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Auch in Europa verschwinden Elektroschrottabfälle

Den Erkenntnissen des CWIT-Projekts folgen bisher wenige praktische Ergebnisse.

Es dauerte von September 2013 bis August 2015, kostete insgesamt rund zwei Millionen Euro und kam zu einem ernüchternden Ergebnis: In seinem Schlussbericht resümierte das Projekt zur Bekämpfung des illegalen WEEE-Handels (Countering WEEE Illegal Trade Project, kurz: CWIT), dass 2012 von den schätzungsweise 9,4 Millionen Tonnen an Elektroschrott in Europa nur 35 Prozent offiziell in die Sammel- und Recyclingsysteme gelangten. Die restlichen zwei Drittel verschwanden über verschiedenste Pfade aus Blickfeld und Statistik.

Rechnet man die Angaben von 15 Mitgliedstaaten auf die EU28 plus Norwegen und Schweiz hoch, so verschwanden 750.000 Tonnen in den Restmülltonnen. Diese Angabe ist unsicher, da nur wenige Staaten aussagekräftige Berichts- und Kontrollsysteme zur Bekämpfung von Umweltschäden und den Anforderungen entsprechende Bedingungen geschaffen hatten. Geschätzte 2,2 Millionen Tonnen an Elektro- und Elektronikabfällen wurden – da mit anderen Metallabfällen vermischt – auf ordnungswidrige Art und Weise gesammelt und entsorgt.

1,5 Millionen Tonnen verlassen die EU

Der Verbleib der restlichen 3,2 Millionen Tonnen ist undokumentiert. Es wird vermutet, dass 1,7 Millionen Tonnen davon in der EU behandelt werden: 950.000 Tonnen finden professionelle Verwendung bei Wärme- oder Kühl-Einrichtungen, großen IT-Installationen, leistungsstarken Kompressoren oder medizinischen Ausrüstungen – darunter an die 500.000 Tonnen durch Montagebetriebe und rund 90.000 Tonnen an Lampen, die später im Glascontainer landen. Die übrigen 750,000 Tonnen werden entwendet oder gestohlen, darunter Kompressoren für Kühlgeräte in Höhe von 84.000 Tonnen.

Die verbleibenden 1,5 Millionen Tonnen der 3,2 Millionen undokumentierten Elektroschrotte verlassen die EU. Davon ist der Verbleib von rund 200.000 Tonnen gebrauchter WEEE-Gerätschaften dokumentiert – häufig Informationstechnologie mit Restlaufzeit und Wiedergebrauchswert, die von Einzelhändlern oder Wohltätigkeitsorganisationen in Afrika entgegengenommen wird. Die übrigen 1,3 Millionen Tonnen – vorwiegend gebrauchte Elektrogeräte, häufig gemischt mit WEEE- oder reparaturbedüftigen Abfällen – setzen sich aus rund 900.000 Tonnen (70 Prozent) funktionierender und 400.000 Tonnen (30 Prozent) unbrauchbarer Gerätschaften zusammen. Juristisch bewegt sich diese Menge in einer Grauzone, da sie unterschiedlichen gesetzlichen Auslegungen oder Export-Beschränkungen unterliegen. Zahlen des European Union Network for the Implementation and Enforcement of Environmental Law (IMPEL) deuten auf 250.000 bis 700.000 WEEE-Transporte hin, die gegen geltende Rechtsprechung verstoßen.

In Europa verschwinden 4,65 Millionen Tonnen

Für Jaco Huisman, den wissenschaftlichen Koordinator des CIWT-Projekts und Mitarbeiter der Universität der Vereinten Nationen, stand damit fest, dass 4,65 Millionen Tonnen an Abfällen innerhalb von Europa falsch bewirtschaftet oder illegal gehandelt werden: „Die weitverbreitete Plünderung von sowohl Produkten wie Komponenten und der Diebstahl von werthaltigen Bestandteilen wie Leiterplatinen und Edelmetall bedeutet einen ernsthaften Verlust von Material und Ressourcen für die regelkonformen E-Schrott-Verarbeiter in Europa.“

Doch widersprachen damit die Ergebnisse der allgemeinen Annahme, dass alles, was in Europa nicht gesammelt und nicht als recycelt angegeben wird, für den illegalen Export in Richtung Afrika vorgesehen ist. Vielmehr wurde deutlich, das als vorwiegend treibende Kräfte hinter dem Export Wiederverwendung und Wiederherstellung standen und nicht Deponieren als solches. „Das Fehlen von Transparenz und Behandlungsqualität von substantiellen Mengen in Europa ist ein viel größeres Umwelt-, Gesundheits- und Wirtschafts-Anliegen“, vermutete Jaco Huisman.

Geschätzter Verlust: 2,6 Milliarden Euro

Der Wert der Materialien, derer die Europäische Union durch illegale Transporte verlustig geht, ist enorm. Im Vergleich zu den Kosten der Deponierung summieren sich allein die Elektroabfälle, die durch unsachgemäße Verfüllung in die Reststofftonne gelangen, auf rund 400 bis 600 Millionen Euro. Der Diebstahl von Kühlgeräte-Kompressoren, Festplatten und IT-Komponenten schlägt mit etwa 200 bis 500 Millionen Euro zu Buche. Und die Menge des undokumentierten Elektroschrotts – abzüglich des Wertes der gebrauchten WEEE-Gerätschaften – stellt einen geschätzten Wert von 300 bis 600 Millionen Euro dar. Somit beläuft sich der europaweite Verlust auf insgesamt 800 Millionen bis 1,7 Milliarden Euro. Eine externe Schätzung kommt für das Jahr 2020 auf einen Gesamtwert durch nicht stattgefundenes Recycling von 2,15 bis 3,67 Milliarden Euro. Umgelegt auf den Prozentsatz des nicht dokumentierten, illegalen oder exportierten Stroms an WEEE-Materialien, errechnet sich eine Spanne zwischen 1,2 und 2,6 Milliarden Euro.

Uneinheitliche Definitionen, unterschiedliche Sanktionen

Als Gründe für Materialverluste weist der Bericht unklare Definitionen für E-Abfälle aus, die durch die Umsetzung der WEEE-Richtlinie in einzelne Länder verkompliziert wurden oder noch durch zusätzliches legislatives Instrumentarium ergänzt werden müssten. Das zeigt die Notwendigkeit, über eine einheitliche europäische Ebene zur Klassifikation von Abfällen zu verfügen. Ebenso variierten die Sanktionen für illegalen E-Schrotthandel, was Strafdauer und Geldbußen anlangt.

Einige Mitgliedstaaten vertraten einen administrativen Ansatz, um die organisierte Kriminalität und andere Straftaten zu bekämpfen, indem sie die lokalen und Verwaltungs-Behörden zu effektiven Maßnahmen wie dem Entzug von Genehmigungen und Lizenzen bevollmächtigten. Dieses Vorgehen kann teure Strafverfahren verhindern und ebenso wirksam abschreckende Wirkung haben. Eine bloße Erhöhung der Strafen ist nicht für alle EU-Staaten ratsam. Vielmehr könnte eine Abwägung der juristischen mit der praktischen Situation auf nationaler Ebene vorgenommen werden, um Schwachstellen und Anforderungen im Verhältnis zur Höhe der Sanktionen zu bestimmen.

Vorschläge bis hin zur Roadmap

Das Projekt stellte auch etliche beste Verfahren von Mitgliedstaaten heraus:
■ ein kombiniertes Verschlüsselungssystem, um die Datensammlung auf den nationalen E-Plattformen zu vereinfachen
■ ein Verbot auf Bargeld-Transaktionen wie in Frankreich, das involviert, dass der Metallverkauf ein wichtiger Schritt ist, um die Profitabilität des illegalen Handels zu reduzieren. Der Erfolg dieser Maßnahme zeigt sich in den vormals illegalen Aktivitäten in Frankreich, die in die Nachbarstaaten verdrängt wurden, in denen das Verbot nicht anwendbar ist.
■ die Installierung eines Rücknahme-Verfahrens, damit illegal exportiertes Material in die Ursprungsländer zurückkehrt.

Aus einer Reihe von Vorschlags-Clustern zur Verbesserung der momentanen Lage kristallisierten sich als Schlüssel-Forderungen heraus:
■ die mengenmäßige und qualitative Steigerung der Sammlung
■ die Entwicklung nationaler WEEE-Überwachung und Datenerfassung
■ die Bildung nationaler Task Forces (NEST) für Umweltsicherheit
■ die Etablierung eines „alle Akteure berichten“-Prinzips für Händler und Verarbeiter
■ die Durchführung von intelligenten und zielgerichteten Inspektionen – neben verstärkter Überwachung, Berichtspflicht, funktionstüchtigen WEEE-Netzwerken und eingeführten NESTs
■ die Einrichtung internationaler WEEE-Netzwerke als Grundlage für besseres Wissen und besseren Datenaustausch zwischen den Staaten

Abschließend wurde eine Roadmap mit Empfehlungen entwickelt, die über eine kurze, eine mittlere und eine längere Zeitspanne den illegalen Handel durch bestimmte Aktionen reduzieren sollen. Laut Ioana Botezatu von Interpol, der Koordinatorin des EU-unterstützten Projekts, enthalten diese Aktionen neben besserer Verbraucher-Aufklärung und vermehrten Inspektionen ein einsatzfähiges Informations-Managementsystem und ein dezidiertes Training für Richter und Staatsanwälte.

In umsetzbare Maßnahmen verwandeln

Seitdem sollen sich die Empfehlungen in umsetzbare Maßnahmen verwandelt haben, meint Pascal Leroy, Generalsekretär des WEEE-Forums. „Etliche legislative Vorschläge wurden schon von Mitgliedstaaten an Bord geholt, darunter ein Verbot für Bargeld-Zahlungen im Metallhandel und ein Berichterstattungs-Modell, das zur Behandlung und Meldung von Elektroabfällen verpflichtet und in Übereinstimmung mit anerkannten Standards steht.“ Fortschritte seien auch im Strafverfolgungssystem zu vermelden, nicht zuletzt zurückführbar auf das Dotcom-Projekt, das die Entwicklung dezidierten Trainingsmaterials für die Exekutivbehörden zum Ziel hatte. Projektpartner seien in Folgeprojekten zu anderen Abfallsorten involviert. So ist unter anderem für den 20. Oktober 2017 in Brüssel im Rahmen des „Space Based Support Services for Waste Management“-Projekts der European Space Agency (ESA) ein Workshop anberaumt. Er trägt den Titel „Satelliten-Einsatz zu Erdobservation und GPS-Verfolgung zur Bekämpfung von Abfall-Kriminalität und Sicherung der Abfall-Übereinstimmung“.

Zu den Folge-Unternehmungen gehört aber vor allem das LIFE-Projekt „Smarter Regulations of Waste in Europe“, 2014 ins Leben gerufen und auf fünf Jahre angelegt, um innovative Wege zu Verständnis, Bekämpfung und Reduzierung von Abfall-bezogener Kriminalität zu finden. Insbesondere sollen „die wesentlichen Lücken im allgemeinen Verständnis von Gründen, Kräftespiel und Auslöser krimineller Aktivitäten“ erkannt und geschlossen werden, die als „eine hauptsächliche Bedrohung unserer Ambitionen für eine Kreislaufwirtschaft“ gelten.

Der erste Report vom Dezember 2015 gipfelte in der Erkenntnis, dass es an drei Faktoren mangelt: schlechtem Datenaustausch, zu wenigen organisatorischen Prioritäten und fehlendem Wissen beziehungsweise Verständnis für Aufgabe, Verantwortlichkeit und Leistungsstärke der Partnerorganisationen. Das zweite Projekt-Papier vom August 2016 berichtete über Beispiele und Probleme bei kooperierenden Partnerschaften oder Eingreifgruppen. Und es deckte auf, dass NEST – die National Security Task Force zwar als operativer Rahmen für internationale Zusammenarbeit zum Einsatz kommt und als bester praktischer Versuch zur Bildung von Partnerschaften zu werten ist. Aber dies treffe vor allem bei formalen Vorgängen zu und weniger bei Aktivitäten, die kulturelle und Verhaltens-Änderungen innerhalb der Partnerschaften voranbringen könnten.

Ioana Botezatu hofft, „dass dieses Projekt (gemeint: CWIT) den Politikern die Augen geöffnet hat und deutlich machte, dass fakten-basierte Forschung, Koordination und Unterstützungsaktionen Instrumente zur Umsetzung der Abfall-Gesetzgebung sind“. Doch um zum Ziel zu kommen, seien mehr als bloße Aktionspläne und Umweltgesetzgebung nötig. Ohne eine funktionierende Kooperation von Steuerbehörden, Justiz, Polizei und Zoll werde der Kampf gegen illegalen Handel wahrscheinlich ineffektiv bleiben.

Foto: Petra Nowack – peno / fotolia.com

(EU-Recycling 10/2017, Seite 6)

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