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Sonderabfälle: Der Schwerpunkt liegt noch zu wenig auf Vermeidung

Zwar zählte während der letzten Dekade eine bessere Regulierung zur Identifizierung, Behandlung und Bewirtschaftung von gefährlichen Abfällen zu den obersten Prioritäten der EU-Umweltpolitik. Dennoch sind weitere Maßnahmen erforderlich, um die Entstehung solcher Materialien zu verhindern, meint die Europäische Umwelt-Agentur in einer jüngst erschienenen Studie. 

Seit 2006 sind die Mengen an Sonderabfällen in der Europäischen Union minimal gefallen. Diese Abfälle betragen rund 100 Millionen Tonnen und machen etwa vier Prozent der in der EU produzierten 25 Milliarden Abfälle aus. Das größte Volumen an Sonderabfällen mit steigender Tendenz entsteht im Abfallbereich bei Sammlung, Behandlung und Entsorgung, gefolgt von Bau- und Abbruchmaterialien, deren Mengen allerdings ökonomischen Veränderungen unterliegen. An dritter Stelle liegen Minen- und Abbruch-Abfälle, die 2012 europaweit durchschnittlich 27 Kilogramm pro Person betrugen, mit einem Spitzenwert von 1.816 Kilogramm pro Person in Bulgarien. Die Sonderabfallmenge im Haushaltssektor stieg zwischen 2006 und 2012 im Europadurchschnitt von sechs auf sieben Kilogramm pro Person, was auf bessere Abfalltrennung und geänderte Richtlinien für Elektro(nik)abfälle zurückzuführen ist. Zudem werden in etlichen Ländern Altfahrzeuge zum gefährlichen Hausmüll gezählt. Rund die Hälfte der Sonderabfälle besteht aus mineralischem oder festem Material, zu rund 30 Prozent aus chemischen oder medizinischen Reststoffen, zu etwa zehn Prozent aus Geräten und zu geringen Mengen aus gemischten oder recycelbaren Abfällen.

Zwischen 30 und 6.900 Kilogramm pro Person
Für den Ländervergleich berechnet die Studie – aus Gründen des Proporzes – die Gesamtmenge der entstandenen Sonderabfälle geteilt durch die Millionen Euro des Bruttoinlandsprodukts (kurz: Tonnen pro Euro). Danach lagen 2012 Estland mit 509 und Bulgarien mit 327 Tonnen pro Euro an der Spitze. In Estland ist der Wert zu 98 Prozent auf Ölschiefer-Reste infolge Koksherstellung und Petroleumraffinade zurückzuführen, in Bulgarien kommt er zu 99 Prozent durch Minen- und Tagebau zustande. Während damit auf Estland und Bulgarien 6.925 beziehungsweise 1.835 Kilogramm pro Person an gefährlichen Abfällen entfallen, produzierte Griechenland lediglich 30 Kilogramm pro Person. Der EU-Durchschnitt liegt seit Jahren stabil bei 200 Kilogramm pro Person. Elf der 33 untersuchten Mitgliedstaaten der EEA liegen über diesem Durchschnitt, darunter die skandinavischen Länder, Schweiz, Deutschland und – an der Spitze – die BeNeLux-Länder.

25 Prozent der Exporte sind illegal
Als vor 25 Jahren der europäische Binnenmarkt eingeführt wurde, setzten Abfalltransporte innerhalb Europas ein – mit einem Nebeneffekt: dem illegalen grenzüberschreitenden Verbringen von Sondermüll. Deren illegaler Export war dem Fehlen nationaler Behandlungskapazitäten und unterschiedlicher Verwertungs- oder Entsorgungskosten in den einzelnen Regionen geschuldet. Da der korrekte Umgang mit Sonderabfällen oftmals kostspielig ist, bieten illegale Verbringungen an Orte mit keinen oder wenigen Umweltstandards ökonomische Anreize. Trotz Anstrengungen von EU-Kommission, EU-Mitgliedstaaten und internationalen Organisationen und Initiativen wie der Basel Convention oder der Green Customs Initiative hat der illegale Transport von Materialien wie Elektronikprodukten vermutlich innerhalb der letzten zehn Jahre zugenommen. Trotz unsicherer Datenlage wurden 2006 bereits geschätzte zwei Millionen Tonnen Elektroschrott illegal aus der EU gebracht. Und für den Zeitraum von 2009 bis 2013 wird von einem Anstieg bekannt gewordener illegaler Exporte von 400 auf 2.500 berichtet. Laut dem europäischen Netzwerk IMPEL (Implementation and Enforcement of Environmental Law) verstießen bei physischen Kontrollen 25 Prozent der geplanten Exporte gegen die Abfallverbringungs-Regularien.


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Hauptsächlich qualitative Aspekte
Was haben die 28 EU-Mitgliedstaaten und die drei EFTA-Länder Island, Liechtenstein und Norwegen, die der europäischen Abfallrahmenrichtlinie unterliegen, inzwischen unternommen? Mittlerweile liegen europaweit 36 Programme vor – eine höhere Zahl als die der Nationen, da sich auch regionale Richtlinien darunter befinden. 30 Vorlagen wurden bis Ende 2015 angenommen; sechs weitere sollen folgen. Die Mehrzahl der Programme beschränkt sich auf qualitative Aspekte, die den Gehalt an gefährdenden Substanzen in Materialien und Produkten beschränken sollen.

So will beispielsweise Dänemark Konsumenten den Kauf von Produkten und Dienstleistungen erleichtern, die weniger belastet sind und weniger Abfall erzeugen. Finnland plant, bestimmte chemische Gefahrstoffe durch weniger belastete Alternativen zu ersetzen. Flandern unternimmt Anstrengungen gegen belastete Materialien bei Neubauten und Abrissen. Die Slovakei möchte die Erzeugung von Sonderabfällen durch Erweiterte Produzenten-Verantwortlichkeit unterstützen. Und die Niederlande planen Maßnahmen zur Verbesserung des Produkt-Designs: weniger Materialverbrauch, weniger gefährdende Substanzen, mehr recyceltes Material und längere Produktdauer. Andere Programme enthalten sowohl qualitative wie quantitative Zielvorgaben, wie sie unter anderem Österreich in seinem Abfallwirtschaftsplan vorsieht. Zypern und die Tschechische Republik haben sich hingegen für ausschließlich quantitative Ziele ausgesprochen: Zypern will das generelle Aufkommen von Sonderabfällen reduzieren, Tschechien die Volumina derartiger Abfällen stabilisieren und künftig zurückfahren.

Kaum quantitative Zielvorgaben
Allerdings haben viele Staaten vermieden, zum jetzigen Zeitpunkt bereits quantitative Zielvorgaben festzulegen. Mit drei Ausnahmen: Bulgarien will bis 2020 eine Menge an Sonderabfällen im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt erreichen, die unter der von 2010 liegt. In Italien soll diese Menge 2020 um zehn Prozent niedriger als 2010 sein, und Lettland hat sich für 2020 eine Höchstmarke von 50.000 Tonnen gesetzt; 2012 produzierte das Land noch 95.100 Tonnen an Gefahrgut.

Spezifische Indikatoren zur Verhinderung von Sonderabfällen finden sich in den Programmen von Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Lettland, Österreich, Spanien und Zypern. Nur zehn der Programme – jene für Frankreich, England, Italien, Malta, Österreich, Polen, Spanien, Schweden, Ungarn und Zypern – legen spezifische Systeme für ihre Indikatoren zur Abfallvermeidung fest, und die für die Überwachung verantwortlichen Akteure werden explizit nur in Frankreich, Italien, Spanien und Schweden benannt. Keines diese Programme sieht ein spezifisches Überwachungssystem zur Vermeidung von Sonderabfällen vor.

Schwerpunkt weniger auf Prävention
Die Studie kommt abschließend zu dem Ergebnis, dass sich die europäische Abfallvermeidung in einer Vielzahl von Absätzen, Strukturen und Trends ausdrückt. Insgesamt scheint der politische Schwerpunkt allerdings mehr auf Abfallwirtschaftsthemen zu liegen als auf Prävention, was sich in Zielsetzung, Maßnahmen, Überwachungsbemühungen und institutionellen Regelungen zeigt. Zusätzlich stellt die Unsicherheit und Diskontinuität der Datenlage ein grundlegendes Problem dar, das Schwierigkeiten in der Festlegung von Indikatoren und Folgezielen mit sich bringt.

Ohnehin dürfte die Bewertung der getroffenen Maßnahmen zur Abfallvermeidung auf vorwiegend qualitative statt quantitativer Analysen sowohl auf europäischer wie nationaler und regionaler Ebene angewiesen sein. Analysen beispielsweise über Kreislaufwirtschaft oder Ressourceneffizienz, die über das Thema Vermeidung hinausgehen, könnten helfen, um Entwicklungen der Abfall­entstehung und -produzenten zu verstehen und sie mit den allgemeinen Bemühungen zur Abfallvermeidung zusammenzuführen. Auch besteht die Möglichkeit, bestimmte Sektoren der Abfallproduktion wie Bau und Abbau oder die Fertigungstechnik genauer unter die Lupe zu nehmen und derartige Analysen periodisch zu wiederholen.

Die vollständige Studie, die auch eine Reihe von Einzelanalysen zu dem Mitgliedstaaten enthält, kann unter http://www.eea.europa.eu/publications/waste-prevention-in-europe/at_download/file [2] heruntergeladen werden.

Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de

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