Die Kompromissbereitschaft fehlt

Die Weiterentwicklung der deutschen Kreislaufwirtschaft war Thema der Rede, die Dr. Helge Wendenburg auf dem Kasseler Abfall- und Bioenergieforum am 11. April 2016 hielt. Seine positive Zukunftsperspektive mochten die folgenden drei Redner aus privater Entsorgungswirtschaft, Kommunalverband und  Sekundärrohstoffwirtschaft jedoch nicht teilen.

Aus Sicht des Bundesumweltministeriums sollen noch in dieser Legislaturperiode zentrale Weichenstellungen erfolgen, um die Nutzung von Sekundärrohstoffen weiter zu steigern. Bereits jetzt, erklärte BMUB-Ministerialdirektor Helge Wendenburg, habe das Bundeskabinett die erste Fortschreibung des Ressourceneffizienzprogramms (ProgRess II) verabschiedet. Auch sei die Bundesregierung bis Ende 2016 laut Kreislaufwirtschaftsgesetz dazu verpflichtet, den möglichen Wegfall der Heizwertregelung zu prüfen und zu beurteilen. Zudem liege der erste Arbeitsentwurf zu einem Wertstoffgesetz vor, dessen Eckpunkte sowohl den privatwirtschaftlichen wie den kommualen Interessen Rechnung tragen.

Helge Wendenburg

Helge Wendenburg

Die Zukunft, so Wendenburg, werde sich bei der Ausformulierung von EcoDesign und Produktgestaltung zeigen, die auf Dauer nicht ohne internationale Regelungen auskommen können. Im Sinne der Abfallhierarchie müssen dazu die Produktnutzungsphasen verlängert und der Materialeinsatz verringert werden. Hinzu kommen zukünftig eine zunehmende Sharing Economy und ein anwachsendes Re-Manufacturing, bei dem nicht der Verkauf von Geräten im Vordergrund steht, sondern die Serviceleistung der Geräte.

Prinzipiell an der Produktverantwortung festhalten

Die Bundesregierung, versicherte Wendenburg, halte am Prinzip der Produktverantwortung fest und vertrete die Ökologisierung bei der Behandlung von Wertstoffen. Im Einzelnen ging Wendenburg dabei auf das Wertstoffgesetz ein, das hinsichtlich einer tragfähigen Kompromissfindung überarbeitet werde. Auf die Novelle der Verordnung für Gewerbeabfälle, deren Recyclingquote von aktuell sieben auf 50 Prozent angehoben werden soll. Auf die Novellierung der Klärschlammverordnung, die übergangsweise die unmittelbare landwirtschaftliche Verwertung und danach grundsätzlich die Nährstoffrückgewinnung in mittleren und größeren Anlagen vorsieht. Auf die Mantelverordnung, die unter anderem langfristig die Behandlung von Bau- und mineralischen Abfällen regeln sollte. Und auch auf die zweite Verordnung zur abfallrechtlichen Überwachung, die das Profil von Entsorgungsbetrieben schärfen und durch die Einrichtung von Abfallbeauftragten neue Stellen schaffen will. Wendenburg abschließend: Nach wie vor bestehen Spielräume auf nationaler wie internationaler Ebene, um dem Ziel einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft näher zu kommen.

Peter Kurth

Peter Kurth

Eine starke mittelständische Struktur

Peter Kurth zitierte eingangs seiner Rede den nordrhein-westfälischen Umweltminister: „Umweltwirtschaft ist für das NRW-Bruttoinlandsprodukt wichtiger als Maschinenbau und Chemie zusammen.“ Diese Einsicht hat aus Sicht des BDE-Präsidenten in der Gesetzgebung aber noch nicht den geeigneten Niederschlag gefunden. Denn entgegen der hohen ökologischen Erwartungshaltung an die Umweltwirtschaft werden die ökonomischen Interessen ihrer mittelständischen Unternehmen beispielsweise durch die Umsatzsteuerbefreiung für Kommunen nicht berücksichtigt. Zwar liegt der Marktanteil der Großunternehmen in Deutschland im internationalen Vergleich auf sehr niedrigem Niveau, sodass auf eine starke mittelständische Struktur zu schließen ist. Doch zeigen die Zahlen zur Sammlung von Rest- und Bioabfällen inzwischen eine deutliche Marktverschiebung zugunsten der kommunalen Entsorger, wovon insbesondere die kleinen Unternehmen betroffen sind: So stieg von 2006 bis 2016 der Marktanteil der öffentlich-rechtlichen Akteure von 42 auf 60 Prozent, also um 43 Prozent, während im gleichen Zeitraum der Anteil der überregionalen Unternehmen von 49 auf 38 Prozent (-32 Prozent) und der der Privatunternehmen von neun Prozent auf zwei Prozent sank (über -75 Prozent).

Vorsichtiger Optimismus

Immerhin gibt es einer Umfrage zufolge vorsichtigen Optimismus in der Branche. Zwei Drittel der Unternehmen plant Erweiterungen, 42 Prozent erwarten eine Verbesserung der Auftragslage, eine Umsatzsteigerung von 37 Prozent gegenüber dem Vorjahr gilt als realistisch und ebenso eine Ergebnisverbesserung von über 50 Prozent. Allerdings würden staatliche Akteure zu 25 Prozent als  stärkster Wettbewerber angesehen, und ebenso werde Verstaatlichung neben Fachkräftemangel und Preisentwicklung als Topthema angesehen.

Mit dem neuen EU-Kreislaufwirtschaftspaket erklärte sich der BDE-Präsident als im Großen und Ganzen zufrieden. Doch forderte er von der EU-Kommission den konsequenten Vollzug bestehender Vorschriften. Entsprechend sollte sich die Vergabe von Fördermitteln, insbesondere für die Entsorgungs-Infrastruktur, strikt an der Abfallrahmenrichtlinie orientierten und an der fünfstufigen Abfallhierarchie ausgerichtet sein: Die Gelder sollten ausschließlich der Entwicklung nachhaltiger Abfallmärkte dienen und nicht dem Neubau von Deponien oder Verbrennungsanlagen.

Kritisch gegenüber Wertstoffgesetz

Dem deutschen Wertstoffgesetz gegenüber zeigte sich Kurth kritisch. Das Gesetz werde in der Menge nicht viel bewegen, es seien alle möglichen Absichten – einige gut, einige sehr schlecht – damit verbunden, und einige Bundesländer würden schon Beschlüsse fassen oder Änderungsanträge formulieren, bevor der Entwurf auf dem Tisch liegt. „Der BDE ist keineswegs gegen die gemeinsame Sammlung von Verpackungen und stoffgleichen Nichtverpackungen.“ Der Verband habe aber etwas dagegen, wenn unter dem Titel Wertstoffgesetz versucht werde, kommunalen Einfluss unterhalb der Ebene der konkreten Kommunalisierung aufzubauen. Ein Wertstoffgesetz, das seinen Namen verdiene, regelt keine Zuständigkeiten, sondern schafft einen Rahmen für mehr und besseres Recycling. Daher beurteile der BDE dieses Gesetz ausgesprochen „skeptisch“.

Auch die Stoßrichtung der Gewerbeabfallverordnung fand keine Zustimmung. Von den rund 40 Millionen Tonnen an Gewerbeabfällen würden 34 Millionen, also 85 Prozent, getrennt erfasst. Ob es sinnvoll ist, für die restlichen sechs Millionen Tonnen ein eigenes Gesetz zu schaffen, sei fraglich. Kurth plädierte vielmehr für einen stärkeren Ausbau der Getrenntsammlung, da die nachträgliche Sortierung und Aufbereitung von Gemischen aufwändig, teuer und technisch anspruchsvoll sei. Die größten Fortschritte hinsichtlich Ressourceneffizienz ließen sich an der Anfallstelle realisieren: „Wenn der Abfall erst einmal in der Anlage sei, ist es zu spät.“

Patrick Hasenkamp

Patrick Hasenkamp

Vollständige Privatisierung der Wertstoffentsorgung

VKU-Vizepräsident Patrick Hasenkamp konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Anforderungen des Verbands kommunaler Unternehmen an das Wertstoffgesetz. Ausgehend davon, dass sich die duale Parallelstruktur zur kommunalen Sammlung im Gegensatz zur Hausmüllentsorgung „aus einer Hand“ nicht bewährt habe, empfahl er die Schaffung einer kommunalen Sammelzuständigkeit inklusive Standardkostenvergütung seitens der Inverkehrbringer plus Zuschläge für Ausschreibungsaufwand und Vertragsmanagement. Die öffentlich-rechtliche Sammelverantwortung für Wertstoffe würde eine faire Beteiligung der Privatwirtschaft nicht ausschließen, da rund zwei Drittel der Sammelgebiete im Wettbewerb vergeben würden.

Allerdings konterkariere das Umweltministerium dieses System, indem es „eine vollständige Privatisierung der Wertstoffentsorgung“ verfolge, da Sammlung, Sortierung und Verwertung von Verpackungen und stoffgleichen Nichtverpackungen vollständig den Systembetreibern übertragen würden; den Kommunen blieben nur wenige und rechtlich kaum durchsetzbare Gestaltungsmöglichkeiten bei der Sammlung. Zudem seien ab 2020 Sammelmengen vorgegeben, die über ein Bringsystem mittels Wertstoffhöfen nicht zu erreichen seien. Neben einer Schwächung der Einflussmöglichkeiten öffentlich-rechtlicher Entsorgungsträger sei das Durchgriffsrecht auf ein Rügerecht reduziert worden, das öffentliche Vergaberecht werde auf die Systembetreiber nicht angewandt, und durch Zwischenschaltung einer Schiedsstelle sei der direkte Zugang zu den Verwaltungsgerichten versperrt. Kurz: Durch Ausweitung der Produktverantwortung auf stoffgleiche Nichtverpackungen wolle „der Arbeitsentwurf eine Privatisierung der Wertstoffe erzwingen“. Daher lehnt der VKU den Arbeitsentwurf ab.
Ja zum Wertstoffgesetz – bei fairem Wettbewerb

„Wenn wir eine Kreislaufwirtschaft in Deutschland wollen, brauchen wir ein Wertstoffgesetz. Nur so kommen wir weiter, wenn es darum geht, das Kunststoffrecycling zukunftsfest zu machen“, lautete das Credo von bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock. Doch obwohl es im Koalitionsvertrag steht, obwohl die Regierung ein Eckpunkte-Papier dazu ausgearbeitet hat, obwohl der BMUB es gegen den Widerstand der Kommunen vertritt und obwohl ein diskutabler Entwurf dazu vorgelegt wurde, komme das Gesetz nicht voran. Warum diese Hängepartie, warum keine Kompromissbereitschaft? Es gehe nicht um Erfassungsmenge, es gehe nicht um Qualität, es gehe nicht um Recyclingquoten und schon gar nicht um Ressourcenschutz: Es gehe darum, sich aus dem Wettbewerb zu stehlen und die Wertstofftonne in Eigenverantwortung zu betreiben, um später ohne Wettbewerb vermarkten zu können. Die Konsequenz: „Und wieder stehen wir ohne ein Gesetz da!“

Eric Rehbock

Eric Rehbock

Dabei würden laut Rehbock Sekundärrohstoff- und Recyclingunternehmen gesetzliche Rahmenbedingungen brauchen, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten: ohne kommunale Monopole oder Oligopole und ohne den alleinigen Zugriff von dualen Systemen auf die Wertstoffe. Eine zentrale Stelle sollte mit hoheitlichen Kompetenzen ausgestattet sein, um Kontrollfunktionen  übernehmen zu können. Zudem seien höhere Recyclingquoten nötig, die in einer ersten Stufe bei einer stofflichen Verwertungsquote von 70 Prozent und in einer zweiten Stufe nach Überprüfung bei 80 Prozent liegen sollen. Ein Wertstoffgesetz könnte für ein solch ambitioniertes Recyclingsystem den Weg frei machen.

Was die Gewerbeabfallverordnung anlangt, plädierte auch der bvse-Hauptgeschäftsführer für eine stärkere Getrenntsammlung an den Anfallstellen. Hier bestehe noch Potenzial, das durch stärkere Dokumentationspflichten für Mischabfälle realisiert werden könnte. Wenig Sinn sah er allerdings in den Mindestanforderungen an die Technik in Vorbehandlungsanlagen, die noch dadurch verschärft würden, dass der Einsatz gleichwertiger Aggregate untersagt ist: Da die Vorgaben keine Stoffstrom-spezifischen Unterschiede machen, müssten hier insbesondere Kunststoffarten aufwändig getrennt werden, die in nachgeschalteten Anlagen gezielter sortiert werden könnten. Von Vorteil zur Steigerung der energetischen Ausbeute wäre aber eine gezieltere Überwachung der deutschen Müllverbrennungsanlagen: Es sei in ökologischem wie ökonomischem Interesse, wenn aus nicht recyclingfähigen Abfällen Ersatzbrennstoffe hergestellt werden.

Unter dem Strich herrschte auf dem Forum lediglich Einigkeit darin, dass der Streit über einen legitimen Nachfolger der Verpackungsverordnung seit etlichen Jahren dauert und keine Lösung findet, diese eher verhindert. So auch diesmal. Prof. Klaus Wiemer, einer der wissenschaftlichen Leiter des diesjährigen Kasseler Abfall- und Bioenergieforums und Moderator der Sitzung, kommentierte die Vorträge kurz und knapp: „Das Podium war schon mal kompromissfähiger.“

Fotos: Dr. Jürgen Kroll

(EUR0516S6)