Marktverschiebungen werden das Altpapiergeschäft verändern

Der Negativ-Trend bei grafischen Papieren wird weiter anhalten, prognostizierte Per-Ove Nordström, Senior Expert bei McKinsey & Company (Schweden), beim 19. Internationalen bvse-Altpapiertag in Düsseldorf. Gleichzeitig versicherte er den mehr als 500 Teilnehmern, dass die Branche als Rohstofflieferant für die Papierindustrie wichtig bleibt.

Die Probleme im Segment der grafischen Papiere sind nach seiner Ansicht sowohl struktureller wie auch konjunktureller Natur. Die Auflagen von Zeitungen und Magazinen seien rückläufig und diese Entwicklung setze sich fort. Die Werbetreibenden nutzten außerdem zunehmend elektronische Werbeträger. Parallel hierzu führe die konjunkturell schwierige europäische wie weltweite Situation dazu, dass weniger Werbung im Printbereich platziert werde, so Nordström in seiner Analyse. Ganz anders stellt sich die Situation im Bereich der Wellpappe dar. Die weltweiten Produktionskapazitäten werden derzeit kräftig ausgebaut. Auch China engagiert sich und tritt als ernstzunehmender Wettbewerber im Markt auf. Nordström geht daher davon aus, dass sich die Unternehmen der Papierindustrie trotz der schwierigen Situation im grafischen Bereich aufgrund der deutlichen Steigerungen bei den Transportverpackungen wirtschaftlich erholen werden. Allerdings – auch das machte er deutlich – werden von dieser positiven Entwicklung vor allem international aufgestellte Konzerne profitieren.

Per-Ove Nordström: Die Nachfrage nach Altpapier wird größer (Foto: bvse)

Per-Ove Nordström: Die Nachfrage nach Altpapier wird größer (Foto: bvse)

Die Nachfrage nach Altpapier wird größer, ist der McKinsey-Experte überzeugt. Sein Argument: Gerade bei der Produktion von Transportkartonagen werde Altpapier als Rohstoff eingesetzt. Das zeige sich auch daran, dass 90 Prozent der neuen Kapazitäten auf Produktionsanlagen entfielen, die auf die Verarbeitung von Altpapier ausgelegt sind.

„In Europa gibt es genug Altpapier“

Dies war die Kernaussage von Bernd Scholbrock, Geschäftsführer der Papierfabrik Schoellershammer in Düren. In seinem Vortrag über die Versorgung der Papierindustrie in Europa unterstrich er, dass im Jahr 2014 die globale Papierproduktion bei 406 Millionen Tonnen lag (Deutschland: 22 Millionen Tonnen). Im gleichen Jahr wurden weltweit rund 236 Millionen Tonnen Altpapier erfasst, allein 15 Millionen Tonnen in Deutschland. Die Bundesrepublik ist seinen Worten zufolge in Europa nicht nur der größte Altpapiermarkt, sondern auch der größte Altpapierverbraucher.

Nach der Statistik wurde 2014 die größte Altpapiermenge – über 102 Millionen Tonnen oder 43 Prozent – in Asien gesammelt, gefolgt von Europa mit insgesamt mehr als 64 Millionen Tonnen (oder 27 Prozent) und Nordamerika mit über 50 Millionen Tonnen (oder 22 Prozent). Entsprechend waren auch die Dimensionen im Altpapierverbrauch (Umfang: 236,8 Millionen Tonnen): In Asien wurden fast 132 Millionen Tonnen Altpapier (oder 55 Prozent der Gesamtmenge) genutzt, während die europäische Papierindustrie (Mitglieder der Confederation of European Paper Indus­tries – CEPI sowie andere Länder) insgesamt 56,3 Millionen Tonnen (oder 24 Prozent) einsetzte.  Im Vergleich hierzu nutzten die nordamerikanischen Papierfabriken den (Sekundär-)Rohstoff Altpapier in bescheidenem Ausmaß, denn sie verbrauchten 2014 mit 30,5 Millionen Tonnen einen Anteil von lediglich 13 Prozent an der globalen Gesamtmenge. Wie Bernd Scholbrock weiter informierte, wurde der asiatische Altpapierbedarf von zusätzlichen 30 Millionen Tonnen im Wesentlichen durch Lieferungen aus Europa (hier existierte – statistisch gesehen – ein Altpapier­überschuss von etwa acht Millionen Tonnen) und Nordamerika gedeckt. 2015 war die Situation in Europa (17 CEPI-Länder plus Norwegen) vergleichbar, denn 76 Prozent der Exporte im Umfang von insgesamt 10,5 Millionen Tonnen hatten China zum Ziel.

Analysierte den Markt aus Sicht der Papierindustrie: Bernd Scholbrock (Foto: bvse)

Analysierte den Markt aus Sicht der Papierindustrie: Bernd Scholbrock (Foto: bvse)

Laut Scholbrock wird in Europa etwa die Hälfte des erfassten Altpapiers für den Verpackungsbereich benötigt, der gleichzeitig als „Schrittmacher“ für den Altpapierverbrauch fungiert. Dieser Trend wird sich seiner Meinung nach fortsetzen. In Anbetracht der angekündigten neuen Kapazitäten (vier Millionen Tonnen) in Europa, die innerhalb der kommenden drei bis vier Jahre in Betrieb gehen sollen, hält der Fachmann eine Materialverknappung für unwahrscheinlich, zumal Produktionsanlagen für grafische Papiere für den Verpackungsbereich umgebaut werden. Mit einer Altpapierrückgewinnungsquote von 70 Prozent werde die Auswirkung auf den europäischen Markt etwa 1,2 Millionen Tonnen betreffen, so Scholbrock, der davon ausgeht, dass die Altpapiererfassung in einigen europä­ischen Ländern steigen wird.

Für 2016 erwartet er keine Verknappung bei den unteren Sorten. Allerdings sagte er auch einen verstärkten innereuropäischen Wettbewerb um Material voraus, wobei der Preis eine größere Rolle spielen wird als bislang. Da die erfasste Menge an besseren Sorten nach den Prognosen zurückgehen wird, muss seiner Einschätzung zufolge künftig mit einer angespannten Marktlage für diese Qualitäten gerechnet werden.

Altpapierbedarf von China und Indien

Ranjit Singh Baxi, Chef und Gründer der britischen J & H Sales International Ltd. und Präsident des Bureau of International Recycling (BIR), verwies auf die aktuell niedrigen Frachtraten. Was die Altpapierlieferungen nach China angeht, so hat die Volksrepublik im vergangenen Jahr wieder mehr Altpapier aus dem Ausland bezogen. Im Vergleich zum Jahr 2014 (Einfuhrmenge 27,362 Millionen Tonnen) stieg die importierte Menge auf 28,860 Millionen Tonnen. Hauptlieferant war nach wie vor Amerika mit 14,439 Millionen Tonnen (Vorjahr: 14,271 Millionen Tonnen), wobei Europa aufholte und mit 8,884 Millionen Tonnen deutlich mehr als im Vorjahr (7,615 Millionen Tonnen) nach China exportierte. Von dem chinesischen Einkaufsverhalten in Europa profitierten vor allem die Händler in Griechenland (plus 137,44 Prozent auf 130,803 Tonnen), Spanien (plus 106,84 Prozent auf 688.856 Tonnen), Norwegen (plus 94,19 Prozent auf 46.878 Tonnen), Irland (plus 92,35 Prozent auf 265.016 Tonnen) und Frankreich (plus 80,92 Prozent auf 523.346 Tonnen). Deutschland lieferte mit 262.215 Tonnen 39,06 Prozent mehr Papier.

Ranjit Singh Baxi: Für Indien ist 2016 und 2017 ein Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent vorausgesagt (Foto: bvse)

Ranjit Singh Baxi: Für Indien ist 2016 und 2017 ein Wirtschaftswachstum von 7,5 Prozent vorausgesagt (Foto: bvse)

In seinem Vortrag über Europas Rolle als Altpapierlieferant hob Baxi zudem die anziehende Wirtschaftsentwicklung in Indien hervor, wo der Papierverbrauch mittlerweile auf 13 Millionen Tonnen angewachsen ist. Schon heute beträgt der Papierkonsum der rund 1,25 Milliarden Inder zehn Kilogramm pro Person und Jahr. Bis zum Jahr 2025 soll die indische Papierindustrie jährlich etwa 28 Millionen Tonnen Papier erzeugen; dies würde bedeuten, dass der indische Papierverbrauch jährlich um durchschnittlich 7,6 Prozent zunimmt. Das stärkste Wachstum wird in den Bereichen Verpackung, Druck und Schreiben sowie Hygiene erwartet. Wie Baxi weiter betonte, sind von den etwa 800 Papierfabriken in Indien fast 600 auf den Rohstoff Altpapier angewiesen, den sie für die Produktion von jährlich rund 6,5 Millionen Tonnen Papier und Wellpappenrohpapieren nutzen. Derzeit betrage der Altpapierverbrauch 7,9 Millionen Tonnen im Jahr. Da die indische Altpapiererfassung bei 3,7 Millionen Tonnen liege, müssten über vier Millionen Tonnen importiert werden. Die indische Papierindustrie nutzt den Angaben zufolge als Rohstoffe Holz/Bambus (Anteil: 35 Prozent an der Papierproduktion), landwirtschaftliche Rückstände wie Bagasse und Stroh (21 Prozent) sowie Altpapier (44 Prozent).

In diesem Zusammenhang riet Baxi den europäischen Unternehmen der Altpapierbranche, ihre Produktbasis zu verbreitern und neue Märkte zu erschließen. China werde zwar der Hauptmarkt bleiben, aber zu wettbewerbsfähigen Preisen bei sinkender Nachfrage. Dagegen seien Indien, Vietnam, Malaysia, Indonesien, Thailand und Südkorea aufstrebende Märkte.

Brigitte Weber

Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de

(EUR0616S14)