Fördertechnik: Teilweise schon „Industrie 3,5“

Die vernetzte und sich selbst organisierende Fabrik – das ist die Idealvorstellung der „Industrie 4.0“. Als Herausforderung an das produzierende Gewerbe trifft sie nur in Teilbereichen auf die Fördertechnik zu. Doch haben in den letzten Jahren auch hier Innovationen und Entwicklungen Einzug gehalten.

Die Vernetzung von Produktionseinheiten setzt – insbesondere bei Stetigförderern wie Rollenbahnen oder Gurtförderern – kleine und leicht versetzbare Elemente voraus, die sich zu größeren Einheiten kombinieren lassen. Und die ebenso flexibel wieder demontiert werden können. Die vermutlich bekannteste Lösung ist der FlexConveyor, ein Gemeinschaftsprodukt von Flexlog GmbH und Gebhardt Fördertechnik GmbH. Der FlexConveyor besteht aus einem Baukasten mit verschiedenen Fördermodulen, die sich flexibel im Plug & Play-Verfahren miteinander verbinden lassen. Jedes Modul ist dazu mit einer eigenen vernetzbaren, intelligenten Steuerung – der FlexBox – ausgestattet und übernimmt gemeinsam mit allen FlexBoxen im System die Funktion eines Materialflussrechners. Damit können innerhalb kürzester Zeit auch komplexe Förderanlagen geplant, installiert und in Betrieb genommen werden. Auf der 23. Deutschen Materialfluss-Kongress erhielt dieses System den VDI Innovationspreis Logistik 2014, und auch die Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg honorierte den „Fördertechnik-Baukasten“.

Planungsoptimierung, Anpassungsfähigkeit, Störfallkompensation, Qualitätsmanagement und Einfachheit der Bedienung beschreiben die Vorteile des FlexConveyor. Doch noch entspricht der Automatisierungsgrad des Systems längst nicht den Ansprüchen einer sich selbst organisierenden Fabrik, die dem Trend nach verkürzten Produktlebenszyklen nachkommen und individuelle materialflusstechnische Lösungen anbieten können muss. Nach Vorstellung von Ludger Overmeyer (Universität Hannover) gehören dazu neben reinen Transportaufgaben auch Ausschleusungen, Richtungsänderungen und individuelle Zielfindungen. Idealerweise erfüllen diese Aufgabe koppelbare, kleinskalige Module, die in alle Richtungen operieren können. Für die zugehörige Schwenkrollentechnik und für Schwenkscheiben bestehen noch Entwicklungsmöglichkeiten. Neue Ansätze könnten sich auch bei Weiterentwicklung der Vibrationsfördertechnik ergeben. Diese bietet sich an, um kleine bis mittlere Stückgüter mit vergleichsweise geringem Aufwand in eine bestimmte Lage zu bringen, abzuführen oder für weitere Schritte zu positionieren.


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Wohin der Trend geht

Mit 4.0-Anforderungen an die Fördertechnik von Schüttgütern ist nicht zu rechnen: Kein Kunde wird Interesse daran haben, seinen Kies für den Gartenteich, den Sand für den Kinderspielplatz oder den Beton für die Garagen-Zufahrt selbst und nach seinen speziellen Fertigungsvorstellungen zu produzieren. Dennoch werden auch für diesen Sektor zunehmend Vorgaben zur Ressourceneffizienz an Bedeutung gewinnen. Energiefressende Förderanlagen, lärmende Gurtförderbänder oder emittierende Antriebsaggregate rentieren sich für die Unternehmen weder ökonomisch noch ökologisch.

Der Trend geht folglich in Richtung besserer Energieeffizienz. So hat beispielsweise ContiTech ein energieoptimiertes Förderband entwickelt, das der Tatsache Rechnung trägt, dass der Rollwiderstand zwischen Fördergurt und Spannrollen zwei Drittel der eingesetzten Bewegungsenergie kostet. Durch spezielle Gummimischung konnte jetzt ein Bandmaterial entwickelt werden, das nach letzten Tests ein Energiesparpotenzial von 20 Prozent bewirkt. Hierzu kann auch ein System von Tragrollen beitragen, das den Titel „Intelligente Girlande“ trägt. Ihr Trick: die Anpassung der Geometrie des Muldungswinkels an den jeweiligen Belastungszustand. Der Muldungswinkel beschreibt bei einem Gurtförderer den Winkel zwischen der mittleren geraden und den beiden schrägen Seitenwänden. Je kleiner dieser Winkel, desto weniger Kraft wirkt auf die Tragrollen und desto mehr werden Bewegungswiderstände und dabei insbesondere der Eindrückrollwiderstand vermindert. Metallfedern tragen die Seitenwände des Bandes. Reagieren sie – nach bestimmten Parametern – flexibel auf die jeweilige Leer-, Teil- oder Volllast des Bandes, wird der Muldungswinkel optimal an den Stoffstrom angepasst; der Materialwiderstand reduziert sich und damit der zum Transport benötigte Energieaufwand.


Zumindest Forschungsalltag

Zur Vermeidung von Staubemissionen sind intelligente Absauganlagen gefragt, wie beispielsweise dieser Tage beim Ventil- und Impulsgeber-Hersteller Festo installiert. „Wir bauten ein permanentes Monitoring der Anlagen auf. Das System schlägt rechtzeitig Alarm, wenn Parameter, zum Beispiel der Differenzdruck oder Füllstand, bestimmte Grenzwerte über- beziehungsweise unterschreiten“, wird berichtet. Somit können Kühlschmierstoffnebel und Stäube aus der Bearbeitungskabine entfernt werden und ein Luftwechsel in einer bestimmten Frequenz gegeben sein. Zur Bekämpfung von Lärmproblemen in der Schüttgutfördertechnik stehen mit akustischen Kameras und 3D-Lasersystemen innovative Messmethoden zur Verfügung, die die Entwicklung eines differenzierten akustischen Systemverständnisses für die betrachteten Maschinen und Geräte bis hin zur Gesamtanlage ermöglichen. Daneben gibt es nach Darstellung von Professor Dr.-Ing. Scholten, dem Geschäftsführer der IBAF, simulationsgestützte Ansätze, „die eine zuverlässige Lärmprognose erlauben und auf deren Basis gezielt wirtschaftliche und praxistaugliche Maßnahmen zur Lösung der Lärmprobleme abgeleitet werden können“.

Computerunterstützte Simulationen sind auch bei Planung und Konstruktion von Fördertechniken inzwischen zumindest Forschungsalltag. So wird zur Beschreibung strukturmechanischer Probleme eine Näherungsmethode benutzt, die sich Methode der finiten Elemente (FEM) nennt. Mit ihrer Hilfe können Material-Deformationen und -Spannungen, Geschwindigkeiten, Druck und Temperaturen und weitere Randbedingungen in einer sinnvollen Modellbildung zusammengefasst werden. Die Mehrkörpersimulation (MKS) bildet den Bewegungsablauf mehrerer unverformbarer Körper ab, die mit idealisierten kinematischen Gelenken verbunden sind. Die numerische Strömungsmechanik, auch CFD genannt, hat das Ziel, sich strömungsmechanischen Problemen mit numerischen Methoden anzunähern und zu lösen. Und auch die Diskrete Elemente Methode (DEM) ist ein Berechnungsansatz, mit dem die Bewegung einer großen Zahl von Teilchen nachgebildet werden kann. Diese Methoden bieten Vorgehensweisen, um das Zusammenspiel von Materialien, Fördertechnik und Randbedingungen zu erklären und nach Möglichkeit zu beeinflussen.

 

Die beste Route – wie von selbst

Wie weit aber die Forschung in Richtung auf „Industrie 4.0“ in der praktischen Fördertechnik bereits fortgeschritten ist, lässt sich deutlich am Projekt netkoPs (Vernetzte kognitive Produktionssysteme) ablesen, das in wenigen Wochen seinen Abschlussbericht vorlegen dürfte. Wie einer Pressemitteilung zu entnehmen ist, arbeiten mehrere Projektpartner unter Federführung des Antriebstechnik-Produzenten Lenze SE daran, eine Fördermatrix zu entwickeln und zu konstruieren, die Produkte völlig flexibel verteilen kann.

„Möglich machen das zahlreiche Förderelemente, die sich unabhängig voneinander bewegen und dadurch mehrere Produkte gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen verschieben oder auch drehen können. Das Zusammenspiel mehrerer dieser Förderelemente in einem Matrixverbund ermöglicht neben dem Transport von Produkten zusätzlich auch die Funktionen Sortieren, Ausschleusen, Orientieren, Puffern und Vereinzeln.“ Zur Koordination des komplexen Zusammenspiels dieser Förderelemente soll keine zentrale Steuerung nötig sein, sondern die einzelnen Rollen bestimmen untereinander die optimale Route. Damit ist die Fördermatrix deutlich flexibler als ein herkömmliches Fließband. Das Ziel: „Dass die Produkte am Ende wie von selbst die beste Route durch die Fabrik finden.“

Foto: OrpheusXL / fotolia.com

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