Die Planungssicherheit ist verloren gegangen

Die Preiserhöhungen der Schrottabnehmer lagen im Berichtsmonat Mai je nach Preisausgangsbasis im Vormonat und Zeitpunkt des Abschlusses bei 35 bis knapp 80 Euro pro Tonne. Diese weit auseinanderklaffende  Preisspanne hat zu entsprechenden Verwerfungen und zunehmender Ratlosigkeit im Schrotthandel geführt.

Bereits im April hatten die relativ gute Auftragslage der inländischen und europäischen Werke sowie die hohe Schrottnachfrage türkischer Verbraucher die Preisspekulation angeheizt. Ab der zweiten Aprilhälfte trieben einige Händler die Preise nach oben, indem sie im Vorgriff auf den kommenden Monat Aufschläge auf die Lagereingangspreise zahlten. Die Werke, deren Versorgung im April durchaus lückenhaft war, reagierten mit Sonderabschlüssen und unterstützten so die euphorische Stimmung. Die monatlichen Verhandlungen mit den Werken begannen dann Anfang Mai vielversprechend mit Abschlüssen am oberen Rand der vorgenannten Preisskala. Abschlüsse mit gegenüber April höheren Preisen von 60 bis 70 Euro gab es jedoch nur für wenige Händler in einem schmalen Zeitfenster in der 18. Kalenderwoche. Nachdem die türkischen Stahlwerke am 4. Mai die letzten Tiefseeladungen zu Spitzenpreisen bestellt hatten, zogen sie sich bis zum Redaktionsschluss komplett vom Markt zurück. Daraufhin schlossen alle westeuropäischen Werke ab der 19. Kalenderwoche schnell und unisono die Bücher.

Außerdem bot die sich abzeichnende hohe Lieferbereitschaft des Handels den Werken einen gewissen Spielraum für die weitere Preisgestaltung. Werke, die bis dato noch nicht eingekauft hatten, boten zum Teil nur noch Erhöhungen von 30 bis 50 Euro pro Tonne an. Händler, die in der ersten Einkaufsrunde nicht zum Zuge gekommen waren und noch Mengen platzieren wollten, konnten dies nur mit Abschlägen tun, da die Werke bemüht waren, die Spitzen um insgesamt rund 40 Euro pro Tonne abzubauen. Dieser Marktverlauf verstärkte die sowieso vorhandene Unruhe unter den Marktteilnehmern, denn der Preishöhepunkt war überschritten, bevor viele, die in Erwartung deutlich steigender Preise teure Bestände aufgebaut hatten, diese Lagermengen abbauen konnten. Dem Werkshandel bot sich zudem die günstige Gelegenheit, das eigene Werk mit Lagermengen zu versorgen und damit den Zukauf vom Handel zu verringern. Dennoch konnten nicht alle Werke mit den gewünschten Schrottmengen versorgt werden. Insbesondere in Regionen, in denen sich Exporteure Mengen für die Lieferungen in Drittländer beschafften, war der Schrott gesucht. Hinzu kommt, dass der Handel zum Teil logistische Probleme hat, die bestellten Mengen rechtzeitig den Abnehmern zur Verfügung zu stellen, da es an Frachtraum mangelt. Der Handel beklagte den trotz hoher Preise immer noch schlechten Schrottzulauf zu den Aggregaten, was auf das insgesamt rückläufige Altschrott­aufkommen zurückzuführen ist. Konjunktur- sowie ferien- und feiertagsbedingt war der Neuschrottentfall im laufenden Monat rückläufig. Der Berichtsmonat Mai war für alle Marktteilnehmer recht unübersichtlich, zumal die Planungssicherheit durch die hohe Preisvolatilität verloren gegangen ist und bei dem ein oder anderen schlaflose Nächte verursacht haben dürfte.

Grafik: bvse

Grafik: bvse

Nachbarländer

Die von italienischen Stahlwerken gezahlten Schrotteinkaufspreise waren ebenfalls sehr unterschiedlich und abhängig von der Auftragslage der Abnehmer. Sie bewegten sich wie in Deutschland bei 35 bis 70 Euro pro Tonne. In Italien, aber auch in den Niederlanden oder anderen europäischen Ländern nutzen die Werke die Abwesenheit der türkischen Nachfrager zu Preissenkungen. War dies nicht möglich, verzichteten einige Werke auf Mengen. Die den inländischen Lieferanten gewährten Preiserhöhungen von rund 50 Euro pro Tonne scheinen die Lieferbereitschaft derart erhöht zu haben, dass der Zukaufbedarf beispielsweise in Deutschland an Relevanz verlor. Im laufenden Monat senkten die Werke die Einkaufspreise um bis zu 25 Euro pro Tonne. Die Werke im Osten Deutschlands konnten mit Preiserhöhungen von rund 35 Euro pro Tonne Mengen aus Polen und Tschechien kaufen, da bei den osteuropä­ischen Händlern ebenfalls die Unsicherheit über das Marktgeschehen zunahm. Offiziell erhöhte der Verbraucher in Luxemburg seine Einkaufspreise je nach Sorte um 55 bis 60 Euro pro Tonne, wobei die Versorgung nicht optimal war. Bei den schweizerischen Werken konnten die Lieferanten 55 Euro pro Tonne mehr als im Vormonat erzielen. Der Zulauf zu den Verbrauchern war zufriedenstellend. Für Juni wird allgemein mit rückläufigen Preisen gerechnet.

Gießereien

An keinen Index gebundene Gießereien erhöhten ihre Einkaufspreise je nach Sorte und Werk um 30 bis 40 Euro pro Tonne. Qualitätssorten konnten darüber hinaus mit weiteren Aufschlägen verkauft werden. Der Bedarf war wie in den Monaten vorher abhängig vom Produktionsprogramm. Hersteller, die für die Automobilindustrie, insbesondere für den Lkw-Bau oder für die Schwerindustrie produzieren, klagen über mangelnde Auslastung und die vielen Gerüchte, die sowohl die Schrott- als auch die Roheisenpreise rauf und runter treiben.

China und Türkei tonangebend

Von Ende März bis Anfang Mai haben türkische Abnehmer die Schrottpreise und die Betonstahlexportpreise um rund 100 US-Dollar pro Tonne erhöht (siehe hierzu die Grafik links oben). Als Schrottpreisbarometer gelten die extrem volatilen Preise für chinesische Knüppel. Seit Anfang des Jahres haben türkische Stahlwerke diese Knüppel im Vergleich zum Vorjahr in einem nur noch sehr geringen Umfang zugekauft, weil sich die Chinesen auf sehr eigenwillige Weise vom Exportmarkt zurückgezogen haben. Die Gründe liegen in den seit Februar verbesserten Absatzmöglichkeiten im Inland und den zum Teil spekulativ nach oben getriebenen Stahlpreisen. In der Folge ließen sie bereits abgeschlossene Verträge mit türkischen Abnehmern platzen. Hinzu kommen Qualitätsprobleme bei gelieferten Mengen, durch die das Material nicht weiterverarbeitet, sondern eingeschmolzen werden musste.

Die Vorbehalte gegenüber diesen Halbzeugimporten sind bei den türkischen Kunden gewachsen. Dennoch sind sie ein ideales Preislenkungsinstrument für die Schrottbeschaffung in Drittländern. Die undurchsichtige Politik der chinesischen Knüppelanbieter führt zu extremen und kurzfristigen Preisreaktionen. Die im Moment sinkenden Knüppelpreise werden von den Schrottverbrauchern genutzt, um die Schrottpreise zu drücken, indem sie vorgeben, verstärkt chinesische Knüppel zulasten der Schrottbeschaffung kaufen zu wollen.

Sofern türkische Verbraucher jetzt chinesische Knüppel bestellen, werden sie diese nicht vor August bekommen. Der Schrottimportbedarf ist also nicht zu leugnen. Es besteht zwar immer die Möglichkeit, zusätzliche Knüppel aus den GUS-Ländern und dem Iran zu beschaffen; allerdings sind dort die für den Export zur Verfügung stehenden Mengen nicht mit denen aus China vergleichbar. Die Grafik oben zeigt außerdem, dass die türkischen Betonstahlhersteller ihre Produkte trotz der in diesem Jahr seit Ende Februar steil gestiegenen Schrottpreise mit positiven Erlösen absetzen konnten.

Deutschland, Basisjahr 2010 = 100, Quelle: Statistisches Bundesamt/Destatis, Grafik: EU-R

Deutschland, Basisjahr 2010 = 100, Quelle: Statistisches Bundesamt/Destatis, Grafik: EU-R

Keine klare Richtung

Die hohe Nervosität im Markt macht selbst Vorhersagen für den kommenden Monat nahezu unmöglich. Sicher ist, dass die Beschäftigungslage der deutschen Werke nach wie vor relativ gut ist. Türkische Werke müssen wieder kaufen, da sie ihren Bedarf für Juni noch nicht komplett eingedeckt haben und auch im Juli noch einige Mengen brauchen werden. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses kommt die Stimmung im Exportmarkt einem Mikadoeffekt gleich: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Wie ausgewogen Schrottangebot und -nachfrage tatsächlich sind, wagt kaum noch jemand zu beurteilen; daher dürfte der Juni auf alle Fälle ein interessanter Monat werden. Für Deutschland rechnet der Handel aufgrund der Entwicklung im Mai mit Preisanpassungen. Über den Umfang gibt es unterschiedliche Meinungen. Mit allzu hohen Anpassungen wird jedoch kaum gerechnet, weil dann die notwendige Schrottbeschaffung schnell schwierig werden könnte.

Redaktionsschluss 20.05.2016, BG-J/bvse

(Alle Angaben/Zahlen ohne Gewähr)

(EUR0616S32)