Kunststoffreste im Meer: Der große „Cleanup“ kann bald beginnen
Ein Forschungsprojekt untersuchte die Belastung verschiedener Meeresregionen, Größe und Zusammensetzung der Plastikabfälle sowie ihre örtliche Verteilung. Verschiedene Methoden der Prävention oder Extraktion von Kunststoffresten im Meer und unterschiedliche Vorgehensweisen zur Säuberung wurden hier abgewogen. Forschungsbedarf gibt es indes noch beim Recycling.
Rund acht Millionen Tonnen an Kunststoffen gelangen jährlich in die Ozeane, die mittlerweile mindestens 5,25 Billionen Teilchen enthalten sollen. Der Schaden, den maritime Plastikabfälle bei Industrie, Fischerei, Schifffahrt und Tourismus verursachen, beziffert die UNEP auf 13 Milliarden US-Dollar. So müssen allein die US-Bundesstaaten an der Westküste jedes Jahr zur Säuberung ihrer Strände an die 500 Millionen US-Dollar aufbringen. In der Region der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (APEC) fallen durch maritime Plastikabfälle jährliche Kosten für Fischerei und Schifffahrt in Höhe von 1,2 Milliarden US-Dollar an. Hinzu kommen Aufwendungen zur Strandreinhaltung, die mit 25.000 US-Dollar pro Tonne Kunststoff zu Buche schlagen.
Auch wenn der Zufluss von Plastikabfällen zukünftig eingeschränkt werden könnte, wären Aufräumarbeiten weiterhin notwendig, dachte sich 2013 der damals 19jährige Niederländer Boyan Slat. Er suchte einen Weg, die Ozeane von Kunststoffabfällen zu säubern, und wurde die treibende Kraft des Ocean Cleanup-Unternehmens. Das Ocean Cleanup Projekt startete mit einer breit angelegten, intensiven Machbarkeitsstudie. Sie versuchte, auf technische, ozeanografische, ökologische, schifffahrtsrechtliche, finanzielle und abfallbezogene Fragestellungen zur Meeressäuberung Antworten zu finden. Ein ganzes Jahr arbeitete ein Team von 100 Wissenschaftlern und Technikern an der Fertigstellung eines über 250 Seiten starken Reports.
70 Millionen Kilogramm für 317 Millionen Euro
Zusammengefasst ergab die Untersuchung, dass eine 100 Kilometer große Säuberungsfläche innerhalb von zehn Jahren den Großen Pazifischen Plastikabfall-Teppich zu 42 Prozent entfernen könnte. Konservativ geschätzt würden dadurch über 70 Millionen Kilogramm Kunststoffreste erfasst. Die geschätzten Kosten belaufen sich auf insgesamt 317 Millionen Euro, was umgerechnet 4,53 Euro pro Kilogramm Plastikabfall bedeuten würde. Kalkuliert wurde dabei mit einem durchschnittlichen Materialfluss von 1,2 Tonnen beziehungsweise 4,01 Kubikmetern pro Stunde bei 16 Betriebsstunden und einer Laufzeit von zehn Jahren. Im Einzelnen untersuchte die Studie die Belastung verschiedener Meeresregionen, Größe und Zusammensetzung der Plastikabfälle sowie ihre örtliche Verteilung. Verschiedene Methoden der Prävention oder Extraktion von Kunststoffresten im Meer und unterschiedliche Vorgehensweisen zur Säuberung wurden hier abgewogen. Dabei galt es die Strömungen und Bewegungen der Ozeane ebenso zu erfassen wie die unterschiedlichen Sinktiefen von Plastikpartikeln. Umweltbedingungen wie Wellencharakteristiken, Windstärke und Windrichtung waren neben der zu planenden Größe der Extraktionsflächen und der benötigten Zeit für die Säuberungen zu erforschen. Und das Wissenschaftlerteam musste sich Gedanken machen über Form, Material, Befestigung, Verkettung, Funktion und Effizienz der Barrieren, die die Kunststoffabfälle erfassen und sammeln sollten. Die Form der Schiffsaufbauten musste gefunden werden, um die gesammelten Kunststoffteile und -partikel lagern und für eine weitere Verwertung transportieren zu können. Gegenstand der Untersuchung waren auch die Umweltverträglichkeit der Barrieren und die CO2-Bilanz der gesamten Unternehmung.
Ein V-förmiges Netz aus schwebenden Barrieren
Diese Erkenntnisse und Feldversuche mit einer 40-Meter-Barriere in der Nähe der Azoren und im Hafen von Rotterdam führten schließlich zu der Frage: Warum soll man die Sperre durch den Ozean bewegen, wenn sich der Ozean durch die Sperre bewegt? Anstatt dem Gedanken nachzugehen, zum aktiven Abfischen des Plastiks Boote und Netze einzusetzen, entwickelte sich beim Ocean Cleanup-Team die Vorstellung eines V-förmigen Netzes aus langen, im Wasser schwebenden Barrieren: Sie erlauben den Meeresströmungen, das Abfallmaterial passiv zu sammeln. Ist der Kunststoff schließlich an einem zentralen Punkt konzentriert, kann er abgeschöpft und einer Verwertung zugeführt werden.
Unterhalb der schwimmenden Sperre taucht ein undurchlässiger Schirm ins Wasser. Die Hauptmenge des Wassers strömt unter dem Schirm hindurch, trägt alle schwimmfähigen Meereslebewesen davon und verhindert Beifang. Kunststoff, der leichter als Wasser ist, wird von der Barriere aufgehalten. Das einstellbare, trichterförmige Feld aus schwimmenden Barrieren leitet die Kunststoffteile in das Zentrum der Struktur, wo eine zentrale Plattform das Materialkonzentrat aufliest und bis zum Abtransport lagert. Ausgelegt auch für großflächige Anwendungen, können somit Teile und Partikel aus Millionen von Quadratkilometern aufgefangen werden.
Hauptsächlich bis zu zwei Metern Wassertiefe
Wie die Machbarkeitsanalyse zeigt, können mit diesem Barrieren-System in einer Tiefe bis zu zwei Metern über 90 Prozent aller kleinen Plastikteile (2-10 cm) und Microplastik (< 2 cm) erfasst werden; der Rest befindet sich in einer Tiefe unter zwei Metern. Mittlere (10-30 cm) und große Plastikfraktionen (> 30 cm) werden zu 88 Prozent an der Oberfläche (bis 0,25 cm Wassertiefe) und zu über zehn Prozent in einer Tiefe zwischen 0,26 und 0,50 Zentimeter gesammelt. Mehreren sogenannten Expeditionen, die wissenschaftlichen Untersuchungen dienten, folgten im November 2015 Modellversuche im Meeresforschungsinstitut der Niederlande (www.marin.nl) in Wageningen. Als nächster Schritt ist zunächst eine 100-Meter-lange Sperre für Kunststoffreste zu Testzwecken geplant, die 23 Kilometer vor der niederländischen Küste in der Nordsee installiert werden soll. Und noch in diesem Jahr will Ocean Cleanup ein größeres Projekt in Küstennähe in Angriff nehmen: Mit einer Spannweite von 2.000 und einer Länge von 2.300 Metern soll es „die längste schwimmende Konstruktion werden, die jemals auf dem Meer eingesetzt wurde“ – auch wenn sie erst zwei Prozent der endgültigen geplanten Barriere darstellen wird.
Die Frage nach dem Recycling
Eine Frage hat das Ocean Cleanup-Projekt bisher nicht ausreichend beantwortet: Wie werden die gesammelten Abfälle behandelt und verarbeitet? Die Machbarkeitsstudie räumt ein, dass Neumaterial ökonomischer als Recyclingkunststoff ist, will aber auch einen Trend zum verstärkten Plastikrecycling erkennen. Allerdings müssen die Autoren eingestehen, dass die dem Meer entnommenen Materialien nicht getrennt sind, verschiedenen Quellen entstammen, mit Bakterien, invasiven Arten oder giftigen Substanzen belastet sind und daher besondere Anforderungen an Recycling oder Wiederverwendung stellen. Darüber hinaus war bislang das Maß der Degradation des Materials durch Oxidation unbekannt, weshalb ein brasilianisches Labor mit entsprechenden Analysen betraut wurde.
Die Studie sah zunächst vier Verwertungswege – Wiederverwendung und Verbrennung ohne Energienutzung wurden ausgeschlossen – als mögliche Optionen zur Kunststoffbehandlung vor. Dazu zählten hochwertiges sowie minderwertiges stoffliches Recycling, die Verbrennung zur Energierückgewinnung sowie die rohstoffliche Verwertung, bei der das Material thermisch oder chemisch behandelt wird und zur Synthese neuer Polymere verwendet werden kann. Als bevorzugte Optionen zur Behandlung von maritimen Plastikabfällen schälten sich dann jedoch stoffliches Recycling und Pyrolyse heraus.
Die Kosten überwiegen die Einnahmen
Allerdings musste die Studie einräumen, dass bis dato keine materiellen Ergebnisse aus den maritimen Ozean-Teppichen vorlagen, sondern nur Kunststoff-Stichproben in Küstennähe untersucht wurden. Zudem war offen, welche Auswirkungen die Behandlung der Stoffe auf der Sammel-Plattform hat und welche Folgen die Aufbereitung durch Recycling, Verbunde oder Plasma-Vergasung tätigt. Darüber hinaus sollte untersucht werden, ob organische, schwer abbaubare Schadstoffe (POPs) abgebaut sind, sich im Verbrennungsgrus abgesetzt haben oder eine Vorbehandlung zum Ausschluss dieser Stoffe notwendig ist.
Nur in einem Punkt waren sich die Autoren der Studie sicher: „Auf Grundlage von Schätzungen der Kosten und des Kunststoff-Aufkommens in dem Meeren überwiegen die Kosten die Einnahmen bei hochvolumigen Verfahren wie Verbrennung oder Pyrolyse, aber es ist offen, welche finanziellen Aussichten mechanisches Recycling bietet; das sollte in einer späteren Phase untersucht werden.“
Foto: The Ocean Cleanup
(EUR0216S14)