Mit Vollgas in den Stau: Deutschlands Güterverkehr vor dem Stillstand

An Konzepten und Alternativen, um den Gütertransport auf den Straßen zu entlasten, hapert es nicht. Seit Jahren fließt jedoch offensichtlich deutlich mehr Geld in den Straßenbau als in die Schieneninfrastruktur. Im Jahr 2015 verfügten die Güterbahnen lediglich über einen Anteil von 17,3 Prozent am gesamten Güterverkehr in Deutschland.

Den Versorgungsketten droht der Kollaps. Zu diesem Ergebnis kommt eine Umfrage von CHEP, einem globalen Anbieter von Logistik- und Support-Lösungen mit 12.500 Mitarbeitern und 500.000 Kundenkontaktpunkten. Laut CHEP führen Fahrermangel, marode Infrastruktur und immer mehr Leerfahrten zu Kapazitätsmangel bei Speditionen und Dienstleistern; zu geringe Abstimmung der Prozesse und Lieferströme und unprofitable Nutzung der wenigen Kapazitäten würden die Situation zusätzlich verschärfen.

Baustellen werden weiter zunehmen

Insgesamt fehlen beim Logistikpersonal – so CHEP – 45.000 Fahrer: Den 50.000 Fahrern, die jedes Jahr in Rente gehen, stünden maximal 15.000 Auszubildende gegenüber. Feldendes oder zu starres Zeitfenster-Management bei Lieferrampen führe zu langen Wartezeiten beim Be- und Entladen. Leerfahrten seien ein zwar altes, aber weiterhin akutes Problem: Das Kraftfahrtbundesamt verzeichnete 2016 in Deutschland 37 Prozent Leerfahrten. Die positive europäische Wirtschaftsentwicklung belaste die Versorgungsketten, die neben anderem mit knappen Kapazitäten und abwanderndem Personal in den osteuropäischen Wirtschaftsraum zu kämpfen haben: Der ständige Hochbetrieb führe zu Auftragsüberhang und erschwere die Abwicklung, was durch Bündelung von Aufträgen und genauere Promotions-Planung gemildert werden könnte. Und marode Straßen und Staus würden den Verkehr auch in Zukunft behindern: Das Bundesverkehrsministerium rechnet bis 2030 mit einem 39-prozentigen Zuwachs an Baustellen, während 2017 bereits 723.000 Staus mit einer Länge von 1.448.000 Kilometern für eine Verzögerung von 457.000 Stunden – neun Prozent mehr als 2016 – sorgten.

Gravierende Infrastrukturmängel

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Auch die im Juni 2018 erschienene Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft macht gravierende Infrastrukturmängel aus, die die Geschäftstätigkeit der Unternehmen bremsen. Die zugrundeliegende IW-Konjunkturumfrage sah Straßen- und Kommunikationsnetze als größte Problemverursacher. 30 Prozent der Firmen hätten von deutlichen Beeinträchtigungen der Geschäftsabläufe durch Mängel und Überlastungen der Straßenverkehrsnetze gesprochen – darunter sechs Prozent, die das als „deutliche Probleme“ interpretierten. Und der Anteil der Firmen mit einer offensichtlichen Beeinträchtigung der Geschäftsabläufe durch eine nicht adäquate Kommunikationsinfrastruktur sei von 15 auf 28 Prozent angestiegen.

Um diese Dilemmata zu beheben, setzt CHEP auf Digitalisierung. Durch Tracking, Tracing und andere digitale Datenerhebungsverfahren könnten Echtzeitinformationen über Ankunftszeiten, Ladekapazitäten oder Verspätungen zur Verfügung stehen. Mithilfe solcher Logistikdaten ließen sich Verlader und Frachtführer besser miteinander vernetzen und die notwendigen Logistik-Schritte detailliert steuern. Frachträume, die kurzfristig frei werden, könnten online angeboten und gebucht werden. „So verdichtet sich das Netzwerk; Produktionsstätten und Absatzorte wachsen enger zusammen und minimieren so die anfallenden Leerkilometer“, heißt es in einem Weißbuch des Unternehmens.

Nur 17,3 Prozent Anteil am Güterverkehrmarkt

Auch die Einbeziehung des Güterverkehrs in diesen Verbund wäre theoretisch möglich. Doch ein Ausweichen der Transportströme auf die Schiene scheitert an den Gegebenheiten. Zwar hat der Güterverkehr auf der Schiene das Jahr 2017 mit Unwettern, der Sperrung der Nord-Süd-Strecke bei Rastatt sowie Kapazitäts- und Personalengpässen und einer resultierenden Aufkommensminderung von 0,4 Prozent überstanden. Der aktuelle Zwischenbericht der Deutschen Bahn verzeichnet jedoch auch aktuell mit knapp 130 Millionen Tonnen beförderter Güter ein Minus von sieben Prozent gegenüber dem Vorjahr und mit einer Verkehrsleistung von rund 44,5 Millionen Tonnenkilometern einen Rückgang um 6,7 Prozent. Und der bei der Deutschen Bahn zuständige Geschäftsbereich für den Schienengütertransport – DB Cargo – verzeichnete „operative Schwierigkeiten“ und blickt im Vergleich zum Vorjahr auf ein Minus von 127 Millionen Euro und damit auf eine negative Umsatzentwicklung um minus 1,8 Prozent zurück.

Die geringe Verfügbarkeit von Schienentransport-Kapazitäten erklärt sich aus Sicht der Interessengemeinschaft Allianz pro Schiene daraus, dass in Deutschland seit Jahren deutlich mehr Geld in den Straßenbau als in die Schieneninfrastruktur fließt. Dies führt nach Darstellung ihres Geschäftsführers Dirk Fliege dazu, dass „Deutschland seine straßenlastige Weichenstellung immer weiter fortschreibt und sich dann wundert, warum es seine Umweltziele verpasst“. Durch fehlende Investitionen – so die Geschäftsführerin der Unternehmensberatung SCI Verkehr, Maria Leenen – „bremst Deutschland nicht nur den innerdeutschen Güterverkehr aus, sondern steht auch bei den europäischen Korridoren auf der Bremse“. Als Resultat verfügten die Güterbahnen im Jahr 2015 lediglich über einen Anteil von 17,3 Prozent am gesamten Güterverkehr in Deutschland; Studien schätzen den möglichen Marktanteil auf bis zu 35 Prozent. Die Schweiz und Österreich würden ganz gezielt in ihre Eisenbahnnetze investieren und damit beweisen, dass eine Verkehrsverlagerung von mehr Güter auf die Schiene möglich sei, moniert die Allianz pro Schiene.

Die „Aktionspläne“ des Verkehrsministers

Der vom Bundesverkehrsministerium 2017 drittmalig herausgegebene „Aktionsplan Güterverkehr und Logistik“ soll auch für den Schienentransport Lösungen bringen. In dieser Roadmap finden sich allerdings neben wohlklingenden Vorhaben wie „Vermarktung des Logistikstandorts Deutschland“ oder „Festigung des Netzwerks Güterverkehr und Logistik“ auch längst überfällige Selbstverständlichkeiten wie „Verkehrstauglichkeit von Straßenbrücken, Eisenbahnüberführungen und Schleusen sichern“, „Baustellenmanagement auf Bundesautobahnen weiter optimieren“ oder „Verlässliche Finanzierungsgrundlagen für Infrastruktur des Bundes sichern“.

Auch das Ziel, „Leistungsfähige digitale Infrastruktur für Güterverkehr und Logistik sicher(zu)stellen“, erweist sich als ein seit Jahren nicht eingelöstes Versprechen: Gemeint ist der flächendeckende Ausbau der Breitband-Versorgung als „das infrastrukturelle Rückgrat des digitalen Wandels für Unternehmen in Güterverkehr und Logistik“, den Bundeskanzlerin Angela Merkel seit über einem Jahrzehnt in Aussicht stellt. Auch werden im Aktionsplan Maßnahmen vorgeschlagen, deren Wirkungen sich aufheben: Wenn „Längere Güterzüge ermöglichen“ im gleichen Atemzug wie „Lang-Lkw in Dauerbetrieb überführen“ postuliert wird, werden zwar die Beförderungsmengen insgesamt erhöht, aber relativ betrachtet der Lkw-Verkehr nicht vermindert.

Und auch die Teilnahme Deutschlands an vier „Schienengüterverkehrskorridoren“ gemäß EU-Verordnung Nummer 913/2010, die „einen erheblichen Teil des Zuwachses des lang laufenden internationalen Güterverkehrs“ von der Straße auf die Gleise verlagern sollen, nutzt wenig, wenn die Infrastruktur nicht stimmt: Die wichtige Rhein-Alpen-Trasse, die als „Muster für die anderen Korridore“ dienen soll, war 2017 wochenlang durch die Gleisabsenkung bei Rastatt blockiert. Damit unterminierte Deutschland nicht nur das Ziel der EU-Verordnung, „die Effizienz des Schienengüterverkehrs im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern zu verbessern“, sondern sorgte auch – teilweise nachhaltig – dafür, dass das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Bahn litt und noch mehr Güter auf die Straße umgeleitet wurden.

Entsorger-Kooperation mit DB Cargo

Foto: pixabay

Auch die Mitglieder der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen e.V. (BDSV) beklagten sich in einer Umfrage über Schwierigkeiten bei Service, Disposition und Störfall-/Baustellenmanagement der Bahn. Dennoch – oder gerade deswegen – hat die BDSV jetzt ein neues Kapitel in der Kooperation mit der DB Cargo AG aufgeschlagen. Anlass ist die von BDSV-Präsident Andreas Schwenter angestoßene „Initiative 10/20“, die zum Ziel hat, mehr Tonnage auf den umweltfreundlichen Verkehrsträger Bahn zu verlagern. Flankierend zu Schritten, die zur Verbesserung der Ressourcenverfügbarkeit beitragen sollen, definieren DB Cargo und BDSV-Mitgliedsunternehmen einzelne Leuchtturmprojekte. Dabei stehen die Projektkategorien operative Abwicklung, Kommunikation/Serviceorientierung und kommerzielle Aspekte im Mittelpunkt. DB Cargo will durch eine verlässliche Abwicklung des Tagesgeschäftes zeigen, dass sie für Zukunftsthemen der richtige Partner ist.

Doch auch falls diese Leuchtturmprojekte die erhofften Erfolge und Ergebnisse zeitigen und wenn laut Koalitionsvertrag 2018 die einzelnen Verbesserungsmaßnahmen des vom ehemaligen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt vorgestellten „Masterplans Schienengüterverkehr“ (siehe EU-Recycling 01/2018, S. 12) dauerhaft umgesetzt werden sollten, um die aufgelaufenen Infrastrukturdefizite schneller zu beheben, sind strukturelle Änderungen im Straßengüterverkehr viel wahrscheinlicher möglich.

Kombi-Verkehr statt ELANS

Zu diesem Zweck nahm 2014 das ELANS-Projekt – Entwicklungsprojekt Lkw-Verkehr auf neuen Schienen – seine Arbeit auf. Seine Grundidee bestand darin, neben den bestehenden Autobahnen neue, vom Schienennetz der Deutschen Bahn völlig unabhängige Güterbahnsysteme zu installieren. Auf diesen könnten – nach dem Prinzip der Autoreisezüge – Lkw mithilfe modernster Technologie auf Waggons verladen und per Schiene zur gewünschten Zielstation transportiert werden. Dazu müssten neben den bestehenden Autobahnspuren zwei zusätzliche Zugspuren speziell für die Lkw-Beförderung eingerichtet werden.

Wie die ELANS-Forscher errechneten, soll für 135 Kilometer Fahrt ein Zeitvorteil von fünf Minuten herauszuholen sein, für jede weiteren vier Kilometer eine zusätzliche Minute Zeitersparnis. Freilich ist die bundesweite Verbreiterung der Autobahn-Trassen aus mehreren Gründen ein Ding der Unmöglichkeit; außerdem erinnert das Projekt sehr an „Stuttgart 21“: nach oben offenen Milliardenausgaben für ein paar wenige Minuten kürzere Fahrtzeit.

Allerdings bietet das in Leipzig beheimatete Unternehmen CargoBeamer tatsächlich an, Sattel-Auflieger, MEGA-Trailer, Tank-, Silo- sowie Kühl-Auflieger (ohne Zugmaschinen) minutenschnell und ohne technischen Umbau auf die Schiene zu verladen. Das Schweizer Forschungsinstitut Infras verglich das System mit anderen und kam zu dem Ergebnis, dass der kombinierte Verkehr Straße/Schiene und dabei insbesondere die CargoBeamer-Technologie die besten Voraussetzungen bieten, die Fernstraßen erheblich zu entlasten und zugleich mit geringen Investitionen realisierbar zu sein. Einziger Nachteil: Auch die von der CargoBeamer-AG betriebenen, eigenen Linienzüge müssen auf das überlastete Schienennetz der Deutschen Bahn zurückgreifen.

Platooning im Dreierpack

Zu den Verbesserungen des Straßen-Güterverkehrs könnte beispielsweise auch der „führerlose“ oder „autonome“ Lkw-Verkehr gehören, der durch 15 statt 50 Meter Abstand zwischen den Fahrzeugen Raum auf der Autobahn schaffen, Kraftstoffverbrauch und CO2-Ausstoß reduzieren und die Zahl der Verkehrsunfälle verringern soll. Im „Dreierpack“ wurde ein solches „Platooning“ bereits auf öffentlichen Straßen praktiziert.

Das planmäßige Ein- und Ausklinken in und aus einer langen Kette vieler internationaler Fahrzeuge auf Autobahnen oder Bundesstraßen steht aber noch aus: Die Vereinheitlichung der dafür notwendigen, jedoch unterschiedlichen Datenübertragungs-, Telemetrie- und Bremssignal-Systeme wird ein erhebliches Koordinationsproblem darstellen. Im ungünstigsten Fall ergeht es dem Vorhaben wie dem Modulushca-Projekt, das die Vision für eine weltweite Vernetzung von modularen Einheiten zu einem ineinandergreifenden, weltweiten Logistiksystem entwickeln sollte. Tatsächlich kam bei dem EU-geförderten Projekt an greifbaren Ergebnissen lediglich die Entwicklung zwei verschiedener modularer Containerversionen heraus. Nach etwas über drei Jahren wurde Modulushca, das auch erste Versuche mit dem Physical Internet unternahm, beendet.

Leerraum nutzen, Leerfahrten meiden

Die Idee des Physical Internet war damit keineswegs zu Grabe getragen. Das angestrebte Transportsystem geht davon aus, dass auf europäischen Straßen die Laderäume der Lkw nur zu 60 Prozent gefüllt sind. Würde der leere Stauraum ausgenutzt und Leerfahrten vermieden, könnte Kosten gespart, Emissionen reduziert, Schwund vermindert und Lieferzeiten verkürzt werden – durch Ausnutzung von Lkw-Laderäumen und Vermeidung von Leerfahrten.

Ein dezentrales Logistiksystem mit zentralen Verladestationen würde bewirken, dass lange Überlandfahrten durch kurze, individuell zu befahrende Abschnitte ersetzt werden und der Verkehr in den Städten entlastet wird. Waren und Stoffe würden in Containern wie Emails versandt, mit Informationen zu den Gütern, die in elektronisch lesbarer Form auf den Containern angebracht wären. Die Güter finden, analog zum digitalen Internet, selbstständig ihren Weg bis zum Bestimmungsort – aus logistischer Sicht auf dem effektivsten Wege.

Strategieplan für vernetzte Logistik

Diesem Ziel – Logistik und Management von Lieferketten zu verbessern – widmet sich die von Industrie und Forschungsunternehmen gegründete Initiative Alice (Alliance for Logistics Innovation through Cooperation in Europe). Diese als Europäische Technologie-Plattform anerkannte Organisation hat unter anderem einen Strategieplan für Systeme und Technologien für vernetzte Logistik entwickelt. Auf ihrer Webseite beklagt Alice allerdings die immer noch schlechte Übereinstimmung zwischen den von-Tür-zu-Tür-Lieferdiensten und der unterstützenden pan-europäischen Infrastruktur, moniert die Unterentwicklung dynamischer Eigenschaften wie Flexibilität, Belastbarkeit und Reaktionsfreudigkeit im Transportwesen und bedauert die fehlende vertikale Integration, die Transportdienstleister mit Anforderungen von Herstellern, Auslieferern und dem Großhandelsbereich in Einklang bringen sollte. Ob Alice unter diesen Bedingungen ihr selbst gestecktes Ziel erreicht, bis 2030 die Leistung der Ende-zu-Ende-Logistik um 30 Prozent zu steigern und im europäischen Logistiksektor die Effizienz um zehn bis 30 Prozent anzuheben und eine Kostenreduktion von 100 bis 300 Milliarden Euro zu bewirken, bleibt abzuwarten.

Es hapert also nicht an – zugegebenermaßen teilweise noch modifizierbaren – Konzepten und Alternativen, um den Gütertransport auf den Straßen zu entlasten. Es fehlen „nur“ die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen und der Wille, das Machbare in die Praxis umzusetzen.

Foto: Andi Karg

(EU-Recycling 09/2018, Seite 6)

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