Waste-to-Energy: Der Boom hält an in Großbritannien

Die Recyclingquote im Vereinigten Königreich liegt bei knapp 45 Prozent und könnte stagnieren. Denn das Land investiert gegenwärtig mehr in Waste-to-Energy-Anlagen, um den Deponierungsanteil unbedenklicher Siedlungs- und Gewerbeabfälle zu verringern. Das Geschäft mit Ersatzbrennstoffen floriert und hat sich zu einer Exportgröße entwickelt. 

Nach Angaben des britischen Marktforschungsunternehmens Key Note belief sich der Umsatz der Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft im Vereinigten Königreich im Jahr 2014 auf rund 11,1 Milliarden Pfund Sterling, umgerechnet etwa 13,8 Milliarden Euro. Das entsprach einem Plus von 4,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Für den Zeitraum 2015 bis 2019 sagt Key Note eine Zunahme des Branchenumsatzes von mehr als 20 Prozent voraus.

Im Jahr 2013 landeten laut Eurostat behandelte Kommunalabfälle zu 35 Prozent auf Deponien. Damit liegt das Vereinigte Königreich über dem EU-Durchschnitt von 31 Prozent, wobei ein zunehmender Anteil der Abfälle inzwischen verbrannt wird. 2012 betrug hier die Quote 17 und im Jahr darauf bereits 21 Prozent. Und sie wird allem Anschein nach weiter steigen: Der „Waste Management Plan for England 2013“ des britischen Umweltministeriums (Defra) sieht im Vereinigten Königreich die Schließung der Deponien und den Bau weiterer Energiegewinnungsanlagen auch aus Bioabfällen vor. Die geplanten Biogasanlagen sollen unter anderem mit Holz- und zum Teil auch mit Essensabfällen betrieben werden.

Allerdings mangelt es an Verarbeitungsmengen, wie die Studie „Anaerobic Digestion Market Update“ des Beratungsunternehmens Eunomia festgestellt hat: Die Getrenntsammlung und weitere Verwertung von Essensabfällen ist nicht umfassend geregelt, geschweige denn organisiert. Essensreste von Krankenhäusern oder Restaurants werden immer noch zuhauf im Hausmüll entsorgt. Das Abfalltrennverhalten ist in der britischen Bevölkerung ohnedies geringer ausgeprägt als beispielsweise in Deutschland. Auch wurden noch im vergangenen Jahr in englischen Supermärkten kostenlos Plastik-Einkaufstüten ausgegeben – rund acht Milliarden pro Jahr. Erst im Oktober 2015 übernahm England die im Jahr zuvor in Schottland eingeführte Fünf-Pence-Gebühr für jede Plastiktüte. Die Verordnung gilt für Supermärkte mit 250 und mehr Angestellten, nicht aber für kleine Läden. Wales und Nordirland haben seit 2011 beziehungsweise 2013 ähnliche Regelungen. Bei Verpackungen sind die Hersteller im Vereinigten Königreich zur Rücknahme und Wiederverwendung verpflichtet.

Kapazitäten werden voraussichtlich erhöht   

Die Green Investment Bank prognostiziert, dass sich der Anteil der thermischen Abfallbehandlung an der Restmüllverwertung von 20 Prozent im Jahr 2012 auf 56 Prozent im Jahr 2020 erhöhen wird (siehe auch EU-Recycling 03/2016, Seite 24 bis 25). Rund 4,7 bis 7,7 Millionen Tonnen Jahreskapazitäten sollen dafür zusätzlich in Großbritannien  geschaffen werden. Und das Unternehmen Suez Environnement geht sogar von einem Anstieg bis 2020 um jährlich 3,8 Millionen Tonnen und bis 2025 um jährlich 6,9 Millionen Tonnen aus. Durch die Verteuerung der Deponierung – die Gebühren sind zuletzt auf bis zu 97 Euro pro Tonne Abfall gestiegen – hat sich zudem die Herstellung von Ersatzbrennstoffen zu einem florierenden Geschäft und Exportgröße der britischen Wirtschaft entwickelt.

Wichtige Absatzmärkte sind hier Deutschland, Kontinentaleuropa und nicht zuletzt China, das in den vergangenen Jahren große Mengen an Kunststoff und Altpapier von der Insel eingeführt hat. Britische Abfallimporte lasteten den Informationen nach Ende 2015 die Kapazitäten der Müllverbrennungsanlagen und EBS-Kraftwerke in Deutschland nahezu aus. 2013 exportierte das Vereinigte Königreich 1,6 Millionen Tonnen Ersatzbrennstoffe – gegenüber dem Vorjahr ein Zuwachs von 80 Prozent.

Foto: Dr. Jürgen Kroll

Foto: Dr. Jürgen Kroll

Reformen für mehr Recycling wären notwendig

Während der Waste-to-Energy-Boom im Vereinigten Königreich aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren anhalten wird, könnten die Fortschritte beim Recycling stagnieren: 2014 lag der Anteil der recycelten Haushaltsabfälle bei 44,9 Prozent. In England waren es 44,8, in Wales 54,8, in Schottland 41,0 und in Nordirland 43,6 Prozent – jeweils bezogen auf das Gewicht. Daten zur Sammlung und Verwertung von Industrie- und Gewerbeabfällen veröffentlicht das britische Umweltministerium nicht. Im Jahr zuvor ermittelte Eurostat aufgrund dieser Tatsache lediglich einen Recyclinganteil von 28 Prozent – EU-Durchschnitt. Ziel der Europäischen Union ist, dass die Mitgliedstaaten bis 2020 mindestens 50 Prozent ihrer Haushaltsabfälle recyceln.

Reformen wären demnach notwendig, doch könnten die diesbezüglichen EU-Vorgaben hinfällig werden, sollte Großbritannien wirklich aus der Europäischen Union austreten: Am 23. Juni 2016 entscheiden die britischen Bürger über den Verbleib in der EU, und die Demoskopen rechnen mit einem sehr knappen Abstimmungsergebnis  – für oder gegen den Austritt. Im Fall des Brexit müssten die Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union auf eine neue politische Grundlage gestellt werden. Unmittelbar nach Bekanntgabe des Datums für das Referendum verlor das Pfund merklich an Wert. Der Austritt könnte nach Ansicht der Denkfabrik Open Europe einen Wohlstandsverlust von 56 Milliarden Pfund im Jahr sowie einen Wachstumsrückgang des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2018 auf unter 1,5 Prozent zur Folge haben.

Ein offener Markt für Investoren und Betreiber

Der britische Abfallentsorgungs- und Recyclingmarkt ist offen für ausländische Investoren und Betreiber. Zahlreiche Städte und Gemeinden arbeiten hier bereits mit privaten Anbietern von Technologielösungen und Dienstleistungen zusammen. Allerdings vergehen oft Jahre, bis die für ein Projekt notwendigen Umweltauflagen erfüllt und die Anwohneranhörungen abgeschlossen sind. Zu den Unternehmen mit ausländischer Kapitalmehrheit, die im Land präsent sind, gehören unter anderem Veolia sowie Sita UK (beide Frankreich) und FCC Environment (Spanien). Die M+W Group (Stumpf Group, Österreich) und Wheelabrator Technologies Inc (USA) engagieren sich beim Bau von Waste-to-Energy-Anlagen, und das dänische Unternehmen Dong Energy will aktuell in Lostock bei Bolton/Manchester eine Abfallbehandlungsanlage zur Biogas- und Stromerzeugung errichten.

Informationen zur britischen Entsorgungswirtschaft finden sich auf den Internetseiten der nationalen Environment Agency (www.environment-agency.gov.uk)  sowie des Branchenverbandes Environmental Services Association (www.esauk.org). Die Green Investment Bank gewährt für Waste-to-Energy- und Biogasanlagen Kredite – zuletzt für eine WtE-Anlage in Belfast (Nordirland). Ausschreibungen im Vereinigten Königreich folgen den EU-Richtlinien und werden unter anderem auf der Internetseite von Recycling & Waste World (www.recyclingwasteworld.co.uk) veröffentlicht. Informationen zum Wirtschafts- und Steuerrecht sowie zu Einfuhrregelungen, Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen sind auf der Internetseite von Germany Trade & Invest verfügbar www.gtai.de.

Quelle: Germany Trade & Invest/Annika Pattberg

Foto: Dr. Jürgen Kroll

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