Chancen für das Kunststoffrecycling in der Schweiz
Die Getrenntsammlung von Altkunststoffen beruht in der Schweiz auf Freiwilligkeit und privatwirtschaftlichen Initiativen. Dabei erweist sich die Einführung von Mischkunststoff-Erfassungssystemen als nicht vorteilhaft für das Recycling: Über 80 Prozent aller Materialfraktionen werden verbrannt beziehungsweise energetisch verwertet.
Mit durchschnittlich 700 Kilogramm pro Kopf und Jahr ist das Siedlungsabfallaufkommen in der Schweiz im europäischen Vergleich – rund 500 Kilogramm pro Kopf und Jahr – ausgesprochen hoch. Scheinbar starr hält das kleine Land mit 8,3 Millionen Einwohnern an seinem veralteten Abfallleitbild von 1986 fest, wonach Abfälle erst dann stofflich verwertet werden müssen, wenn die Verbrennung mit Umweltbelastungen verbunden ist. Seit 2001 gilt ein Deponierungsverbot, und im letzten Jahr kam das nationale Umweltschutzgesetz auf den Prüfstand. Eine Verpackungsverordnung existiert nur für Einweggetränke. Sie beschränkt den erlaubten Anteil an Einweggetränkeverpackungen im Abfall und sieht einen Pflichtpfand vor, falls die definierten Sammelquoten nicht erfüllt werden.
Tatsächlich ist die Recyclingquote allgemein seit 2005 gestiegen. Sie liegt heute bei 50 Prozent. Dazu haben Gesetze, Aufklärungskampagnen in der Bevölkerung und nicht zuletzt Optimierungsmaßnahmen bei den Getrenntsammelsystemen beigetragen. Die meisten der hier tätigen privatwirtschaftlichen Großunternehmen sind in der Non-Profit-Gesellschaft Swiss Recycling verbandsähnlich organisiert. Indes bleibt noch viel zu tun: Insbesondere hat das Land beim Kunststoffrecycling enormen Nachholbedarf.
Was die Kantone und Gemeinden entscheiden
Bei einem Pro-Kopf-Verbrauch von 125 Kilogramm machen die Kunststoffarten PE und PP über 40 Prozent des jährlichen Gesamtverbrauchs in der Schweiz von etwa einer Million Tonnen aus. Den größten Anteil stellen Verpackungen (37 Prozent), gefolgt von Kunststoffabfällen aus der Bau- (25 Prozent) und Automobilbranche (neun Prozent). Gerade mal zehn Prozent Altkunststoffe gelangen ins Recycling, und weniger als zehn Prozent werden zu Ersatzbrennstoff verarbeitet. Zu über 80 Prozent werden Kunststoffe in Müllverbrennungsanlagen – in der Schweiz Kehrichtverbrennungsanlagen genannt – zur Energieerzeugung entsorgt.
Kunststoffabfälle aus Haushalten zählen in der Schweiz zu den Siedlungsabfällen. Die Entsorgung obliegt den Kantonen. Viele Kantone haben die Zuständigkeit an die einzelnen Gemeinden delegiert, die demnach mitentscheiden können, ob und wer Kunststoffabfälle aus Haushalten sammelt. Derzeit haben zwei Prozent der Gemeinden Getrenntsammelsysteme für gemischte Kunststoffabfälle eingeführt. Weiter verbreitet sind hingegen Sammelsysteme für PET-Getränkeflaschen und expandiertes Polystyrol (EPS). Zudem werden vom Einzelhandel Verpackungen für Milchprodukte aus PE und seit 2014 auch übrige Kunststoffflaschen aus Haushalten gesammelt, wobei Fehlwürfe vorkommen: Andere Kunststoffverpackungen wie Tuben, Schalen oder Nachfüllbeutel müssen aussortiert werden. In den letzten Jahren haben sich einige Firmen etabliert, die Sammelsäcke für die Haushaltsentsorgung von Altkunststoffen anbieten. Die Säcke sind kostenpflichtig; durch das Bringsystem fallen die Preise aber relativ niedrig aus. Sortiert werden die Inhalte von Hand. Homogene Kunststoffe werden dann zu Granulat verarbeitet und Verbundstoffe sowie mindere Qualitäten als Ersatzbrennstoff eingesetzt. Etwa 50 Prozent der Wertstoffe können den Informationen nach stofflich wiederverwendet werden. Daneben gibt es diverse regionale und/oder spezifische Sammlungen von Kunststoffen aus Haushalten oder Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft. Alles in allem verfügt die Schweiz bis heute über kein flächendeckendes Sammelnetz für Kunststoffe beziehungsweise verschiedene Kunststoffarten.
Wie das Trennverhalten zunehmen könnte
Seit 2012 läuft in der Schweiz ein Pilotprojekt zum Getränkekartonrecycling, wobei allerdings nur der rückgewonnene Zellstoff zur Herstellung von Getränkekartons verwendet wird. Das enthaltene Polyethylen und Aluminium geht in die thermische Verwertung. In Bern wurden im Rahmen eines weiteren Pilotprojekts zehn Unterflur-Sammelstellen zur kostenlosen Entsorgung gemischter Kunststoffabfälle eingerichtet. Obwohl innerhalb eines Jahres 300 Tonnen Kunststoffabfälle zusammenkamen und das Erfassungssystem bei den Bürgern der Stadt Anklang fand, musste das Projekt bereits im Oktober 2012 wieder eingestellt werden. Und zwar aus folgenden Gründen:
■ Bei überfüllten Containern wurde das Material daneben abgelagert, was zu Verschmutzungen und Geruchsemissionen führte.
■ Zu gewissen Tageszeiten entstanden durch Großandrang Verkehrsprobleme.
■ Abfalltourismus: Auch aus den umliegenden Regionen wurden Kunststoffabfälle angeliefert.
■ Fehlwürfe und Missbrauch: Zum Teil wurden Restmüll, Textilien, PET-Getränkefalschen, DVDs und sogar Elektroaltgeräte entsorgt.
Nach den Erfahrungen mit dem Pilotprojekt richtete die Stadt Bern vier überwachte Sammelstellen für gemischte Altkunststoffe ein. Doch gemischte Kunststoffsammlungen bedeuten immer einen hohen Fremdstoffanteil mit dem Risiko der Cross-Kontamination und damit einer Qualitätsreduktion für Recyclingprozesse, die sich deshalb verteuern. Laut Marktbeobachtern würde das Trennverhalten der Bürger zunehmen und damit die Recyclingquoten steigen, wenn die Wertstoffe homogen und rein nach Fraktion gesammelt würden: Ist das Gemisch nicht mehr klar als recycelfähiger Wertstoff zu erkennen, wirft der Konsument vermehrt Fremdstoffe in den Sammelbehälter, so die Erklärung.
Zielkonflikte und meistens ein Nullsummenspiel
Die Schweizer Gemeinden müssen ihren Einwohnern von Gesetz wegen eine Sammlung für Altöl, Glas, Aluminium, Weiß- und Stahlblech, Grüngut sowie Metall- und Leichtschrott ermöglichen. Dies ist für die Gemeinden jedoch meistens ein Nullsummenspiel – finanziellen Mehrwert bringt ihnen die Separatsammlung in den wenigsten Fällen. Bei der Frage nach der erweiterten Separatsammlung durch das Angebot zusätzlicher Fraktionen entstehen nach Erkenntnis für die Gemeinde Zielkonflikte: Einerseits möchten sie ihrer Bevölkerung einen maximalen Dienstleistung anbieten, andererseits wollen sie minimale Eigengebühren. Zudem sind viele Gemeinden Miteigentümer der Kehrichverbrennungsanlagen, welche ihrerseits ein Interesse an ausgelasteten Verbrennungsöfen haben. Damit sind einige Gemeinden in der Schweiz per se nicht an neuen Getrenntsammlungen – vor allem an mengenreichen wie der Altkunststoffsammlung – interessiert. Ob eine Gemeinde Kunststoff sammeln möchte, kann sie gemäß Gesetz selber entscheiden.
Mit der Revision des Schweizer Umweltschutzgesetzes sowie der Technischen Verordnung über Abfälle sollen Getrenntsammelsysteme im Sinne der Kreislaufwirtschaft ganzheitlich gestaltet und nachhaltig aufgebaut werden. Ein Grundsatz lautet hier, dass die Getrenntsammlung in erster Linie auf dem Prinzip der Subsidiarität basiert. Die Zukunft der Separatsammlung von Kunststoff in der Schweiz könnte entsprechende Veränderungen bringen. Für beide Bereiche – Kunststoffflaschen aus Haushalten sowie Folien aus Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft – soll nach dem neuen Umweltschutzgesetz eine verbindliche Branchenlösung erarbeitet werden. Der Ganzheitlichkeit – die Akzeptanz der Ansprechgruppen wie auch der Politik – wird dabei Priorität eingeräumt.
Die Branchenlösung soll auch die Finanzierung und Rücknahme garantieren. Dabei werde darauf geachtet, dass möglichst geringe oder besser keine finanzielle Doppelbelastung entsteht: Das Recyclingsystem und die Separatsammlung müssten aufeinander abgestimmt sein. Der Einzelhandel soll aber nach wie vor freiwillig entscheiden können, ob er sich an der Finanzierung und Sammlung der Kunststoffflaschen beteiligen möchte. Idealerweise sollte das System dabei verursachergerecht mit vorgezogenen Recycling-Beiträgen (analog PET-Getränkeflaschen) finanziert werden. Das Recyclingsystem für Kunststoffflaschen aus Haushalten sollte ein flächendeckendes Rückgabeangebot für die Bevölkerung bereitstellen.
Auf keinen Fall, raten Experten, sollte bei dieser Lösung der bereits etablierte geschlossene PET-Getränkeflaschen-Kreislauf und damit das Bottle-to-Bottle-Prinzip beeinträchtigt werden. Vielmehr sollten Synergien zu den bestehenden Recyclingorganisationen genutzt werden; im Bereich der Logistik beispielsweise könnte dies ökologisch wie ökonomisch vorteilhaft sein. So wurde im Frühjahr 2015 die erste Schweizer Sortieranlage für Kunststoffflaschen in Frauenfeld im Kanton Thurgau eröffnet, die Kunststoffe nach Material und Farbe trennt und auf die bestehende Hohlkörpersammlung ausgerichtet ist.
Dem Artikel liegt der Beitrag „Kunststoffrecycling in der Schweiz – Herausforderungen und Trends“ von Patrik Geisselhardt und Anita Leuthold zugrunde. Erschienen in: Thomé-Kozmiensky, K. J.; Goldmann, D. (Hrsg.): Recycling und Rohstoffe, Band 8, Neuruppin 2015, ISBN 978-3-944310-20-6
Foto: PRS PET-Recycling Schweiz
(EUR0216S8)