China wird nicht so weitermachen können wie bisher

Geopolitische Unsicherheiten und protektionistische Maßnahmen halten die europäische Schrottwirtschaft weiter in Atem. Das diesjährige bvse-Branchenforum Schrott diskutierte die Auswirkungen und Herausforderungen der jüngsten Entwicklungen. Der Elektro(nik)-Altgerätetag 2017 hatte unter anderem die geteilte Produktverantwortung zum Thema: ein Erfolgs- oder Auslaufmodell?

Eric Rehbock

Insgesamt 140 Branchenvertreter nahmen an der Doppel-Veranstaltung am 14. und 15. November in Nürnberg teil. bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock reflektierte in seinem Grußwort zum 12. Forum Schrott die aktuellen Verbandsaktivitäten und streifte in diesem Zusammenhang auch kurz die neue Gewerbeabfallverordnung und das neue Verpackungsgesetz – „durch das Ruhe einkehren sollte bei den dualen Systemen“ – sowie die seit August 2017 geltende Verordnung über die Getrenntsammlung und Überwachung von nicht gefährlichen Abfällen mit persistenten organischen Schadstoffen (POP-Abfall-Überwachungs-Verordnung). Der bvse hätte lieber ein Wertstoffgesetz in Deutschland und befürchtet in Bezug auf die TA Luft, die Umsetzung des HP-14-Kriteriums, das Strahlenschutzgesetz und die geplante TA Abstand noch mehr ausufernde Bürokratie, Auflagen, Überwachungen und Kontrollen, „die das Recycling kaputtmachen“. Eric Rehbock: „Man muss uns mal arbeiten lassen und nicht ständig in die Schranken weisen. Wo soll das noch hinführen? Irgendwann dürfen wir gar nichts mehr.“ Die Folge wären: keine Kreislaufwirtschaft und der erneute Bau von Deponien. Von einer neuen Bundesregierung erhoffen sich der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. und seine Mitglieder zudem eine Politik für den Mittelstand. Rehbock rechnete nicht mit dem Scheitern der Sondierungsgespräche und versicherte, dass der bvse alles dafür tun wird, „die mittelständischen Entsorgungs- und Recyclingunternehmen im Spiel zu halten“. In der Zentralen Stelle, die sich derzeit konstituiert, hat der Verband zwei Sitze.

Ein langfristiges Problem: Überkapazitäten

Die Vortragsreihe des Branchenforums Schrott unter der Moderation von bvse-Vizepräsident Sebastian Will, der einführend von einem relativ guten Jahr 2017 für die meisten Kollegen berichtete, startete mit einer Betrachtung der Auswirkungen weltweiter Handelsverwerfungen auf die europäische Stahlindustrie. Wann kommt der Stahlmarkt wieder ins Gleichgewicht? Referent Alexander Heck (Leiter Vorstandsbüro & Corporate Affairs Salzgitter AG) räumte rückblickend auf die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre ein, dass der Branche gegen die Überproduktion von billigem chinesischen Stahl die Hände gebunden seien. China drücke bekanntlich seine Überschussmengen infolge des Konjunktureinbruchs im Land in Exportmärkte, wodurch die Preise gefallen seien und eine wettbewerbsverzerrende Situation entstanden sei. Auch würge der europäische Emissionsrechtehandel der Branche die Luft ab. Spätestens 2021 müssten Zertifikate zugekauft werden – ein Wettbewerbsnachteil gegenüber Drittstaaten, so Heck. Die Kuppelgas-Produktion im eigenen Stromerzeugungskraftwerk sollte des Weiteren mit einer EEG-Umlage belastet werden, was gleichfalls für Unverständnis im Unternehmen sorgte.

Salzgitter legte sich daraufhin Kosteneinspar- und Restrukturierungsprogramme auf und baute Überkapazitäten ab. Wie Heck ausführte, wurden generell in der Europäischen Union die Stahl-Überkapazitäten deutlich verringert. Und zwar von 40 Millionen Tonnen in 2011 auf 29 Millionen Tonnen in 2016. Dieser Prozess soll sich fortsetzen. Bis zum Jahr 2022 wird eine Reduktion der Überkapazitäten von weiteren sieben Millionen Tonnen erwartet. Laut dem Experten ein einmaliger Vorgang in der Welt. Nirgendwo sonst würden Überkapazitäten so signifikant abgebaut – ganz im Gegenteil: Überkapazitäten in China, Indien und unter anderem auch in der Ukraine dominierten den Stahl-Weltmarkt und seien ein langfristiges strukturelles Problem.

„China ist sensibler geworden“

Alexander Heck

Der Vortrag stellte dabei unzählige Handelshemmnisse, Exportbeschränkungen und Bevorzugungen heimischer Unternehmen im Stahlsektor weltweit und insbesondere in den Vereinigten Staaten, Brasilien, Südafrika, China, Indien, Indonesien und Malaysia fest. Der vertraute Begriff lautet: Protektionismus. So sind zum Beispiel in den USA außer den „Buy American“-Vorschriften insgesamt 107 Handelsschutzverordnungen in Kraft. In diesem Zusammenhang betonte Heck, dass Stahl einige der wenigen Branchen ist, für die in der Europäischen Union keine Importzölle bestehen. Der offene EU-Stahlmarkt zieht Importe an. An der Spitze stünde hier einmal mehr China, gefolgt von Russland, der Ukraine, Türkei, Indien. Bezüglich der protektionistischen Maßnahmen vieler Länder merkte der Referent an, dass Protektionismus an sich nichts Neues sei und in den Vereinigten Staaten schon im 19. Jahrhundert sowie unter US-Präsident Ronald Reagan (1981 bis 1988) praktiziert wurde.

Auf das Dumping-Problem reagiert die EU mit Handelsschutzverfahren, die im Vergleich aber eher schwach sind und nach den Erkenntnissen keine Auswirkung auf die absolute Importhöhe haben. Liegt der Exportpreis eines Produktes unterhalb des Verkaufspreises im marktwirtschaftlichen Heimatmarkt, so liegt Dumping vor. Die sogenannten Antidumping-Maßnahmen der EU richten sich dabei fast ausschließlich gegen China. Stahlimporte aus anderen Drittstaaten füllen die Lücke. Was sich indes wohl gebessert habe, sei die Informationspolitik Chinas: „Man hat einen besseren Überblick über die Standorte der chinesischen Stahlindustrie und was sie produzieren.“ Alexander Heck glaubt zudem, dass sich in China die Einsicht durchsetzen wird, nicht so weiter machen zu können wie bisher: „China ist gegenüber ökologischen Problemen sensibler geworden. Das ist bis vor ein paar Jahren noch nicht der Fall gewesen. Die Regierung wird härter gegen eine schmutzige Stahlrecyclingbranche vorgehen. Und wir werden auch einen Abbau der Überkapazitäten sehen.“

Der Stahlmarkt erholt sich

Im letzten Jahr haben die G20-Staaten unter chinesischer Präsidentschaft ein „Global Forum“ eingerichtet, um sich über die weltweiten Stahlüberkapazitäten und Wege zum Abbau auszutauschen. Bei einer im Wesentlichen stagnierenden und zuletzt leicht ansteigenden EU-Industrieproduktion sind die Stahlpreise seit Jahresmitte 2017 wieder mit Aufwärtstendenz. Langsam, aber spürbar, so die Prognose, erholt sich der europäische Stahlmarkt. Die Stahlgitter AG hebt ihre Ergebnisprognose für das Gesamtjahr 2017 erneut an und rechnet nunmehr mit einem auf etwa neun Milliarden Euro gesteigerten Umsatz, einem Vorsteuergewinn zwischen 175 und 225 Millionen Euro und einer deutlich über dem Vorjahreswert auskommenden Rendite auf das eingesetzte Kapital.

Cinzia Vezzosi

Cinzia Vezzosi, Vorsitzende European Ferrous Recovery & Recycling Branch im Dachverband EuRIC der europä­ischen Recyclingwirtschaft in Brüssel, griff die Hoffnung auf einen Abbau der Überkapazitäten im Stahlmarkt auf und plädierte in diesem Zusammenhang für Freihandel. Nur mit einer wettbewerbsfähigen und innovativen Recyclingindustrie innerhalb der EU könnten mittelfristig die Pläne der EU-Kommission zur Etablierung der Kreislaufwirtschaft verwirklicht werden. Allerdings könnte es aus Sicht der Stahlindustrie erforderlich sein, hier und da Freiheiten einzuschränken. Vezzosi kritisierte dabei die EU-Politik als mitverantwortlich für den gewaltigen Rohstoff-Abfluss aus den Mitgliedstaaten in Drittländer: 2016 wurden aus der EU in Drittländer über 17.600 Megatonnen Eisenschrotte exportiert. Die Importe aus Drittländern beliefen sich auf 2.700 Megatonnen. In der ersten Jahreshälfte 2017 betrugen die Exportmengen 9.960 Megatonnen und die Importmengen 1.363 Megatonnen.

Fallstricke des Paragrafen 160 AO

Mit Spannung erwartet wurden dann die Erläuterungen von Michael Weber-Blank (Brandi Rechtsanwälte Partnerschaft mbB) zu den Fallstricken des Paragrafen 160 AO – Betriebsausgabenabzug. Der bvse hat zusammen mit dem Juristen und Experten für Steuerrecht einen Leitfaden zum Thema erstellt. Denn die Branche der Schrott- und Metallhändler ist vermehrt Ermittlungen der Staatsanwaltschaften sowie von Steuer- und Zollfahndung ausgesetzt. Seitens Staatsanwaltschaften wird dabei oft der Vorwurf des Ankaufs gestohlener Ware (Hehlerei) erhoben, während Finanzverwaltungen Schrott- und Metallhändler beschuldigen, sie würden Ware in klarer Kenntnis ankaufen, dass der Überbringer der Ware, der auch der Empfänger des Bargeldes ist, tatsächlich nicht der wahre Berechtigte ist. Anders gesagt: Die Finanzverwaltung geht davon aus, dass der Überbringer der Ware nur ein Strohmann oder auch sogenannter Schreiber ist, hinter dem eine weitere unbekannte Person steht, die den Erlös aus dem Ankauf erhält, aber regelmäßig selbst keine Steuererklärung abgibt. Nach Auffassung der Finanzverwaltung arbeiten in solchen Fällen Lieferer und Hintermann zusammen, um Steuern zu hinterziehen.

Michael Weber-Blank

Die Finanzverwaltung unterstellt auch oft, dass der Ankäufer und der Lieferer ebenfalls zusammenarbeiten, um das Geschäft abzuwickeln und eine Steuerhinterziehung auf Seiten der Hintermänner dabei in Kauf nehmen. Dem Ankäufer könnte dadurch der Vorsteuerabzug oder gar der komplette Betriebsausgabenabzug verwehrt werden. Betroffene Schrott- und Metallhändler vertraten in diesen Fällen die Auffassung, der Nachweis der Lieferung der Ware und die Bezahlung mit Bargeld genüge den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Betriebsausgabenabzug und der Belegführung für den Vorsteuerabzug. Schließlich sei man nicht verantwortlich für die Erfüllung von Steuerpflichten, die den Lieferer oder die hinter ihm stehenden Personen betreffen. Diese an sich korrekte Auffassung hat durch die Rechtsprechung der Finanz-, aber auch der Amtsgerichte in Strafsachen deutliche Einschränkungen erfahren, wie Weber-Blank informierte. Denn die Verwaltung beginnt nun teilweise auch, den Betriebsausgabenabzug nach Paragraf 160 AO insgesamt zu verweigern. Damit trifft sie auch die Händler, die aus Vorsichtsgründen auf eine Ausweisung der Vorsteuer verzichtet haben, wenn die Unternehmereigenschaft ihnen zweifelhaft erschien.

Bargeldzahlungen sind nicht zweifelhaft

Nach den Auskünften ist das für den Ankauf von Material verausgabte Geld für den ankaufenden Händler im Normalfall eine Betriebsausgabe nach Paragraf 160 AO. In der Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) des jeweiligen Jahres vermindert also der aufgewendete Betrag den Gewinn, wobei der Ankauf von Metallschrott mit Bargeld als ein ordnungsgemäßes Geschäft klarzustellen ist. Bargeldzahlungen sind entgegen dem Eindruck, den die Finanzverwaltung vermittelt, nicht zweifelhaft. Ob Zahlung durch Überweisung oder bar: Beides ist gleichwertig und steuerrechtlich anzuerkennen. Das Problem steckt wiederum im Text des Paragrafen 160 AO – Benennung von Gläubigern und Zahlungsempfängern:

„(1) Schulden und andere Lasten, Betriebsausgaben, Werbungskosten und andere Ausgaben sind steuerlich regelmäßig nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen der Finanzbehörde nicht nachkommt, die Gläubiger oder die Empfänger genau zu benennen. Das Recht der Finanzbehörde, den Sachverhalt zu ermitteln, bleibt unberührt. (2) § 102 bleibt unberührt.“

Wird die Auffassung vertreten, dass in zahlreichen Bargeschäften der Lieferer nicht der tatsächlich Berechtigte ist, kann man bezweifeln, dass derjenige, an den das Geld übergeben wird und der auch die Gutschrift unterschreibt, tatsächlich Empfänger im Sinne des Paragrafen 160 AO ist. Wenn man nämlich behauptet, der Ankäufer habe gewusst, dass hinter dem Lieferanten tatsächlich eine andere Person steht, ist der Lieferer rechtlich betrachtet nur ein Bote. Der tatsächlich Berechtigte ist der Hintermann. Die Folgen sind noch dramatischer als bei der Kürzung des Vorsteuerabzugs von nur 19 Prozent: In diesem Fall hat der Ankäufer überhaupt keinen gültigen Beleg über die verausgabten Betriebsausgaben in den Unterlagen. Das bedeutet, er hat seine Ware angekauft, was regelmäßig unstreitig ist, besitzt aber keinen gültigen Beleg nach Paragraf 160 AO. Die Finanzverwaltung streicht ihm nun den Betriebsausgabenabzug komplett (brutto), obwohl klar ist, dass die Ware tatsächlich geliefert und bezahlt wurde. Der Ankäufer versteuert also den Gewinn aus der Weiterverwertung, ohne seine dazugehörigen Betriebsausgaben ansetzen zu dürfen.

Was der Ankäufer tun kann

Aktuell hilft bei der Verteidigung in Streitigkeiten zu Paragraf 160 AO eine neue Entscheidung des Finanzgerichts Niedersachsen, mit der die Anforderungen der Finanzverwaltung deutlich relativiert werden. Die Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig. Gerade mit Bezug auf diese Entscheidung reicht es aus, wenn der Ankäufer – nach vorheriger Mitteilung – den Personalausweis des Kunden kopiert. Mehr muss er nicht tun. Widerspricht der Kunde, sollte man vom Geschäft Abstand nehmen.

Die Kanzlei Brandi Rechtsanwälte Partnerschaft registriert, dass die Finanzverwaltung in Deutschland dazu neigt, die Bargeldzahlung als Indiz zu werten, dass eine Versteuerung auf der Ebene des Strohmanns oder des hinter ihm stehenden tatsächlich Berechtigten von vornherein verhindert werden soll. Der Ankäufer sollte deshalb beim Bar­ankauf von Metallschrott aktiv Vorsorge treffen, das heißt Strohmänner oder sonstige nicht tatsächlich Berechtigte identifizieren, wenn er den Vorsteuerabzug und den Betriebsausgabenabzug nicht verlieren will. Einen Gutglaubensschutz gibt es nicht. Auf der anderen Seite erkennt auch die Rechtsprechung an, dass dem Ankäufer nicht der Vorsteuer- und Betriebsausgabenabzug versagt werden kann, wenn er die Strohmanneigenschaft seines Lieferanten nicht erkannt hat und bei angemessener Sorgfalt auch nicht erkennen konnte.

Die Chemisierung des Abfallrechts

Auf der Agenda des 16. Elektro(nik)-Altgerätetages standen Digitalisierung und Industrie 4.0, Flammschutzmittel, die Veränderungen durch den Open Scope 2018, rechtliche Aspekte bei der Ausschreibung von Recyclingprojekten sowie die geteilte Produktverantwortung.

Eric Rehbock äußerte in seinem Grußwort zur Veranstaltung, die von bvse-Fachreferent Andreas Habel geleitet wurde, dass die „Chemisierung des Abfallrechts“ zunehmend Sorgen bereitet: „Wenn wir alle Abfälle als potenziell gefährliche Abfälle einstufen, dann wird das nichts mit der Kreislaufwirtschaft. Siehe HCPD – was war das für ein unnötiges Theater. Und jetzt werden auch Kobalt und Titan-Dioxid in die Gefährlichkeit getrieben.“ Von einer Entbürokratisierung, wie von der Regierung als Ziel vorgegeben, sei dabei nichts zu spüren: „Alles wird komplexer“.

„Missing Link“ für die Kreislaufwirtschaft

Dr. Henning Wilts vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH stellte eine Studie zur Abfallwirtschaft der Zukunft vor. Stichwort: Industrie 4.0. Von zentraler Bedeutung ist hier die Digitalisierung – ein Thema, das in der Branche noch vernachlässigt wird (siehe auch EU-Recycling 10/2017). Nach den Ausführungen des Referenten bietet sich die digitale Transformation als idealer Wegbereiter einer Kreislaufwirtschaft an: zur Koordination von Stoff- und Informationsflüssen, Erhebung von Informationen über Mengen und insbesondere Qualitäten von Produkten und den in ihnen enthaltenen Rohstoffen. Abfall soll zu einer verarbeitbaren Ressource werden. Dazu müssen Informationen mitgeführt werden über die stoffliche Zusammensetzung jedes einzelnen Produkts. Deren Nutzungsmuster und Verbleib im Abfallsystem sollen effektiv erzeugt, gesammelt, verarbeitet und wieder zur Verfügung gestellt werden. Es gilt die Etablierung von funktionierenden Märkten und Kreisläufen. „So werden effiziente, markbasierte Lösungen anstatt reiner Regulation möglich“, fasste Wilts zusammen. Die digitale Transformation verstehe sich als „Missing Link“ zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft und damit der Lösung von Informationsdefiziten.

Zur Anwendung kommen Sensoring (Datensammlung und -erzeugung in Echtzeit, automatisierte Markt- und Logistikplattformen), Cyber Physical Systems (Informationen über Produkte über den gesamten Produktionsprozess), Block Chain-Tools (Abfall-Datenflüsse ohne Rückschluss auf Produktionstechnik) und Internet of Things (Selbstvermarktung zu recycelnder Produkte). Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie spricht sich für ein „Kompetenzzentrum digitalisierte Kreislaufwirtschaft“ aus, das Digitalisierungsansätze und Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft zusammenzubringt und Beratungsangebote für innovative Geschäftsmodelle entwickelt. Bislang würden Plattformen fehlen, die die Themen Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft systematisch verknüpfen.

Wo Informationen benötigt werden

Besondere Unterstützung werden den Erkenntnissen zufolge kleine und mittelständische Unternehmen der Kreislaufwirtschaft benötigen. Die Herausforderungen bei der Digitalisierung umfassen: hohe Investitionserfordernisse und damit hohe Risiken trotz signifikanter Erfolgsaussichten, eine Vielzahl noch ungeklärter Rechtsfragen (beispielsweise Data und IP-Schutz) und oftmals auch einfach fehlende Kapazitäten, um sich mit diesen Fragestellungen intensiv beschäftigen zu können. Laut Wilts werden für den digitalen Transformationsprozess zwingend Informationen benötigt, „wo relevante Potenziale für eine Digitale Transformation zur Schließung von Stoffkreisläufen und entsprechende kreislaufwirtschaftsbasierte Geschäftsmodelle zu lokalisieren sind.“

Dr. Henning Wilts

Sogenannte Digital Readiness-Indikatoren auf Basis der Analyse von Techniktrends und Status quo-Analysen, zum Beispiel für einzelne Werkstoffe oder für Zielgruppen, könnten hier wichtige Orientierungspunkte für Politik und Wirtschaft bieten. Gleichzeitig sollten Kreisläufe nur dort geschlossen werden, wo sie zur Ressourcenschonung beitragen: „Mit den bestehenden, linear gedachten Produkten ist zum Beispiel ein stoffliches Recycling nicht immer ökologisch sinnvoll. Der Einsatz von zusätzlichen Informations- und Kommunikationstechnologien könnte hier nur zu zusätzlichen Verlusten kritischer Rohstoffe wie Tantal oder Indium führen, für die bisher keine ausreichenden Recyclingtechnologien zur Verfügung stehen. Auch hierzu werden übergreifende Analysen zur Bewertung von Digitalisierungsprozessen notwendig.“

Dies sollte jetzt geschehen

Die Realisierung der Kreislaufwirtschaft erfordert eine Vernetzung von Industrie, Abfallwirtschaft und Unternehmen, resümierte Dr. Henning Wilts. Investitionen in die Digitalisierung der Kreislaufwirtschaft, in Software und Technologien für die digitale Transformation seien nötig, um Deutschlands Spitzenposition beim Export von Kreislaufwirtschaftstechnologien nicht zu verlieren. Dies sollte jetzt geschehen. Mit bromierten Flammschutzmitteln beschäftigte sich der Vortrag von Chris Slijkhuis, MBA Polymers Austria. Das Unternehmen der Müller-Guttenbrunn Group recycelt jährlich circa 50.000 Tonnen Kunststoffe aus Elektro(nik)altgeräten. Slijkhuis urteilte aus der Aufbereitungspraxis bei MBA Polymers, dass Kunststoffe mit bromierten Flammhemmern nicht gefährlich seien. Generell müssten diese Kunststoffe nur richtig verwertet und die Schadstoffe sicher entsorgt werden, wie das bei MBA Polymers der Fall sei. Elementares Brom gäbe überhaupt keinen Hinweis auf POP-Merkmale, also auf langlebige Schadstoffe. Bestimmte PBDE-Kongeneren seien Persistent Organic Pollutants (POP), und Deca-BDE ist ab 2019 verboten. Die Gruppe der PBB komme nicht mehr vor in E-Schrott. Gleiches gelte für HBCD.

Von zehn auf sechs Sammelgruppen

Alexander Goldberg

Was kommt auf die Entsorger und Recycler mit dem „ElektroG 2018 – Open Scope“ zu? Alexander Goldmann von der Stiftung Elektro-Altgeräte Register (Stiftung EAR) informierte, dass das novellierte Elektrogesetz eine Ausweitung des Anwendungsbereichs vorsieht. Am 15. August 2018 treten die finalen Änderungen dazu in Kraft: Die aktuell zehn Zuordnungskategorien beziehungsweise Sammelgruppen und 32 Elektro(nik)gerätearten werden durch sechs Kategorien beziehungsweise Sammelgruppen und 17 Gerätearten ersetzt.

■ Bisherige Sammelgruppen: Haushaltgroßgeräte; Haushaltskleingeräte; Geräte der Informations-/Kommunikationstechnik (ITK); Geräte der Unterhaltungselektronik und PV-Module; Beleuchtungskörper; Elektrische und elektronische Werkzeuge; Spielzeug sowie Sport- und Freizeitgeräte; Medizinprodukte; Überwachungs- und Kontrollinstrumente; Automatische Ausgabegeräte.

■ Neue Sammelgruppen (nach Ablauf der Übergangsfrist ab dem 1. Dezember 2018 verbindlich): 1. Wärmeüberträger (Kühl-/Klimageräte, Ölradiatoren, aber keine Nachtspeicherheizgeräte); 2. Bildschirme, Monitore und Geräte, die Bildschirme mit einer Oberfläche von mehr als 100 Quadratzentimeter enthalten (Fernseher, Informationsterminals, Notebooks, Tablets, eReaders); 3. Lampen (LED-Lampen, Gasentladungslampen); 4. Großgeräte, bei denen mindestens eine der äußeren Abmessungen mehr als 50 Zentimeter beträgt (große Drucker, Waschmaschinen, Leuchten); 5. Geräte, bei denen keine der äußeren Abmessungen mehr als 50 Zentimeter beträgt (Kleingeräte: E-Zigaretten, Toaster, kleine Leuchten); 6. Kleine ITK-Geräte, bei denen keine der äußeren Abmessungen mehr als 50 Zentimeter beträgt (Navis, Router, Mobiltelefone, Smartphones, Phablets, Telefone).

Christiane Schnepel

Entscheidend ist nicht mehr, dass die Geräte einer Kategorie zugeordnet werden können (kategorienbasierter Anwendungsbereich), sondern es gilt ein „Offener Anwendungsbereich“ (Open Scope). Ab dem 15. August 2018 fallen grundsätzlich alle Elektro(nik)geräte in den (offenen) Anwendungsbereich (AWB) des Gesetzes. Auch Möbel- und Bekleidungsstücke mit elektronischen Funktionen können dann vom AWB erfasst sein. Im Einzelfall ist bei zusammengesetzten Produkten zu entscheiden, ob der elektr(on)ische Bestandteil eines Möbel-/Bekleidungsstücks funktional und/oder baulich an die Nutzungsdauer des Gesamtproduktes gebunden ist (Gesamtprodukt als registrierungspflichtiges Endgerät, AWB (+)) oder der elektr(on)ische Bestandteil neben dem Möbel-/Bekleidungsstück ein eigenständig zu beurteilendes Elektrogerät darstellt (Gesamtprodukt kein registrierungspflichtiges Endgerät, AWB (-)).

Geräte, die in den Open Score fallen, sind zum Beispiel Tresore mit elektrischem Schloss, Badschränke mit beleuchtetem Spiegel, Weihnachtsmützen mit beleuchteten Sternen, elektr(on)isch verstellbare Fernsehsessel. Indiz: Der elektrische Bestandteil (Motor, Leuchte) lässt sich nur unter großer Anstrengung austauschen. Als eigenständiges Elektrogerät einzuordnen sind zum Beispiel Schrankwände mit leicht austauschbarer LED-Leiste und Fahrräder mit Naben-Dynamo. Indiz: Die elektrischen Bestandteile werden auch einzeln in Verkehr gebracht.

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Keine EU-weite Harmonisierung

Wie gehabt können nur vollständige Elektro(nik)endgeräte registrierungspflichtig sein. Bauteile unterfallen auch weiterhin nicht dem Anwendungsbereich, und die bisher geltenden gesetzlichen Ausnahmetatbestände nach Paragraf 2 Absatz 2 Elektrogesetz bleiben von den Änderungen unberührt. Mit Asbest oder sechswertigem Chrom belastete Nachtspeicherheizgeräte und batteriebetriebene Altgeräte müssen in separaten Behältnissen erfasst und den Sammelgruppen 2, 4 und 5 zugeordnet werden. Bis zu zehn Transporteinheiten werden auf der Übergabestelle entstehen, davon sechs Einheiten für die Sammelgruppen 1 bis 6, eine Einheit für Nachtspeicherheizgeräte und je eine Einheit für batteriebetriebene Altgeräte der Sammelgruppen 2, 4 und 5. Kein automatischer Abzug von Transporteinheiten zum 30. November 2018, wenn die Übergangsfrist endet, und eine anschließende Neuausstattung der Übergabestellen.

Als problematisch wertete Alexander Goldberg den Artikel 16 (3) der WEEE2-Richtlinie. Dieser verpflichtet die EU-Kommission mittels Durchführungsrechtsakt zur Harmonisierung des Registrierungs- und Meldeformats sowie der Meldefrequenz in direkter Relation zwischen Hersteller und Nationalen Registern. In der Relation Hersteller und Compliance Systems (Kollektive Systeme) hat der Durchführungsrechtsakt hingegen keine Wirkung. Konsequenzen: In sechs EU-Mitgliedstaaten wird die Änderung der Registrierungs- und Meldeformate wie auch der Meldefrequenz durch die Nationalen Register eine Harmonisierung für die Hersteller bringen. In bis zu 22 Mitgliedsstaaten, in denen Hersteller über Kollektive Systeme agieren, wird es keine Harmonisierung geben. In diesen Mitgliedstaaten können die Kollektiven Systeme weiterhin auf privatrechtlicher Grundlage und ohne Regulierung bestimmen, welche Registrierungs- und Meldeformate und welche Meldefrequenz jeweils für sie individuell erforderlich sind.

Weitere Referenten auf dem Elektro(nik)-Altgerätetag waren Christiane Schnepel (Umweltbundesamt) zum Thema „Perspektive Behandlungsverordnung für EAG – Ergebnisse des Stakeholderprozesses und Bilanz des UBA“ und Dr. Nadja Wüstemann (Pauly Rechtsanwälte), die beim Recycling von E-Schrott über nachteilige und/oder sogar unwirksame Regelungen in Ausschreibungen von Hersteller-Konsortien und öffentlich-rechtlichen Entsorgern (bei Optierungen) berichtete. An der Podiumsdiskussion nahmen Alexander Goldberg, Peter Cosse (Bitkom – Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien), Dr. Torsten Mertins (Deutscher Landkreistag) und Bernhard Jehle (Vorsitzender bvse-Fachverband Schrott, E-Schrott und Kfz-Recycling) teil. Sie ging der Frage nach, ob die geteilte Produktverantwortung zwischen den Herstellern von Elektrogeräten, die dann zur Rücknahme der Altgeräte verpflichtet sind, und den Sammlern und Verwertern ein Erfolgs- oder Auslaufmodell ist. Moderator war Andreas Habel.

Wer finanziert immer mehr Anforderungen?

Die Gesprächsrunde zeigte, dass sich die Recyclingbranche an dem Begriff „geteilte Produktverantwortung“ stört und lieber durch „gemeinsame Produktverantwortung“ ersetzt wissen möchte. Deutlich wurde auch, dass die Bürger bei allen Fragen zur Rückgabe und sachgerechten Entsorgung von Elektro(nik)altgeräten – und wenn es überhaupt um Abfall geht – die Kommunen als Ansprechpartner bevorzugen, was sich mit dem Prinzip der Daseinsvorsorge und den daraus gewachsenen Aufgaben für die Gebietskörperschaften erklären lässt: Die Kommunen waren schon immer (rechtlich und verwaltungstechnisch) zuständig für die Abfallentsorgung und werden hier traditionell als alleinkompetent erachtet. „Das ist einfach in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger drin“, konstatierte Andreas Habel, und Alexander Goldberg pflichtete bei, dass die Kommunen als „Auskenner“ in Sachen Abfallsammlung und -entsorgung in der Bevölkerung akzeptiert sind. Daran sollte man auch nicht rütteln – durch einen Systemwechsel –; das würde das Erfolgsmodell Recycling in Deutschland zum Einsturz bringen.

Geredet werde müsse aber über das System der Optierung zur Refinanzierung erbrachter Sammelleistungen, das von kommunaler Seite als nicht länger tragbar – so wie sich der Gesetzgeber das vorstellt – aufgefasst wird. Ist das System reformierbar oder muss eine völlig neue Lösung her? Die Optierungen gehen offenbar zurück, weshalb die Kommunen für ihre Sammel- und Entsorgungsleistungen von den Herstellern bezahlt werden wollen. Peter Cosse entgegnete dazu: „Wenn wir die Musik bezahlen, dann wollen wir sie auch bestellen. Wenn die Kommunen für ihre Sammlungen von den Herstellern Geld haben wollen, dann sollen sie sich als Sammler bewerben. Und das können auch andere tun.“

Das Thema wird sicher weiter beschäftigen. Zu klären ist außerdem in der Qualitätsdebatte bei Elektro(nik)altgeräten: Wer bezahlt die Anfahrt des Lkw, wenn an der kommunalen Übergabestelle festgestellt wird, dass die angelieferte Qualität nicht in Ordnung ist? Und wer übernimmt die Verantwortung, dass Material nicht-bestimmungsgemäß und ADR-konform ist? Die Diskussion machte zudem einen Zielkonflikt aus: Wollen wir möglichst viele Sammelstellen in der Breite und flächendeckend haben, die dann womöglich personell unterbesetzt oder gar nicht besetzt sind, oder möglichst viel Qualität bei der Sammlung? Wer finanziert auch immer mehr gesetzliche Anforderungen?

Foto: Roman / fotolia.com (oben), Marc Szombathy

(EU-Recycling 12/2017, Seite 10)