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Internationaler Altpapiertag: Plädoyer für mehr Kooperation

Qualität und künftige Verfügbarkeit des Rohstoffs Altpapier standen im Mittelpunkt des 20. Internationalen Altpapiertages, den der bvse-Bundesverband Sekundär­rohstoffe und Entsorgung e.V. in Düsseldorf veranstaltete.

Mit 510 Teilnehmern aus 19 vorwiegend europäischen Ländern hatte sich die Konferenz erneut als bedeutende internationale Branchenveranstaltung erwiesen, zumal die behandelten Themen sowohl für die Altpapierbranche als auch für ihre Kunden in Anbetracht der aktuellen Marktdynamik wichtig sind. „Der Mittelstand in der Recyclingbranche war und ist der Innovationsmotor der Kreislaufwirtschaft. Dieser Aufgabe wollen wir uns auch in Zukunft aktiv, fair und kooperativ stellen“, betonte Werner Steingaß, Vorsitzender des Fachverbandes Papierrecycling im bvse und Vizepräsident des Verbandes, in seiner Begrüßungsrede.

Bei dieser Gelegenheit unterstrich er auch das bisher Erreichte: Die Altpapiereinsatzquote in Deutschland betrage mittlerweile 74,5 Prozent. 2016 hätten die deutschen Papierfabriken fast 17 Millionen Tonnen Altpapier für die Produktion von 22,6 Millionen Tonnen Papier, Pappe und Karton genutzt. Nach den Angaben des Verbandes Deutscher Papierfabriken (VDP) seien im vergangenen Jahr 1,2 Prozent mehr Altpapier eingesetzt worden als noch in 2015. Um dies zu ermöglichen, habe Deutschland erhebliche Mengen Altpapier aus anderen europäischen Staaten importiert. Mit einem Einfuhrüberschuss von rund 1,5 Millionen Tonnen sei Deutschland Nettoimporteur von Altpapier geblieben. Europaweit benötigte die Papierindustrie insgesamt 43 Millionen Tonnen Altpapier. „Doch selbst dieser immens hohe Altpapiereinsatz ändert nichts daran, dass in Europa weiterhin mehr Altpapier erfasst wird, als die Papierfabriken für ihre Produktion benötigen“, so Steingaß. „Solange dem so ist, bleibt das Ventil des Altpapierexports die unverzichtbare Basis für die in Europa erfolgreich praktizierte Recyclingwirtschaft. Die Altpapierrecyclingwirtschaft war und ist imstande, den Rohstoffbedarf der Papierindustrie europaweit verlässlich zu bedienen.“

Die Altpapier einsetzende Papierindustrie und die Altpapierbranche bildeten seit Jahrzehnten die Pfeiler einer Erfolgsstory. Zwar könne es auch unter solch engen Partnern vorkommen, dass die Auffassungen nicht deckungsgleich seien. „Gerade dies sollte uns aber zusammen noch stärker auf unsere Gemeinsamkeiten und somit auf unsere Stärken schauen lassen“, hob der Fachverbandsvorsitzende hervor.

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Werner Steingaß: Der Mittelstand in der Recyclingbranche war und ist der Innovationsmotor der Kreislaufwirtschaft (Foto: bvse)

Laut Werner Steingaß hat sich die Altpapierbranche in den vergangenen Jahren immer wieder neuen Herausforderungen gestellt und stets gut behaupten können. Aber er warnte davor, die durchaus schwierige Lage der kleinen und mittelständischen Firmen aus dem Blick zu verlieren. Es sei erkennbar, dass zusätzliche Regelungen und verschärfte behördliche Überwachung einen deutlich erhöhten Aufwand im Betriebsablauf erforderlich machten. Deshalb wünscht er sich von der Politik, die Rahmenbedingungen, insbesondere auch die genehmigungsrechtlichen Fragen, so zu gestalten, dass auch kleinere und mittelständische Unternehmen eine reelle Chance im Wettbewerb haben. Eine moderne Kreislaufwirtschaft müsse sich auch daran messen lassen, ob sie bestehende zentralistische Strukturen aufbricht und neue erst gar nicht entstehen lässt. „Für einseitige Privilegien kommunaler Unternehmen ist da kein Raum. Um die Vielfalt und Innovationskraft der Sekundärrohstoffwirtschaft zu bewahren, ist allen Marktteilnehmern der Zugriff auf die Wertstoffe zu ermöglichen. Da gibt es durchaus immer noch Handlungsbedarf, wenn es beispielsweise um die gewerblichen Sammlungen geht. Hier darf es noch nicht einmal den Anschein einer Kungelei zwischen kommunalen Unternehmen und dem Vollzug geben“, sagte Steingaß.

Henry Forster, Geschäftsführer der GOA-Gesellschaft im Ostalbkreis für Abfallbewirtschaftung mbH, analysierte in seinem Vortrag unter anderem die Gründe für die Rekommunalisierung, die Sicht der Produzenten wie auch die künftig zu erwartenden Kostensteigerungen im Hinblick auf die Altpapiererfassung, den höheren Sortieraufwand infolge der sich verändernden Altpapierzusammensetzung und den volatilen Verwertungserlösen. Als Maßnahmen für die Zukunft schlug er unter anderem vor, das Subsidiaritätsprinzip einzufordern. Dieses lege eine genau definierte Rangfolge staatlich-gesellschaftlicher Maßnahmen fest und bestimme die prinzipielle Nachrangigkeit der nächsten Ebene. Die jeweils größere gesellschaftliche oder staatliche Einheit soll nur dann, wenn die kleinere Einheit dazu nicht in der Lage ist, aktiv werden und regulierend, kontrollierend oder helfend eingreifen (Wikipedia). Daneben sprach er sich für eine Imageverbesserung der Branche aus, um die Wahrnehmung bei der Bevölkerung und den Kommunen zu erhöhen. Zudem regte er an, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen sowie Partnerschaften mit Kommunen, Papiererzeugern und Unternehmen der Altpapierbranche einzugehen.

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Andreas Uriel: Die Prüftechnik muss in ihren Ergebnissen zuverlässig, gerecht und für alle Beteiligten nachvollziehbar sein (Foto: bvse)

Die Altpapierqualität und ihre Herausforderungen

„Die europäische Altpapiersortenliste EN 643 gibt Grenzwerte für Störstoffe und Feuchte im Altpapier vor, die überprüfbar sein sollen“, erläuterte Andreas Uriel, Mitglied der bvse-Fachverbandes Papierrecycling und Delegierter der Branchenvereinigung in der ERPA – European Recovered Paper Association. „Soweit so gut, doch mit welchem abgesicherten Messverfahren soll oder besser kann dies denn geschehen? Wie kann vermieden werden, dass Lieferant und Abnehmer besonders im Falle einer Meinungsverschiedenheit über die Altpapierqualität nicht Äpfel mit Birnen vergleichen?“

Nach Uriels Worten gibt es einen neuen europäischen Standard, der die Methoden der Probenahme und zuverlässige Messungen definiere und die Chance biete, im Streitfall zu einem abgesicherten Ergebnis zu gelangen. Der Entwurf sei im Oktober 2016 beim europäischen Normungsinstitut CEN eingereicht worden und liege aktuell den nationalen Normierungsstellen – in Deutschland dem Deutschen Institut für Normung (DIN) – zur Kommentierung vor. Im Sommer etwa dürfte seiner Einschätzung nach die Veröffentlichung erfolgen. Ein weiterer Standard zur Zusammensetzung des Altpapiers befinde sich bereits in Vorbereitung.

Wie Andreas Uriel weiter betonte, stellt das Thema Altpapierqualität für Recyclingbetriebe und Papierfabriken ein Kernthema dar. Dem Altpapieraufbereiter ständen für seine Ausgangskontrolle mobile, vergleichsweise leicht handhabbare und bezahlbare Prüftechnik wie auch gravimetrische Testverfahren zur Verfügung. Gleichwohl stehe für die Abnehmerseite zu vermuten, dass die Qualitätsansprüche und damit die Altpapier-Eingangskontrollen tendenziell zunehmen werden.  Die Industrie interessiere sich für die Zusammensetzung des Altpapiers (zum Beispiel Aschegehalt, Ligningehalt, Weißegrad oder Faseranteil), weil sich das Altpapier besser zielgerichtet einsetzen lasse. Daher sei es für die Altpapierlieferanten unverzichtbar, dass diese Prüftechnik – sowohl im Streitfall als auch im Regelfall – in ihren Messergebnissen zuverlässig, gerecht und für alle Beteiligten nachvollziehbar ist.

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Informierte über den aktuellen Stand im Hinblick auf die künftigen europäischen Standards zur Altpapier-Eingangskontrolle: Barry Read (Foto: bvse)

Barry Read von der britischen The Paper Industry Technical Association (PITA) und Obmann des CEN/TC 172 berichtete über den aktuellen Stand im Hinblick auf die künftigen europäischen Standards zur Altpapier-Eingangskontrolle. Das „Probenahmeverfahren für Papier und Pappe für Recycling“ (prEN17085) kann seiner Ansicht nach noch in diesem Jahr verabschiedet werden. Ähnliches könne für den im Entwurfsstadium befindlichen Standard im Hinblick auf die Zusammensetzung des Papiers gelten. In diesem Zusammenhang wies der Fachmann darauf hin, dass diese beiden künftigen europäischen Standards nicht für die tägliche Eingangskontrolle in der Papierfabrik gedacht sind. Sie sollen vornehmlich bei der Streitschlichtung, Zolltests, Audits oder der Kalibrierung der Kontrollgeräte angewendet werden.

Wie die Praxis der Altpapier-Eingangskontrolle aussehen kann, beschrieb Andreas Walser, Managing Director der Hamburger Recycling Group GmbH, am Beispiel von Hamburger Hungaria, Dunaújváros. In Ost- und Südeuropa werde die Altpapiersammlung von kleinen und mittleren Unternehmen durchgeführt, berichtete er. Bei jeder Lieferung finde eine Qualitätskontrolle des angelieferten Materials statt (Kontrolle der Dokumente, Eingangswiegung, Messen des Feuchtigkeitsgehalts per Mikrowellentechnik, visuelle Prüfung der Stapelbarkeit der Ballen oder visueller Check auf Störstoffe). Bei Meinungsverschiedenheiten werde ein Repräsentant des ungarischen Altpapierverbandes hinzugezogen.

In seinem Vortrag über „Industrie 4.0 – Chancen für den optimierten Altpapiereinsatz“ berichtete Dipl.-Math. Jörg Hempel, PTS-Papiertechnische Stiftung (Heidenau), unter anderem über das Analysegerät Balemat II. Die Vorrichtung ist bei einem australischen Unternehmen installiert und kann den Feuchtigkeitsgehalt im Ballen ebenso messen wie den Kunststoffanteil, den Aschegehalt sowie die Beziehung von Holzschliff zu Zellstoff. Wie der Referent erläuterte, dauert die Messung, die auf dem Lastwagen durchgeführt werden kann, ungefähr eine Minute.

Über den internationalen Altpapierhandel

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Ranjit Singh Baxi rechnet mit einem steigenden Altpapierbedarf in Asien, weil in dieser Region immer mehr Papiermaschinen anlaufen (Foto: bvse)

Ranjit Singh Baxi, Chef und Gründer der britischen J & H Sales International Ltd. und Präsident des Bureau of International Recycling (BIR), rechnet mit einem steigenden Altpapierbedarf in Asien infolge des künftigen Kapazitätsausbaus in dieser Region. In diesem Zusammenhang wies er unter anderem darauf hin, dass Indien aktuell die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft ist; der Altpapierbedarf wird sich nach seiner Einschätzung innerhalb der kommenden sechs bis acht Jahre auf etwa neun Millionen Tonnen verdoppeln. Was die Altpapierlieferungen nach China angeht, so wird die importierte Altpapiermenge seiner Ansicht nach ungefähr auf dem bisherigen Niveau bleiben. Im Jahr 2016 führte die Volksrepublik China 27,362 Millionen Tonnen ein (31,649 Millionen Tonnen in 2015). Hauptlieferant waren nach wie vor die USA, die allein im ersten Quartal 2016 fast 3,6 Millionen Tonnen (3,1 Millionen Tonnen im ersten Quartal 2015) nach China lieferten. Die aus Europa bezogene Altpapiermenge erhöhte sich im Vergleich dazu um lediglich zwei Prozent auf 2,1 Millionen Tonnen, wobei über 955.000 Tonnen (plus 7,85 Prozent) aus Großbritannien stammten.

Laut Baxi wächst in allen asiatischen Ländern die Altpapiersammlung. In einigen Jahren werde China auch den Rohstoff Altpapier exportieren, zeigte er sich überzeugt. Gleichzeitig werde die Qualität immer wichtiger. Die Volksrepublik China wolle keine Abfälle, sondern Rohstoffe importieren und führe strengere Kontrollen durch.

Abschließend sagte Ranjit Baxi voraus, dass Europa und die USA für den asiatischen Raum die wichtigsten Bezugsquellen für Altpapier bleiben werden. Japan, Australien und der Mittlere Osten würden zur Marktversorgung ebenfalls beitragen, wenn auch nicht als Hauptlieferanten.

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Henri Vermeulen (rechts): Es gibt genügend Material in Europa; die Altpapiernachfrage bleibt stark (Foto: bvse)

Ranjit Baxi geht davon aus, dass die Nachfrage in Europa nicht nachlassen wird, zumal große Mengen verfügbar sind und die Erfassungsmengen steigen. Großbritannien wird seiner Meinung nach der größte Altpapier-Exporteur in dieser Region bleiben. Neue europäische Kapazitäten im Verpackungsbereich werden sich nach seiner Prognose auf das Angebot auswirken.

Eine ähnliche Position vertrat auch Henri Vermeulen, Vice President Recovered Paper der Smurfit Kappa Group, Vorsitzender des EPRC (European Recovered Paper Council) und Mitglied des Raw Materials Commitee von CEPI (Confederation of European Paper Industries). Die Materialströme in Europa werden seiner Einschätzung zufolge stärker. So gebe es in Großbritannien einen Altpapier-Überschuss von etwa 4,5 Millionen Tonnen, aber der Rohstoff sei in den kontinentaleuropäischen Papierfabriken fast nicht zu verarbeiten, da seine Qualität nicht ausreiche. Daneben sorgten die neuen Verpackungskapazitäten in Deutschland dafür, dass es eine Versorgungslücke im Umfang von 1,5 Millionen Tonnen gebe.

Trotzdem zeigte sich der Experte davon überzeugt, dass genügend Material in Europa existiert, um den Rohstoffbedarf zu decken. Die Altpapiernachfrage bleibe stark.

Brigitte Weber

Foto: O. Kürth

(EUR0517S24)

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