Russland: Wohin mit den vielen Abfällen?

In Russland wurde 2017 zum „Jahr der Ökologie“ erklärt. Altstoffe sollen besser wiederverwertet, Hersteller und Importeure zum Recyceln gezwungen werden. Allerdings gibt es dafür viel zu geringe Kapazitäten. Ab 2017 müssen die Inverkehrbringer zwar gebrauchte Waren und Verpackungen eigenständig entsorgen oder dafür zahlen, doch wirft die neue Recyclinggebühr einige Fragen und Probleme zur Umsetzung auf.

Mit der Gebühr verspricht sich der Staat Einnahmen von über einer Milliarde Rubel (etwa 13,9 Millionen Euro). Grundlage ist das föderale Gesetz Nummer 89. Das russische Ministerium für natürliche Ressourcen regelt darin die Umweltabgabe. Es hat eine Liste mit 36 Produktgruppen zusammengestellt, die künftig nicht mehr einfach auf der Müllhalde landen dürfen, sondern recycelt werden müssen. In der Testphase bis Ende 2016 müssen Hersteller und Importeure ihre Abfälle deklarieren, Gebühren werden ab 2017 erhoben. Auch fehlende Deklarationen werden dann sanktioniert. Wer jedoch bereits eine Deklaration abgegeben hat und sich ein klares Feedback aus dem Ressourcenministerium erhoffte, der wurde enttäuscht, meint Sven Flasshoff vom VDMA-Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau in Moskau. „Da wurde nichts aufgeklärt.“ Etlichen Firmen sei nicht klar, ob ihre Produkte unter die Recyclingpflicht fallen. Und Importeure und Produzenten von Verpackungen wüssten nicht, wonach die Gebühren bemessen werden.

Ungereimtheiten, die nicht vom Tisch sind

Das Problem laut Ljubow Melanewskaja, Geschäftsführerin der Assoziation Industrie für Ökologie: Die Zolldokumente enthalten keine Angaben zu Verpackungen. Importeure könnten schon rein technisch nichts deklarieren. Herstellern falle es schwer, Verpackungen entsprechend der aktuellen Recyclingliste zu rubrizieren. Das Ministerium für natürliche Ressourcen reagiert: Es will Verpackungen künftig nach dem Material, aus dem sie hergestellt wurden, klassifizieren. Außerdem soll diese Klassifizierung in Einklang stehen mit den technischen Bestimmungen der Eurasischen Zollunion. Die Idee: Hersteller und Importeure sollen künftig einen Vertrag zum Recycling von Pappe oder Glas schließen können. Das würde Klarheit schaffen, so das Ministerium. Doch selbst wenn dieser Vorschlag umgesetzt wird: Alle Ungereimtheiten sind damit nicht vom Tisch. Bestes Beispiel: Die Klassifizierung gemäß technischem Reglement erfasst keine Medikamente. Tabak ebenfalls nicht. Selbst wenn bei anderen Waren technische Reglements existieren – auf vielen Verpackungen fehlen Angaben, aus welchem Material sie sind. Das mache nicht nur die Recycling-Deklaration unmöglich, sondern führe das gesamte Abfall-Gesetz ad absurdum, kommentiert Pjotr Bobrowski, Komitee-Vorsitzender bei Rosstandard und zuständig für den Bereich Verpackungen.


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Nicht bis ins letzte Detail durchdacht

Michail Divovich leitet die Firma Ecoteam. Diese beschäftigt sich mit Fragen rund um Ökologie in Russland und seit zwei Jahren intensiv mit dem föderalen Gesetz Nummer 89. Sein Fazit: „Das ist eine dieser Normen, die nicht bis ins letzte Detail durchdacht sind.“ Aber die Gebühr kommt, da ist sich der Leiter des Umweltschutz-Komitees bei der Association of European Businesses (AEB) sicher. Die zuständigen Behörden Rosprirodnadsor (Aufsichtsbehörde für Umweltschutz) und das Ministerium für natürliche Ressourcen geben offen zu: Richtig klar wird alles, wenn die Unternehmen die ersten Gebühren abführen müssen. Divovich glaubt: Die Schwachstellen werde der Gesetzgeber 2017 beheben. Wie etwa bei den Verpackungen. Oder bei der Frage, welche Waren wie deklariert werden müssen. Oder, wie genau der Beweis für eigenständiges Recycling zu erbringen ist. Divovich sagt aber auch: Bei einigen Waren könnten Hersteller bereits jetzt die Kosten relativ klar berechnen. Das regelt das Dekret Nummer 284 vom 9. April 2016.

Ein Beispiel: Für Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik, Fotoapparate, Computer oder Bohrmaschinen wird eine Umweltabgabe von 26.469 Rubel pro Tonne fällig. Und zwar ab 2017 für fünf Prozent der gesamten Produktion. Oder aber diese fünf Prozent müssen in Eigenregie recycelt werden. Produziert ein Hersteller 1.000 Kühlschränke im Jahr mit einem Gewicht von je 80 Kilogramm, muss er davon 50 recyceln oder die Gebühr bezahlen. Bei einem Gewicht von 80 Kilogramm pro Gerät, würde die Gebühr knapp 106.000 Rubel (1.500 Euro) betragen. Je 80-Kilogramm-Kühlschrank wären das 1,50 Euro – sofern er die 50 Stück nicht selbst recycelt.

Rund 300 Umweltnotstandsgebiete

Foto: BMU/transit/Härtrich

Foto: BMU/transit/Härtrich

Recycling ist nach wie vor ein Fremdwort in Russland. Ob Pappe, Glas, Batterien oder Metalle – fast alles landet im größten Land der Welt im Restmüllcontainer. Die Recyclingkapazitäten reichen gerade einmal aus, um vier Prozent des jährlichen Abfallaufkommens (circa fünf Milliarden Tonnen) zu verwerten. Nur wenige Regionen leisten sich überhaupt Abfallsortierzentren. Zu oft gelangen giftige Abfälle auf alte Deponien und kontaminieren das Erdreich. Die Fläche der Mülldeponien ist größer als das Gebiet der Schweiz, heißt es bei Greenpeace in Russland. Jedes Jahr kommt eine Fläche hinzu, die doppelt so groß ist wie Berlin.

Rund 300 Umweltnotstandsgebiete mit gut 17 Millionen Einwohnern zählt Russland. Ende August versprach Premierminister Dmitri Medwedew, im ausgerufenen „Jahr der Ökologie 2017“ die dort befindlichen, mit Industrieabfällen verseuchten Müllhalden zu säubern. Zu den schmutzigsten russischen Städten gehören Moskau, Norilsk, Irkutsk, Tschita, Dserschinsk, Krasnojarsk, Jekaterinburg, Tscheljabinsk und Magnitogorsk.

Woran es hapert

Bis zum Herbst mussten alle russischen Regionen ein Abfallmanagementkonzept beim föderalen Umweltministerium vorlegen. Umweltminister Sergej Donskoj beziffert dabei die nötigen Investitionen auf 150 Milliarden Rubel (über zwei Milliarden Euro). Faktisch stünden allerdings nur acht Milliarden Rubel zur Verfügung, wie der Minister erklärte. Den Löwenanteil an Investitionen in die Abfallverarbeitung erwartet Donskoj deshalb von der Privatwirtschaft. Doch an der Finanzierung und Rentabilität solcher Projekte hapert es.

In Sankt Petersburg soll ein Werk zur Verarbeitung von Abfällen aus Kau­tschuk entstehen. Das Unternehmen OOO NPO Innovatech will 900 Millionen Rubel (12,5 Millionen Euro) investieren. Der Betrieb soll 2019 anlaufen. In der Region Wolgograd plant das Unternehmen OOO Ekozentr ein Netz von Deponien, Sortieranlagen und Abfallverarbeitungswerken. Das Investitionsprojekt mit einem Volumen von über zwei Milliarden Rubel soll zwischen 2016 und 2020 umgesetzt werden. Nach diesen Vorhaben könnten jährlich acht Millionen Tonnen Abfälle recycelt werden. Aber Projekte wie diese reichen bei weitem nicht aus. Batterien etwa kann in Russland nur ein Werk recyceln, berichtet Sven Flasshoff vom VDMA. Und dieses Werk liegt in Tscheljabinsk. Es wäre nicht ganz billig, Batterien aus dem ganzen Land in den Ural zu bringen.

Verfasser: Bernd Hones, Quelle: Germany Trade & Invest

Foto: pixabay

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