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Schweizer Siedlungsabfallmengen im Jahr 2050: ein Prognose-Ansatz

Eine nachhaltige Circular Economy mit erhöhter Nutzungsdauer, besserem Produkt­design und einer Sharing-Kultur ist möglich. Dazu sollten alte Gleise wie das Denken in Abfallfraktionen und Recyclingquoten verlassen werden, rät eine Studie.

Das Thema klang ambitioniert: „Siedlungsabfallmengenprognose Schweiz 2050“. Der Verband der Betreiber Schweizerischer Abfallverwertungsanlagen hatte es auf das Programm seiner Fachtagung vom 5. Dezember 2017 in Olten gesetzt. Und es gelang den drei Autoren der gleichnamigen Prognos-Studie – Holger Alwast, Dr. Bärbel Birnstengel und Dr. Jochen Hoffmeister – zu verdeutlichen, dass solch eine mittelfristige Prognose machbar ist. Aber auch von vielen Faktoren abhängt.

Zahlen des Schweizer Bundesamts für Umwelt und Euro­stat zufolge betrug im Jahr 2015 das Siedlungsaufkommen der Schweiz 6,03 Millionen Tonnen, davon 1,3 Millionen Tonnen zur Kompostierung, 1,9 Millionen Tonnen fürs Recycling sowie 2,9 Millionen Tonnen zur thermischen Verwertung. Weiterhin steigendes Einkommen, anwachsender Konsum und sinkende Haushaltsgrößen vorausgesetzt, ließe sich daraus für 2050 – je nach veranschlagtem Bevölkerungswachstum – ein Aufkommen zwischen 7,46 und 8,99 Millionen Tonnen vorhersagen. Jedoch zitieren die Referenten den indisch-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Coimbatore Krishnarao Prahalad (1941 bis 2010) mit den Worten: „Die Zukunft ist keine Extrapolation der Vergangenheit.“ Denn es gibt in der Abfallwirtschaft nicht nur „Vorhersehbares“, sondern auch „Vorstellbares“.

Megatrends: vorstellbar, doch schwer quantifizierbar

Vorhersehbar sind in der Schweiz etliche rechtliche Rahmenbedingungen und abfallwirtschaftliche Maßnahmen. So wird die nach der Abfallverordnung (VVEA) geänderte Definition von Siedlungsabfällen Folgen für die Wettbewerbssituation der thermischen Verwertung haben und sich über Recyclingpotenziale gewerblicher Anlieferungen, die bislang an die Müllverbrennungsanlage gingen, bemerkbar machen. Die Getrennterfassung der vermarktbaren Wertstofffraktionen, steigende Separaterfassung recyclingfähiger Kunststoffe, reduzierte Lebensmittelverschwendung und Effekte verbesserten Produktdesigns lassen ein Sinken der Siedlungsabfälle erwarten. Alleine die Intensivierung der Vermeidung und separaten Erfassung von Lebensmittelabfällen würde dann folgendes bedeuten: 2050 würden nicht wie beim Fortschreiben des Status quo 8,21 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle entstehen, sondern 950.000 Tonnen weniger. Zumindest vorstellbar sind etliche „Megatrends“, deren Folgen nur schwer zu quantifizieren sind. Der demographische Wandel könnte den Anteil an 1-Personen-Haushalten und damit das Abfallaufkommen pro Einwohner steigern. Durch Klimawandel mit Unwettern und Ex­tremsommern könnten die Mengen an Sperrmüll und Bauabfällen, aber auch die organischer Abfälle wachsen. Als Folgen zunehmender Digitalisierung sind reduzierte Zeitungs- und Bücher-Aufkommen bei zusätzlichem Einsatz von Elektro(nik)-Geräten denkbar – mit deutlichen Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Abfall- beziehungsweise Wertstoffströme. Im Papier-, Pappe- und Kartonagen-Sektor würde dies 50.000 Tonnen weniger Abfälle ausmachen.

Neue Produkte – neue Fragen

Bessere Sortier- und Aufbereitungstechnologien, die die Separierung gemischter trockener Wertstoffe nach Fraktionen schon im Haushalt ermöglichen, würden mit 570.000 Tonnen Einsparung einhergehen – die Entwicklung des Batterie- und Elektroaltgeräte-Markts, gewerbliche Direktanlieferungen an die Müllverbrennung und das Aufkommen von Sortierresten nicht berücksichtigt. Nachhaltigeres Bauen könnte im Verein mit Technologie- und Digitalisierungsfortschritten dazu beitragen, brennbare Abfälle zur thermischen Verwertung bei Erneuerungs- und Abbrucharbeiten – Verhältnis 80:20 Prozent – zu verringern oder ganz zu ersetzen. Wohin der Trend aufgrund demographischer Veränderungen führt, ist allerdings ebenso wenig vorhersehbar wie die Realisierung eines Hausbaus im 3D-Druckverfahren.

Neue Technologien lassen neue Produkte und damit neue Abfälle mit neuen Herausforderungen und Fragen entstehen: Werden 3D-Drucker weniger Ressourcen kosten und weniger Abfälle produzieren? Wird bei steigender Elektromobilität das Batterierecycling zufriedenstellend gelöst? Können die stofflichen Probleme beim Recycling von Glasfaserkunststoffen ausgeräumt werden? Mit Blick auf Einsparung oder Forcierung des Abfallaufkommens bleiben auch offene Fragen angesichts einer sich wandelnden Mobilität und eines zunehmenden Anteils an Home-Office-Arbeitsplätzen. Mit Sicherheit wird allerdings die Sharing Economy den Ressourcenverbrauch ebenso wie das Abfallaufkommen reduzieren. Positiv im Sinne der Circular Economy werden zukünftig entworfene Produkte mit effizienter Rohstoffnutzung, modularem Aufbau und hoher Reparatur- und Recyclingfähigkeit wirken.

Mit einem „Aber“ verknüpft

Trotz dieser stellenweisen Unwägbarkeiten wagen die Autoren der Studie eine Prognose für das Jahr 2050. Danach werden in der Schweiz durch moderaten Ausbau der Getrenntsammlung und die möglichst 50-prozentige Vermeidung von Lebensmitteln die ursprünglich angenommenen 8,21 Millionen Tonnen an Siedlungsabfällen auf 6,94 Millionen Tonnen schmelzen. Kommen die Einsparungen im Papier-, Pappe- und Kartonagen-Sektor hinzu, reduziert sich die Abfallmenge auf 6,25 Millionen Tonnen; sie kann durch eine nachhaltige Circular Economy mit erhöhter Nutzungsdauer, besserem Produktdesign und einer Sharing-Kultur auf 5,85 Millionen Tonnen gedrückt werden. Kommen dann noch rund 25 Prozent Recycling aus der vorherigen Direktanlieferung an die Müllverbrennungsanlagen hinzu, sinkt der Verbrennungsanteil auf 2,19 Millionen Tonnen und damit auf 37,5 Prozent oder niedriger.

Die Prognose ist jedoch mit einem „Aber“ verknüpft: Zu ihrer Realisierung sind rechtliche und abfallwirtschaftliche Maßnahmen vonnöten, ohne die das Aufkommen an Siedlungsabfällen weiterhin zunehmen würde. Abfälle müssen als Rohstoffe anerkannt und alte Gleise wie das Denken in Abfallfraktionen und Recyclingquoten verlassen werden. Der Umgang mit Rohstoffen erfordert zudem gesellschaftliche Akzeptanz.

Foto: pixabay

(EU-Recycling 02/2018, Seite 26)