Textile Ökonomie statt Textil-Recycling

Eine neue Studie der Ellen MacArthur-Foundation entwirft ein grundsätzliches Verwertungsschema.

Kleider sind eine alltägliche Notwendigkeit und für viele Menschen ein wichtiger Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Doch das momentane, von der Industrie mitgetragene Kaufen-Tragen-Wegwerfen-Schema ist der Grund für viele schädliche Umwelteinflüsse und den Verlust substanzieller ökonomischer Werte. Jede Sekunde wird der Gegenwert eines Müllfahrzeugs voller Textilien deponiert oder verbrannt, betont die Ellen MacArthur-Foundation. Und gab eine Studie in Auftrag, die die Vision einer neuen textilen Ökonomie entwirft, die auf den Prinzipien der Circular Economy beruht.

Seit Jahren wird gefordert, die Entwicklung des Ressourcenverbrauchs vom Anstieg des Wohlstandniveaus abzukoppeln. Bei Textilabfällen ist das keineswegs der Fall: Zwischen 2000 und 2015 erhöhte sich das globale Bruttoinlandsprodukt um 50 Prozent, während sich zeitgleich die Zahl der verkauften Kleider von rund 50 Milliarden Einheiten auf über 100 Milliarden Stück verdoppelte. Zudem reduzierte sich derweil die Nutzungsdauer der Kleidung weltweit um 36 Prozent und in China sogar um 70 Prozent. Insgesamt wird pro Jahr weltweit Kleidung für 460 Milliarden US-Dollar weggeworfen, die noch weiterhin getragen werden könnte. Von einer Entkoppelung der Entwicklungen von Textilienverbrauch/-abfällen und allgemeinem Wohlstand kann demnach keine Rede sein.

73 Prozent werden deponiert oder verbrannt

Quelle: A NEW TEXTILES ECONOMY – REDESIGNING FASHION’S FUTURE / Ellen MacArthur Foundation

Die Ausgangsmaterialien für Textilien sind im wesentlichen Kunststoffe (63 Prozent) und Baumwolle (26 Prozent). Daraus entstehen 53 Millionen Tonnen an Kleidung, wovon zwölf Prozent bei der Herstellung als Verschnitt verloren gehen oder als Überbestand beseitigt werden. Wird die fertige Kleidung gewaschen, lösen sich 0,5 Millionen Tonnen an Mikrofasern aus dem Kunststoff und gelangen in die Meere. Zwölf Prozent verschwinden durch kaskadierendes Recycling der Stoffe zu Isoliermaterial, Putzlappen oder Matratzenfüllungen, zwei Prozent während Sammeln und Behandeln. Somit landen 73 Prozent der Kleidung entweder auf Deponien oder in Müllverbrennungsanlagen. Nur zwei Prozent der eingesetzten Materialien werden von anderen Industrien recycelt, und lediglich weniger als ein Prozent der Stoffe gelangt in einen geschlossenen Kreislauf mit einem qualitativ gleichwertigen Recycling. Den Verlust beziffert die Studie auf 100 Milliarden US-Dollar jährlich, zu denen beispielsweise im Vereinigten Königreich noch Deponierungskosten für Kleider und Haushaltstextilien in Höhe von über 100 Millionen US-Dollar kommen.

Zu Buche schlagen darüber hinaus auch die Umweltbelastungen und -kosten: Der Verbrauch an nicht erneuerbaren Ressourcen belief sich 2015 auf 98 Millionen Tonnen Öl und wird für 2050 auf 300 Millionen Tonnen Öl geschätzt. Der prozentuale Beitrag zum CO2-Ausstoß soll von jetzt zwei Prozent auf 26 Prozent im Jahr 2050 steigen. Und 22 Millionen Tonnen an Mikrofasern werden in diesem Zeitraum zusätzlich in die Meere gelangen. Der „Pulse of the fashion industry“-Report geht davon aus, dass die Modemarken bis 2030 einen Verlust in ihrem Ergebnis vor Abschreibungen und Vorsteuern von über drei Prozentpunkten zu gewärtigen hätten, würden sie weiterhin business as usual betreiben. Das würde einen Verlust von rund 52 Milliarden US-Dollar (45 Milliarden Euro) für die Industrie bedeuten. Andererseits – so der Report – könnten 2030 weltweit an die 192 Milliarden US-Dollar (160 Milliarden Euro) erwirtschaftet werden, wenn sich die Modeindustrie um die ökologischen und sozialen Abfallprodukte des momentanen Status quo kümmern würde.

Verschwenderisch, umweltbelastend und unökonomisch

Das Textilsystem verläuft offensichtlich vollständig linear: Große Mengen an nicht erneuerbaren Ressourcen werden zur Produktion von Kleidern verwendet, die oft nur für eine kurze Zeit zum Einsatz kommen, bevor ihre Materialien zumeist auf Deponien oder in der Verbrennung landen. Dieses System ist nach Ansicht der Ellen MacArthur-Studie enorm verschwenderisch, umweltbelastend und unökonomisch – kurz: reif für den Shredder. Eine neue textile Ökonomie mit einem Neuentwurf für die Zukunft der Mode sei jetzt gefragt. Sie müsse den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft folgen, restaurativ und regenerativ wirken und Vorteile für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt bringen. Diese Vorstellung unterscheidet sich von laufenden Bemühungen, das Textilsystem durch Verringerung von schädlichen Umwelteinflüssen nachhaltiger zu machen, ergänzt diese aber.

Die neue textile Ökonomie belässt Kleider, Stoffe und Fasern während der Benutzung auf hohem Wert, die dann nach Gebrauch wieder in die Ökonomie eintreten, aber niemals als Abfall enden. Das – so die Studie euphorisch – würde der wachsenden Weltbevölkerung Zugang zu qualitativ hochwertiger, erschwinglicher und individualisierter Kleidung ermöglichen, das natürliche Kapital wiederherstellen und Umweltverschmutzung durch Nutzung regenerativer Ressourcen und Energie außenvorlassen.

In eine neue textile Ökonomie

Vier Phasen charakterisieren das neue Kreislaufmodell. (1) Zunächst muss sichergestellt sein, dass das Material sicher und in gutem Zustand ist, um den Umlauf zu erlauben und negative Umwelteinwirkungen während Herstellung, Gebrauch und nach Verwendung zu vermeiden. Das muss neue Materialien einschließen, die den Austritt von Mikrofasern radikal beschränken. (2) Es müssen Kleider entwickelt werden, die entworfen, verkauft und getragen werden, unabhängig davon, dass sie zunehmend „älter“ werden. Dazu können Kleiderverleih, Secondhand-Modelle und dauerhaftere Kleidung dienen. (3) Recycling müsste radikal vorangetrieben werden, indem schon beim Entwurf der Kleidung Materialien gezielt eingesetzt, fortgeschrittene Sortiertechniken verwendet und effiziente Prozesse zur Rückgewinnung entwickelt werden. (4) Der Einsatz von Rohstoffen sollte durch höhere Tragedauer der Kleidung und gut entwickeltes Recycling drastisch gesenkt werden. Wo Primärmaterial nötig und zugeführt wird, sollte es erneuerbares Material sein.

Allerdings benötigt die Überführung der Industrie in eine neue textile Ökonomie auch einen Statuswechsel des Systems mit einem noch nie dagewesenen Grad an Verpflichtung, Zusammenarbeit und Innovation. Bestehende Aktivitäten, die sich auf Nachhaltigkeit oder Teilaspekte der Kreislaufwirtschaft konzentrieren, sollten erweitert werden durch ein weltweit abgestimmtes Konzept, das dem Umfang der Möglichkeit angemessen ist. Solch ein Ansatz würde Fachkräfte der Schlüsselindustrien und andere Interessengruppen hinter der Aufgabe einer neuen textilen Wirtschaft versammeln, ambitioniertes gemeinsames Engagement festlegen, Vorführprojekte entlang der Wertschöpfungsketten anstoßen und ergänzende Initiativen stärken. Mittlerweile haben Führungskräfte von H&M, Lenzing, NIKE Inc. und C&A Foundation als „philanthropische Gründer“ die neue Vision und den Report befürwortet, zu dem 40 einflussreiche Modemarken, führende Unternehmen, NGOs, öffentliche Institutionen und Experten beigetragen haben.

Der Report „A new textiles economy: Redesigning fashion’s future“ ist unter www.ellenmacarthurfoundation.org/publications erhältlich.

(EU-Recycling 01/2018, Seite 44)

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