriebene Wertstoffhöfe gute Chancen besitzen, und auch Berufsanfänger finanziell nicht zu niedrig einsteigen, da die Abfall- und Entsorgungswirtschaft Jobs in allen Gehaltsstufen und Tätigkeitsgebieten bietet.

Zu wenig technisches Interesse
Vermutlich geht das unbefriedigende Image auf eine andere Ursache zurück. Nach Ansicht des VKU ist der Ausbildungsberuf „Fachkraft für Kreislauf- und Abfallwirtschaft“ jungen Menschen beziehungsweise Auszubildenden teilweise nicht ausreichend bekannt. Auch sei für potenzielle Ausbildungsanwärter und Absolventen die Branche, trotz ihrer starken Dynamik und der Bedeutung für ökologische Prozesse, nicht ausreichend attraktiv. Was damit zusammenhängen könnte, dass die Berufs- und Arbeitsplatzwahl vom Faktor Interesse abhängig ist. Daraus zieht Naemi Denz, Geschäftsführerin Abfall- und Recyclingtechnik des VDMA, den Schluss, dass sich junge Menschen insgesamt zu wenig für technische Berufe interessieren. Auch werde in Schulen und Kindergärten die Technikaffinität weder in ausreichendem Maße geweckt noch gefördert, wobei der Engpass noch zusätzlich durch den zunehmenden Trend zur Akademisierung verstärkt werde. Dabei seien – so Denz – „gerade im Maschinen- und Anlagenbau technische Berufe die Grundlage des täglichen Handelns.“

Foto: O. Kürth

Ausbildung zahlt sich auf Dauer aus
Was ist zu tun? Im Personalmanagement wird daran gedacht, der Mitarbeiterführung einen größeren Stellenwert einzuräumen. Denn flexible Arbeitsplätze, die die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Bewerbers berücksichtigen, seien attraktiv und können leichter besetzt werden. Ähnliches hatte ver.di bereits im Mai 2013 vorgeschlagen: „Einen Ausweg aus dem Fachkräftemangel sollten die Unternehmen auch in der Weiterbildung der eigenen Leute sehen. Junge Leute, die heute im Lager arbeiten oder als Sortierer, könnten zu Kraftfahrern ausgebildet werden – was wiederum die Bindung der Beschäftigten an das Unternehmen stärkt.“ Und in eine ähnliche Richtung denkt auch Dr. Tanja Wielgoß, Vorstandsvorsitzende der Berliner Stadtreinigung: „Für die Menschen sind heute Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Betriebsklima und gesellschaftliche Relevanz der Arbeit oft wichtiger als die Bezahlung. Das hilft uns beim Thema Fachkräftemangel.“ Oder wie es der VKU ausdrückt: „Eine bewusste und strategische Personalentwicklung für Führungsnachwuchs beziehungsweise Leitungsfunktionen muss unter der Maßgabe einer gezielten work-life-balance und Gehaltspolitik erfolgen.“ Dass es die Branche mit der Nachwuchsförderung inzwischen ernst meint, zeigt sich in der Bezahlung: Die letzte Tarifrunde der privaten Entsorgungswirtschaft sah eine um zehn Prozent gestiegene Vergütung der Auszubildenden vor. BDE-Vizepräsident Oliver Gross kommentierte dies als „Signal an die Auszubildenden, um die Attraktivität unserer Branche zu steigern“. Denn – da ist sich auch der bvse sicher – „Investitionen in die Ausbildung zahlen sich personell und finanziell auf Dauer aus“.

Neue Strategien suchen
Sicherlich sollten Abfallwirtschaftschaftsbetriebe auf Mitarbeitersuche auch auf neue Strategien zurückgreifen. Dazu könnte gehören, Stellen zumindest für Nicht-Akademiker auch überregional auszuschreiben: So müssten sich Engpässe bei Berufskraftfahrern – wie 2015 in Baden-Württemberg und Bayern – oder bei Entsorgungsfachkräften – wie 2016 in Bremen und Niedersachsen – zumindest mildern lassen. Zur Rekrutierung von Akademikern haben sich enge Verbindungen zu Hochschulen bewährt, um Nachwuchskräfte im technischen Bereich für die Branche zu interessieren.

Das Wecken von Interesse an technischen Themen zur späteren Berufsorientierung sollte nach Ansicht von Naemi Denz aber bereits in Kindertagesstätten, Grundschulen und weiterführenden Schulen erfolgen. In diese Richtung geht daher die Azubi-Kampagne des VDMA, bei der Auszubildende aus dem Maschinenbau in Schulen für technische Berufe werben. Auch haben VDMA und Hochschulen eine Maschinenhaus-Initiative ins Leben gerufen, die die Qualität des Studiums verbessern will, um die mit 30 Prozent viel zu hohe Abbrecherquote in den Ingenieurwissenschaften zu senken. In ähnlicher Weise bietet die Metall Akademie des VDM Ausbildung des Nachwuchses bis hin zur beruflichen Weiterbildung von Fach- und Führungskräften. Unter anderem können sich hier Kaufleute aus metallverarbeitenden Unternehmen zu Betriebswirten/-innen Metallhandel (VDM), Betriebswirten/-innen Metallhandel (WGM) für Metallhalbzeug oder Betriebswirten/-innen Stahlhandel (BDS) weiterbilden.

Ausländische Mitarbeiter
Die Verpflichtung ausländischer Mitarbeiter sehen die befragten Verbände positiv. Für die BDSV haben ausländische Fachkräfte „seit jeher einen hohen Stellenwert“, für den VMDA spielt Zuwanderung „eine entscheidende Rolle“, und beim bvse wurden Arbeitskräfte aus anderen Ländern „immer schon positiv aufgenommen“. Es gebe noch viele Arbeitsplätze, die nach einer Anlernphase optimal ausgefüllt werden könnten, prinzipiell auch für Flüchtlinge bei enger Zusammenarbeit mit den Behörden. BDSV-Hauptgeschäftsführer Rainer Cosson dämpft jedoch die Erwartungen, da vor allem Fachkräfte und keine Hilfskräfte benötigt werden: „Dies bedingt eine solide Fachausbildung und Sprachkenntnis – beides Dinge, die sich in den meisten Fällen nicht von heute auf morgen einstellen.“

Die Problematik der zu überwindenden Sprachbarrieren erkennen auch die anderen Verbände. Naemi Denz kritisiert aber zusätzlich „unsinnige Hürden, wie etwa die Vorrangregelung für bestimmte Berufsgruppen, nach der ein Unternehmen eine ausländische Fachkraft aus Drittstaaten nur beschäftigen darf, wenn sich für die vorgesehene Tätigkeit kein EU-Bürger findet“. Ebenso sei zu überlegen, ob Flüchtlinge nicht schneller in den Arbeitsmarkt integriert werden könnten. Auch der VKU hält die Gewinnung ausländischer Fachkräfte für eine vielversprechende Perspektive, falls Hürden wie die Klärung des genauen Aufenthaltsstatus und die Schwierigkeit der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse überwunden werden.

Imageverbesserung – bei langem Atem
Bleibt am Schluss die Frage, wie sich das Image der Branche verbessern lässt. Die erwähnte Studie „Zukunft Stahlschrott“ liefert dazu Hinweise, zählt sie doch nicht nur die Minuspunkte im Bewusstsein der Öffentlichkeit auf, sondern zeigt auch positive Aspekte wie „Schrott ist die Zukunft durch langfristig geschlossene Kreisläufe“ und „Schrott als Sekundärrohstoff wird wettbewerbsfähiger werden“. Auch zieht die Studie die Umbenennung und Verbesserung durch den Begriff „Rohstoffunternehmen“ in Betracht. Immerhin – erklärt VDM Hauptgeschäftsführer Ralf Schmitz – habe die Branche nicht nur mit Schrott, sondern auch mit industriell wichtigen Metallen und wertvollen Seltenen Erden zu tun. Metall- und andere Recyclingbetriebe sind demnach definitiv Umweltdienstleister und liegen mit der Herstellung ihrer Produkte durchaus im Trend. Das könnte möglicherweise der Ansatz dazu sein, der Abfallsammlung und -verwertung zu einem angemessenen Image zu verhelfen. Das allerdings – da ist sich BDSV-Hauptgeschäftsführer Rainer Cosson sicher – könne nicht öffentlich verordnet werden. „Dafür  braucht es vielmehr ein unbeirrtes Arbeiten, einen ‚langem Atem‘ bei den Verbänden und den sie tragenden Mitgliedern.“

Foto: biker3 / fotolia.com

(EUR0217S16)

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