Die neue Gewerbeabfallverordnung – mit neuen Pro­blemen und Schwachstellen

Die Gewerbeabfallverordnung schreibt zum Jahresbeginn 2019 den betroffenen Vorbehandlungsanlagen eine Sortierquote von 85 Prozent, eine Recyclingquote von 30 Prozent, bestimmte technische Mindestanforderungen und dezidierte Dokumentationspflichten vor. Werden damit die deutschen Ziele des EU Kreislaufwirtschaftspakets erfüllt? Die Referenten, die sich dazu auf der Recycling-Technik am 8. November in Dortmund äußerten, waren eher skeptisch.

Sylvia Lehmann (Tomm+C) erinnerte daran, dass es laut Abfallrahmenrichtlinie in den kommenden Jahren zunehmend höhere Recyclingquoten und erweiterte Getrenntsammlungen für bestimmte Siedlungsabfälle geben wird, die es zu berücksichtigen gilt. Zudem werde es eine neue Berechnungsmethode für Recyclingquoten von Siedlungsabfällen geben, sodass aufgrund der Neukalkulation die bisher angegebenen 67 Prozent ohnehin auf maximal 52 Prozent sinken werden.

Was das neue Gesetz anlangt, wird das Wertstoffpotenzial von hausmüllähnlichen Gewerbeabfällen auf 55 bis 60 Prozent geschätzt. Die Recyclingquote entsprechender Sortieranlagen dürfte zwischen 13 und 20 Prozent liegen; der Großteil von über 80 Prozent wird verbrannt. Zudem weisen Untersuchungen Störstoffanteile bis zu vier Prozent bei händischer Sortierung und zwischen elf und 48 Prozent bei mechanischer Sortierung aus; neuere Versuche lagen bei 20 Prozent. Somit ist nicht bekannt, mit welchen Prozentsätzen an Störstoffen und an vermarktbaren Wertstoffen – bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Recyclingquote von 30 Prozent – zu rechnen sein wird.

Kapazitäten neu schaffen oder modernisieren

Die Menge der gemischten Gewerbeabfälle beläuft sich auf rund sechs Millionen Tonnen jährlich, wovon 1,5 Millionen Tonnen (25 Prozent) getrennt erfasst und 4,5 Millionen Tonnen (75 Prozent) als Gemisch gesammelt werden. 0,9 Millionen Tonnen des Gemischs müssen in die thermische Verwertung gehen, während 80 Prozent – rund 3,6 Millionen Tonnen – in Sortieranlagen vorzubehandeln sind. Da bislang nur 2,7 Millionen Tonnen vorbehandelt wurden, müssen zusätzlich Kapazitäten für rund eine Million Tonnen geschaffen werden. Da nur zehn bis 15 Prozent der bisherigen Anlagen sich auf dem Stand der Technik befinden, müssen hierfür Kapazitäten für circa zwei Millionen Tonnen nachgerüstet werden. Insgesamt – so Sylvia Lehmann – sollten bis Ende 2018 Kapazitäten für drei Millionen Tonnen neu geschaffen oder modernisiert werden. Der bvse kritisiert, dass, solange der Vollzug nicht in Gang kommt, für die Anlagenbetreiber eine Investitionsunsicherheit besteht. Und der Verband kommunaler Unternehmen befürchtet gar eine Unterdeckung von Anlagenkapazitäten in Höhe dieser drei Millionen Tonnen jährlich.

Zur Unsicherheit von Investitionen kommt hinzu, dass die Wirtschaftlichkeit der Anlagen nicht garantiert werden kann. Denn ob Sortieranlage ohne Neuinvestitionen mit einer 15-prozentigen Recyclingquote oder nachgerüstete Sortieranlage mit 40-prozentiger Recyclingquote: Die Behandlungskosten in Höhe von 113 bis 118 Euro pro Tonne beziehungsweise 110 bis 115 Euro pro Tonne liegen über den Kosten von 100 Euro pro Tonne für die energetische Verwertung. Mit anderen Worten: Erst wenn die Wertstoffpreise fünffach erhöht werden, arbeiten die nachgerüsteten Anlagen vergleichsweise rentabel.

Keine Steigerung um vier Prozent

Voraussichtlich werden bis 2030 die Gewerbeabfallmenge geringfügig steigen, die Verbrennungspreise auf hohem Niveau und die Wertstoffpreise auf niedrigem Niveau verharren und die Überprüfung des Vollzugs der Gewerbeabfallverordnung durch die Bundesländer weiterhin dürftig ausfallen. Somit wird bis dahin mit einer Erhöhung der Recyclingquote für Siedlungsabfälle bestenfalls um 2,5 bis 3,0 Prozent gerechnet; die in der Begründung der Gewerbeabfallverordnung zugrunde gelegte Steigerung von vier Prozent ist so nicht zu erreichen. Damit werden die Maßnahmen laut Gewerbeabfallverordnung – nach der neuen Kalkulationsmethode – lediglich eine Erhöhung der Quote von 52 auf 55 Prozent bewirken; das 60-Prozent-Ziel des Abfallwirtschaftspakets für 2030 dürfte damit verfehlt werden. Sylvia Lehmanns vorläufige Bilanz: „Es bleibt zu fragen, ob der Aufwand in Anbetracht des angestrebten Nutzens der Verordnung als angemessen anzusehen ist.“

Ein großtechnischer Sortierversuch

Welche Gewerbeabfallmengen und welches daraus resultierende Recyclingpotenzial in der Praxis auftreten, ließ der Zweckverband Abfallwirtschaft Raum Würzburg untersuchen. Über die Ergebnisse der Studie, die im Einzugsgebiet des Müllheizkraftwerks Würzburg gewonnen wurden, berichtete Kreislauf-Expertin Katharina Reh (Fraunhofer Umsicht). Das Mengenpotenzial an Gewerbeabfällen im Einzugsgebiet wurde auf knapp 380.000 Tonnen beziffert. Der Wertstoffanteil der gemischten gewerblichen Siedlungsabfälle lag bei 63 Massenprozent, wobei die Qualitäten der Materialien von gering bis hoch reichten. Ein großtechnischer Sortierversuch ergab eine Recyclingquote von rund 17 Massenprozent, was in etwa der Recyclingquote von durchschnittlich zusammengesetzten Abfällen in Würzburg entsprach, sich aber stark von den vorgegebenen 30 Massenprozent der Gewerbeabfallverordnung unterschied.

Für die zu erwartenden Mengenströme wurden zwei Varianten unterschieden. Variante 1 geht von 379.600 Tonnen an ausschließlich gemischten Gewerbeabfällen aus, von denen 75.900 Tonnen aus der Vorbehandlung durch Sortieranlagen und 204.500 Tonnen (70 Prozent der Restmenge) zur energetischen Verwertung oder Beseitigung vorgesehen sind. Als Mengenstrom fürs Recycling verbleiben 99.200 Tonnen. In Variante 2 stehen 283.600 Tonnen an Gewerbeabfall-Gemischen und 96.000 Tonnen an getrennt gehaltenen Wertstoffen zur Verfügung. Nach Vorsortierung (56.700 Tonnen) und Restmenge zur energetischen Verwertung oder Beseitigung (151.100 Tonnen) bleiben 75.800 Tonnen fürs Recycling, woraus insgesamt 171.800 Tonnen an Recycling-Wertstoffen resultieren.

Wenig Auswirkung auf Stoffströme

Eine Betriebsbefragung im Frühjahr 2017 legte offen, dass insbesondere die PPK-Fraktion, Holz, Kunststoffe sowie Metalle getrennt erfasst werden. Allerdings variierten die Mengen der Mischabfälle zwischen 50 Kilogramm und sechs Tonnen pro Mitarbeiter und Jahr. Auch reichte der Aufwand zur Implementierung oder Verbesserung der Getrenntsammlung nur vom Aufstellen von Tonnen bis zur Nachsortierung, ging aber nicht darüber hinaus: Die Befragten erkannten kaum Potenzial für eine gesteigerte Getrennterfassung und auch keine Notwendigkeit zu einer Steigerung, da das Material als nicht marktfähig angesehen wurde. Daher waren auch keine Änderungen oder Verbesserungen im Sinne der Gewerbeabfallverordnung vorgesehen. Die Untersuchung kommt zum Schluss, dass die Recyclingquote durch Sortieranlagen erhöht werden muss, um den Anforderungen der Gewerbeabfallverordnung zu entsprechen. Durch stärkere Sortierpflichten und Auflagen für Vorbehandlungsanlagen werden zwar größere Mengen im Recycling und in der Nutzung von Ersatzbrennstoff-Fraktionen erwartet. Da sich jedoch die Getrennterfassung in den Betrieben an der Wirtschaftlichkeit der Materialien orientiert, werden zunächst geringere Auswirkungen auf die Stoffströme erwartet. Letztendlich hängt der Erfolg der neuen Gesetzgebung entscheidend davon ab, inwieweit der Vollzug seitens der Behörden garantiert werden kann.

Noch kein wirksamer Vollzug

Damit sieht es in Deutschland stellenweise schlecht aus, berichtete Sylvia Lehmann. Alleine in Nordrhein-Westfalen seien 1,8 Millionen Unternehmen, davon 330.000 aus dem Baubereich, vom neuen Gesetz betroffen. Die Umweltkanzlei Dr. Rhein aus Sarstedt wird zitiert, nach deren Darstellung es keine Regelkontrollen gebe, die Dokumentation bei den Erzeugern kaum stattfinde und nur 1.000 Abfallerzeuger überprüft worden seien. Noch im September 2018 hatte bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock von einem „fehlerhaften oder gar nicht vorhandenen Vollzug in den Bundesländern“ gesprochen. Noch habe kein wirksamer Vollzug bei den Abfallerzeugern stattgefunden und es gebe „offensichtliche Vollzugsdefizite“.

Wieso sind die Erfordernisse der Gewerbeabfallverordnung noch nicht im Bewusstsein der Erzeuger angekommen? Benjamin Bamgräber (Recyclingfüchse GmbH) machte dafür drei Faktoren verantwortlich. Punkt 1: Die Einführung der Datenschutz-Grundverordnung und die Anforderungen des neuen Verpackungsgesetzes hätten die Verordnung in den Hintergrund gestellt. Darüber hinaus werde die Getrennthaltungspflicht gegenüber der Einfachheit des Abfälle-zur-Verwertung-Behälters oft als Nachteil empfunden. Punkt 2: Es bestehe eine „Informations-Asymmetrie“ zwischen Abfallerzeugern und Entsorgern, die dazu führe, dass die Erzeuger die Möglichkeiten der Erfassung und Sortierung nicht kennen, die Marktpreise für Wertstoffe nicht verfolgen und auf umfassende gesetzeskonforme Beratung angewiesen sind. Punkt 3: Der Vollzug finde wenig und oberflächlich statt, weil eventuelle Verstöße in der Regel nicht verfolgt werden, allgemein gültige Kriterien und Checklisten nicht vorliegen und unklar ist, wie detailliert innerbetriebliche Leistungsprozesse zur Umsetzung analysiert werden sollen. Die mangelnde Umsetzung sei also vor allem ein Informationsproblem, das auch auf das Konto der Erzeuger gehe: Unter anderem seien die Informationen über die erwartende Qualität der Wertstoffe unklar, und es bestehe eine erschwerte Preisfindung und ein erhöhter Aufwand für Absicherung und Vertragsabschluss.

Der Erzeuger ist unterinformiert

„Der Erzeuger ist unterinformiert“, musste auch Sylvia Zimack (Meinhardt Städtereinigung GmbH & Co. KG) einräumen. Was aber auch dazu führe, dass die Gewerbeabfallverordnung strenger vollzogen werde, als es vorgegeben sei. So würden Ämter Dokumentationen schon jetzt nachfragen, obwohl das Gesetz erst im Januar 2019 greife, und Abfallerzeuger oder -besitzer glauben sich fälschlicherweise in der Pflicht, die Getrenntsammlungsquote bestimmen zu müssen. Besondere Hürden für die Erzeuger stellen jedoch die Vorbehandlungspflicht für Abfallgemische, deren Zuordnung bei Sperrmüll und verpackten Lebensmitteln problematisch ist, und die Pflicht zur Dokumentationserstellung dar, die die Erzeuger oftmals mangels Kenntnis nicht leisten können. Als besonderes Problem für die Entsorger dürfte sich die Datenübermittlung ihrer Sortierquote erweisen. Zwar muss keine Sortieranlage mit allen fünf Aggregaten zur Separierung ausgestattet sein, sondern kann Abfälle je nach Zusammensetzung an jeweils geeignete Anlagen weiterleiten.

Dennoch liegt die Verantwortung der Datenermittlung und -übermittlung beim ersten Anlagenbetreiber. Nicht nur, dass er den Daten hinterherlaufen muss: Ihm wächst möglicherweise die Aufgabe zu, bei Unterschreitung sowohl der Sortier- wie der Recyclingquote nach den Ursachen in nachgeschalteten Anlagen zu forschen – unter Umständen in verschiedenen Bundesländern. Wie das vertraglich geregelt werden kann, bleibt offen. Hinzu kommt, dass der Betreiber einer Vorbehandlungsanlage verpflichtet ist, binnen 30 Tagen die Bestätigung einzuholen, dass die ausgelieferten Abfälle entsorgt wurden: Das bedeutet nicht nur zusätzlichen organisatorischen Aufwand, sondern ist in dieser Frist auch kaum zu bewältigen.

In die falsche Richtung?

Alles in allem bescheinigte Sylvia Zimack dem neuen Gesetz den Willen zum Vollzug und die Absicht, die Vollzugsdefizite der vorherigen Gewebeabfallverordnung zu überwinden. Doch sie befürchtet, dass eine flächendeckende Überwachung der Umschlagplätze und kleineren Entsorger nicht realisierbar sein werde. Der Vollzug finde vor allem bei den Abfallerzeugern – wenn auch „überobligatorisch“ – statt. Das läuft offenbar in eine andere Richtung als in die vom bvse gewünschte. Der Verband hatte schon im Rahmen der Beratungen zur Gewerbeabfallverordnung den Vorschlag gemacht, Vollzugskontrollen bei den Müllverbrennungsanlagen stattfinden zu lassen. Denn es sei deutlich einfacher, „in rund 60 Müllverbrennungsanlagen in Deutschland Kontrollen durchzuführen als in zehntausenden gewerblichen Anfallstellen“.

Zu einer ähnlichen kritischen Beurteilung kam auch die Bestandsaufnahme zur Gewerbeabfallverordnung, die Reinhold Petri vom Regierungspräsidium Darmstadt am 7. November auf der Jahrestagung der Umweltakademie Fresenius in Dortmund vornahm. Er monierte, dass entgegen der Zielsetzung in bestehenden Zulassungsbescheiden oft der energetischen Verwertung Vorrang vor der stofflichen Verwertung eingeräumt werde. Merkte an, dass die Kriterien der wirtschaftlichen Zumutbarkeit und der technischen Unmöglichkeit im Alltag unterschiedlich ausgelegt würden. Gab zu bedenken, dass die betriebliche Entsorgungsstruktur und Betriebsorganisation kleiner und mittlerer Unternehmen oft nicht auf die neuen Erfordernisse eingestellt seien. Und auch er wies darauf hin, dass es KMU vielfach an Marktkenntnissen mangelt, sie im Vergleich zu Großunternehmen mit höheren Kosten zu rechnen haben und sie ihre Entsorgungsverträge zu ungünstigeren Konditionen anpassen müssen. Zur Abhilfe schlägt Reinhold Petri die Einrichtung eines „Katasters mit tauglichen Sortier- und Aufbereitungsanlagen“ auf Länder­ebene vor. Dessen ungeachtet vertritt er angesichts des jetzigen Stands der Regelung die Meinung: „Die Gewerbeabfallverordnung ist unter bürokratischen Laborbedingungen entstanden und berücksichtigt viel zu wenig den Entsorgungsalltag.“

Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de

(EU-Recycling 12/2018, Seite 6)

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