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Rückbau schleswig-holsteinischer Kernkraftwerke: Die Planung hat begonnen

In Schleswig-Holstein stehen drei Atomkraftwerke, von denen bereits für zwei – Krümmel und Brunsbüttel – die Betreiber Stilllegung und Rückbau bei der Atomaufsichtsbehörde des Landes beantragt haben. Das Kernkraftwerk Brokdorf ist als einziges noch in Betrieb und soll spätestens bis Ende 2021 vom Netz gehen. Experten haben jetzt einen Bericht über die geplante Entsorgung freigegebener Abfälle vorgelegt.

Wesentliche Voraussetzung eines vollständigen Rückbaus ist die Gewährleistung einer Verwertung beziehungsweise Beseitigung der bedeutenden Massen an Reststoffen und Abfällen mit zu vernachlässigender beziehungsweise keiner Aktivität, die aus der Atomaufsicht entlassen sind. Dies betrifft Stoffe, die von dem Gelände der Anlage kommen (Herausgabe der Stoffe), und solche, die aus der Anlage selbst kommen – als uneingeschränkt freigegebene sowie zur Verbrennung oder Deponierung freigegebene Stoffe. Davon unberührt bleiben radioaktive Abfälle und Reststoffe: Diese werden speziellen Zwischenlagern zugeführt und dort aufbewahrt, bis dafür aufnahmebereite Endlager zur Verfügung stehen.

96 Prozent der Abfälle recycelbar

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Die größten Massenströme in jedem Kernkraftwerk werden – nach heutigen Schätzungen – erst circa zehn bis 15 Jahre nach Erteilung der Abbaugenehmigung anfallen, wenn die Gebäude aus dem Atomrecht entlassen sind. Geringere Massen entstehen aber seit Jahren und sind auch während des Nachbetriebs und der ersten Rückbauphasen zu erwarten. Gegen die Rückführung dieser Abfälle in den Wirtschaftskreislauf oder ihre Deponierung werden aufgrund ihrer Herkunft aus einer kerntechnischen Anlage immer wieder Bedenken geäußert, die zum Teil auch zu Unterbrechungen der Entsorgungspfade, zum Transport auf weit entfernte Deponien und zu ungeplanten „Pufferlagerungen“ an den Standorten kerntechnischer Anlagen geführt haben und die in der Konsequenz zu Unterbrechungen von Rückbauprojekten führen können.

Beim Rückbau eines Kernkraftwerkes, wie zum Beispiel des Kernkraftwerks Brunsbüttel, fallen etwa zwei Prozent radioaktive Abfälle an. Sie müssen in speziellen Zwischenlagern auf dem Gelände der Kernkraftwerke gelagert werden und dürfen in keinem Fall auf Deponien gelangen. Weitere circa 96 Prozent der Abfälle können fast komplett in den Wirtschaftskreislauf zurück und recycelt werden, außer sie enthalten etwa Asbest und müssen deshalb deponiert werden. Schließlich sind weitere circa zwei Prozent nach einem strengen und von der Atomaufsicht kontrollierten Verfahren zu Beseitigung freizugeben, überwiegend auf Deponien.

Das 10-Mikrosievert-Konzept

Abfälle aus dem Rückbau von Kernkraftwerken müssen aus zwei Gründen deponiert werden: Wie auch in anderen Gebäuden und Industrieanlagen sind dort einerseits Materialien verbaut, die Schadstoffe wie PAK, PCB oder Schwermetalle enthalten oder als bautechnisch ungeeignete nicht recycelbar sind – beispielsweise verschiedene Dämmmaterialien, asbesthaltige Welldachplatten oder Setzsteine. Andererseits gibt es Abbruchabfälle, die eine geringe Restaktivität aufweisen und aus diesem Grund nicht in den Verwertungskreislauf zurückgeführt werden dürfen. Die Aktivität dieser Abfälle wird von unabhängigen Sachverständigen gemessen. Sie muss so gering sein, dass sie auf dem vorgesehenen Entsorgungsweg maximal zu einer effektiven Dosis im Bereich von zehn Mikrosievert im Kalenderjahr für die Bevölkerung führen kann – das sogenannte 10-Mikrosievert-Konzept. Die Grenzwerte dafür sind in der Strahlenschutzverordnung verankert. Nur wenn sichergestellt ist, dass Material bei einer Deponierung diese Grenzwerte einhält, darf es das Kernkraftwerksgelände verlassen.

Etwa 35.000 Tonnen zur Deponierung

2012 nahmen Schleswig-Holsteins Deponien der entsprechenden Qualität ein Gesamtvolumen von knapp 760.000 Tonnen an Abfällen verschiedenster Art inklusive Bauschutt auf. Zur Deponierung von Bauschutt und anderen Abfällen aus Kernkraftwerken fallen laut Landesregierung nach derzeitiger grober Abschätzung in den nächsten 22 Jahren etwa 35.000 Tonnen an. In Schleswig-Holstein kommen sieben Deponien für die Aufnahme des beschriebenen Materials prinzipiell in Frage. In nächster Zeit werden Sachverständige im Auftrag des Landes Schleswig-Holstein diese Deponien in Augenschein nehmen. Dabei prüfen die Experten, ob auf den jeweiligen Flächen die Einhaltung der maximal zulässigen Zusatzbelastung für alle beteiligten Personen und die Bevölkerung grundsätzlich gewährleistet werden kann. Laut Umweltministerium handelt es sich bei dieser Zusatzbelastung nicht um eine per se mit der Ablagerung eintretende Belastung, sondern um die äußerste, bei ungeplanten Verläufen theoretisch mögliche Belastung.

Bei der AG Entsorgung freigegebener Abfälle – eine Arbeitsgruppe aus Umweltverbänden, kommunalen Spitzenverbänden, Verbänden der Entsorgungswirtschaft und Kraftwerksbetreibern – herrscht allerdings noch keine Einigkeit über eventuelle Zwischenlager (Bunker) am Kraftwerks-Standort und die Endlagerung in einem Tiefenlager oder einem oberflächennahen Endlager. Konsens besteht prinzipiell über die Deponierung von Abfällen zur Beseitigung oder aus stofflichen Gründen. Unschlüssigkeit besteht jedoch angesichts der Optionen: Deponienutzung außerhalb Schleswig-Holsteins, eine neue Zentraldeponie in Schleswig-Holstein, die Errichtung neuer Deponien, eine „Nullvariante“ zur regulären Nutzung bestehender Deponien, die „Rückfallvariante“ zur Zuweisung an Betreiber von Abfallbeseitigungsanlagen oder die „Deponie plus“ zur Nutzung einer oder mehrerer Deponien?

Mengen „unbedeutend“

Als vorläufig beste Variante wird die „Deponie plus“-Lösung angestrebt. „Die Notwendigkeit oder auch Möglichkeit eines Übergangs von der einen zur anderen Variante kann sich dabei grundsätzlich während des gesamten Abbaupfades von mindestens 20 Jahren ergeben“, heißt es im Bericht der Arbeitsgruppe. Noch ist Zeit: Erst 2026 sollen die ersten 1.000 Tonnen zur Deponierung aus Brunsbüttel anfallen, während 3.000 Tonnen für 2029 vorgesehen sind. Für Uwe Meyer vom Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein ist die Menge an Abfällen zur Deponierung gegenüber den üblicherweise abgelagerten Abfällen ohnehin „unbedeutend“ und ihre Qualitäten entsprechen dem „Tagesgeschäft“. Allerdings wird 2029 mit 260.000 Tonnen zur Verwertung gerechnet.

Foto: pixabay

(EU-Recycling 10/2018, Seite 38)