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Sonderabfallentsorger: In Sorge um die Gesetzesflut

Das erfolgreiche System der deutschen Sonderabfallentsorgung ist in Gefahr, warnte der Vorsitzende des bvse-Fachverbands Sonderabfallentsorgung, Werner Schmidt, beim Fachverbands-Forum am 16. März in Göttingen.

Als Grund führte er die für die Unternehmen kaum noch zu bewältigende Flut behördlicher Auflagen an, sowohl auf Verordnungsebene wie auch im untergesetzlichen Regelwerk. Wo welche Gesetzesänderungen in letzter Zeit vorgenommen wurden und was sie für den Bereich der gefährlichen Abfälle bedeuten, beleuchtete anschließend Dr. Olaf Kropp von der Sonderabfall-Management-Gesellschaft Rheinland-Pfalz mbH. In der Abfallverzeichnisverordnung, die im März 2016 modifiziert wurde, blieb der Großteil des Abfallartenkatalogs unverändert, lediglich um drei neue Abfallarten erweitert. Auch die Systematik für die 842 Abfallarten und die 407 Sonderabfallschlüssel wurde beibehalten. Jedoch erfolgt nun eine neue Einstufung der früheren H-Konzentrationsgrenzen in 15 HP-(Hazardous Properties-) Kriterien unter Anlehnung an chemikalienrechtliche Regelungen (CLP-Verordnung).

HP14: die Relevanz der Ökotoxikologie

Für den Abfallbereich ist die Eigenschaft HP14 relevant, der gemäß ein Stoff unmittelbare oder mittelbare Gefahren für einen oder mehrere Umweltbereiche darstellt. Dessen Ökotoxikologie wird vorerst mit Rückgriff auf die frühere Stoffrichtlinie 67/548/EWG spezifiziert, die aber nur aquatische und Luft-Auswirkungen betrachtet. Für Boden und Grundwasser bestehen in Deutschland nationale sowie verschiedene Länderregelungen. Zwar liegen dazu Handlungshilfen unter anderem aus dem Bundesumweltamt vor und es werden auf politischer Ebene Verhandlungen geführt. Dennoch ist man in der Praxis vorläufig auf Vollzugshilfen von Bund, Ländern und Umweltbundesamt angewiesen. Die POP-Verordnung für Persistent Organic Pollutants regelt, dass Abfälle, die solche Schadstoffe enthalten, so behandelt werden müssen, dass sie zerstört oder unumkehrbar umgewandelt werden. Infolgedessen sind alle POPs, die mit Schwellenwert bis zum 17.5.2015 unter die POP-Verordnung fielen, auch weiterhin europarechtlich als gefährlich einzustufen. Deutschland hat diesen Passus um den „dynamischen Beweis“ erweitert: Auch was in Zukunft dazu komme, müsse relevant sein. Damit geriet auch Hexabromcyclododecan (HBCD) mit Schwellenwert über 1.000 Milligramm pro Kilogramm in Deutschland in die Einstufung als POP. Und da die Müllverbrenner an dem Material als Monofraktion kein Interesse zeigten, kam es zu den bekannten Entsorgungsengpässen, bis die Regelung am 28. Dezember 2016 für ein Jahr vorübergehend per Moratorium außer Kraft gesetzt wurde.

Mehr-Aufwand für Entsorgungsfachbetriebe

Die Novelle der Entsorgungsfachbetriebe-Verordnung, die am 1. Juni 2017 in Kraft treten wird, entstand aus dem Wunsch, Entsorgungsfachbetriebe zu einem Gütesiegel zu machen. Der Verordnungsentwurf zeigt, dass die In­strumente der Zertifizierung ebenso beibehalten werden sollen wie die beiden Zertifizierungswege über Technische Überwachungsorganisationen und Entsorgergemeinschaften; allerdings soll sich die Überwachung durch Zertifizierer und Sachverständige verbessern. Zu den Neuerungen gehört, dass im Zertifikatsvordruck Anlage 3 die Kategorien Lagern und Behandeln nur noch im Zusammenhang mit der nachfolgenden Verwertung oder Beseitigung – also nur mit genauer Zweckangabe – zertifiziert werden können. Daraus erwächst auch die Notwendigkeit, konkrete Verwertungs- oder Beseitigungs-Verfahren zu benennen. Für das Entsorgungsfachbetriebe-Register sollen nach Inkrafttreten der Novelle alle Daten der Überwachungsorganisationen und Entsorgergemeinschaften elektronisch an die Zustimmungs- beziehungsweise Anerkennungsbehörde übersandt werden; wegen des technischen Aufwandes wird diese Änderung erst ab 1. Juni 2018 wirksam. Bestimmte Daten sind für spätere Veröffentlichung im Internet vorgesehen, um einen Überblick darüber zu gewährleisten, welcher Betrieb für welche Verwertung oder Beseitigung zertifiziert ist.

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Neue Einsatzgebiete für Abfallbeauftragte

Zum 1. Juni 2017 wird eine neue Abfallbeauftragten-Verordnung aktuell – die jetzige stammt noch aus dem Jahr 1977. Hierdurch  wird sich unter anderem der Kreis der bestellpflichtigen Unternehmen ändern. Abfallbeauftragte im Sonderabfallbereich werden nun benötigt bei

■    Betrieben mit über 100 Tonnen gefährlicher oder über 2.000 Tonnen nicht gefährlicher Abfälle pro Jahr,
■    Abfallanlagen nach Nr. 8 der Bundes-Immissionsschutzverordnung mit Genehmigung zur Öffentlichkeitsbeteiligung,
■    Deponien bis zur endgültigen Stilllegung,
■    Krankenhäusern und Kliniken, die mehr als zwei Tonnen gefährlicher Abfälle pro Jahr produzieren,
■    und Abwasserbehandlungsanlagen für mehr als 100.000 Einwohner, soweit dort Abfälle verwertet oder beseitigt werden.
Hinzu kommen im Sonderabfallbereich Hersteller und Vertreiber, die über zwei Tonnen Verkaufsverpackungen schadstoffhaltiger Füllgüter oder über zwei Tonnen gefährlicher Abfälle (Freiwillige Rücknahme) zurücknehmen, sowie solche, die Elektro- und Elektronikaltgeräte oder Fahrzeug- und Industriebatterien zurücknehmen, sofern keine andere Rücknahme dafür vorgesehen ist. Desgleichen gilt Bestellpflicht für Rücknahmesysteme von Elek­tro- und Elektronikaltgeräten sowie Geräte-, Fahrzeug- und Industriebatterien.

Folgenreiche Abschaffung der Heizwertklausel

Laut Paragraf 8 Absatz 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz tragen Abfallentsorger eine Verwertungspflicht, der zufolge die Verwertungsvornahme Vorrang hat, die den Schutz von Mensch und Umwelt nach Art und Beschaffenheit des Abfalls am besten gewährleistet. Allerdings erlaubte die Heizwertklausel für Abfälle mit einem Heizwert von 11.000 Kilojoule pro Kilogramm eine der Vorbereitung zur Wiederverwendung und dem Recycling gleichrangige energetische Verwertung. Die EU ahndete de BRD-Sonderregelung im Februar 2014 mit einem Vertragsverletzungsverfahren, das Ende 2016 zur Streichung der Heizwertklausel durch den deutschen Bundestag führte und im Mai 2017 wirksam wird.

Einem Forschungsgutachten zufolge wird diese Aufhebung für 13 von 19 untersuchten Abfallströmen keine Auswirkungen haben, wohl aber für die übrigen sechs Ströme: Gewebeabfälle, Sperrmüll, Klärschlämme, Altreifen, mineralische Bau- und Abbruchabfälle sowie gefährliche Abfälle aus der chemischen Industrie. Diese Abfallströme werden verstärkt in Richtung auf Wiederverwendung und Recycling geleitet – was der Abfallhierarchie widerspricht. Denn insbesondere für die chemische Industrie hat die energetische Verwertung gefährlicher Abfälle eine große Bedeutung, da sie andere Entsorgungspfade für ihre Abfälle suchen muss, die wesentlich kostspieliger sind: Das Gutachten spricht von Mehrkosten im dreistelligen Millionenbereich. Das Bundesministerium hat versprochen, zeitnah „Muster-Vollzugshinweise“ für die speziellen Abfälle der Chemieindustrie zu erarbeiten, um eine einheitliche und praxisgerechte Entsorgung im Rahmen der Abfallhierarchie sicherzustellen.

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Foto: EU-R Archiv

Material-Rezeptur nicht eindeutig

Das Kreislaufwirtschaftsgesetz sieht die Vermischung einschließlich Verdünnung gefährlicher Abfälle mit anderen oder anderen gefährlichen Abfällen oder Stoffen als unzulässig an. Eine Vermischung ist nur dann zulässig, wenn dies in einer zugelassenen Anlage erfolgt, wenn die Anforderungen an eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung eingehalten werden und wenn das Verfahren dem Stand der Technik entspricht.

In der Praxis stellten die Sonderabfall-Verbrenner jedoch fest, dass Mengen gefährlicher Abfälle in den Hausmüllverbrennungsanlagen mitverbrannt werden. Tatsächlich wurde ein Großteil der Sonderabfälle in zugelassene Vorbehandlungsanlagen geliefert, mit Hausmüll gemischt und als Mischabfälle mit Abfallschlüssel 191211 bei den  Hausmüllverbrennungsanlagen angeliefert. Zwar sind Vorbehandlungsanlagen für die Mischung zugelassen, jedoch ist damit nicht gesichert, dass die BImSch-Genehmigung die Rezeptur der angelieferten Stoffe eindeutig festgelegt. Der Verdacht, der vor zwei bis drei Jahren aufkam: Im Gemisch könnten sich gefährliche Abfälle wie beispielsweise Laborchemikalien befinden, für die manche Hausmüllverbrennungsanlagen nicht geeignet sind, aber eine kostengünstige Verbrennung ermöglichen.

Grenzwerte für Mischungen nicht geregelt

Das nordrhein-westfälische Umweltministerium reagierte zum Juli 2016 mit einem Erlass, wonach die Vermischung zulässig ist, wenn die vermischten Abfälle auch für die folgende Anlage zugelassen sind und vor dem Vermischen die Schadstoffgrenzwerte eingehalten werden. Eine Arbeitsgruppe aus Bundesverband Deutscher Sonderabfallverbrennungs-Anlagen und Interessengemeinschaft der Thermischen Abfallbehandlungsanlagen brachte zeitgleich zum Ausdruck, es sei ausgeschlossen, dass solche Vermischungen aus wirtschaftlichem Kalkül betrieben würden. Außerdem müssten die Abfälle für die Vorbehandlungsanlage in der finalen Entsorgungsanlage zugelassen sein.

Im September nahm der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft dazu Stellung: Es gebe keine gesetzliche Regelung, wonach generell vor dem Vermischen die jeweiligen Annahmegrenzwerte im einzelnen Abfall auf die nachfolgenden Anlagengrenzwerte eingehalten werden müssen. Das sei wünschenswert, aber nicht geregelt. In diesem Sinne schloss Dr. Olaf Kropp seinen Vortrag mit dem Wunsch, dass möglichst bald Deutschland- oder besser noch Europa-einheitliche Spielregeln existieren für Abfallmischungen, die später in Sonder- oder Hausmüllverbrennungsanlagen eingesetzt werden können.

Einheitlichkeit, Klarheit und Gewissheit?

Zusammengefasst sieht sich die Branche der Sonderabfall-Entsorger mit einer Reihe von Gesetzesmodifikationen konfrontiert, die teilweise schwerwiegende Änderungen in der Praxis zur Konsequenz haben dürften. Man denke nur an die Folgen der Anwendung von Ökotoxikologie-Kriterien auf HBCD-belastete Dämmstoffe. Auch scheinen die Gesetze – so die Befürchtung etlicher Tagungsteilnehmer – noch etliche Fragen hinsichtlich Vollziehbarkeit und Umsetzbarkeit in die alltägliche Entsorgungspraxis offenzulassen. Wobei aber der Tatbestand der Illegalität bereits erfüllt ist, wenn bei grenzüberschreitenden Gefahrguttransporten auf mehrseitigen Formularen ein unbeabsichtigter Fehleintrag vorgenommen wurde.

Daher richteten – wohl nicht ohne Grund – einen Tag nach dem Sonderabfallentsorgungs-Forum BDE, BDSV, bvse und VDM eine gemeinsame Stellungnahme zur Vollzugshilfe zur Abfallverbringung an die Länderarbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA). Ihr Argument unter anderem: „Das Abfallverbringungsrecht, jedenfalls soweit es den besonders relevanten Bereich der grenzüberschreitenden Verbringung von als Abfall einzustufenden zukünftigen Sekundärrohstoffen betrifft, ist mittlerweile in der betrieblichen Praxis aufgrund seiner Komplexität und Fülle von Regelungen kaum noch zufriedenstellend zu bewältigen.“ Diesbezüglich forderten die Branchenverbände mehr Einheitlichkeit, Klarheit und Gewissheit bei der Verbringung.

Foto: EU-R Archiv

(EUR0517S3)