Quotenjagd oder Recyclingqualität?

Deutschlands Recyclingquoten liegen niedriger als offiziell zugegeben.

Wo stehen wir wirklich auf Basis der neuesten verfügbaren Zahlen? Das fragten sich DGAW-Ehrenpräsident Thomas Obermeier und Sylvia Lehmann von der Beratungsgruppe TOM M+C. Sie nahmen sich der veröffentlichten statistischen Zahlen von 2015 an und setzten zusätzlich die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Berechnungsgrundlagen für das Recycling im Rahmen des Kreislaufwirtschaftspaketes vom Dezember 2015 an. Das Ergebnis ist desillusionierend.

Deklariert wird eine Recyclingquote von 67 Prozent der Massengewichte für die gesamten Siedlungsabfallmengen des Jahres 2015. Danach werden die EU-Vorgaben der Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EC von 50 Gewichtsprozent für mindestens Papier, Metall, Kunststoff und Glas aus Haushaltsabfällen und ähnlichen Abfällen ebenso übertroffen wie die im Kreislaufwirtschaftsgesetz für 2020 angestrebte Recyclingquote von 65 Prozent. In der Realität erreichen den Wirtschaftskreislauf jedoch deutlich weniger Sekundärrohstoffe.

Nur Anteile zwischen 10 und 90 Prozent

Das statistische Bundesamt fasst unter „Behandlung und Stoffliche Verwertung“ alle R 2- bis R 13- Verfahren zusammen. Diese Summe der Inputs wird durch die gesamte Siedlungsabfallmenge geteilt und ergibt die Recyclingquote. Allerdings – so geben Obermeier und Lehmann zu bedenken – betragen die tatsächlich stofflich verwerteten Mengen in R 2- bis R 13-Verfahren je nachdem nur Anteile zwischen 10 und 90 Prozent. So würden bei den getrennt gesammelten Fraktionen laut Daten des Umweltbundesamtes in den Altpapiersortieranlagen 87 Prozent, bei der Altglasaufbereitung 89 Prozent, in Kunststoff-Sortieranlagen bis zu 50 Prozent, Metalle zu 93 Prozent und Holz zu 27 Prozent stofflich verwertet. Andere Quellen sprechen von Kunststoff- und LVP- Verwertungsquoten von 20 Prozent beziehungsweise 30 Prozent.

Tatsächlich bei 36 bis 40 Prozent

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Bei genauerer Untersuchung der Zahlen von 2015 kommen die Autoren unter anderem auf eine stoffliche Verwertungsquote von 56 Prozent bei „sonstigen Abfällen (Verbunde, Textilien, Metalle“, errechnen Recyclingquoten von 59 Prozent für Bioabfall und 62 Prozent für Grünabfälle, kommen bei gewerblichen biologisch abbaubaren Küchen- und Kantinenabfällen auf eine Quote von 79 Prozent und schätzen die stoffliche Verwertungsrate bei hausmüllähnlichen Gewerbeabfällen auf lediglich 13 bis 20 Prozent. Bei einer Menge von insgesamt 51.625.000 Tonnen lässt sich bei 15 Abfallarten aus deren jeweiligem Anteil die entsprechende Output-Menge errechnen. Zusammengezählt ergibt sich daraus eine behandelte Gesamtmenge zwischen 18.825 und 20.898 Tonnen. Folglich liegt die Recyclingquote nicht bei 67 Prozent, sondern bei 36 bis 40 Prozent.

Den Output optimieren

Allerdings – räumen die Autoren ein – bestehen zukünftige Möglichkeiten, bei bestimmten Abfallarten die Behandlungswege und damit den Output zu optimieren. So wird beispielsweise die neue Gewerbeabfallverordnung die Erfassungsmengen hausmüllähnlicher Gewerbeabfälle erhöhen und die stoffliche Verwertung bis 2020 von 7 auf 60 Prozent steigern. Wird die im Entwurf der Abfallrahmenrichtlinie genannte Kalkulationsmethode angewendet, würde das Recycling von getrennt erfassten Wertstoffen PPK (bislang 87 Prozent), Glas (bislang 89 Prozent) und Metall (bislang 93 Prozent) annähernd mit 100 Prozent bewertet werden. Zusätzlich könnte noch der Anteil des Metallrecyclings der energetischen Verwertungsanlagen mit in die Recyclingquote einbezogen werden, was eine Mengenerhöhung für recycelte Siedlungsabfälle um minimal 0,1 bis zu 0,4 Millionen Tonnen bedeuten würde. Für biologische Verfahren müsste eine gesonderte Beurteilung gefunden oder Kompostierung und Vergärung als finales Recycling gewertet werden. Auf Grundlage solcher Modifikationen lässt sich eine Output-Menge kalkulieren, die zwischen 24.154.000 und 26.217.000 Tonnen liegt und damit eine Recyclingquote von 47 bis 52 Prozent ausweist.

Abfallaufkommen deutlich über EU-Durchschnitt

Was hier beispielhaft für das Jahr 2015 durchgerechnet wurde, bedeutet mit anderen Worten: Bei Anwendung einer anderen Kalkulationsmethode zeigt sich für Deutschland eine „deutlich niedrigere Recyclingquote“ als 67 Prozent. Nach den Zielvorstellungen der EU-Kommission liegen die Recyclingquoten für 2025 zwischen 55 und 75 Prozent; das EU-Parlament favorisiert bis dahin Prozentsätze zwischen 60 und 90 Prozent. Wie auch immer: Die Autoren Obermeier und Lehmann Deutschland kommen aufgrund der von ihnen errechneten Quoten zu dem Schluss, dass Deutschland erhebliche Anstrengungen unternehmen muss, um die Recyclingziele auf Grundlage der neuen Berechnungsmethode zu erreichen. Mit der weiteren Einführung der Biotonne, der Gewerbeabfallverordnung und dem Verpackungsgesetz seien gesetzliche Regelungen in Kraft getreten, die bei konsequenter Umsetzung gegebenenfalls die Erfüllung der Zielvorgaben von 60 Prozent Recyclingquote ermöglichen können. Große Steigerungen der stofflichen Verwertung seien aber nicht mehr zu erwarten. Zudem könnten dadurch die verwertbaren Abfallmengen kaum gesenkt werden, da seit 2006 die Siedlungsabfallmengen sukzessive gestiegen seien: Das Abfallaufkommen pro Kopf lag im Jahr 2015 mit 625 Kilogramm deutlich über dem Durchschnitt der EU-28 mit 476 Kilogramm.

Auf Hochwertigkeit der Materialien setzen

Zudem ließ Thomas Obermeier am 9. Juni 2017 beim Treffen des Umweltrates zur Vorbereitung des Trilog-Verfahrens Zweifel aufkommen, ob das Erreichen bestimmter Quoten das erstrebenswerte Ziel des Recycling sein könne. Sollte das Hauptaugenmerk nicht eher auf Hochwertigkeit der Materialien gelegt werden, anstatt auf bloße Quotenerfüllung zu setzen, mit Fremdmengen die Statistik zu schönen und damit letztlich „downcycling“ zu bewirken? Obermaier: „Müssen wir uns nicht stärker um das Recycling von strategischen Metallen, Phosphor, Compound-Baumaterialien, Carbonfaserstoffen und Rostaschen aus der Abfallverbrennung kümmern, als eine leuchtende Monstranz mit hohen Quoten vor uns herzutragen, ohne dem richtigen Ansatz einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft wirklich zu dienen?“

Foto: Petra Hoeß, FABION Markt + Medien / abfallbild.de

(EU-Recycling 10/2017, Seite 29)