Zigarettenkippen-Recycling: In Deutschland rentabel?
Die Verwertung von Zigarettenresten, wie sie bislang und als Vorreiter in Nordamerika praktiziert wird, lässt sich nur schwerlich als reines und umfassendes Recycling bezeichnen. Sie bezieht mehrere Entsorgungswege ein.
Rund 50.000 Tonnen an Zigarettenrückständen – so schätzt das Nationale Gesundheitsinstitut im US-Bundesstaat Maryland – landen jedes Jahr in den Vereinigten Staaten im Abfall. 65 Prozent aller Kippen werden dort laut einer Studie der Non-Profit-Organisation Keep America Beautiful unsachgemäß entsorgt. Doch in Nordamerika schafft die als Warenzeichen eingetragene Cigarette Waste Brigade Abhilfe: Sie soll inzwischen mit über 7.000 Sammelstationen mehr als 41 Millionen Raucherabfälle gesammelt haben, die an ein Kompostwerk in North Carolina und an ein Recyclingunternehmen in Portland weitergeleitet wurden. Wäre Zigarettenreste-Recycling auch in Deutschland denkbar? Ein Gutachten lässt Zweifel daran aufkommen.
Der Aufruf der nordamerikanischen Zigarettenreste-Sammler bezieht sich nicht nur auf Tabak, Zigarettenpapier und benutzte oder unbenutzte Filter, sondern auch auf Asche, Kippen, Tabakbeutel, Aromaschutzpapier und durchsichtige Verpackungsfolien der Zigarettenschachteln. Wie diese Materialien am besten wiederverwertet sollten, untersuchten drei Experten des unabhängigen Consulting-Unternehmens PE International. Dabei betrachtete das Gutachten zugegebenermaßen weder Abläufe innerhalb der Werke, notwendiges Betriebskapital noch soziale Belange. Und es analysierte nur den Prozess bis zur Entstehung des Sekundärmaterials, ließ also die Marktchancen des Endprodukts unberücksichtigt.
Recycling am ehesten umweltverträglich
Auch sah das Expertenteam es als den Rahmen sprengend an, die – eine Studie des National Center for Biotechnology Information zählt 4.000 – Verbindungen im Zigarettenrauch zu untersuchen. Zudem musste es sich für Aussagen zu gefährlichen Elementen und organischen Verbindungen in den gebrauchten Filtern auf die vom Technologiebetreiber gelieferten Angaben beschränken. Außerdem beruhten die Daten zur toxischen Belastung des Endprodukts nicht nur auf Messungen, sondern auch auf Schätzungen des Technologiebetreibers. Dessen ungeachtet erstellten die Gutachter eine Liste der Inhaltsstoffe von Tabak, ermittelten die elementaren Zusammensetzungen von Papier, Tabak und Zellulose-Azetat-Fasern und stellten schließlich eine Tabelle auf, die die Gefahrstoff-Konzentrationen in Zigarettenfiltern widergibt. Diese Zahlen dienten in der folgenden Analyse von Entsorgungspfaden zum Vergleich der Umweltverträglichkeit von Verbrennung, Deponierung und Recycling/Kompostierung. Das Ergebnis dieses Vergleichs fällt zugunsten des Recyclings aus.
Drei Prozent deponiert
Als Input-Materialien für das Recycling von Zigarettenkippen fallen zehn Masse-Prozent Papier, 40 Masse-Prozent Tabak und Asche und 50 Masse-Prozent Zellulose-Azetat aus den Filtern an. Allerdings werden Zigarettenkippen mit einem Feuchtegehalt von rund fünf Prozent angeliefert und müssen zunächst durch Energiezugabe getrocknet werden. Danach passiert das Material einen Schüttelrost, der das Zellulose-Azetat von Papier, Tabak und Asche separiert. Die Verluste durch den Separationsprozess liegen bei etwa drei Prozent, die deponiert werden.
Durch diese Trennung entstehen pro Kilogramm Input 485 Gramm an Papier-Tabak-Asche-Gemisch, die in die Kompostierung gehen. Beim Kompostieren dieser drei Komponenten – so vermuten die Gutachter – werden die organischen Toxine während des Prozesses vollständig biologisch abgebaut oder bleiben im Kompost, bis er als Dünger eingesetzt wird; der Nikotingehalt kann während der Behandlung teilweise reduziert werden. Die enthaltenen Schwermetalle verbleiben im Kompost oder werden beim Ausbringen als Dünger freigesetzt.
An anderer Stelle räumen die Gutachter allerdings hinsichtlich Beeinträchtigung des Bodens ein, dass durch Cadmium und Quecksilber-Emissionen gesundheitsgefährdendes Potenzial entstehen kann, während Kupfer-Emissionen Gefahren für die Umwelt darstellen könnten. Wie dem auch sei: Das Endprodukt des Kompostierens soll als Dünger für Tabak und andere Pflanzen einsetzbar sein.
Pluspunkte bei recyceltem Polypropylen
Das Recycling der übrigen 485 Gramm an gebrauchten und ungebrauchten Zigarettenfiltern pro Kilogramm Input besteht darin, die Zellulose-Azetat-Fasern mit Polypropylen unter Zugabe von UV-Stabilisatoren und Farbstoffen zunächst zu vermischen und als Granulat oder in Form von Pellets zu extrudieren. Das Verfahren beruht darauf, das Zellulose-Azetat mit der Polypropylen-Schmelze zu dispersieren. Werden die beiden Materialien im Volumen-Verhältnis 1:1 gemischt, ersetzen 135 Gramm des dichteren Zellulose-Azetats 100 Gramm Polypropylen. Dabei schließt der Kunststoff das unbehandelte Zellulose-Azetat vollständig ein. Der Vorteil der Methode: Da Polypropylen weder kompostiert noch zerfällt, bleiben die im Zellulose-Azetat enthaltenen Toxine im Plastik; schlimmstenfalls sollen beim Einsatz des fertigen Produkts einige Stoffe an der Oberfläche austreten können. Ein weiterer Pluspunkt ergibt sich, wird das Verfahren mit recyceltem Polypropylen durchgeführt, das einen geringeren ökologischen Rucksack aufweist als primär gewonnenes Polypropylen.
Hinsichtlich möglicher Potenziale zur Versauerung, Eutrophierung, globalen Erwärmung, Süßwasserbelastung und der Gefährdung für den Menschen wird Recycling in der Schlussbeurteilung des Gutachtens mit „sehr gut“ oder „gut“ bewertet; schlechter schneidet das Verfahren lediglich beim Energieverbrauch ab. Allerdings merkt das Gutachten auch an, dass, würde die Schwermetallbelastung der kompostierten Masse der Bilanz des Recyclingpfades zugeschlagen, Recycling hinsichtlich Frischwasserbelastung und Gesundheitsgefährdung toxikologisch gesehen keinerlei Vorteile gegenüber der Deponierung hätte.
Freisetzung von Toxinen nur aufgeschoben
Dennoch gibt es für das Verfahren zur Zigarettenreste-Behandlung, wie es in Nordamerika betrieben wird, einige Schwachpunkte:
■ Auf Anfrage gibt der Technologieanbieter zwar an, dass die „Plastiktaschen am Gebrauchsende recycelt“ würden. Damit bleibt jedoch unklar, wie in welcher Form die Entsorgung des Aromaschutzpapiers – der genannten „metallisierten Zigaretten-Innenverpackungen“ – und der Klarsichtfolien aus Kunststoff vonstattengeht, die zusammen mit Tabak und Filtern in großem Stil gesammelt werden.
■ Vor der Vermischung mit Fasern aus Zellulose-Azetat muss das angelieferte Polypropylen im Recyclingwerk geschreddert werden. Hierzu wird nicht nur Energie benötigt, sondern es fallen auch rund drei Prozent Plastikabfälle an, die deponiert werden müssen, was die Ressourceneffizienz des Gesamtverfahrens verschlechtert.
■ Das Gutachten bezieht sich bei der Betrachtung über die Gesundheits- und Umweltverträglichkeit der Materialien auf ausgewählte Daten des Technologieanbieters und ermittelt Ergebnisse hauptsächlich rechnerisch. Hier würden amtlich erhobene Untersuchungen der aus Kompostierung und Recycling entstandenen Endprodukte Klarheit schaffen.
■ Der Einschluss der unbehandelten Zellulose-Azetat-Fasern in Polypropylen bietet keine endgültige Lösung. Wie das Gutachten kritisch einräumt, würde dies die Freisetzung von Toxinen in die Umwelt nur aufschieben und bis zum Produktende verzögern. Denn vorhandene Schadstoffe können bei Verbrennung des Produkts wieder freigesetzt werden.
Wirtschaftlichkeit des Verfahrens nicht nachgewiesen
Auch, ob die in Nordamerika praktizierten Verfahren in Deutschland Anwendung finden können, ist fraglich:
■ Die kompostierten Zigaretten-Reststoffe kommen nach Austrag mit Boden und Grundwasser in Kontakt. Bislang sind chemische Zusammensetzung und Auslaugungsverhalten des Düngers in Deutschland nicht bekannt. Ob die Werte den gegenwärtigen deutschen Anforderungen – LAGA 20 und Düngemittelverordnung – und den Auflagen der zukünftigen Mantelverordnung entsprechen, kann erst bei Überprüfung entsprechender Primär-Messdaten zweifelsfrei festgestellt werden.
■ Die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens ist nicht nachgewiesen. Dem Gutachten ist zu entnehmen, dass das Zigarettenreste-Recycling Granulate beziehungsweise Pellets hervorbringt. Und im Internet stößt man auf Hinweise, dass als Endprodukte Blumentöpfe und Gartenmöbel oder aus einem Granulatgemisch aus Polypropylen und Zellulose-Azetat im Verhältnis 90:10 Plastikhölzer und Plastikpaletten hergestellt werden, die nicht in Kontakt mit Lebensmitteln gebracht werden dürfen. Derartige Gegenstände wurden schon vor Jahren auf den deutschen Markt angeboten und gelten als ausgesprochene Downcycling-Produkte.
Kein reines Recycling
Die Verwertung von Zigarettenresten, wie sie bislang und als Vorreiter in Nordamerika praktiziert wird, lässt sich nur schwerlich als reines und umfassendes Recycling bezeichnen, denn sie bezieht mehrere Entsorgungswege ein. Beim Trocknungsprozess sollen etwa drei Prozent Abfall und bei der Aufbereitung von Polypropylen drei Prozent Reststoffe anfallen, die deponiert werden. Rund die Hälfte der Materialien wird kompostiert, ein Prozess, der in der Abfallhierarchie neben dem Recycling, aber als eigenes Verfahren steht. Und beim Recycling der anderen Hälfte der Input-Reststoffe fallen Produkte an, die eher dem Downcycling zugerechnet werden müssen. Deren Marktfähigkeit in Deutschland ist nicht erwiesen.
Foto: Roman Sigaev / fotolia.com
(EUR0216S24)