Staatlicher Vollzug in der Abfallwirtschaft? Mangelware

„Die staatliche Ebene behandelt Gesetze, wie sie will.“ Kreislaufwirtschaft braucht nach Ansicht von Peter Kurth aber gute Regeln, guten Vollzug und viel Engagement.

Der Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2018 zeigt, welche ökonomische und ökologische Bedeutung die Branche besitzt. Mit neuer Gewerbeabfallverordnung, Verpackungsgesetz und novellierter Berechnungsmethode stofflicher Verwertung wurden in der vergangenen Legislaturperiode wichtige Regelungen getroffen. Dennoch sei er mit den rechtlichen Rahmenbedingungen in Europa und Deutschland nicht zufrieden, kritisierte BDE-Präsident Peter Kurth auf der „Waste and Recycling Strategy“-Tagung am 19. Juni 2018 in Hannover.

Reduzierung der Ablagerungsrate unrealistisch

So sei es unter anderem ein schwerer Fehler, dass es die EU nicht schaffe, sich zum Ende der Deponierung unbehandelter Abfälle wenigstens bis 2030 zu bekennen. Desgleichen hätten sich 2008 alle EU-Mitgliedstaaten mit der Abfallrahmenrichtlinie dazu verpflichtet, bis 2020 eine Recyclingquote von 50 Prozent zu erreichen. Von 28 Staaten hätte dies in Wahrheit vielleicht ein halbes Dutzend umgesetzt; die durchschnittliche Deponierungsquote liege unverändert bei 60 bis 70 Prozent. Noch heute finanziere Brüssel Bau und Modernisierung von Deponien in Süd- und Osteuropa. Dass dort, wo heute noch Deponien gebaut werden, eine Reduzierung der Ablagerungsrate von Siedlungsabfällen auf zehn Prozent erfolgt, sei daher unrealistisch.

Europa müsse auf Vollzugsfähigkeit und Controlling seiner Bemühungen achten. Das sei bisher nicht passiert, wie auch das Beispiel Ungarn zeigt. Die dortige Neuordnung der Kreislaufwirtschaft habe dazu geführt, dass Unternehmensanteile zu mindestens 51 Prozent dem Staat gehören müssen und Preisvorgaben bei Entsorgungsverträgen vorgenommen werden. Es sei bemerkenswert, dass Brüssel nicht dagegen vorgehe. Gespräche hätten ergeben, dass keinerlei Bereitschaft bei der EU-Kommission besteht, etwa ein Vertragsverletzungsverfahren wegen Nötigung einzuleiten.

Kluge Kunststoffpolitik benötigt

Was die Plastikstrategie der EU anlangt, so sei diese ein wichtiger Schritt, um ökologische Produktionsweise mit ökonomischer Vernunft zusammenzubringen. Kunststoffrecycling stehe im Wettbewerb mit dem Primärrohstoff Öl; deshalb müssten Instrumente gefunden werden, um Rezyklaten eine Chance auf dem Markt zu geben. Von einer Kunststoffsteuer sei wenig zu halten: Es werde kein weiteres Finanzierungsinstrument für die EU benötigt, sondern eine kluge Kunststoffpolitik. Eine, die bedenkt, dass Plastikabfälle im Meer im Wesentlichen aus asiatischen Ländern stammen: In diesen Ländern sei eine Kreislaufwirtschaft – schneller als bislang geplant – nötig. Insbesondere müsse man sich mit den Philippinen, mit Thailand, Vietnam und Indoniesien befassen.

Rezyklate in die Produktion zurückführen

Die vergangenen vier Jahre der Legislaturperiode 2013 bis 2017 haben in Deutschland laut Kurth eine hohe Intensität stoffstrom-spezifischer Regelungen gezeigt. Doch auch hier sei der Vollzug wichtig: Es komme nicht nur darauf an, Sammel- und Sortierquoten heraufzusetzen, sondern Kreisläufe zu schließen und Rezyklate in die Produktion zurückzuführen. Das sei bei Papier, Glas und Schrott kein Problem, wohl aber bei Mineralien und Kunststoffen. Daher müsse auch das Bekenntnis des jetzigen Koalitionsvertrags zu Recyclingquoten, Wettbewerb und Produktverantwortung daraufhin überprüft werden, ob es Einsatzmöglichkeiten für Recyclingmaterial verbessern, entsprechende Anreize bieten und gesetzliche Pflichten auferlegen wird. Auch müsse die langjährige Diskussion um Deponierung oder Verwertung von jährlich rund 250 Millionen Tonnen an Mineralik- und Bauabfällen zum Abschluss gebracht werden. Wenn man knappen Deponieraum schonen und hohe Transportkosten vermeiden wolle, müsste mehr verwertet und weniger deponiert werden. Die öffentliche Hand sei als Bauherr in der Pflicht, praktikable Lösungen zu finden, sonst werde es für alle teuer.

Keine Nachfrage nach Sekundärrohstoffen

Die deutliche Erhöhung von Quoten durch Gewerbeabfallverordnung und Verpackungsgesetz setzt Investitionen voraus; doch müsste Investoren auch die Chance eingeräumt werden, dass sich ihre Ausgaben rechnen. Darum sollten klare Verabredungen getroffen werden, was am Ende eines Recyclingprozesses erwartet wird, und ökologische Kriterien bei der öffentlichen Beschaffung von Recyclingmaterial zum Tragen kommen. Die Recyclingwirtschaft müsse ein Verständnis dafür bekommen, wie die Kriterien der öffentlichen Beschaffung für besonders recyclingfreundliche Produkte aussehen sollen: Wie werden Energiekosten gewichtet? Welche Bedeutung hat die Schließung von Kreisläufen? In welchem ökonomischen Rahmen darf sich das Angebot bewegen? Kurz: Über welche Zielsetzung verfügen Bundesländer und Kommunen, um das Beschaffungswesen ökologisch zu modernisieren? Kurth ist sich sicher: Sie verfügen ausnahmslos über keine derartige Zielsetzung. Dieser Bereich falle daher hinsichtlich Nachfrage nach Sekundärrohstoffen aus.

Staatliche Vollzugsdefizite räumte auch Rita Schwarzelühr-Sutter, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, auf dem UN-Nachhaltigkeitsforum in New York ein: „Der Staat hat bei der öffentlichen Beschaffung eine Vorbildfunktion und kann mit seiner Nachfragemacht neue Märkte entwickeln und innovativen Produkten zum Durchbruch verhelfen. Auch wir können in Deutschland noch viel mehr tun und als Bundesverwaltung mit gutem Beispiel vorangehen. In einigen Bereichen, etwa bei Holzprodukten oder energieeffizienten Geräten, sind wir schon ganz gut, in anderen ist noch viel Potenzial, zum Beispiel bei der Nachfrage nach recycelten Materialien.“

Vollzug darf kein Zufall sein

Ein Mangel an staatlichem Vollzug mache sich auch im Bereich von Bioabfällen bemerkbar. So habe der brandenburgische Umweltminister – obwohl seit 1. Januar 2015 die Getrenntsammlung von Bioabfällen bundesweit verpflichtend ist – das betreffende Bundesgesetz für freiwillig erklärt. Kurth: „Die staatliche Ebene behandelt also Gesetze, wie sie will.“ Auch nach Erlass der Gewerbeabfall-Verordnung gebe es keine Stellen in den Behörden, um deren Durchführung zu betreuen und zu überwachen. Und das Verpackungsgesetz sei notwendig geworden, weil Vollzug und Kontrolle der Verpackungsverordnung nicht funktioniert hätten. Ob die Zentrale Stelle, in der zum Teil die Inverkehrbringer sitzen, die an diesen Problemen nicht unschuldig sind, in der Lage sein wird, die Lizensierungsverpflichtungen durchzusetzen und ökologisch zu gestalten, sei daher eine spannende Frage. Der Vollzug von Gesetzen dürfe kein Zufall sein. Von Mittelständlern werde erwartet, dass sie in Vorbehandlungsanlagen für gewerbliche Abfälle und in verbesserte Sortier- und Aufbereitungstechnik für Kunststoffe investieren. Folglich müsste als Grundlage für Investitionsentscheidungen und zur Schaffung von Investitionssicherheit dafür gesorgt werden, dass die entsprechenden Regelungen auch Gültigkeit besitzen und im Vollzug begleitet und durchgesetzt werden. Ansonsten würden investive Hoffnungen fehlgehen. Eine Verbots- und Symbolpolitik greife jedoch zu kurz; das Untersagen von Einweg-Strohhalmen löse keine Kunststoffrecycling-Probleme.

Internationale Lösungen unabdingbar

Neben dem sicheren Vollzug von Regelungen sei aber auch stärkeres europäisches und internationales Denken in wirtschaftlichen Kreisläufen unabdingbar. So habe beispielsweise China eine Verantwortung für Produkte, bei denen Materialien schlechter Qualität verklebt und weltweit exportiert wurden. Die Probleme der Kreislaufwirtschaft seien international; also müssten dafür auch internationale Lösungen gefunden werden. Peter Kurth abschließend: „Energie, Klima und Ressourcensicherung brauchen Kreislaufwirtschaft, und Kreislaufwirtschaft braucht gute Regeln, guten Vollzug und viel Engagement.“

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Keine Angaben zum Vollzug der Gewerbeabfallverordnung

Eine aktuelle Umfrage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) unter den – hierfür zuständigen – Bundesländern zum Vollzug der Gewerbeabfallverordnung ergab ein besorgniserregendes Fazit: Zwölf Bundesländer konnten oder wollten keinerlei Angaben zum Vollzug der Verordnung machen.

Lediglich Nordrhein-Westfalen, Saarland und Berlin gaben an, Kontrollen durchzuführen. Hamburg teilte immerhin mit, bislang keine Kontrollen durchgeführt zu haben. „Offenkundig scheint sich die Mehrzahl der Bundesländer nicht für die Umsetzung von Umweltgesetzen zu interessieren“, schlussfolgert DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch und fordert: „Die Länder müssen endlich aufwachen und durch einen funktionierenden Vollzug ihren Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz leisten.“

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Foto: Andi Karg

(EU-Recycling 08/2018, Seite 6)

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