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Was ist erfolgreicher: Europas Rundum-Recycling oder der Teile-Demontage-Markt der USA?

Aus Sicht des Experten Joseph M. Holsten legt der US-Markt stärkeres Augenmerk auf den Wert der demontierten Fahrzeugteile. Europäische Akteure würden sich hauptsächlich auf den Abfallwert konzentrieren, der aus einem Fahrzeug zu holen ist, erklärte er in einem Interview.

Die LKQ Corporation zählt zu Nordamerikas größten Lieferanten alternativer Fahrzeugteile aus Unfallwagen und gilt als führender Vertreiber recycelter und wiederaufbereiteter mechanischer Autoteile. LKQ betreibt Niederlassungen in Nordamerika, Europa und Taiwan. Auf dem diesjährigen Internationalen Automobilrecycling-Kongress (IARC) in Wien hielt LKQ-Vorstandsvorsitzender Joseph M. Holsten am 14. März eine programmatische Rede über „Die Welt der Demontage – größer als gedacht“. Im Vorfeld des Kongresses sprach der Veranstalter, die Birrwiler ICM AG, mit Joseph M. Holsten.

Herr Holsten, wie schätzen Sie den europäischen Auto-Demontage-Markt ein?

Ich halte ihn für attraktiv. Der europäische Fahrzeugpark ist enorm, und das hohe Alter der Gefährte liefert eine Menge Gelegenheiten, den Reparatur- und Ersatzteilmärkten ein starkes werthaltiges Angebot zu präsentieren. Ein paar kurze Beobachtungen: Die Demontagehöfe sind in Europa typischerweise kleiner, die Betreiber legen ihr Augenmerk eher auf Abfallmaterialien als auf den Verkauf von Ersatzteilen, es wird mehr exportiert, der Schwerpunkt liegt eher auf dem Mach-es-selbst als auf dem Mach-es-für-mich, und die Industrie der Fahrzeug-Versicherungen ist ein schwächerer Faktor als in den Vereinigten Staaten.

Was unterscheidet den europäischen vom US-Markt?

Der wichtigste Unterschied ist aus meiner Sicht, dass der US-Markt sehr viel stärkeres Augenmerk auf den Wert der demontierten Fahrzeugteile legt, während sich – wie ich finde – viele europäische Akteure hauptsächlich auf den Abfallwert konzentrieren, der aus dem Fahrzeug zu holen ist: Ob es ein neues Modell oder ein Altauto ist. Als Faustregel gilt, dass die US-Industrie-Teilnehmer wahrscheinlich auf größeren Flächen als ihre europäischen Konkurrenten arbeiten, und das wahrscheinlich aufgrund von mehr verfügbarem Land und geringeren Kosten. Ein weiterer Faktor in den Unternehmensmodellen der beiden Märkte besteht darin, dass die Fahrzeugversicherungs-Industrie der Vereinigten Staaten seit mindestens zwei Jahrzehnten darauf geachtet hat, gebrauchte Autoteile aus der Demontage bei der Reparatur eines Unfallautos einzubeziehen: Das bedeutet Kostenreduktion, sichert Qualitätsreparaturen, und ermöglicht wettbewerbsfähige Prämien. In Europa hat das in gleichem Maße noch nicht stattgefunden. Mit diesem höheren Qualitätsanspruch an Gebrauchtteile in den Vereinigten Staaten sehen sich die Demonteure in der Lage, vorher Teile auszubauen, für die sie Bedarf sehen, und diese in einem elektronischen Katalog-System aufzunehmen – das geschieht in Europa nicht immer.

Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie generell im Demontage-Markt?

Ich glaube, dass die kurzfristig größte Schwierigkeit am niederen Nachfrage-Niveau für Teile aus neueren Unfallfahrzeugen liegt. Stärkere Nachfrage nach solchen qualitativ hochwertigen Teilen würde den Wert der Bergung anheben, die Profitabilität der Industrie steigern und der Nachhaltigkeits-Beteiligung der Industrie zugutekommen. Da die Abfallhierarchie Vermeiden, Wiederverwenden und Recycling lautet, lässt sich ein deutlicher Fortschritt erzielen, indem diese Teile von einem „recycelten“ zu einem wiederverwendeten Produkt werden. Bei einer zusätzlichen Wiederaufarbeitung können im Markt sogar noch weitere Produkte unter die Kategorie „wiederverwendet“ fallen. Langfristig und global betrachtet wird nach meiner Meinung die Herausforderung für die Industrie darin bestehen, die Geschäftsmodelle zu ändern: hinsichtlich Einfluss weiterer Unfallvermeidungs-Technologie, einer voraussichtlichen Verschiebung zu mehr Elektroautos im Wagenpark und dem Einfluss des autonomen Fahrens. Offensichtlich werden diese Änderungen während etlicher Jahrzehnte in den Markt einfließen und der Industrie erlauben, ihre Geschäftsmodelle über eine längere Zeitspanne zu modifizieren.

Die Recycler von Altautos beschweren sich zunehmend über die Schwierigkeiten, die durch die Verwendung von Verbundmaterialien entstehen. Wie begegnen Sie diesem Trend?

Wir sehen zunächst nur die ersten immateriellen Mengen an Verbundmaterialien in den Unfallwagen, die wir in den Vereinigten Staaten kaufen. Daher war das bisher kein wirklicher Faktor. Ich vermute, dass die europäischen Demontierer wahrscheinlich den amerikanischen voraus sind, was die Bewirtschaftung des Produkts anlangt – eine Gelegenheit für uns, Betriebspraktiken aus Europa mit in die USA zu nehmen.

Welche Geschäfte versprechen mehr Wachstum – die Ersatzteilgeschäfte oder das Recycling individueller Materialfraktionen?

Wenn ich nur auf Europa schaue, vermute ich, dass die Demontage- und Shredder-Industrien eine wirklich gute Arbeit mit umfassendem Recycling machen. Die Frage, die beantwortet werden sollte, lautet aber: Wie viel ist genug? Während die Technologie sich kontinuierlich verbessert und aktuell angewandte Technologie gut damit fährt, individuelle Fraktionen zu berücksichtigen, dürfte – glaube ich – der Ersatzteilmarkt der schneller wachsende sein. Höhere Mengen und höhere Qualität der gebrauchten Teile sollten für die Verbraucher leichter erhältlich sein. Und das zu Preisen, die ein attraktives Wertangebot bieten, und zwar sowohl für die Mach-es-selbst-Verbraucher wie auch für die professionellen Mach-es-für-mich-Reparaturläden. Die Chancen für größere Mengen gebrauchter Ersatzteile sind riesig.

Quelle: ICM AG / Übersetzung: Dr. Jürgen Kroll

Foto: Marc Weigert

(EU-Recycling 05/2018, Seite 45)