Für den Dialog von Kunststoff- und Recyclingwirtschaft
Der Entsorgungsexperte Michael Scriba brachte es auf den Punkt: „Wir dürfen das Thema Kunststoffrecycling nicht den Dilettanten überlassen – den Politikern auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene.“ Vielmehr müssen industrielle Hersteller und ausgewiesene Entsorger in einen Dialog treten, um für Kunststoffe praktikable Produktions- und Recyclinglösungen zu finden.
Die Tagung, auf der Michael Scriba diesen Standpunkt am 7. Juli in Iserlohn vertrat, hatte genau dies zum Ziel: den „Dialog von Kunststoff- und Abfall-/ Recyclingwirtschaft“ für die „Ressource Kunststoff – Zukunftschancen für NRW“.
In der nordrhein-westfälischen Kunststofferzeugung und -verarbeitung sind 950 Unternehmen (21 Prozent aller Unternehmen in NRW) mit 115.000 Erwerbstätigen (21 Prozent), einem Umsatz von 36 Milliarden Euro (19 Prozent) und einer Exportleistung von 22,5 Milliarden Euro (21 Prozent) tätig. Zur regionalen Kreislaufwirtschaft zählen 2.500 Unternehmen (22 Prozent) mit 65.000 Erwerbstätigen (24 Prozent), einem Umsatz von 25 Milliarden Euro (36 Prozent) und einem Exportvolumen von 2,4 Milliarden Euro (20 Prozent), erläuterte Jochen Hofmeister (Prognos AG). Und machte deutlich, wie zum gemeinsamen Produktkreislauf beider Branchen ein gemeinsamer Problemkreislauf gehört, der aufgrund wachsender Einsatzbereiche und Produkte zu einer steigenden Nachfrage nach Rezyklaten, aber auch zu Preisdruck und Qualitätsminderung geführt hat. Seine Empfehlungen: eine bessere Orientierung an Produkten und Problemketten, eine dauerhafte Abstimmung von Rezyklat-Angebot und -Nachfrage und ein kontinuierlicher Dialog der beteiligten Akteure.
Energetische Verwertung überwiegt stoffliche
Der Verpackungsanteil in allen verarbeiteten Kunststoffen beläuft sich auf 4,1 Millionen Tonnen und beträgt damit 35 Prozent. Davon stellt die Gruppe der Polyolefine mit PE-LD/LLD, PE-HD/MD und PP 44 Prozent und bildet die Grundlage des Kunststoffrecyclings in Deutschland, stellte Eric Rehbock (bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V.) klar. Die Menge der Kunststoffabfälle summiert sich auf insgesamt 5,67 Millionen Tonnen, darunter 1,1 Millionen privat entsorgte und knapp 200.000 Tonnen hausmüllähnliche, öffentlich-rechtlich entsorgte Gewerbeabfälle, 1,45 Millionen Tonnen Verkaufsverpackungen, die über die duale Systeme und Branchenlösungen entsorgt werden, 917.000 Tonnen Restmüll, rund 250.000 Tonnen aus Haushalten und 175.000 Tonnen Elektro(nik)schrott. Kunststoffabfälle werden praktisch nicht mehr deponiert. Ihre stoffliche Verwertung liegt mit 2,37 Millionen Tonnen (42 Prozent) noch immer unter der der energetischen mit 3,26 Millionen Tonnen (57 Prozent), die sich in rund zwei Millionen Tonnen für Müllverbrennungsanlagen und 1,23 Millionen Tonnen Ersatzbrennstoffe für Zementwerke und EBS-Kraftwerke aufteilt. Bei der stofflichen Verwertung spielt neben der werkstofflichen mit 2,23 Millionen Tonnen (41 Prozent an Gesamtverwertung) die rohstoffliche mit 50.000 Tonnen kaum eine Rolle. Die Entwicklung der Abfallverwertung zeige allerdings, dass seit 2006/2007 die energetische Verwertung mehr zugenommen habe als die werkstoffliche – ein Trend, den der bvse seit Jahren kritisiert.
Verpackungs- statt Wertstoffgesetz
Potenziale bietet die Wertstofftonne, die jährlich bis zu 580.000 Tonnen an Wertstoffen und durch stoffähnliche Nichtverpackungen 196.000 Tonnen an Kunststoffen beziehungsweise 57.400 Tonnen an Kunststoffverpackungen zusätzlich enthält. Diese werden über kein Wertstoffgesetz geregelt, sondern nach wie vor über den Gebührenhaushalt abgerechnet. Wie Rehbock ausführte, würden jedoch klare Rahmenbedingungen gesucht. Es sei ein „Verpackungsgesetz“ mit einer freiwilligen Wertstofftonne und entsprechend höheren Quoten in Aussicht, aufbauend auf einer Ausweitung der Lizenzpflicht auf Umverpackungen, einer möglichst flächendeckend eingeführten Wertstofftonne und einer gemeinsamen Erfassung von Leichtstoffverpackungen und Wertstoffen aus Kunststoffen und Metallen. Zudem sollten die werkstofflichen Recyclingquoten für Kunststoffe angehoben, das Verpackungsdesign ökologisch gestaltet, der Rezyklat-Einsatz erhöht und Standards zur Verbesserung des Kunststoffrecyclings festgelegt werden.
Gestiegene Anforderungen
Mit dem gestiegenen Bedarf nach Rezyklaten haben sich auch die Anforderungen an ihre Anbieter innerhalb der letzten 25 Jahre drastisch verschärft, verdeutlichte Uwe Ruster (Adam Opel AG). Während es 1990 bei der Opel AG zwei Zulieferer und vier spezifizierte PP-Qualitäten für Rezyklate gab, sind es heute 35 Zulieferer, 65 PP-, 75 PA-, 20 ABS/PC Misch- sowie diverse andere Rezyklat-Qualitäten. 220 Materialien zur Anwendung sind insgesamt verfügbar. Wo bislang für Gruppenspezifikationen von Kunststoffmaterialien nur technische Daten und keine Handelsbezeichnungen gefragt waren, sind jetzt Markennamen mit Spezifikationen zur einzigartigen Zusammensetzung jeder Güteklasse, eine leicht auffindbare und direkt zu identifizierende Spezifikationsnummer und die Versicherung, dass es das richtige Material für die Anwendung ist, vonnöten. Darüber hinaus müssen Rezyklat-Zulieferer unter anderem diverse Zertifizierungen nachweisen, auf bestimmte Kunststoffe spezialisiert sein, nur in Laboratorien mit Opel-Standards herstellen, ihre Quellen für Rohstoffe preisgeben und möglicherweise Teile zurücknehmen.
Typenreine Rückführung möglich
Die Unterscheidung von Regranulaten (umgeschmolzenes und granuliertes Mahlgut ohne Zusätze) und Regeneraten (mit Zusätzen) war Teil der Begriffsbestimmung zu Rezyklaten, die Michael Tesch (Kunststoffinstitut für die mittelständische Wirtschaft GmbH) vornahm. Als Beispiele für den Einsatz von Rezyklaten dienten Stoffstromanalysen wie die eines Unternehmens aus der Automobilbranche, das bei 2.000 Tonnen eingesetztem Material 168 Tonnen Ausschuss produziert, aus dem sich 60 Tonnen Mahlgut gewinnen lassen, durch das bei einem angenommenen Preis von drei Euro pro Kilogramm ein Erlös von 180.000 Euro zu erwirtschaften ist.
Ein Versuch zur mehrmaligen Materialrückführung ergab, dass durch lediglich anteilige Zugabe von Rezyklaten ein Verdünnungseffekt erzielt wird, bei der sich die Materialzusammensetzung nur noch geringfügig ändert. Innerbetriebliche Rückführungsquoten sollen bei Einhaltung der Güteklasse „typenrein“ von über 25 Prozent möglich sein. Allerdings müssten verstärkte Kunststoffe besonders betrachtet werden, da zunehmender Faserbruch die Qualität mindern kann.
Nur ohne PET-Schalen
Die Entwicklung und Ausstattung von Europas modernster Sortieranlage für Leichtverpackungen in Iserlohn präsentierte Michael Wieczorek (Lobbe Entsorgung West GmbH & Co. KG). Seit Januar 2015 verarbeitet die Anlage 95.000 Tonnen pro Jahr mit einer stofflichen Verwertungsquote von 45 Prozent und einer energetischen von 55 Prozent. Der Reinheitsgrad von Weißblech beträgt 82 Prozent, der von Aluminium 40 Prozent. Aus den gewonnenen Kunststoffsorten PE, PP und PS sowie den bereitgestellten PE-Folien können nachgeschaltete Aufbereiter und Verwerter reine Kunststoffe in Form von Regranulaten gewinnen. Lediglich PET-Schalen als Verkaufsverpackungen für Salate und Gemüse, die rund sechs Prozent des Inputstroms der Anlage ausmachen, sind nicht gerne gesehen: Sie sind aus diversen Materialien zusammengesetzt und lassen sich ausgesprochen schwierig und kostspielig trennen, müssen der Mittelkalorik zugeordnet werden und lassen sich nur energetisch nutzen.
Gute Nachfrage, zu geringes Angebot
In einem Markt mit sinkender Qualität des Inputmaterials und zu geringem Mengenangebot der Regranulate hat sich mtm auf gemischte Polyolefine konzentriert, die ausschließlich aus dem internationalen Post-Consumer-Bereich stammen und gleichmäßig verfügbar sind, erklärte Michael Scriba (mtm plastics GmbH). Die entstehenden Re-Polyefine aus anteiligem PP und PE werden als Dipolen- und Purpolen-Regranulate vermarktet. Doch der Markt leidet bei guter Nachfrage unter einem zu geringen Angebot; es fehlt an qualitativem Input. Bei mtm besteht das angelieferte Material zu 55 Prozent aus Verwertbarem sowie Wasser und Ersatzbrennstoff, rechnete Scriba vor. Die Konsequenz: Längerfristige Mengenaussagen können potenziellen Kunden gegenüber nicht getroffen werden. Der Anteil nicht-spezifikationsgerechter Mischkunststoff-Anlieferungen – und damit Vertragsverletzungen – soll zwischen 2005 und 2012 von knapp 40 auf über 80 Prozent gestiegen sein. Demgegenüber sollte die Politik mit höheren Recyclingquoten und weniger Verbrennung einen Rahmen schaffen. Sollte sie es nicht ermöglichen, muss es die Wirtschaft tun.
CFK-Wiedereinsatz vor Hindernissen
Der anschließende Vortrag von Thorsten Leopold (Henkel AG & Co. KGaA) stellte Vorteile und Notwendigkeiten von recyclinggerechten Verpackungen aus Rezyklaten heraus. Auf die Eintrittsbarrieren für Recyclingmaterialien mit Kohlenstofffaser-Basis machte daraufhin Falk Ansorge (Toho Tenax Europe GmbH) aufmerksam. Seine Erkenntnis: Neben Qualitätsstandards, Verfügbarkeit von Materialmengen, Kosten von Auf- oder Umbauarbeiten gegenüber Marktpreis kann das zu erwartende Risiko eines Recyclings zum Hindernis werden.
Mangelnde Marktoffenheit sowie fehlende politische Auflagen, die keine Notwendigkeit für Recyclingprodukte schafft, könnten hinzukommen. Dass deren Einsatz in der Praxis möglich ist, zeigen die Verwendung eines Vlieses aus Stahl und Recycling-Kohlenstoff-Faser in der Sitzlehne von Flugzeugen und Carbon/Peek-Platten in der Rumpfstruktur eines Airbus A350. Damit CFK-Materialien zukünftig stärker zum Einsatz kommen, müssen laut Falk Ansorge die Wertschöpfung erhöht, neue Märkte erschlossen und die gesetzlichen Rahmenbedingungen verschärft werden.
CFK-Rezyklate: Kostengünstig durch Pyrolyse
„Eine Studie, die wir 2007 in Auftrag gaben, ergab eine Menge von 500.000 Kilogramm CFK am Markt, aus denen Carbonfaser als hochwertiger Rohstoff zum Preis von 20 Euro pro Kilogramm zu gewinnen waren“, berichtete Tim Rademacker (CFK Valley Stade Recycling GmbH & Co. KG). Allerdings wollten die Kunden das Wort „Recycling“ nicht hören, sodass sich die CFK Valley Stade Recycling GmbH auf den Wiedergewinnungsprozess und die carbonNXT auf die Vermarktung der Kunststofffasern konzentrierte. Mittlerweile ist der Input auf 1.500 Tonnen hauptsächlich aus Produktionsabfällen angewachsen, die vorwiegend per Pyrolyse verarbeitet werden, das als das kostengünstigste Verfahren angesehen wird. Andere Verfahren wie Solvolyse, elektrodynamische Fragmentation und Flüssigbad-Recycling befinden sich noch im Labormaßstab. Das Endprodukt, so Tim Rademacker, enthält die Verbundfaser komplett in der Länge, in der sie vor der Behandlung waren und steht einer Neuware verschiedener Hersteller in nichts nach. 2017 will das Unternehmen in der Lage sein, Interieur-Anwendungen für Flugzeuge zu liefern.
Von Null auf 2.750 Euro
Über den Stand der Technik beim Recycling von Galvanikabfällen informierte Martin Schlummer (Fraunhofer IVV). Deutschlandweit, so wird geschätzt, fallen jährlich 1.000 bis 2.000 Tonnen Ausschuss an galvanisierten Kunststoffen mit Anteilen von 12 bis 20 Prozent Nickel, Kupfer und Chrom an. Ihr Verkaufswert liegt zwischen Null und 800 Euro pro Tonne, der Marktwert für Neuware etwa bei 3.000 Euro. Als Verwertungsalternativen stehen Vermahlung oder Laugung zur Verfügung; bei beiden Verfahren muss sich der Verwerter zwischen 50 Prozent Metall- oder 50 Prozent Kunststoff-Gewinnung beziehungsweise -Verlusten entscheiden.
Beim ersten (FiltraSolv-)Konzept kamen Lösungsmittel oder alternativ: Weichmacher, hochflüssiger Kunststoff und Regranulat zum Einsatz. Im Ergebnis erzielte das Metall einen Wert von 1.500 bis 2.000 Euro, während der Kunststoff sofort einsetz- und sogar galvanisierbar war. Doch wurden die Unwirtschaftlichkeit der Regranulatzugabe und der industriellen Umsetzung kritisiert. Beim zweiten Konzept bestand der Galvanikabfall zu 75 Prozent aus Metall und zu 25 Prozent aus ABS, die der CreaSolv-Prozess zu einem Kupfer-Nickel-Chrom-Komplex im Wert von 3.000 Euro pro Tonne und einem Kunststoff-Rezyklat im Wert von 2.000 Euro pro Tonne aufbereitete. Der Summe von insgesamt 2.750 Euro stehen Konversionskosten in Höhe von weniger als 900 Euro pro Tonne gegenüber. Eine hochwertige Verwertung wäre also möglich; da die Vermarktung der potenziellen Mengen jedoch noch nicht realisiert wird, wird über eine Verwertungsplattform nachgedacht. Der Abschluss der Vortragsreihe erfolgte durch Michael Heyde (DSD Resource GmbH), der die Herausforderungen an für Closed-Loop-Recycling geeignete Rezyklate skizzierte.
Foto: Starlinger
(EUR0816S16)