Vorwärts – Langsam – Stop!

Die EU-Mitgliedstaaten tun sich schwer mit einer abgestimmten Kreislaufwirtschaft.

Es gibt eine Reihe von Mitgliedstaaten, die sich den Vorschlägen des EU-Parlaments zur Einführung einer Kreislaufwirtschaft versperren. Das brachte eine Umfrage zutage, die das Europäische Umweltbüro, Friends of the Earth Europe und Zero Waste Europe initiiert hatten. Zur Gruppe der Zauderer gehören aber weniger die üblichen Verdächtigen: Je nach Entsorgungsart zählen auch vermeintliche Kreislauf-Musterländer zu den Bremsern, wie eine neue interaktive Karte des Europäischen Umweltbüro aufdeckt.

Am deutlichsten wird das Zögern etlicher Staaten beim Überblick über die Einstellung zum Thema Re-Use. Das unterstützen lediglich Spanien, Frankreich, Belgien und Griechenland; der Rest Europas ist wie Schweden, Italien oder Rumänien mehr oder weniger strikt dagegen, derartige Maßnahmen zu stützen. Ein amorphes Bild ergibt auch die Wiederverwendung von Verpackungen: Schweden, Finnland und die Baltikum-Staaten lehnen eine Zehn-Prozent-Quote ab, während Deutschland nur auf Verpackungsrecycling setzt, die Slowakei über keine Daten hierzu verfügt und Italien sich auf keine nationale Position einigen kann. Rumänien hingegen unterstützt die Zehn-Prozent-Vorgabe, und selbst Ungarn, Bulgarien und Griechenland sind dazu unter Umständen bereit.

Meinungen weit auseinander

Die Meinungen über feste Zielsetzungen zur Abfallvermeidung gehen weit auseinander: Spanien lehnt sie komplett ab, Finnland will sie nicht vor 2018 einführen, Portugal und die Niederlande nur unter speziellen Umständen, während Frankreich bereits eine Gesetzgebung zur Reduzierung von Lebensmittelabfällen auf den Weg gebracht hat. Auch die Ansichten der Mitgliedstaaten zur rechtsverbindlichen Einführung von Bioabfall-Sammlungen sind alles andere als einheitlich. Rumänien will sie bis 2030 eingeführt haben, Nachbar Ungarn ist strikt dagegen, Frankreich stimmt für solche Sammlungen, sperrt sich aber gegen die Festlegung von Recyclingquoten, und Litauen will sie nicht vor 2030. Einer Erweiterten Produzenten-Verantwortlichkeit steht der europäische Süden und Südosten positiv gegenüber, Frankreich, Italien und Bulgarien würden unter Umständen zustimmen, während in Nordeuropa Schweden vollständig opponiert und Finnland besondere Anforderungen an die einzelnen Produktgruppen stellt.Selbst einer Einführung der 65-Prozent-Recyclingquote wünschen nicht alle EU-Staaten. Portugal will eine längere Übergangsfrist, Bulgarien und Ungarn sind komplett dagegen, ebenso die Baltikum-Staaten, der Slowakei ist 2030 zu früh, und Finnland kritisiert, dass noch nicht alle Details geklärt seien.

Angaben verweigert

Bei der Übersichtskarte fällt besonders auf, dass Deutschland, Polen und das Vereinigte Königreich jegliche Angaben quer durch alle Kreislaufwirtschafts-Maßnahmen hinweg verweigert haben. Nach Ansicht des Europäischen Umweltbüro unterlaufen diese Nationen damit den „demokratischen Prozess der Entscheidungsfindung“; Polen soll sich sogar Entkopplungsziele gesetzt haben, die ohne ambitionierte Vorgaben schwer zu erreichen sein dürften.

Quelle: European Environmental Bureau

Das österreichische EU Umweltbüro liest daraus, dass ambitionierte Zielsetzungen von mehreren Ländern unterwandert werden und derzeit die Bremser Oberhand zu gewinnen scheinen, zu denen offenbar unter anderem Dänemark und Finnland gehören, die trotz ihrer hohen Abfallmengen oft als Vorreiter im Bereich Abfallvermeidung dargestellt werden. Während gerade Länder, die oftmals mit der Bewältigung ihrer Müllprobleme kämpfen – Griechenland, Rumänien und Spanien –, sich für strengere Rahmenbedingungen für Recycling, Abfallvermeidung, Re-use sowie getrennte Müllsammlung einsetzen.

Jeder gegen jeden

Auch wenn die Umfrage nur Stimmungsbilder erfasst und die Übersichtskarte die abfallpolitische Orientierung der Mitgliedstaaten nur plakativ widergibt: Von einer einheitlich und von allen angenommenen Abfallwirtschaftspolitik scheint die Europäische Union weiter denn je entfernt. Hier zeigt sich auch keine – eventuell durch eine Politik der „zwei Geschwindigkeiten“ zu behebende – temporäre Ungleichheit. Sondern es entsteht der Eindruck, als kämpfe jeder gegen jeden – so, wie die europäischen Staaten auch bei der Unternehmensbesteuerung miteinander konkurrieren und sich auszustechen versuchen. Eine von allen Mitgliedstaaten mitgetragene, ambitionierte Kreislaufwirtschaft sieht jedenfalls anders aus.

Die interaktive Karte zu den „Führern und Bremsern der Kreislaufwirtschaft“ unter www.eeb.org.

Foto: RealPhotoItaly / fotolia.com

(EUR0617S10)

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