Gefährliche Abfälle: Die Kontrolleure rüsten auf
Ende letzten Jahres legte die EU-Kommission einen Bericht vor, mit dem sich der Umweltausschuss des EU-Parlaments aber erst am 18. April 2016 befasste. Dieser sollte die Entstehung, Behandlung und grenzüberschreitende Verbringung gefährlicher Abfälle und anderer Abfälle in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in den Jahren 2010 bis 2012 dokumentieren. Zusammengetragen aus den Protokollen der Mitgliedstaaten, lag damit eine umfangreiche, europaweite Untersuchung zu Sonderabfällen vor, die nichtsdestotrotz erhebliche Mängel in der Überprüfung offenkundig werden ließ.
Wie der „aktuelle“ Bericht ausweist, lag 2012 das Aufkommen gefährlicher Abfälle bei 76 Millionen Tonnen, rund vier Prozent unter dem Zeitraum 2007 bis 2009, aber um 26 Prozent über dem Aufkommen im Jahr 2000. Die größten Mengen produzierten 2012 Deutschland mit 17 Millionen Tonnen und Italien sowie Frankreich mit elf Millionen Tonnen. Den größten Anstieg hatte Zypern zu verzeichnen: Hier stieg die Abfallmenge zwischen 2010 und 2012 von 84.000 auf 480.000 Tonnen. Bulgarien hingegen reduzierte sein Aufkommen in diesem Zeitraum von 647.000 auf 160.000 Tonnen. Den offiziellen Zahlen zufolge wurden 2012 insgesamt 14 Millionen Tonnen notifizierte Abfälle aus der EU-27 verbracht, davon fünf Millionen Tonnen gefährliche Abfälle, was etwa sieben Prozent der insgesamt 2012 erzeugten gefährlichen Abfälle entspricht. Seit 2001 ist ein Anstieg dieser Transporte um 126 Prozent zu beobachten. Mit drei beziehungsweise zwei Millionen Tonnen zeichneten 2012 die Niederlande und Deutschland als Nationen mit den größten Ausfuhrmengen an notifizierten Abfällen verantwortlich, Frankreich und Italien mit 985 beziehungsweise 977 Tonnen an gefährlichen Abfällen.
Deutschland auf Spitzenplätzen
Im Jahr 2012 lag die Menge der in die EU verbrachten notifizierten Abfälle bei 17 Millionen Tonnen, die der gefährlichen Abfälle bei sieben Millionen Tonnen. Somit haben seit 2001 die Verbringungen von notifizierten Abfällen um 129 Prozent, von gefährlichen Abfällen um 127 Prozent zugenommen. Mit sechs Millionen Tonnen stand Deutschland an der Spitze der importierten notifizierten Abfälle, gefolgt von Frankreich mit zwei Millionen Tonnen; mit drei beziehungsweise einer Million Tonnen belegten die beiden Länder auch die Spitzenplätze für die Einfuhr gefährlicher Abfälle. Die Verwertung der in den Mitgliedstaaten verbrachten gefährlichen Abfälle ging von 89 Prozent im Jahr 2003 auf 69 Prozent im Jahr 2012 zurück; folglich wurde ein größerer Teil der Sonderabfälle beseitigt. 2012 übernahm Deutschland 41 Prozent der zur Verwertung in die EU-27 verbrachten gefährlichen Abfälle, während Frankreich 13 Prozent und die Niederlande zwölf Prozent übernahmen. Fast alle dieser Abfälle, die in die Mitgliedstaaten verbracht wurden, stammten aus anderen Mitgliedstaaten oder EFTA-Ländern; dies traf auf 97 Prozent der gefährlichen und 98 Prozent der notifizierten Abfälle zu. Der Anteil aus Nicht-OECD-Ländern war daher minimal. Für den Berichtszeitraum 2010 bis 2012 wurden in der gesamten EU-27 über 2.500 Fälle illegaler Verbringungen gemeldet, gestiegen von 700 im Jahr 2010 auf 1.000 im Jahr 2012. Die Zahlen könnten eine verbesserte Berichterstattung oder wirksamere Kontrollmechanismen der Mitgliedstaaten widerspiegeln, lassen aber auch die Vermutung zu, dass die Verstöße ohnehin zunehmen: Einem Bericht der European Union Network for the Implementation and Enforcement of Environmental Law (IMPEL) zufolge entspricht die Zahl illegaler Verbringungen durchschnittlich rund einem Viertel der Abfallbeschaffenheit. Das würde eine Verbesserung des Melde- und Kontrollsystems für grenzüberschreitende Gefahrguttransporte notwendig machen.
Stichproben: Mangelhaft und divergierend
Ohnehin hält der Report die Berichterstattung der Mitgliedstaaten über die Zahl der Stichproben für „im Allgemeinen mangelhaft und sehr unterschiedlich“. Einige Länder konnten die präzise Zahl der Überprüfungen nennen, andere nur berichten, dass Kontrollen durchgeführt wurden. In einigen Protokollen wurde lediglich die Gesamtzahl der Kontrollen aufgeführt, während andere Angaben über die Akteure der Prüfung oder Aufschlüsse über die Abfallbeschaffenheit enthielten. So gilt für Belgien eine Stichprobenkontrolle als einmaliger Akt, während darunter in Luxemburg ein sehr viel breiter angelegter Vorgang verstanden wird. Hinzu kommt, dass die Bericht erstattenden EU-27-Länder unterschiedliche Einheiten verwenden. Mehrere Länder gaben die Mengen illegal verbrachter Abfälle nicht in Tonnen, sondern in „Containern“ oder „Ladungen“ an. Eine Bestimmung der insgesamt illegal bewegten Abfälle war auf diesem Wege nicht möglich, sondern lediglich eine „Approximate Number of Recorded Illegal Shipments of Waste“ – eine „vermutliche Zahl“.
Doch es sind nicht nur die unterschiedlichen Angaben zu Stichproben, die die Aussagekraft des Berichts schmälern. Unter anderem wurden die Y-Codes des Basler Übereinkommens, die die zu kontrollierenden Abfallarten bezeichnen, in unterschiedlichem Umfang angewandt: Einige Länder verwendeten sie durchgehend zur Klassifizierung, andere benutzen sie nicht, und Dritte griffen auf nationale Codes zurück oder entschieden sich für die Codes des Europäischen Abfallverzeichnisses. Zusätzlich gab es vermutlich auch Diskrepanzen, die Mitgliedstaaten im Verständnis der Mengen haben. Sie könnten daraus entstehen, dass im Notifizierungsformular nach der „vorgesehenen Gesamtmenge“ von zu verbringenden Abfällen gefragt wird, während im Begleitformular die „tatsächliche Menge“ verbrachter Abfälle anzugeben ist. So ließe sich erklären, warum im Jahr 2011 die Menge der „eingeführten“ gefährlichen Abfälle um 17 Prozent über der Menge der „Ausfuhren“ lag. Für Abfälle, für die vor der Verbringung eine schriftliche Notifizierung und Zustimmung galt, betrug die Differenz fünf Prozent, für gefährliche Abfälle zehn Prozent. 2011 gab beispielsweise Luxemburg an, 103.000 Tonnen sämtlicher notifizierter Abfalle nach Deutschland ausgeführt zu haben. Laut deutschen Meldungen wurden im selben Jahr jedoch 498.000 Tonnen aus Luxemburg eingeführt.
Sieben Jahre Verzögerung
Dass derartige Probleme – zusätzlich zu einer „schlechten Datenlage bei illegalen Verbringungen und der unterschiedlichen Anzahl von Stichprobenkontrollen“ – existieren, streitet der Bericht keineswegs ab. Zusätzlich wäre zu kritisieren, dass der erfasste Kontrollzeitraum und der Zeitpunkt der Berichterstattung zu weit auseinanderklaffen. Die am weitesten zurückliegenden Zahlen zu grenzüberschreitenden Verbringungen datieren aus dem Jahr 2010. Der fertige Bericht der Kommission wurde dem EU-Parlament am 17. Dezember 2015 vorgelegt und kam am 18. April 2016 auf die Tagesordnung des Ausschusses für Umweltfragen des EU Parlaments – also sieben Jahre nach Erhebung der Daten. Hätten sich während dieser Zeit Zahl und Menge illegaler Verbringungen deutlich erhöht, wäre der Zeitpunkt rascher, effektiver Gegenmaßnahmen längst verstrichen. Doch es hat sich einiges bewegt: Im Mai 2015 einigten sich die Vertragsparteien des Basler Übereinkommens auf eine geänderte Vorlage für die nationale Berichterstattung der Parteien ab 2016, die sich allerdings noch nicht auf den nächsten dreijährlichen Bericht der Kommission für den Zeitraum 2013 bis 2015 auswirkt. Die neue Vorlage soll eine höhere Qualität der gemeldeten Daten sicherstellen, insbesondere in Bezug auf die Einstufung von Abfällen, wobei die Mitteilung der bislang vorgegeben spezifischen Codes für gefährliche Abfälle nicht mehr fakultativ ist.
Darüber hinaus gilt seit Jahresbeginn 2016 die Verordnung EU 660/2014, durch die der Ausdruck „stichprobenartige Kontrolle“ durch die allgemeinere „Kontrolle“ ersetzt wird; dies soll zur Vereinheitlichung der Berichterstattung durch die Mitgliedstaaten beitragen. Auch zielen die Änderungen darauf ab, den an den Kontrollen beteiligten Behörden mehr Befugnisse zu übertragen und sie in die Lage zu versetzen, zu entscheiden, ob ein beförderter Stoff oder Gegenstand Abfall ist und ob eine Verbringung als illegale Abfallverbringung betrachtet werden kann. Zusätzlich müssen die Mitgliedstaaten ab dem ersten Januar 2017 Kontrollpläne aufstellen: „Die Kontrollpläne sollten auf einer Risikobewertung beruhen und eine Reihe von Schlüsselelementen umfassen, nämlich Ziele, Prioritäten, das erfasste geografische Gebiet, Informationen über die geplanten Kontrollen, die den an Kontrollen beteiligten Behörden zugewiesenen Aufgaben, Regelungen für die Zusammenarbeit zwischen diesen an Kontrollen beteiligten Behörden in einem Mitgliedstaat, in verschiedenen Mitgliedstaaten sowie gegebenenfalls zwischen diesen Behörden in Mitgliedstaaten und in Drittländern, und Angaben zu den Schulungen der Kontrolleure sowie zu den personellen, finanziellen und sonstigen Ressourcen für die Umsetzung des betreffenden Kontrollplans.“ Ob mehr Bürokratie bessere Kontrollen garantiert, wird abzuwarten sein.
Foto: crjsmit / Pixabay
(EUR0616S6)