Abgrenzung Altfahrzeuge – Gebrauchtwagen: Sind Behörden und Unternehmen machtlos?

Die Umsetzung der Altfahrzeugrichtlinie ist bis heute nicht zufriedenstellend. Ein Grundproblem stellt die schwierige Abgrenzungsfrage zwischen Abfall und gebrauchtem Produkt dar.

Derzeit befassen sich in Deutschland fünf Automobilhersteller, über 1.100 Demontagebetriebe, über 30 Shredderanlagen und einzelne Post-Shredderanlagen mit der Umsetzung der Altfahrzeugverordnung bei Altfahrzeugrücknahme, -demontage und -verwertung. Doch kamen Ende der 1990er Jahre jährlich noch etwa 1,8 Millionen Fahrzeuge in die Verwertung, so wurden laut Kraftfahrt-Bundesamt 2006 von den etwa 3,8 Millionen stillgelegten Fahrzeugen nur noch etwa 540.000 in Deutschland verwertet; 2014 waren es rund 450.000. Die restlichen wurden als Gebrauchtwagen exportiert, in Deutschland in nicht genehmigten Betrieben demontiert oder als Altfahrzeuge in ausländischen Anlagen mit niedrigeren Standards verwertet. Shredderbetreiber sprechen von einem – in der Größe zwischen fünf und 25 Prozent – abnehmenden Anteil der Altfahrzeuge im Shredder-Input, verglichen zum Zeitraum vor der Einführung der Altfahrzeugverordnung.

Hinzu kommt, dass der Verbleib von Hunderttausenden von Altfahrzeugen statistisch nicht erfasst wurde beziehungsweise unklar ist. Für die gesamte EU geht man davon aus, dass jährlich über drei Millionen Altfahrzeuge nicht ordnungsgemäß und schadlos verwertet werden, sondern stattdessen über verschiedene Grenzen den EU-Markt in Richtung Afrika, Osteuropa oder arabische Staaten verlassen. Außerdem wird ein Abfallproblem oft dadurch verlagert, dass fast schrottreife Fahrzeuge nach Osteuropa verkauft werden, dort erheblich die Luftqualität belasten und nach ein bis zwei Jahren zu Schrott werden, ohne adäquat entsorgt zu werden. Dies bedeutet einen erheblichen Rohstoffverlust für die europäische Metall- und Stahlindustrie und entspricht einem Materialwert von etwa einer Milliarde Euro jährlich, wenn man nur – konservativ betrachtet – den Schrottwert ansetzt.

Gebrauchtwagen oder Abfall?

Ein Grundproblem stellt die schwierige Abgrenzungsfrage zwischen Abfall und gebrauchtem Produkt dar. Ist das exportierte Fahrzeug noch ein Gebrauchtwagen und unterliegt damit nicht dem Abfallrecht, kann es ohne Genehmigung exportiert werden; ist es jedoch bereits Abfall und enthält noch Flüssigkeiten, muss der geplante Export notifiziert werden. Die juristische Unterscheidung fällt in der Praxis schwer. Zwar gibt es in Artikel 3 Nummer 1 Abfallrahmenrichtlinie einen allgemeinen Abfallbegriff, der das Tatbestandsmerkmal des Entledigungswillens enthält. Dieses Merkmal ist jedoch weit fassbar und subjektiv so flexibel interpretierbar, dass mangels Entledigungswillens viele „instandsetzungswürdige Gebrauchtfahrzeuge“ nicht mehr darunter fallen.

Mehr Klarheit sollten die „Correspondent’s Guidelines No 9 on shipment of waste vehicles“ schaffen, die jedoch zurzeit überarbeitet werden. Österreich hat versucht, die Abgrenzung zwischen Altfahrzeug und Gebrauchtfahrzeug über das Verhältnis zwischen Reparaturkosten und Zeitwert zu konkretisieren: Übersteigen die durchschnittlichen Wiederherstellungs- und Reparaturkosten zur Zulassung eines Fahrzeugs seinen Zeitwert unverhältnismäßig hoch, liegt Abfall vor. Das führt jedoch zu Konflikten, wenn das reparierbare Fahrzeug in ein Land verbracht werden soll, in dem die Reparaturkosten erheblich niedriger sind und in einer vernünftiger Relation zum vorhandenen Nutzwert des Fahrzeugs stehen würden.

Die norwegische Altautoverordnung sieht ein Erstattungssystem für nach dem Jahr 1977 zugelassene Altfahrzeuge vor. Diese Regelung wurde für notwendig erachtet, um zu verhindern, dass Altfahrzeuge in dem wenig dicht besiedelten Land illegal entsorgt werden. Diese Spielart der Produzentenverantwortung könnte auch in den 28 EU-Mitgliedstaaten Schule machen, wenn sie dazu führt, dass Altautos ressourcenschonend in Europa verwertet werden.

Beispielsweise per Pfandsystem

Eine Lösung des Problems wäre also auf anderer Ebene zu suchen: Es müsste für den letzten Halter schlicht wirtschaftlich günstiger sein, ein Schrottfahrzeug einem Verwerter zu übergeben, als es auf fragwürdige Weise über die Grenze zu schaffen. Doch wer vor die Wahl gestellt wird, sein nicht reparierbares Altfahrzeug zu verschenken oder einem illegalen Exporteur für 350 Euro zu überlassen, wird häufig letzteren Weg wählen, ohne viele Fragen zu stellen oder gar zu vermuten, etwas Unrechtmäßiges zu tun.

Rein theoretisch wäre es ohne weiteres denkbar und für Hersteller, Händler und Käufer von Pkw auch ökonomisch völlig akzeptabel, ein System zu schaffen, in welchem es finanzielle Anreize gibt, ein Fahrzeug am Ende seines Lebenszyklus an einen zertifizierten Verwerter zurückzugeben, anstatt es in grauen Kanälen verschwinden zu lassen. Man könnte sich unschwer vorstellen, dass der Käufer beim Kauf eines Neuwagens ein Pfand zahlt, das über die Zwischenbesitzer weitergereicht wird, um an den Letztbesitzer des Fahrzeugs am Ende des Lebenszyklus bei Rückgabe zurückgezahlt zu werden. Ein Pfandsystem auf Kraftfahrzeuge wäre ein wirtschaftliches Steuerungsin­strument, das verspricht, besser gegen illegale Verbringung zu wirken als stärkere Kontrollen und ähnliche Maßnahmen, die sowohl höhere Gemeinkosten verursachen als auch eine zweifelhafte Wirkung versprechen. Allerdings dürfte eine solche Pfandlösung auf den erbitterten Widerstand von Automobilherstellern stoßen, da sie den Absatz optisch verteuern und zu administrativem Aufwand führt.

Verbleib von 1,4 Millionen Fahrzeugen ungeklärt

Im jetzigen Rücknahmesystem zahlt bis zur Übergabe des Fahrzeugs der Letzthalter (Besitzer) die Kosten, insbesondere für die Beförderung des Fahrzeugs in nicht mehr gebrauchsfähigem Zustand bis zur Annahme-/Rücknahmestelle. Darüber hinaus ist der Letzthalter nach den gegenwärtigen Marktverhältnissen verpflichtet, auch die Kosten für die Entsorgungsleistung zu übernehmen: die Trockenlegung, den Rückbau von verwendbaren Bauteilen, den Rückbau großer Kunststoffteile sowie die Zündung von Airbags. Die Kosten dieser Dienstleistungen im Rahmen der Vorbehandlung des Altfahrzeugs werden mit dem Stahlschrott-Erlös der Restkarosse an die Shredderanlage verrechnet und mit den überschießenden Kosten der Entsorgung dem Letzthalter angelastet.

Insbesondere diese vom Letzthalter zu entrichtenden Kosten stellen einen Anreiz für ihn dar, die Überlassung des Altfahrzeugs an die Entsorgungskette zu umgehen. Nach der Statistik der Altfahrzeugentsorgung, wie sie in einer Studie des Umweltbundesamtes zuletzt veröffentlicht wurde, werden in der Bundesrepublik Deutschland jährlich etwa 500.000 Altfahrzeuge recycelt und etwa 1,4 Millionen Altfahrzeuge als Gebrauchtwagen ins EU-Ausland und Nicht-EU-Ausland exportiert; in derselben Größenordnung – etwa 1,4 Millionen Altfahrzeuge – bleibt deren Verbleib ungeklärt.

Beweislastumkehr oder Abwrackprämie

Anzeige

Um einen größeren Anteil von Altfahrzeugen dem Recycling zuzuführen, könnte beim Export von gebrauchten Elektro- und Elektronikgeräten eine Beweislastumkehr hilfreich sein. Damit ist gemeint, dass Fahrzeuge bestimmter Eigenschaften, die im Geltungsbereich der deutschen gesetzlichen Vorschriften mit vertretbarem Aufwand nicht mehr verkehrssicher hergestellt werden können und deswegen als Altfahrzeuge eingestuft werden müssten, nur bei Nachweis einer Weiterverwendung oder Verwertung im Bestimmungsland in das Ausland verbracht werden dürften. Entsprechendes sollte gelten, wenn das Fahrzeug im Einzelfall im Bestimmungsland überwiegend einer Wiederverwendung wesentlicher Bauteile und zumindest einer stofflichen Verwertung zugeführt wird. Umgekehrt müssten Kriterien entwickelt werden, um die Abfalleigenschaften eines gebrauchtes Fahrzeug zu charakterisieren: beispielsweise ein Durchschnittsalter von über 16 Jahren oder wirtschaftlich unangemessene Reparaturkosten für eine Zulassung.

Es kann allerdings auch daran gedacht werden, das Recycling von Altfahrzeugen dadurch zu fördern, dass der Altbestand mithilfe einer sogenannten „Abwrackprämie“ einen wirtschaftlichen Anreiz erhält, der Entsorgungskette zugeführt zu werden. Noch weiter gehen Vorstellungen, die die Zahlung der Recyclingkosten mit dem Neuwagenpreis vorsehen („vorgezogene Entsorgungsgebühr“). Der damit verbundene Verwaltungsaufwand wäre im Rahmen der Produktverantwortung von den dazu Verpflichteten zu tragen. In diesem Fall müsste der Hersteller die bereits bezahlte Entsorgungsgebühr während der Lebensdauer des Fahrzeugs verwalten, in dem diese in einen Fonds einbezahlt wird. Das Fahrzeug würde bei Weitergabe vom Erstbesitzer zum Zweitbesitzer bis zum Letzthalter jeweils mit dem Anspruch auf unentgeltliche Rücknahme durch den Hersteller innerhalb der Europäischen Union weitergegeben. Dabei würde die unentgeltliche Rücknahme sich auch auf die Unentgeltlichkeit der Entsorgungsleistung beziehen.
Informationssystem gegen Dunkelziffern

Damit einher ginge die Erstellung eines vollständigen Informationssystems über den Fahrzeugbestand in der Europäischen Union: Die für das jeweilige Fahrzeug verwalteten Recyclingkosten wären auf diese Weise erfasst und die Stoffströme könnten weiter von der Herstellung bis zum Recycling verfolgt werden. Auch eine Beweislast­umkehr – soweit dann überhaupt noch erfoderlich – von den dafür zuständigen Überwachungsbehörden ließe sich effizient nachvollziehen. Und ein solches Informationssystem würde dazu beitragen, die Dunkelziffer bei dem ungeklärten Verbleib von Altfahrzeugen zu verkleinern.

Die Umsetzung der Altfahrzeugrichtlinie ist bis heute nicht zufriedenstellend. Die Studie fordert daher stärkere Kon­trolle durch regionale Vollzugsbehörden und einen Appell an politische Vertreter auf nationaler und EU-Ebene, rechtsverbindliche und eindeutige Vorgaben zu erlassen. Als neue Instrumente und Maßnahmen schlägt sie vor:

■    Technische Tauglichkeit (Straßentauglichkeit) beim Export von unabhängigen Sachverständigen bescheinigen lassen,
■    Vorlage einer Versicherung für einen Gebrauchtwagenexport,
■    Übernahme von Kriterien für die Charakterisierung eines „Gebrauchtwagen“ aus Anlaufstellenleitlinie No. 9 als Basis rechtsverbindlich in die Richtlinie übernehmen,
■    Ankoppelung der KFZ-Steuer an die endgültige Abmeldung,
■    Einführung einer Beweislastumkehr wie für den Export von Elektro- und Elektronikaltgeräten,
■    und die Einführung finanzieller Anreize für die Rücknahme und Rückgabe des Altfahrzeugs.

Der Beitrag ist eine stark gekürzte Version eines Fachartikels zum Thema „Abgrenzung Altfahrzeuge – Gebrauchtwagen, Behörden und Unternehmen machtlos?“, verfasst von Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Klett, Dr. Dipl.Chem. Beate Kummer sowie Prof. Dr. jur. Helmut Maurer.

Foto: O. Kürth

(EUR0317S6)