Wo steht Europas Abfallwirtschaft?

Eurostat und EU-Kommission haben Schlüsselzahlen geliefert.

Im November 2013 verabschiedeten EU-Parlament und EU-Rat ein Umweltaktionsprogramm unter dem Motto „Gut leben innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten“. Darin wurde die Optimierung von Abfallvermeidung und -bewirtschaftung als Möglichkeit zur besseren Ressourcennutzung, Schaffung neuer Arbeitsplätze und der Reduzierung der Rohstoffabhängigkeit hervorgehoben. Aktuell haben das Statistikbüro Eurostat jetzt unter „Schlüsseldaten über Europa 2016“ und die EU-Kommission mit einer „Überprüfung der Umsetzung der EU-Umweltpolitik“ neuere Zahlen veröffentlicht. Sie lassen eine erste quantitative Einschätzung zu, inwieweit das Programm umgesetzt werden konnte.

Zum damaligen Zeitpunkt fielen in der Union 2,7 Milliarden Tonnen Abfall an, wovon 98 Millionen Tonnen (vier Prozent) als gefährlich eingestuft wurden. Im Jahr 2011 lag das Siedlungsabfallaufkommen pro Kopf in der Union insgesamt bei 503 Kilogramm, wobei die Werte der einzelnen Mitgliedstaaten von 298 bis 718 Kilogramm reichten. Im Schnitt wurden nur 40 Prozent der festen Abfälle zur Wiederverwendung vorbereitet oder recycelt, wobei jedoch einige Mitgliedstaaten einen Wert von 70 Prozent erreichten.

Mineralische stellen zwei Drittel aller Abfälle

Den neueren Zahlen zufolge belief sich im Jahr 2014 die in den EU-Mitgliedstaaten insgesamt produzierte Gesamtmenge an Abfällen auf 2.598 Millionen Tonnen – mit erheblichen Unterschieden zwischen den Ländern. Die durchschnittliche Abfallmenge erreichte mit 5.118 Kilogramm mehr als fünf Tonnen pro Einwohner. Dazu trug das Baugewerbe mit 871 Millionen Tonnen 33,5 Prozent bei, gefolgt von Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden mit 774 Millionen Tonnen oder 29,8 Prozent, dem produzierenden Gewerbe mit 256 Millionen Tonnen beziehungsweise 9,8 Prozent, den Haushalten mit 209 Millionen Tonnen oder 8,1 Prozent und dem Energiesektor mit 95 Millionen Tonnen, die 3,7 Prozent entsprachen; die restlichen 15 Prozent verteilten sich auf Abfälle aus anderen Wirtschaftszweigen, insbesondere der Abfall- und Wasserwirtschaft mit 8,8 Prozent und sonstiger Dienstleistungen mit 3,8 Prozent. Mineralische Abfälle stellten mit 65 Prozent knapp zwei Drittel aller in den EU-28-Ländern erzeugten Abfälle. 95,6 Millionen Tonnen beziehungsweise 3,7 Prozent der 2014 erzeugten Abfallgesamtmenge wurden als gefährlicher Abfall eingestuft.

Noch 43 Prozent lediglich entsorgt

Im Jahr 2014 wurden in der EU-28 rund 2.145 Millionen Tonnen einschließlich der importierten Abfälle behandelt. Mehr als zwei Fünftel der behandelten Abfälle (43,6 Prozent) wurden entsorgt, worunter nicht die Beseitigung in einer Müllverbrennung fiel. Weitere 39,0 Prozent der behandelten Abfälle wurden verwertet, wozu weder Energierückgewinnung noch Verfüllung gehörten. Etwas über ein Zehntel der behandelten Abfälle (10,8 Prozent) wurden in Landschaftsbaumaßnahmen verfüllt. Die restlichen zu behandelnden Abfälle (6,5 Prozent) gingen in die Verbrennung, sowohl mit Energierückgewinnung wie auch ohne.

Deponierung gesunken, Rückgewinnung gestiegen

Mengen und Verhältnisse der unterschiedlichen Behandlungsmethoden im Rahmen der EU-Mitgliedstaaten haben sich im Verlauf des letzten Jahrzehnts signifikant verschoben. Die Menge der im Jahr 2014 deponierten Abfälle lag um 16 Prozent niedriger als im Jahr 2004. Die rückgewonnene Abfallmenge (ohne Energierückgewinnung), die also recycelt oder zur Verfüllung eingesetzt wurde, wuchs zwischen 2004 und 2014 von 890 auf 1.069 Millionen Tonnen, also um 20,1 Prozent. Infolgedessen stieg im gleichen Zeitraum auch der Anteil dieser Rückgewinnung an der gesamten Abfallbehandlung von 42,1 auf 49,9 Prozent. Die Abfallverbrennung einschließlich der energetischen Verwertung erfuhr zwischen 2004 und 2014 insgesamt einen Zuwachs von 29,6 Prozent und eine Anteilszunahme an den Gesamtmengen von 5,1 auf 6,5 Prozent.

Alles in allem wurden 75,6 Millionen Tonnen Sonderabfälle im Jahr 2014 in der Europäischen Union behandelt. Fast die Hälfte davon (49,1 Prozent) wurde in oder auf dem Boden deponiert oder durch Bodenbehandlung und Freisetzung in Gewässer. Etwa 6,0 Prozent aller gefährlichen Abfälle wurden ohne Energierückgewinnung verbrannt, weitere 7,4 Prozent mit Energierückgewinnung. 37,5 Prozent der Sonderabfälle, die 2014 in der EU-28 anfielen, wurden recycelt oder durch Verfüllung wiederverwertet.

In der Bilanz kommt das Eurostat-Papier zu dem Schluss, dass der Erneuerbare- Energien-Sektor die Umweltwirtschaft um über eine Million Vollzeit-Äquivalente bereichert und damit eine Steigerung von 187 Prozent erzielt hat. Platz 2 müsse dem Abfallwirtschaftssektor zugesprochen werden, der von 2000 bis 2013 den Arbeitsmarkt von 828.000 auf 1,1 Million Vollzeit-Äquivalente bereichert habe – um insgesamt 34 Prozent.

Abfallvermeidung bleibt Herausforderung

Dass es mehr als reiner Zahlen bedarf, um den Status der EU-Abfallwirtschaft zu beschreiben, verdeutlicht die „Überprüfung der Umsetzung der EU-Umweltpolitik“, deren Bilanz die EU- Kommission jetzt vorgelegt hat. Dabei kommen die Autoren zu der Auffassung, dass Abfallvermeidung weiterhin eine wichtige Herausforderung für alle EU Mitgliedstaaten bleibt – einschließlich der Länder mit hohen Recyclingraten.

So sollten neun Staaten ihre Anstrengungen deutlich erhöhen, um die Ziele bis 2020 zu erreichen. Sechs Staaten haben die 50 Prozent-Begrenzung für die Deponierung für Organikabfälle nicht erreicht. Einem Mitgliedstaat fehlt gegenwärtig ein nationaler Abfallwirtschaftsplan; in fünf Ländern sind entsprechende Regionalpläne nicht vorhanden. In fünf Staaten hakt die Koordination zwischen den Verwaltungsebenen und ist die Verfügungsgewalt in Umweltfragen fragmentiert. Die Hälfte aller Nationen muss die Effizienz der Getrenntsammlung verbessern. Und vielfach stellen die kalkulierten Preise zur Behandlung von Restmüll keine Anreize zur höherwertigen Wertstoffgewinnung dar.

Betrifft alle Staaten: Neuerungen und Nachbesserungen

Um diese und andere Schwachstellen tendenziell auszuräumen, hat die Kommission einen Vorhabenkatalog erarbeitet. Er stellt eine – zunächst limitierte – Zahl an Aktionen vor, die in den EU-Mitgliedstaaten vorrangig angegangen werden sollten.

■    Es sind Strategien einzuführen – inklusive wirtschaftlicher Maßnahmen wie Erweiterte Produzenten Verantwortlichkeit und „Zahle-wie-du-Wegwirfst-Modelle“ –, um die Abfallhierarchie, das heißt die Förderung der (Abfall-)Vermeidung, weiter umzusetzen und um Re-Use und Recycling wirtschaftlich attraktiver zu machen. Dadurch sollen Trittbrettfahrer ausgeschlossen und die finanzielle Rentabilität von Abfallwirtschaftsunternehmen gesichert werden. (betrifft 25 Staaten)
■    Wiederverwendbare und recycelbare Abfälle sollten der Verbrennung entzogen werden durch abgestuftes Auslaufenlassen von Hilfsgeldern für Verbrennung oder durch die Einführung von Verbrennungssteuern. (betrifft zwölf Staaten)
■    Es sollen Deponieabgaben eingeführt und/oder stufenweise erhöht werden, um die Deponierung von recycelbarem oder wiederverwertbaren Abfällen auslaufen zu lassen. Regionale Deponieabgaben sind zu harmonisieren. Die Höhen der Deponieabgaben sollen überwacht werden. Die Umsätze aus den wirtschaftlichen Maßnahmen sollten dafür eingesetzt werden, um Getrenntsammlung und alternative Infrastruktur zu unterstützen. (betrifft 15 Staaten)
■    Ein Schwerpunkt soll auf der Umsetzung einer verpflichtenden Getrenntsammlung liegen, um Recyclingraten zu erhöhen, und einer getrennten Bioabfallsammlung den Vorrang geben, um die Kompostierquote zu erhöhen. Sammelplätze für spezifische Abfallsorten – sogenannte Collention Points – sollten in jeder Gemeinde eingerichtet werden. (betrifft 15 Staaten)
■    Abfallwirtschaftsplan oder -pläne sollen ebenso wie Abfallvermeidungsprogramm oder -programme vervollständigt und auf aktuellen Stand gebracht werden, um das gesamte Gebiet abzudecken. (betrifft sechs Staaten)
■    Die Beendigung der Arbeiten an irregulären Deponien soll hohe Priorität genießen. (betrifft vier Staaten)
■    Ausufernde Infrastrukturen zur Behandlung von Restmüll sollten vermieden werden. (betrifft 14 Staaten)
■    Es sollte sichergestellt sein, dass die Statistik mit den Eurostat-Richtlinien deckungsgleich ist. Die Übereinstimmung der Abfallwirtschaftsdaten verschiedener Quellen sollte erhöht werden. (betrifft zwei Staaten)
■    Die Kooperation zwischen den Regionen sollte intensiviert werden, um die Kapazitäten zur Abfallbehandlung effektiver zu nutzen und die nationalen Recyclingvorgaben zu erfüllen. (betrifft zwei Staaten)

Aktuell zieht die EU-Kommission folgende Bilanz: „Alle Mitgliedstaaten haben mit Arbeiten auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft begonnen, aber einige sind Vorläufer und haben nationale oder regionale Kreislaufwirtschaftspläne angenommen (wie die Niederlande oder Belgien) oder sie in andere Strategien integriert (wie Deutschland oder Frankreich). Rund 20 Staaten haben Modelle übernommen, um die Güter und Dienstleistungen, die sie durch öffentliche Beschaffung erwerben, nachhaltiger zu machen. Solche Maßnahmen sind der Schlüssel zu einem wahrhaftigen ‚Kreis-Schluss‘, der über die Abfallwirtschaft hinausgeht, um den gesamten Lebenszyklus eines Produkts abzudecken.“

Darüber, inwieweit sich Europa in diesem Bereich einem „Gut leben“ angenähert und von den „Belastbarkeitsgrenzen des Planeten“ entfernt hat, geben die Zahlen und Vorhaben allerdings keine Auskunft; schon gar keine qualitativen.

Mitteilung und Anhang zur „Überprüfung der Umsetzung der EU-Umweltpolitik (EIR-Initiative): Gemeinsame Herausforderungen und Anstrengungen für bessere Ergebnisse“ sind unter http://ec.europa.eu/environment/eir/pdf/comm_en.pdf beziehungsweise http://ec.europa.eu/environment/eir/pdf/comm_annex_en.pdf zu finden.

Abb.: Atlantis / fotolia.com

(EUR0317S36)

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