Behandlungskapazitäten: Nordeuropa steuert auf ein Überangebot zu

Während der letzten fünf Jahre hat sich der Markt für Restmüll von einem Markt, dessen Geografie vorwiegend definiert war durch Ländergrenzen, zu einem gewandelt, der tatsächlich europäisch genannt werden kann. Der Handel innerhalb der Mitgliedstaaten ist in Schwung gekommen, was Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der nationalen Behandlungskapazitäten hat. Welche, hat die neueste Ausgabe des Restabfall-Infrastruktur-Berichts der Beratungsagentur Eunomia untersucht.

Zurzeit wachsen die Mengen an Ersatzbrennstoffen und aus Festabfällen gewonnener Kraftstoffe und werden über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg gehandelt. So stieg beispielsweise der Export solcher Materialien im Vereinigten Königreich zwischen 2011 und 2015 von 250.000 auf 3,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Doch auch Staaten wie Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Irland, die Niederlande, Norwegen, Polen, Schweden, die Tschechische Republik und das Vereinigte Königreich sind aktiv in den Handel einbezogen.

Der Auslöser von Änderungen im gegenwärtigen Restmüllmarkt ist die EU Abfallwirtschafts-Richtlinie, die auf unterschiedliche Ist-Zustände bei Wiederverwendung oder Recycling in den jeweiligen Staaten trifft. Zudem gibt das Kreislaufwirtschaftspaket der Europäischen Union Recyclingquoten von 65 Prozent bis 2030 vor.

Hemmung durch kostengünstigere Deponien

Angesichts dieser langfristigen Vorgaben sind – insbesondere im Vereinigten Königreich und den Niederlanden – Anlagen mit neuen Kapazitäten zur Behandlung von Restmüll finanziell zum Abschluss gekommen und haben die Bauphase erreicht. Noch hemmt in etlichen Mitgliedstaaten die anhaltende Existenz von kostengünstigen Deponien die Exportmengen in Länder, in denen die Gebühren für Verbrennungsanlagen mit Energiegewinnung etwas höher liegen. Sind aber die Lager-Kapazitäten aus kommerziellen oder gesetzgeberischen Gründen nicht mehr verfügbar, ist es vermutlich rentabler, auf die bestehende Infrastruktur von thermischen Verwertungsanlagen zurückzugreifen, neben anderen Anlagen, die für die Herstellung von Ersatzbrennstoffen und Kraftstoffen aus Festabfällen einschließlich industrieller Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen und Zementwerken geeignet sind. Momentan verfügen die genannten elf Staaten insgesamt über eine „tatsächliche“ Kapazität zur Behandlung von Restmüll in Höhe von 104,4 Millionen Tonnen pro Jahr; „tatsächlich“ bedeutet Anlagen in Betrieb, Anlagen im Bau und Anlagen, deren Finanzierung vertraglich geregelt ist. Insgesamt stehen 383 Energy-to-Waste-Anlagen, 13 Einrichtungen mit Fortgeschrittener Umformtechnik (ACT), 103 Vorbehandlungswerke mit mechanisch-biologischer Behandlungstechnik (MBA), 73 Industrieemissions-Richtlinien-konforme Biomasse-Anlagen und 102 Zementwerke zur Verfügung.

Abfallaufkommen und Behandlungskapazitäten

Dabei liegt Deutschland mit 37.900 Kilotonnen pro Jahr vor dem Vereinigten Königreich mit 19.500 und Frankreich mit 14.500 Kilotonnen pro Jahr. Deutschland als Spitzenreiter verfügt über 105 Verbrennungsanlagen, 63 Einrichtungen zur mechanisch-biologischen Behandlung, 40 konforme Biomasseanlagen und 31 Zementwerke. Irland erreicht mit drei Verbrennungsanlagen und drei Zementwerken eine Gesamtkapazität von 1.100 Kilotonnen pro Jahr und bildet damit das Schlusslicht im Cluster.

Setzt man die elf nationalen Restmüllaufkommen zum „tatsächlichen“ Behandlungsvermögen in Relation, so werden große Unterschiede zwischen Staaten mit mehr Abfällen als Kapazität und solchen mit mehr Kapazität als Abfällen deutlich. Zur ersten Gruppe zählen Polen, Frankreich und das Vereinigte Königreich, deren Überangebot an Abfällen nur teilweise durch existente oder geplante Anlagen aufgefangen wird. Aus der zweiten Gruppe ragt Deutschland heraus, dessen enormes Abfallaufkommen durch ein leichtes Überangebot an Behandlungskapazitäten ausgeglichen wird. In den übrigen Nationen halten sich die – wesentlich geringeren – Abfallmengen mit bescheideneren Verwertungsmöglichkeiten die Waage.

Kapazitäten möglicherweise unterschätzt

Um zu einer Trendaussage zu kommen, waren einige Grundannahmen nötig. So wurde vorausgesetzt, dass alle Mitgliedstaaten die Vorgaben der Abfallrahmen-Richtlinie und des Kreislaufwirtschaftspakets mit einer Recyclingquote für Haushaltsabfälle von 50 Prozent (2020) und 65 Prozent (2030), für Gewerbeabfälle (65/75 Prozent) und für Industrieabfälle (75/85 Prozent) erfüllen oder dafür eine fünfjährige Verlängerung erhalten. Es wurde davon ausgegangen, dass die Haushaltsabfälle im nördlichen Europa aufgrund von Zuwanderung steigen, sich die Gewerbeabfälle vergleichbar entwickeln und die Industrieabfälle weitgehend unverändert bleiben werden. Kapazitäten durch Anlagen in sehr frühem Stadium der Planung oder noch unbekannte neue Einrichtungen wurden möglicherweise unterschätzt, aber bewusst nicht berücksichtigt. Und es wurde angenommen, dass keine bestehende Einrichtung vor 2035 geschlossen wird und im Bedarfsfall eine Einrichtung durch eine vergleichbare Anlage entweder ergänzt oder ersetzt wird – ein Trend, der sich in letzter Zeit an Energy-to-Waste-Anlagen in Europa erkennen ließ.

Ein Überangebot droht

Aufbauend auf diesen Annahmen und den Faktoren „zukünftiges Restmüllaufkommen“ und „Behandlungskapazitäten für Restabfälle“ kommt die Studie zu folgendem Ergebnis: Zurzeit besteht noch eine Kapazitätslücke an Behandlungsanlagen, die sich aus den noch vorhandenen Deponien ergibt. Diese Lücke beträgt aktuell 53 Millionen Tonnen und soll bis 2026 abgebaut sein. Danach dürfte bis 2030 ein Überangebot an Behandlungskapazitäten in Höhe von 13,6 Millionen Tonnen herrschen. Es soll bis 2035 auf 10,6 Millionen Tonnen sinken, was sich aus dem kontinuierlichen Anstieg an Abfallmengen in Verbindung mit keinem weiteren Zuwachs an Recycling erkärt.

Das Stadium der Überkapazität haben laut der Studie einige Staaten wie Deutschland, Schweden, Dänemark und die Niederlande bereits erreicht. Hier schafft somit jede weitere Anhebung der Recyclingquoten – den Anforderungen des Kreislaufwirtschaftspakets zufolge – zusätzlichen Bedarf an importierten Ersatzbrennstoffen oder an aus Festabfällen gewonnenen Kraftstoffen aus anderen Mitgliedstaaten.

Der Report kann kostenlos unter  http://www.eunomia.co.uk/reports-tools/residual-waste-infrastructure-review-10th-issue/ heruntergeladen werden.

Foto: Stefan Loss / fotolia.com

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