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2. Talk im Technikum: „Wir suggerieren etwas, was so nicht ganz richtig ist“

Die hohen stofflichen Verwertungsquoten in Deutschland sind insbesondere im Segment Kunststoffe oft mehr Schein als Sein. Abfall geht den Weg des geringsten Geldes, und Recycling allein löst nicht das Problem der Ressourcenverknappung.

Diese Standpunkte wurden beim 2. Talk im Technikum am bifa Umweltinstitut in Augsburg vertreten. Titel der Fachveranstaltung am 28. März mit 200 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Forschung sowie interessierten Bürgern, die wieder von Rudolf Erhard vom Bayerischen Rundfunk moderiert wurde: „Abfallwirtschaft jenseits des Tellerrandes – Ist Deutschland noch Spitze?“ Experten diskutierten hier, wie die deutsche Abfallwirtschaft im internationalen Vergleich dasteht und was Österreich und die Schweiz als Nachbarn vielleicht besser machen. Trifft das Klischee „Recyclingweltmeister“ zu? Was können wir voneinander lernen? Und auch Recycling in den Vereinigten Staaten und China war ein Thema. Im Anschluss feierte das bifa Umweltinstitut mit einem Sektempfang und Festakt sein 25jähriges Jubiläum.

Was heißt eigentlich Spitze?  

bifa-Geschäftsführer Prof. Wolfgang Rommel führte in die Vortragsrunde im öffentlichen Teil ein und fragte: „Was heißt eigentlich Spitze in der Abfallwirtschaft? Worauf kommt es an: auf hohe Recyclingquoten, geringe Umweltbelastungen oder geringe Abfallmengen, auf niedrige Gebühren oder Geld in den richtigen Taschen? Reden wir in Deutschland eigentlich noch über die richtigen Themen? Haben wir uns zu sehr auf unseren Erfolgen ausgeruht? Neigen wir heute eher zu populären Aktivitäten als zu effektiven Maßnahmen? Haben wir noch zeitgemäße Marktstrukturen und passen diese noch mit unserer Gesellschaft zusammen? Streben wir nach einem Perfektionismus, der zugleich Verwirrung und Bürokratiemonster schafft und sich verzettelt?“

Rommel verwies in diesem Zusammenhang auf einige Besonderheiten in den auf der Veranstaltung vertretenen Ländern. So findet in den USA das Single-Stream-Recycling, also die Erfassung aller trockenen Wertstoffe einschließlich Papier und oft auch Glas in einer Tonne, immer mehr Verbreitung. Das Gemisch wird erst in den Aufbereitungsbetrieben sortiert und weiterbehandelt. Österreich hingegen tut sich im Bereich Wiederverwendung von Gebrauchtwaren hervor „und diskutiert die gleichen Probleme in der Abfallwirtschaft scheinbar viel pragmatischer und unaufgeregter“. Die Schweizer Abfallbilanz, fiel Rommel auf, berichtet nur über PET-Flaschen, nicht aber über Kunststoffverpackungen. Und offenbar wird nur das gesammelt, was am Markt hochwertig absetzbar ist. Bemerkenswert sei auch, dass es in der Schweiz – anders als in Deutschland – keine Müllverbrennungsanlage ohne Energierückgewinnung gibt und dass die neue Schweizer Abfallverordnung gerade einmal 44 Seiten einschließlich Anhänge umfasst. „Wenn ich das deutsche Kreislaufwirtschaftsgesetz lese, dann bin ich auf Seite 44 gerade mit dem Inhaltsverzeichnis und den Begriffsdefinitionen durch“, kommentierte Rommel zur Erheiterung des Publikums.


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Substitutions- statt Recyclingquote

Bezüglich der Welthandelsanteile von Umweltschutzgütern hat vermutlich China Deutschland (Marktanteil: 15 Prozent) vom Spitzenplatz verdrängt. Der Marktanteil der Volksrepublik ist von knapp fünf Prozent im Jahr 2002 auf über 14 Prozent im Jahr 2013 gestiegen. Kritisch äußerte sich Rommel dann zur Berechnungsmethodik der Recyclingquote in der Bundesrepublik, die nach gültigen europäischen Rechtsrahmen als Inputquote – Material, das in den Aufbereitungsanlagen ankommt – ermittelt wird. Dass offiziellen Statistiken zufolge eine Recyclingquote von 66 Prozent erreicht werde (Quelle: Destatis), sei nicht zutreffend. „Traue nur der Statistik, die du selber gemacht hast“, unterstrich Rommel seine Sicht der Dinge: „Es wird nicht berücksichtigt, dass Aufbereitungsprozesse nicht verlustfrei ablaufen. Es gibt immer Sortier- und Aufbereitungsreste, die nicht in den Stoffkreislauf rückgeführt werden. Nur das, was übrig bleibt und für das es einen Markt gibt, wird als Sekundärrohstoff vermarktet und ersetzt einen Primärrohstoff. Hier müsste man die Recyclingquote berechnen, also den Output. Die Recyclingquote müsste eine Substitutionsquote sein, ein Sekundärrohstoff, der tatsächlich einen Primärrohstoff ersetzt. Mit hohen Recyclingquoten suggerieren wir dem unbefangenen Beobachter etwas, was so nicht ganz richtig ist. Dass wir zwei Drittel an Altmaterialien und hier insbesondere Kunststoffe wieder dem Rohstoffkreislauf zuführen, ist definitiv nicht der Fall.“

USA: Die Wirtschaftlichkeit zählt

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Foto: bifa Umweltinstitut

Per Video-Zuschaltung gab Erik Hunt einen Einblick in die Abfallwirtschaft der Vereinigten Staaten. Und der Wirtschaftsattaché des US-Generalkonsulats in München räumte ein, dass sein Land in puncto Abfallvermeidung und Recycling Europa hinterherhinkt. Hier sei noch einiges zu tun. In den US-Bundestaaten Kalifornien und Florida ist dabei die Entwicklung am fortschrittlichsten. Allerdings dauert es fünf bis sieben Jahre, dass die Behörden zum Beispiel ein kleines Kraftwerk zur Energieerzeugung aus Biomasse genehmigen. Und auch in anderen Bereichen des Umweltsektors schrecken lange Genehmigungsprozesse innovative Initiativen ab. Was die Entwicklung beschleunigen könnte: sinkende Grenzkosten und steigende Erlöse aus Sekundärrohstoffen. „Wenn es gelingt, die Grenzkosten zu senken, dann wird mehr recycelt“, meinte Hunt. „In den USA zählt allein die Wirtschaftlichkeit.“

Dass laut der nationalen Umweltbehörde EPA die Recyclingquote in den USA bei 37 Prozent liegt, bezweifelte Hunt. Es seien für ihn weniger als 26 Prozent. Denn mit 80 Prozent mache Bauschutt, den die Statistiken nicht ausweisen würden, den Hauptanteil am Abfallaufkommen aus. Am Beispiel Kalifornien erläuterte Eric Hunt, wie man dort das Pro-Kopf-Abfallaufkommen zu senken versucht. So stehen den Haushalten je zwei Tonnen zur Verfügung, die bei der Entleerung gewogen werden. Wer damit nicht auskommt und mehr Abfälle produziert und in zusätzlichen Säcken auf die Straße zur Abholung stellt, muss eine Art Strafsteuer bezahlen.

Zehn Thesen – nicht nur für Österreich

Prof. Roland Pomberger von der Montanuniversität Leoben wies darauf hin, dass die Ziele der österreichischen Abfallwirtschaft weitgehend erfüllt sind. Dies zeigt eine im Auftrag des Lebensministeriums erarbeitete Studie. Potenziale bestehen vor allem noch in den Feldern Klimaschutz und Luftschadstoffe sowie Ressourcenschonung. Es kommt nun darauf an, „in der Abfallwirtschaft effiziente Effektivität zu erzielen, also das Richtige möglichst effizient zu tun.“

Dies erläuterte Pomberger anhand von zehn Thesen. Unter anderem machte er deutlich, dass hundert Prozent vorbeugender Schutz und hundert Prozent Nutzung als Ressource gleichzeitig nicht möglich seien. Es müsse gleichrangig zu „Vorsorge“ und „Nachhaltigkeit“ ein neues Prinzip „Ressourceneffizienz“ eingeführt werden. Wichtig sei zudem eine Berücksichtigung der Qualität des Recyclings in der Recyclingquote. Im Einzelfall könne energetische Nutzung auch durchaus besser sein als Recycling. Effektive Abfallwirtschaft brauche Privatwirtschaft und den Staat. Die Tatsache, dass es dabei noch an einer klaren Rollenverteilung mangele, sei Ursache vieler Auseinandersetzungen. Es gebe einen Konflikt zwischen marktoptimaler und ökologisch optimaler Recyclingrate. Entsorgungswirtschaft brauche daher Anreize, denn „Abfall geht immer den Weg des geringsten Geldes“. Eine zu enge Auslegung des Abfallbegriffs sei dabei durchaus hinderlich.

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Prof. Wolfgang Rommel (bifa), Helmut Schmidt (AWM) und Rudolf Erhard (Moderation, Bayerischer Rundfunk) – Foto: bifa

In Österreich, berichtete Pomberger, sei es fast unmöglich, einen industriellen Reststoff als Nebenprodukt anerkannt zu bekommen. „Einmal Abfall, immer Abfall“ heißt es bei den Behörden. Und jedes Vorpreschen, das zu ändern, werde vom Lebensministerium zentral niedergeschlagen. Dabei könnte ein toleranterer Umgang mit Nebenprodukten aus der Industrie die innerindustrielle Verwertung fördern. Auch dürfe man Reststoffabflüsse nicht ignorieren: Was nutzt der genaue Nachweis der Recyclingquote, wenn beispielsweise von 240.000 Altfahrzeugen nur 50.000 in Österreich recycelt werden? Die neuen EU-Recyclingraten stellen Pomberger zufolge auch für Österreich eine große Herausforderung dar. Zwar würden etwas höhere Verwertungsraten nicht sonderlich anspruchsvoll wirken, doch fehlten Österreich zum EU-Ziel 2030 circa 400.000 Tonnen zusätzlich recycelte Menge pro Jahr. Diese könnten nur aus dem kommunalen Restmüll kommen. Und das zu erreichen, sei alles andere als einfach.

In China ist noch vieles im Argen

Wie Moderator Rudolf Erhard zum Vortrag von Prof. Roland Pomberger witzig anmerkte, kann Österreich nicht nur Skifahren und Abfallwirtschaft, sondern auch die Kaffeepause verkürzen. Nächster Referent nach der (kurzen) Kaffeepause war Henning Krumrey, Leiter Unternehmenskommunikation und Politik Alba Group, der sich der Frage widmete: Wird China mit Entschlossenheit und Schnelligkeit bald auch in der Abfallwirtschaft Spitze sein? Die Alba Group ist schon seit den 1990er Jahren in der Volksrepublik aktiv und bereitet heute mit Partnern dort unter anderem Restabfälle zu Ersatzbrennstoffen – sogenannter „grüner Kohle“ – auf. In diesem Jahr soll in Hongkong eine Recyclinganlage für Elektro- und Elektronikschrott mit einer Kapazität von zunächst 30.000 Jahrestonnen in Betrieb gehen.

Den Erfahrungen nach ist in China noch vieles im Argen: Allein im Fluss Jangtse werden jährlich 14 Milliarden Tonnen Abfall entsorgt und landesweit rund 25 Millionen Bäume nur für die Produktion von Einweg-Essstäbchen abgeholzt. Bis 2030 wird ein Anstieg der Siedlungsabfallmenge um 200 Prozent auf 550 Millionen Tonnen erwartet. Und immer noch werden mehr als 70 Prozent der Siedlungsabfälle deponiert, der größte Teil davon auf ungeordneten Deponien. Der aktuelle Fünfjahresplan sieht bis 2020 eine Investition von 34,6 Milliarden Euro in die Abfallwirtschaft vor, die sich mit den Worten von Krumrey zielstrebig weiterentwickelt. China sei sich seiner Umweltprobleme bewusst und werde diese in den Griff bekommen. Ohne europäische Abfalltechnik werde das aber nicht gelingen.

Die Schweiz: Dort handeln, wo es nutzt

Die Schweiz erreicht durch klare Prioritäten, aber auch hohe zentrale, staatliche Steuerung mehr Effektivität in der Abfallwirtschaft: Der Vortrag von Dr. Karine Siegwart, Vizedirektorin des Schweizer Bundesamtes für Umwelt, stützte diese Annahme. Die seit dem ersten Januar 2016 gültige, neue Schweizer Abfallverordnung soll noch größeres Gewicht auf Abfallvermeidung, das Auskoppeln von Schadstoffen und das Schließen von Stoffkreisläufen legen. Nach Ansicht der Referentin wird der größte Teil der Umweltbelastungen in der Regel von Produkten verursacht und nicht von deren Verpackung. Höhere Recyclingquoten seien nicht automatisch besser. Nicht maximale, sondern optimale Rückgewinnungsgrade sollten das Ziel sein.

„Wir müssen uns bewusst machen“, erklärte Siegwart, „dass 90 Prozent der Umweltbelastungen durch Metalle – Eisen, Kupfer, Aluminium, Zink, Gold und Chrom – verursacht werden. Hier sind die Recyclingquoten zwar schon sehr hoch, doch sollten Lebensdauer und Reparaturfähigkeit von Produkten verlängert und Bauteile wiederverwendet werden. Dabei muss die gesamte Wertschöpfungskette berücksichtigt werden, denn die Abfallwirtschaft kann das Problem der Umweltbelastung alleine nicht lösen. Generell gilt es, nicht nur vieles im Kreislauf zu führen, sondern möglichst Kreisläufe zu vermeiden.“

Gehandelt werden müsse dort, „wo es nutzt, und hierzu müssen drei Aspekte verbunden werden. Erstens Innovation: Prototypen und Pilotprojekte realisieren, neue Formen des Konsums fördern, Kreislaufwirtschaft in die Praxis umsetzen und dabei den Unternehmen Luft für Eigeninitiative lassen. Zweitens Impact: Lieferketten kennen und nachhaltig ausgestalten, messbare Ziele formulieren und Branchen mit hoher Dynamik als Chance nutzen. Und drittens Integration: Zusammenarbeiten, vernetzt denken und handeln und die Stärken der Schweiz nutzen.“ Dieser Dreiklang, so Dr. Karine Siegwart, sei der Sound der Zukunft.

Qualitative Ziele wichtiger als Mengenziele

Für Helmut Schmidt, zweiter Werkleiter des Abfallwirtschaftsbetriebs München (AWM) und Vorsitzender der Landesgruppe Bayern im Verband kommunaler Unternehmen (VKU), sollte Recycling kein Selbstzweck sein. Gerade in entwickelten Abfallwirtschaftssystemen seien qualitative Ziele wichtiger als Mengenziele. Ein Beispiel, wie es nicht funktioniere, seien Mischkunststoffverpackungen, von denen Abschätzungen zufolge nur etwa zwei Prozent der gesammelten Menge stofflich verwertet werden. Hier sei die energetische Verwertung die ökologisch vorteilhafte Alternative. Der große Vorteil von Kunststoffen liege in der Nutzungs- und nicht in der Recyclingphase. Recycling müsse technisch möglich und wirtschaftlich darstellbar sein. Es funktioniert nur, wenn am Ende ein Produkt entsteht, das im Markt nachgefragt wird.

Auch die Wertstofftonne sei in Deutschland ineffizient. Lediglich 0,7 Kilogramm zusätzlicher Wertstoffe ließen sich pro Einwohner und Jahr aus dem Restmüll gewinnen. Zur Umsetzung der Siedlungsabfallwirtschaft in den Kommunen vertrat Schmidt zudem die Auffassung, dass die Organisationsverantwortung für die Siedlungsabfall­entsorgung wieder vollständig den Kommunen übertragen werden müsse. Es brauche keine dualen Systeme. Der Bürger wünsche einen Ansprechpartner für sämtliche Abfälle und transparente Entsorgungswege. Hochwertiges Recycling erfordere zudem recyclinggerechte Produktion. Produktverantwortung müsse so geregelt werden, dass damit eine ökologische Lenkungswirkung erzielt wird. Das sei heute vielfach nicht der Fall.

Recycler und Produzenten sollten enger kooperieren

Otto Heinz, Präsident des Verbandes der Bayerischen Entsorgungsunternehmen (VBS) betonte die Bedeutung der Abfallwirtschaft für Klima- und Ressourcenschutz und stellte bei der Getrenntsammlung von Bioabfällen aus Haushalten in Deutschland ein ungenutztes Potenzial von 4,8 Millionen Tonnen pro Jahr fest. In Bayern gibt es Heinz zufolge immer noch Landkreise, die die gesetzlich verpflichtende Getrenntsammlung von Bioabfällen entweder vollständig verweigern oder nur Alibisammlungen im Bring-System an Wertstoffhöfen anbieten.

Das Öko-Institut beziffert das ungenutzte Rückgewinnungspotenzial von Wertstoffen aus Gewerbeabfällen auf knapp drei Millionen Tonnen. Und pro Einwohner und Jahr in Deutschland landen laut dem BDE bis zu zwei Kilogramm Elektrokleingeräte im Restmüll. Dabei könnten mit einem umfassenderen Ansatz einer trockenen Wertstofftonne fünf Kilogramm Wertstoffe pro Einwohner und Jahr zusätzlich mobilisiert werden. Rechtliche Hindernisse und Vorbehalte der Behörden erschweren den Einsatz von Recyclingbaustoffen, obwohl sich die Deponiekapazitäten für mineralische Abfälle zunehmend verknappen.

Anders in der Schweiz, laut Heinz. So vergibt die Stadtverwaltung Zürich nur dann Bauaufträge, wenn ein gewisser Anteil Recyclingbeton verwendet wird. Die Bauherren sind dazu verpflichtet, Recyclingbeton einzusetzen, wenn er im Umkreis von 25 Kilometern verfügbar ist. Letztlich sind Instrumente des Gesetzgebers erforderlich, wo Recycling nicht Ergebnis einer selbsttragenden Kreislaufwirtschaft ist, konstatierte Heinz und stimmte seinem Vorredner Schmidt zu, dass der Verwertungsstand von Kunststoffabfällen unbefriedigend ist. Hier wäre recyclingfreundliches Design für Verpackungen wichtig und erforderlich, „die ja einen großen Teil der Post-Consumer-Abfälle ausmachen.“ Recycler und Produzenten sollten enger und intensiver kooperieren.

Wie kann Recycling attraktiver werden?

Die „damenlose“ Podiumsdiskussion – Dr. Karine Siegwart konnte nicht bis zum Ende der Veranstaltung bleiben – eröffnete Rudolf Erhard mit der Frage, ob das relativ einfache Abfallwirtschaftsmodell der Schweiz – mit hoher zentraler, staatlicher Steuerung – auch auf Deutschland übertragbar wäre. Otto Heinz antwortete, dass die Gesetzgebung und damit die Rahmenbedingungen von Brüssel ausgehen. Die Bundesregierung und über sie die Bundesländer, die gewisse Freiheiten haben sollten, seien anders als die Schweiz, die kein Mitglied ist, an EU-Vorgaben gebunden. Der gute Wille, so Heinz, werde zwar von oben vorangetrieben, komme aber auf der regionalen Ebene oft nicht an.

„Was kann Deutschland von Österreich lernen? Ist die Alpenrepublik weniger gesetzesverhaftet, schwindeln Sie mehr?“ Roland Pomberger tat sich mit der Beantwortung dieser Frage des Moderators schwer. Die österreichische Abfallwirtschaft ließe sich besser mit der in Bayern als der in Gesamtdeutschland vergleichen. Und auch in Österreich klappe vieles nicht, würden sich kommunale und privatwirtschaftliche Entsorgungsträger über Zuständigkeiten streiten. Und es herrsche ebenso der Glaube vor, dass Abfallwirtschaft nur unter marktwirtschaftlichen Bedingungen funktionieren kann. Pomberger: „Tatsache ist doch, dass wir manches nur deshalb tun, weil es Regeln und Anreizsysteme gibt. Abfall – ich sagte es bereits – geht den Weg des geringsten Geldes. Wenn wir Abfallströme lenken wollen, müssen wir die Rahmenbedingungen um die Anreizsysteme einsetzen. Anstatt Diskussionen darüber zu führen, wer zuständig ist, sollte man fragen: Wie kann ich Recycling, wenn ich es wirklich will, attraktiver machen?“

Ressourcenschutz beginnt mit der Produktion

Laut Wolfgang Rommel kann die Kreislaufwirtschaft den zu hohen Ressourcenverbrauch in Deutschland und der Welt nicht kompensieren: „Wir haben es mit einer stark steigenden Weltbevölkerung zu tun, die mehr Abfälle erzeugt. Das Recycling kann das nicht auffangen. Bis Mitte des Jahrhunderts werden wir zehn Milliarden Menschen auf der Welt sein. Wir müssen uns vielmehr mit Technologien beschäftigen: Wie kann man von Anfang an, bevor wir Produkte einführen, unsere Materialintensität herunterfahren? Ressourcenschutz beginnt mit der Produktion von Gütern.“

Die Abfälle, die heute gesammelt werden, ergänzte Pomberger, „sind die Produkte der Vergangenheit. Wir haben eine Zeitverzögerung. Je länger die Nutzungsdauer von Produkten ist, umso größer ist diese Zeit. Und in der Zwischenzeit läuft der Rohstoffverbrauch davon. Selbst wenn wir 100 Prozent Recyclingrate hätten, wäre in der Zwischenzeit der Rohstoffbedarf schon gestiegen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass wir Primärrohstoffe vollständig ersetzen könnten. Abfallvermeidung ist für die Abfallwirtschaft nur deshalb kein Thema, weil das Wort Abfall in dem Begriff steckt. In Wahrheit muss das Produktvermeidung heißen. Und dafür ist die Abfallwirtschaft nicht zuständig.“ Otto Heinz wandte diesbezüglich ein, dass sich Abfälle nicht vermeiden lassen und sich die Industrie auch solchen Forderungen nicht beugen würde. Die Abfallwirtschaft sei außerdem ein bedeutender Wirtschaftssektor, der Arbeitsplätze schafft. Einig waren sich die beiden Experten darin, dass sich nicht alles recyceln lässt.

Helmut Schmidt plädierte zum Abschluss der Diskussionsrunde für recyclingfreundlichere Produkte seitens der Industrie und dafür, dass Elektroaltgeräte und Altfahrzeuge im Land bleiben und nicht exportiert werden dürfen. Die Hersteller sollten die Produkte am Ende ihrer Lebensdauer wieder zurücknehmen und dann recyceln. Nutzen statt besitzen sei ohnehin am Kommen und die Ökonomie des Teilens ein Zukunftsmodell. Henning Krumrey sah dadurch den Grundsatz der freien Marktwirtschaft gefährdet: „Wir können dem Bürger doch nicht vorschreiben, wem er sein Auto verkaufen darf und in welches Land.“

Foto: bifa Umweltinstitut

(EUR0517S10)

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