Unterschiedliche Messpunkte entlang der Wertschöpfungskette

Schon länger wird in der Europäischen Union darüber diskutiert, wie sich die Berechnungsmethode für Recyclingquoten bei Siedlungsabfällen harmonisieren lässt, um eine Vergleichbarkeit zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Die Positionsfindung in Rat und Europäisches Parlament gestaltet sich weiterhin schwierig.

Bekanntlich konnten sich die Mitgliedstaaten in der Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EU auf keine einheitliche Zielsetzung verständigen: Einige verpflichteten sich, bis zum Jahr 2020 die Sammlungsquote bei getrennten Abfällen auf 50 Prozent des Haushaltsabfalls anzuheben, andere, die Recyclingquote von Wertstoffen auf 50 Prozent der gesammelten Wertstoffe zu bringen. Viele Länder wenden die Quoten nicht nur auf Haushaltsabfall, sondern auch auf haushaltsähnliche Abfälle aus Gewerbe und Industrie an. Mit den novellierten Zielsetzungen bis 2025 und 2030 verbindet sich der Wunsch der Europäischen Kommission unter Präsident Jean-Claude Juncker nach einer Harmonisierung der Recyclingquoten-Berechnungsmethoden, denn die Mitgliedstaaten definieren Siedlungsabfall unterschiedlich, weshalb die an Eurostat gemeldeten Statistiken zum Siedlungsabfallaufkommen nicht vergleichbar sind. Einige Länder ordnen dem Siedlungsabfall fast keine Gewerbeabfallmengen zu, definieren getrennt gesammelte Verpackungsabfälle nicht als Siedlungsabfall oder fügen dem gesammelten Siedlungsabfallaufkommen eine Schätzung über Abfälle hinzu, die in privaten Haushalten kompostiert werden.

Was es noch zu definieren gibt
Die Mitgliedstaaten messen die Recyclingmenge an unterschiedlichen Messpunkten entlang der Wertschöpfungskette: die getrennt gesammelte Menge, die sortierten und aufbereiteten Abfälle beim Verlassen des Sortierprozesses oder beim Eingang in den finalen Recyclingprozess, was nach Ansicht der Kommission am meisten Sinn machen würde. Unter bestimmten Bedingungen – wenn sichergestellt werden kann, dass die sortierten Abfälle tatsächlich recycelt werden und höchstens zehn Prozent Fremdstoffe enthalten – könnte bereits auch beim Verlassen des Sortierprozesses gemessen werden. Dafür sprach sich im Juli 2015 während einer EU-Konsultation auch die Mehrheit der 20 vertretenen Länder aus. Aber Kommission, Rat und Europäisches Parlament ringen in diesem Zusammenhang um eine einheitliche Definition von Siedlungsabfall: ob die Abgrenzung zum Gewerbe- und Industrieabfall lediglich über Art und Zusammensetzung oder ebenfalls über ein Mengenkriterium vorgenommen werden sollte.

Hinsichtlich Konzept des abschließenden Recyclingverfahrens und des Outputs der Sortierverfahren, wie es in der Entscheidung 2011/753/EU eingeführt wurde, schlägt die Kommission nun vor, dieses als eigenen Artikel der Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EU zu fassen. Die Messung der getrennt gesammelten Menge soll dabei nicht mehr zulässig sein. Nach Definition des abschließenden Recyclingverfahrens beginnt der Prozess erst dann, wenn sämtliche mechanischen Sortierprozesse abgeschlossen sind. Damit soll verhindert werden, dass Mitgliedstaaten mechanisch-biologische Abfallbehandlungsanlagen für Restmüll und mechanische Sortieranlagen für getrennt oder gemischt gesammelte Wertstoffe als abschließenden Recyclingprozess definieren.

Die Entscheidung 2011/753/EU legt zudem fest, dass bei anaeroben und aeroben Bioabfall-Behandlungsanlagen bereits der Input als recycelt betrachtet werden kann. Im neuen Kommissionsvorschlag ist diese Passage jedoch nicht mehr enthalten. Die Kommission möchte aber die Bestimmung in die Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EU aufnehmen, wonach Abfälle, die nach der Sammlung in einem anderen Mitgliedstaat recycelt werden, lediglich dem Mitgliedstaat angerechnet werden dürfen, in dem sie gesammelt wurden. Denn die Mitgliedstaaten scheinen gesammelte Abfälle im Exportfall immer vollständig anzurechnen und berücksichtigen nicht, wie groß der Anteil ist, der in abschließende Recyclingverfahren gelangt. Vor allem in Dänemark, Estland, Malta, Spanien und dem Vereinigten Königreich machen exportierte Abfälle zur Verwertung einen bedeutenden Teil der Recyclingquote aus.

Die Positionsfindung in Rat und Europäisches Parlament zum Ansatz der Kommission gestaltet sich weiterhin schwierig. So konnten sich weder die Ratsarbeitsgruppe noch der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments bislang einigen. Während der Rat den Messpunkt möglichst weit vorne in der Wertschöpfungskette ansetzen möchte, scheint sich eine Mehrheit im Europäischen Parlament in die gegensätzliche Richtung zu bewegen. Nicht auszuschließen ist die Streichung der Messung des Outputs der Sortieranlagen. Und einige EU-Abgeordnete vertreten wohl den Standpunkt, dass die Recyclingquote den Einsatz aufbereiteter Abfälle in europäischen Produktionsanlagen abbilden sollte. Der zu Sekundärrohstoffen aufbereitete Abfall, der nach der Sortieranlage auf dem globalen Rohstoffmarkt gehandelt wird, würde demnach nicht zur Erhöhung der europäischen Recyclingquote beitragen.

Hendricks ruderte zurück
Im letzten Sommer brachten Deutschland und Dänemark im EU-Rat eine Berechnungsmethode am Beispiel der Schweiz als Vorschlag ein, wonach die Mitgliedstaaten ihre Recyclingquoten durch einen standardisierten Abschlag auf getrennt gesammelte Abfälle ermitteln dürfen. Die Höhe des Abschlags soll von Herkunft, Art und Behandlung des Abfalls abhängen, nennt hierzu aber keine Zahlen. Offenbar soll aber jeder Mitgliedstaat seine eigenen Schätzungen und Qualitätskriterien anwenden dürfen, um sicherzustellen, dass durch die nötigen Abschläge ein realistisches Bild der tatsächlich recycelten Siedlungsabfallmengen entsteht. Somit wäre die Vergleichbarkeit europäischer Recyclingquoten nicht mehr garantiert: Studien belegen, dass die Verlustraten bei Glas und Metallen unter zehn Prozent, bei Papier um die zehn Prozent und bei einigen Kunststoffarten über 50 Prozent liegen.

Anfang September 2016 sprach sich Deutschland dafür aus, dass die Kommission erst drei Jahre nach Inkrafttreten der novellierten Abfallrahmenrichtlinie Recyclingquoten vorschlagen darf. Begründet wurde diese Verschiebung damit, dass zunächst Erfahrungen mit der neuen Berechnungsmethode gesammelt werden müssten, um entscheiden zu können, welche Recyclingziele technisch erreichbar, ökologisch sinnvoll und wirtschaftlich zumutbar sind. Nach einem Protestbrief des BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e.V. ruderte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks jedoch zurück. Der Vorschlag soll nun nicht weiter verfolgt werden.

Quelle: Europaspiegel des BDE/VÖEB, Vertretung Brüssel – mit freundlicher Genehmigung

Foto: Solveig Schmidt | EKM Mittelsachsen | abfallbild.de

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