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„Ja, Europa braucht eine neue Kunststoffstrategie!“

FEAD-Präsident Jean-Marc Boursier tritt für eine grundsätzliche Verbesserung von Ressourcen- und Energie-Effizienz ein.

Es war ein „Weckruf“ des neuen FEAD-Präsidenten, der die Notwendigkeit, die unabdingbaren Voraussetzungen und die Vorteile einer Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe eindringlich unterstrich. Die wichtigsten Aussagen der Rede, die Boursier am 26. September auf der von der EU-Kommission organisierten Konferenz über „Kunststoffe neu definieren – den Kreislauf schließen“ hielt, sind im folgenden wiedergegeben:

Gibt es eine Notwendigkeit, sich mit dem Thema Kunststoff auseinanderzusetzen? Definitiv ja! Handeln ist dringend notwendig. Die Herstellung von Kunststoffen in Europa explodierte von einer Million Tonnen im Jahr 1960 auf 50 Millionen Tonnen im Jahr 2015. Zwischen fünf und 13 Millionen Tonnen landen jährlich in Seen und Meeren; in jedem Quadratmeter Mittelmeer schwimmen 40 Plastikteile. Wenn nichts geschieht, wird laut Ellen MacArthur Stiftung im Jahr 2040 mehr Plastik im Meer schimmen als Fische. Nur ein Drittel der europäischen Kunststoffe ist sortiert, etwas weniger als ein Drittel wird zur Energierückgewinnung eingesetzt, und der Rest landet auf Deponien. Und: Nur sieben Prozent der jährlichen 50 Millionen Tonnen sind recycelte Polymere; 93 Prozent bestehen aus Primärmaterial und damit aus fossilen Brennstoffen. Das sollten wir besser machen, und zwar dringend!

Push- und Pull-Maßnahmen notwendig

Es gibt etliche restriktive „Push“-Maßnahmen, um die Recyclingquoten zu steigern, wie beispielsweise das EU-Kreislaufwirtschafts-Paket mit der Zielsetzung von 65 bis 70 Prozent bis 2030. Das genügt nicht; wir brauchen auch nachfrageorientierte „Pull“-Maßnahmen und widerstandsfähige Märkte. Und wir brauchen eine bessere Balance zwischen Push- und Pull-Maßnahmen.

Zu den nötigen Rahmenbedingungen und ökonomischen Instrumenten gehört 1. ein Kreislauf-Design, das in Kooperation von Entwicklern und Herstellern für ein Produkt entsteht, bei dem Abfallvermeidung mitgedacht wird und das leicht wiederverwendet, demontiert und recycelt werden kann. Das könnte intensiviert werden über Bonus- oder Malus-Systeme im Rahmen der Produzentenverantwortlichkeit. Notwendig wäre 2. eine abgestimmte Öko-Kennzeichnung, damit der Kunde erkennt, ob Verpackung und Produkt recycelbar sind oder recyceltes Material enthalten. Die EU-Gesetzgebung müsste 3. einen Untergrenze an recyceltem Kunststoff-Gehalt in bestimmten Verpackungen sicherstellen, so wie beispielsweise Kalifornien 25 Prozent gebrauchtes Material vorschreibt. Die Verwendung von Recyclingstoffen sollte 4. bei öffentlichen Auftragsvergaben von EU, Mitgliedstaaten und lokalen Behörden stärker berücksichtigt werden. Und letztlich könnten 5. finanzielle Anreize wie ein geringerer Mehrwertsteuersatz oder eine CO2-Steuer dazu dienen, die Nachfrage anzukurbeln.

Um Importe und Exporte zu sichern

Wir dürfen aber auch die externen Faktoren nicht vergessen. Unter anderem haben fallende Ölpreise den Preis für Primärkunststoffe gedrückt, wodurch eine große Lücke zu Recycling-Polymeren entstsnd, die zur Schließung von Anlagen führte. Ohnehin gibt es eine Differenz in der Kostenstruktur zwischen Primär- und Sekundärmaterialien: die ersteren volatil, aber vom Ölpreis abhängig, die letzteren mit Fixkosten für Sammlung, Sortierung und Recycling, aber mit Preissicherheit. Der Ersatz von neuen Rohstoffen durch Sekundärmaterial würde die Abhängigkeit der EU von Importen vermindern: Eine Tonne Recyclingkunststoff ersetzt fünf Barrel Öl. Zugleich ließe sich die Exportabhängigkeit von China drosseln, das bislang acht Millionen Tonnen jährlich und damit 76 Prozent aller Plastikabfälle von Europa bezog. Der für Januar 2018 angekündigte Einfuhrstopp, das sogenannte Nationale Schwert, hat schon jetzt im Vorfeld die Preise erheblich beeinflusst, wie beispielsweise jene der LDPE Folien von niederer Qualität, die im September um 150 Euro im Wert fielen.

Hochwertige Rezyklate sind Vorbedingung

Unter dem Strich bedeutet das die Schaffung größerer Behandlungskapazitäten in Europa in Form von Sortier- und Verarbeitungsanlagen und zusätzliche lokale Nachfrage durch die vorgeschlagenen Pull-Maßnahmen. Wenn nicht, werden im nächsten Jahr schätzungsweise eine Million Tonnen an sortiertem Kunststoff bestenfalls in der Verbrennung enden, die Recyclingquoten trotz Kreislaufwirtschafts-Paket senken und zu Arbeitslatzverlusten führen.

Das Angebot von hochwertigen Rezyklaten ist eine Vorbedingung, um Recyclingprodukten eine attraktivere Perspektive im Markt zu eröffnen. Im Gegenzug sollte die Produktion problematischer oder teurer Kunststoffe wie Mischpolymere, Verunreinigungen und schwarzer Plastik, sofern es dafür Alternativen gibt, finanziell unattraktiv gemacht werden. Denn die Möglichkeit, Kunststoffe wiederzuverwenden, zu recyceln oder wiederzuverwerten, hängt von ihrer Zusammensetzung ab. Ob sich ihr Kreislauf realisieren lässt, hängt – wie erwähnt – von ihrem Design und ihrer Kennzeichnung ab, die auch die Kooperation von Hersteller und Abfallwirtschaftssektor benötigen. Dadurch würde in einem sich entwickelnden Stoff-Kreislauf eine Reihe neu definierter Kunststoffe entstehen, während die zu kompliziert oder zu teuer zu recycelnden Stoffe allmählich auslaufen. Auf dem Hintergrund einer Erweiterten Produzentenverantwortlichkeit gäbe es eine Übergangsperiode mit einem risikobasierten Ansatz, in der von Fall zu Fall beurteilt werden muss, ob das Recycling problematischer Materialien oder deren Verbrennung der bessere Weg ist. Es gibt bereits erfolgreiche Kooperationen, die insbesondere beim Recycling von Elektro(nik)schrott und Altfahrzeugen für Steigerungspotenzial sorgen.

„Die Realisierung einer Kreislaufwirtschaft und eine neue Strategie für Kunststoffe in Europa wird beides bringen: Vorteile für die Umwelt und die Wirtschaft. Die Verbesserung der der Ressourcen- und Energie-Effizienz ist in unser aller Interesse.“

Foto: FEAD

(EU-Recycling 11/2017, Seite 4-Meinung)