Omnibus-Regelungen: Tempo bei nachhaltiger Transformation beibehalten
Vereinfachungen von Nachhaltigkeitsregeln sind dann gut, wenn sie die Umsetzung praktikabler machen – und den Clean Industrial Deal dabei nicht schwächen. Unternehmen sollten unbedingt bei nachhaltigen Initiativen am Ball bleiben. Priorität hat die Datengrundlage.
Kennen Sie „Scharade“? Bei dem Ratespiel stellt eine Person pantomimisch einen Begriff dar, der vom Publikum erraten werden muss. Wäre dieser Begriff „Omnibus“, würde man versuchen, ohne Worte ein großes, schweres Fahrzeug mit vielen Sitzen und Fahrgästen zu beschreiben. Also das Gegenteil von dem, was die EU unter Omnibus versteht – für sie ist er etwas Kompaktes und Wendiges. Im übertragenden Sinne etwas, das Vereinfachung bringt.
Die beiden als Omnibus bezeichneten Pakete beziehen sich unter anderem auf Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD), Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) und CO2-Ausgleichsmechanismus (CBAM). Diese ähnlich gelagerten und besonders belastenden Gesetze werden zugunsten der Unternehmen geändert. Bei der CSRD werden beispielsweise rund 80 Prozent der Unternehmen aus dem Scope entnommen und die Zeitleiste der Reportingpflichten nach hinten verschoben.
Vereinfachungen sind gut, aber …
Der Omnibus ist die Antwort der Kommission auf den Druck aus der Wirtschaft. Unklar ist noch, welche Anforderungen zukünftig oder weiterhin seitens Kapitalmarkt kommen; Banken prüfen grundsätzlich immer häufiger Umweltrisiken. Was ist nun von den Paketen zu halten? Für sie spricht: Alles, was einfacher und verständlicher ist, ist auch praktikabler und führt eher zur Umsetzung und Zielerreichung. Positiv zu bewerten ist auch, dass unnötige Bürokratie abgebaut werden soll. Überbordende Belastungen gehören seit Jahren zu den größten Faktoren wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen, die sowohl Wettbewerbsfähigkeit als auch Innovationen bremsen. Zudem kosten sie viel Zeit und Geld.
Um wieder mehr Handlungsspielraum zu bekommen, sind Optimierungen und Nachbesserungen von Sustainability Compliance daher ein Schritt in die richtige Richtung. Jetzt kommt das „aber“: Der Clean Industrial Deal setzt auf eine beschleunigte Dekarbonisierung und Reindustrialisierung und gibt damit eine klare Haltung sowie einen konkreten Plan für Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Klimaschutz vor. Die Änderungen für die Sustainability Compliance dürfen nicht dazu führen, dass der Deal geschwächt und die industrielle Transformation zu nachhaltigem Wirtschaften gedrosselt wird. Sonst kommen in zwei, drei Jahren genau die gleichen Rufe.
Sustainability Roadmap entwickeln
Bleibt die Frage: Ist die Regulatorik wirklich das Problem – oder sind Unternehmen einfach nicht gut vorbereitet? Laut CDP, einer internationalen Non-Profit-Organisation, haben zwar 49 Prozent der europäischen Betriebe grundsätzlich Klimaschutzpläne, die sich am 1,5-Grad-Ziel orientieren. Doch weniger als fünf Prozent können nachweisen, wie sie diese erreichen und umsetzen wollen. Es fehlt eine konkrete Dekarbonisierungsstrategie und der Nachweis, dass ernsthafte Maßnahmen für die Transformation ergriffen werden. Da es durchschnittlich zweieinhalb Jahre dauert, eine solche 1,5-Grad-Strategie zu entwickeln, sollten Unternehmen ungeachtet der Änderungen am Ball bleiben.
Am Anfang einer nachhaltigen Transformation steht meistens das „Wie?“. Zur Beantwortung ist es wichtig, eine individuelle und zielgerichtete „Sustainability Roadmap“ zu entwickeln. Damit haben Unternehmen einen transparenten, ganzheitlichen und messbaren Fahrplan für die Transformation zu nachhaltigeren Produkten, Dienstleistungen, Prozessen und einer wertorientierten Unternehmensführung an der Hand. Nachhaltigkeitsziele werden dabei mit den übergeordneten Unternehmenszielen abgestimmt beziehungsweise daraus abgeleitet.
Sind die Ziele einmal gesetzt, bedarf es effektiver und effizienter Steuerungsmechanismen, in denen der Unternehmensbeitrag zur nachhaltigen Entwicklung messbar und transparent gemacht werden kann. Unternehmen sollten Kennzahlen für die Unternehmensführung (KPIs) identifizieren, die im Einklang mit den Sustainability Development Goals der UN sowie den ESG-Kriterien des Finanzmarkts stehen. Eine der wichtigsten Kennzahlen im Bereich der Nachhaltigkeit sind die CO2-Äquivalent-Emissionen. Nur wer die Unternehmens- und Produktemissionen kennt, kann ein transparentes, effektives und datengetriebenes Management zur Reduzierung und Vermeidung von Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette sowie über den gesamten Nutzungszyklus von Produkten implementieren. Das Stichwort hier ist eine nachhaltige und profitable Kreislaufwirtschaft.
Datenmanagement als Grundlage sämtlicher Initiativen
Der Schlüssel liegt in der Twin-Transformation: Der Verknüpfung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit – denn die macht Unternehmen nachweislich besonders zukunftsfähig. Die Grundlage bilden automatisierte Prozesse, fortschrittliche Technologien und Daten. Das Problem: Unternehmen nutzen ihre Daten weiterhin kaum und tauschen sie auch selten mit anderen aus.(1) Eine Studie der Förderbank KfW unterstreicht: Die wenigsten Mittelständler sind in Gesprächen mit Banken über Kredite darauf vorbereitet, spezifische Nachhaltigkeitsdaten bereitzustellen und zumindest einen von mehreren Indikatoren wie Strom-, Energie-, Wasserverbrauch oder Treibhausgasemissionen zu benennen.(2) Insbesondere kleine Unternehmen stellt die Erfassung ihres Nachhaltigkeitsprofils vor Herausforderungen.
Was ist also zu tun? Unternehmen sollten zunächst die für Berichterstattungen relevanten Daten in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance identifizieren. Folgende Datenpunkte sind dabei unter anderem zu berücksichtigen: Energieverbrauch und Treibgasemissionen, Wasserverbrauch und -management, Abfall- und Recyclingquoten, Lieferkette und Lieferantenmanagement, Engagement der Mitarbeitenden sowie soziale Auswirkungen. Im nächsten Schritt geht es um den Abgleich: Welche Daten liegen bereits vor und wo? Anschließend müssen fehlende Daten erfasst und entlang der Lieferkette zwischen allen Beteiligten ausgetauscht werden. Die Analyse großer Datenmengen verspricht daraufhin Effizienzsteigerungen mit entsprechender Ressourcenschonung. Weiterentwicklungen in Automatisierung, Internet of Things und künstlicher Intelligenz ermöglichen, Ressourcenverbräuche zu überwachen und zu steuern und Energieeinsparungen zu erzielen. Weiteres Potenzial liegt in datenbasierten Vorhersagen.
Ein einziges Ökosystem für alle Regularien
Im Idealfall haben Unternehmen keinen Flickenteppich an Softwarelösungen, sondern eine einzige, zentrale, in die bestehende ERP-Landschaft integrierte Plattform in Form eines ESG Data Hubs, die verschiedene Regularien vereint. Dazu gehören unter anderem ESG-Reportings wie CSRD, CBAM und EUDR, die Prüfprozesse („Due Dilligence“) zu den Lieferketten, Berechnungen des Carbon Footprints sowie Product Compliances wie der Digital Product Passport. In dem Hub werden die erforderlichen Daten aus den verschiedenen Unternehmensbereichen und der Wertschöpfungskette automatisiert verwaltet, analysiert und überprüft. So können Daten nahtlos ausgetauscht und für unterschiedliche branchenspezifische Anforderungen – Compliance-Anfragen, Risikoanalysen, Due Dilligence Erklärung, Nachhaltigkeitsberichte – verwendet werden. Ein weiterer Vorteil ist die Zusammenarbeit mit Lieferanten, die ihrerseits über entsprechende Schnittstellen Daten bereitstellen, Dokumente hochladen und Informationen teilen können. Zu empfehlen ist eine Plattform, die als Software-as-a-Service in der Cloud angeboten wird und innovative Technologien wie KI nutzt.
Unterstützung von der Nachhaltigkeitsstrategie bis zur Implementierung von Tools und Technologien bieten Beratungsunternehmen mit Management-, IT- und Branchen-Expertise. Gemeinsam kann die ökologische Transformation ganzheitlich und im Sinne des Clean Industrial Deal umgesetzt werden – ungeachtet dessen, ob der Omnibus wirklich wendig oder doch schwerfällig ist.
Von Alexander Appel, Manager im Bereich Sustainability Transformation, Management- und IT-Beratung MHP.
(1) bitkom-Studie 2024: „Deutsche Unternehmen nutzen ihre Daten kaum“
(2) KfW Research 2024: „Nur wenige Mittelständler können bislang Nachhaltigkeitsdaten bereitstellen“
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 05/2025, Seite 22 -Gastbeitrag-, Grafiken/Foto: MHP)