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Der deutsche Waste-to-Energy-Park: Fit für die Zukunft?

Spätestens seit dem chinesischen Importstopp ist die Frage wieder aktuell geworden, inwieweit die in Deutschland vorhandenen Verbrennungskapazitäten für die kommenden Aufgaben gerüstet sind. Das Thema war folglich ein Schwerpunkt auf der Berliner Abfallwirtschafts- und Energiekonferenz am 29. Januar 2018.

Der Anlagenpark zur thermischen Abfallverwertung besteht aktuell aus 66 Müllverbrennungsanlagen, 35 EBS-Kraftwerken, 33 Zement- und Kalkwerken sowie elf Kohlekraftwerken. In den rund 100 thermischen Abfallbehandlungsanlagen wurden im Jahr 2016 über 25 Millionen Tonnen energetisch verwertet. Speziell die 80 Mitgliedsanlagen der Interessengemeinschaft der Thermischen Abfallbehandlungsanlagen Deutschlands (ITAD) nahmen etwa 23,6 Millionen Tonnen an Siedlungs- und hausmüll­ähnlichen Gewerbeabfällen an. Mit einer bundesweiten Auslastung von 97,6 Prozent – annähernd maximaler Behandlungskapazität ohne Puffer – produzierten die Anlagen zwölf Millionen Megawattstunden (MWh) an Prozessdampf, 9,2 Millionen MWh Wärme, 10,3 Millionen MWh Strom (prod.) sowie acht Millionen MWh Strom (exp.). Hinzu kamen 5,1 Millionen Tonnen an Ersatzbaustoffen, 420.000 Tonnen an Fe-Schrott und rund 80.000 Tonnen NE-Metalle, erklärte ITAD-Geschäftsführer Carsten Spohn. Die weitere Dimensionierung der thermischen Abfallverwertung hängt von der Funktionalität der EU-Deponierungsverbote ab, die im Dezember 2017 bei den Trilogverhandlungen vorgesehen wurden. Danach würden in der Europäischen Union angesichts von 240 Millionen Tonnen Siedlungsabfällen, einer Deponierungsquote von sieben Prozent sowie einer Recycling- und Kompostierungsquote von 65 Prozent mindestens zehn Prozent an Sortierresten oder Störstoffen anfallen. Der Rest – 28 Prozent plus anteiliger Sortierreste – ergibt eine Menge von knapp 80 Millionen Tonnen, die zur thermischen Verwertung anstehen.

Vieles bleibt offen

Dabei sind die zu erwartenden, nicht recycelbaren Gewerbe- und Industrieabfälle noch nicht eingerechnet. Es ist nicht geklärt, was mit den 760.000 Tonnen an nicht verwertbaren Kunststoffabfällen werden soll, die seit Jahresanfang nicht mehr nach China importiert werden dürfen – nur ein Beispiel für unerwartete Stoffströme, die kaum kalkulierbar sind. Und es ist nicht berücksichtigt, ob die Mitgliedstaaten, die heute noch weitgehend vollständig auf Deponierung setzen, bis 2035 ihre Hausaufgaben gemacht haben werden. Wenn nicht, wächst die Gefahr durch Scheinverwertung, Zwischenlagerung, Deponierung zu Dumpingpreisen oder illegale Entsorgung.

ITAD-Geschäftsführer Carsten Spohn ist davon überzeugt, dass es keine wirkliche Kreislaufwirtschaft geben wird, „wenn die Abfallwirtschaft nicht von der Verbrennung wegkommt“. Er plädiert vielmehr für eine effiziente Ausnutzung sowohl energetischer wie stofflicher Potenziale. Es werde weiterhin Aufgabe der thermischen Abfallbehandlung sein, Schadstoffe aus dem Kreislauf auszuschleusen. Dazu gehört seiner Meinung nach auch ein hochwertiges und realistisches Recycling, das sich durch Qualität statt Quantität auszeichnet. Deponierung jedenfalls sei die schlechteste Lösung.

Marktsituation entscheidend verändert

Einen Ausblick auf die nähere Zukunft eröffnete Dirk Briese (trend:research, Bremen). Aus seiner Sicht hat sich seit 2014 die Marktsituation für die Abfallwirtschaft entscheidend geändert. Bis dahin war mit einem steigenden inländischen Abfallaufkommen, größeren Importmengen und einer Reduktion von Verbrennungskapazitäten zu rechnen. Eine Vielzahl von Gründen – die novellierte Gewerbeabfallverordnung, durch China initiierte Exportverluste und die veränderte Klärschlammentsorgung, um nur die bekanntesten zu nennen – haben die Marktlage modifiziert. Seitdem wird der Waste-to-Energy-Markt zunehmend durch Kapazitätsengpässe und deutliche Preissteigerungen gekennzeichnet.

Am Abfallaufkommen zur Verbrennung wird sich in nächster Zeit nur wenig ändern. In die Verwertungswege ist etwas Bewegung gekommen. Zwar reduziert sich durch die erneuerte Gewerbeabfallverordnung die Menge thermisch zu verwertender Abfälle. Andererseits könnten sich die Kapazitäten durch die geplante Reduzierung der Mitverbrennung in Kohlekraftwerken und den verminderten Einsatz in mechanisch-biologischen Anlagen verringern. Der bestehende und voll ausgelastete Park an Waste-to-Energy-Anlagen macht mittelfristig zunehmend Investitionen in Neuanlagen und Erweiterungen notwendig, deren Wirtschaftlichkeit langfristig kalkulierbar sein muss, was sich in der Praxis als schwierig erweist. Dies insbesondere, als die kommenden Anforderungen an die Stromerzeugung in Müllverbrennungsanlagen und Ersatzbrennstoff-Kraftwerken noch nicht absehbar sind. Für die nächsten Jahre – so Briese – wird mit einer Steigerung kommunaler Abfallpreise in Höhe zwischen 150 und 190 Prozent gerechnet. Seit zwei Jahren haben auch die Entsorgungspreise für gewerbliche Abfälle angezogen. Mit sinkenden Preisen wird aber auch in den kommenden Jahren nicht gerechnet: Dafür sorgen neben wachsenden, langfristig vertraglich festgelegten Abfallimporten aus dem Vereinigten Königreich und einem konjunkturbedingten Anstieg des inländischen Abfallaufkommens tendenziell sinkende Verbrennungskapazitäten.

4,4 Prozent der eingesetzten Primärenergie

Trendaussagen zum Waste-to-Energy-Markt bis 2030 liefert ein – noch unveröffentlichtes – Gutachten des Umweltbundesamtes zur „Energieversorgung aus Abfällen“. Es beruht auf der Vorab-Erfassung sämtlicher Abfallmengenströme zur energetischen Verwertung und thermischen Behandlung. Wie Sabine Flamme (Fachhochschule Münster) auszugsweise erläuterte, lag 2016 der Durchsatz bei Müllverbrennungsanlagen mit 20,19 Millionen Tonnen vor allem gemischter Siedlungsabfälle knapp unterhalb der Kapazitätsgrenze von 20,63 Millionen Tonnen. Aus den 206 Petajoule (PJ) pro Jahr an Abfallenergie wurden 92 PJ exportiert. Die Mitverbrennung in Zementwerken erbrachte im gleichen Jahr bei einem Durchsatz von 3,22 Millionen Tonnen vor allem an Sekundärbrennstoffen und Kunststoffen eine einzusetzende Energie von 59,4 PJ. Der Durchsatz von 6,1 Millionen Tonnen in Industriekraftwerken ergibt jährlich 82,9 PJ an Brennstoff, 41,5 PJ an Wärme und 20,7 PJ Strom. In der Bilanz wurden – so der Status quo im Jahr 2015 – im deutschen Waste-to-Energy-Markt von rund 100 Millionen Tonnen circa 48.000 Millionen Tonnen energetisch verwertet und ergaben 590 PJ. Das entspricht etwa 4,4 Prozent der in Deutschland eingesetzten Primärenergie.

Ein Überangebot an Abfällen

Zur Prognose der Kraftwerks-Leistungen im Jahr 2030 wurden – neben der Bevölkerungsentwicklung – ein verminderter Sekundärbrennstoff-Einsatz in Kohlekraftwerken, die auf 80 Prozent erhöhte Inputquote von Sekundärbrennstoffen in Zementwerken, ein Anstieg der Mono-Klärschlammverbrennung, der Ausbau der Kapazitäten an Biogasanlagen um 1,7 Millionen Tonnen und die Abnahme der Kapazitäten von Biomasse-Kraftwerken um zehn Prozent veranschlagt. Daraus errechnet sich ein Ansteigen der Abfallströme um 9,7 Millionen Tonnen, während die Menge der energetisch verwertbaren Abfallmengen fast konstant bleibt. Deren Anteil an der Abfallbehandlung wird sich sogar verringern, da bis 2030 die Abfälle stärker getrennt erfasst und die Recyclingmengen durch bessere Sortiertechnik vermehrt werden. Den Inputmengen von 47,9 Millionen Tonnen stehen dann 49,8 Millionen Tonnen Behandlungskapazitäten gegenüber – ein Überangebot von 1,9 Millionen Tonnen.

Langfristig werden sich die erzielbaren Stromerlöse aus dem Waste-to-Energy-Sektor verringern, prognostiziert das Gutachten. Da die Abfallverbrennungsanlagen in erster Linie zur Schadstoffsenke vorgesehen sind, ist auch ihre Lieferflexibilität nur begrenzt. Die Lücke in der Wärmeversorgung hingegen, die durch Schließung von thermischen Kraftwerken mit teilweiser Kraft-Wärme-Kopplung entsteht, könnten energetische Abfallverwertungsanlagen füllen.

80, 60 oder keine Anlagen mehr?

Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion zum Thema „Aktuelle Entwicklungen“ wagten schließlich sogar einen Ausblick auf den Verbrennungsanlagenpark im Jahr 2050. Thomas Obermeier (DGAW) erwartet dann noch 80 Müllverbrennungsanlagen, Helge Wendenburg (BMUB) vermutete 60 Anlagen, während Eric Rehbock (bvse) auf eine Halbierung der heutigen Zahl schloss. Aus Sicht von Carsten Spohn wird zumindest die Verbrennungskapazität gleichbleiben – möglicherweise durch weniger große oder mehrere kleine Anlagen. Für Michael Braungart (Leuphana Universität Lüneburg) schien es am wahrscheinlichsten, dass es keine Müllverbrennungsanlagen mehr geben wird, sondern Verbrennungsanlagen für verschiedene Stoffströme.

Die zitierten Vorträge können teilweise nachgelesen werden in Energie aus Abfall, Band 15, hrsg. von S. Thiel, E. Thomé-Kozmiensky, P. Quicker, A. Gosten, Neuruppin 2018, ISBN 978-3-944310-39-8.

Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de

(EU-Recycling 03/2018, Seite 24)

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