„Reifen-Rezyklate sind heute Ausgangs­material für viele hochwertige Erzeugnisse“

Deutschland wird gerne als Recyclingweltmeister bezeichnet. Tatsächlich trifft das Klischee nicht immer zu. Wie ist die Situation bei Altreifen? Darüber und über ähnliche Themen haben wir mit Hans-Jürgen Drechsler und Yorick Lowin, den beiden Geschäftsführern des Bundesverbandes Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) gesprochen.

Yorick Lowin (Foto: BRV)

Yorick Lowin ist Wirtschaftsjurist und war zuvor beim Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) in leitender Funktion tätig. Beim BRV unterstützt der 40jährige nun Hans-Jürgen Drechsler, der seit 25 Jahren Geschäftsführer beim BRV und dort im Besonderen für den technischen Part zuständig ist. Vor knapp zwei Jahren wurde die Initiative ZARE ins Leben gerufen. ZARE ist der erste Zusammenschluss von zertifizierten Altreifenentsorgern in Deutschland, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Bewusstsein für fach- und umweltgerechtes Reifenrecycling im Reifenhandel, in Kfz-Werkstätten und beim Autofahrer zu stärken. Die Altreifenentsorger der Initiative im Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. sortieren die anfallenden Gebrauchtreifen und führen sie den entsprechenden Verwertungspfaden zu.

Herr Lowin, Sie sind neuer Geschäftsführer des BRV und folgen in dieser Funktion Peter Hülzer, der sich nach 30 Jahren im Dienst des Verbandes in den Ruhestand verabschiedet hat. Was umfasst Ihre Aufgaben im Team und was haben Sie sich vorgenommen?

Die Hauptaufgabe des BRV sehe ich nicht in der klassischen Lobbyarbeit – auch wenn wir selbstverständlich auf politischer Ebene sehr aktiv sind, um zum Beispiel im Sinne unserer Mitglieder Einfluss auf Gesetzgebungsvorhaben zu nehmen. Primär geht es aber darum, den Verbandsmitgliedern konkrete Hilfestellungen zu geben. Dies geschieht zum Beispiel in unserer individuellen Kommunikation mit einzelnen Mitgliedsunternehmen, über unsere Print- und Onlinemedien Trends & Facts, die Website und den VIP-Newsletter. Und natürlich auch in den zahlreichen Arbeitskreisen des BRV, in der jährlichen Mitgliederversammlung und nicht zuletzt – ab 2018 – auf dem neuen Branchentreff, der Leitmesse  „The Tire Cologne“.

Feinvermahlungsanlage (Foto: Kurz Karkassenhandel GmbH)

Die Bedeutung des Reifenfachhandels noch klarer im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern, wird eine der wichtigsten Aufgaben des BRV in den nächsten Monaten und Jahren sein. Beim Reifenkauf geht es um die persönliche Sicherheit eines jeden Autofahrers und seiner Familie. Nur der Reifenfachhandel als spezialisierter Experte kann diese Sicherheit gewähren.

Die zukünftigen Herausforderungen des BRV ergeben sich aber auch aus den Herausforderungen der Branche: Die durchschnittliche Fahrleistung der Deutschen sinkt infolge eines veränderten Mobilitätsgedankens, die Qualität des Produkts „Reifen“ wird stetig besser, damit steigt die Nutzungsdauer. Der Markt ist gesättigt. Es herrscht ein starker Verdrängungswettbewerb. Getrieben von dieser Erkenntnis versuchen Betriebe, sich zu spezialisieren oder ihr klassisches Dienstleistungsportfolio auszuweiten. Der Service-aus-einer-Hand-Gedanke wird heute gerne aufgegriffen: Neben dem Kerngeschäft „Reifen“ setzt man auch auf den „Kfz-Service“ als zweites Standbein. Umgekehrt setzen auch Kfz-Werkstätten neben ihrem Kerngeschäft zunehmend stärker auf das Geschäftsfeld „Reifen“. Ich sehe es als eine ganz wichtige Aufgabe des BRV an, unsere aktuellen und zukünftigen Mitglieder bei diesem Wandel im Dienstleistungsangebot zu begleiten und zu unterstützen, aber dabei die Kernkompetenz „Reifen“ nicht aus den Augen zu verlieren.

Die Initiative ZARE (Zertifizierte Altreifen-Entsorger) im Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) wurde im September 2015 gegründet beziehungsweise wiederbelebt – zehn Jahre zuvor gab es schon mal einen Arbeitskreis. Wozu sollte diese Initiativbildung dienen?

Ziel der Initiative ZARE ist es, die qualitative Reifenentsorgung in Fachhandel, Kfz-Werkstätten und Autohäusern zu erhöhen, denn nur so kann nachhaltiges Reifenrecycling garantiert werden. Wer seine Altreifen über die ZARE-Altreifenentsorger entsorgt, schont damit Ressourcen und die Umwelt – denn in der Regel können die Bestandteile der Altreifen zurück in den Wertstoffkreislauf gebracht werden. Dadurch wird die Gefahr verhindert, die für die Umwelt von achtlos entsorgten Altreifen, sowohl für die Natur als auch für den Menschen, ausgeht. In der Vergangenheit wurden im BRV-Arbeitskreis der Altreifenentsorger Standards erarbeitet, um die Altreifenentsorgung den gesetzlichen Grundlagen, speziell den umweltpolitischen Aspekten, anzupassen. Aktuelle Themen sind unter anderem, einheitliche Regelungen für den Export von Altreifen zu erarbeiten. Hier geht es um das schadenfreie Triplieren/Duplieren von Gebrauchtreifen.

16 zertifizierte Altreifenentsorgungsfachbetriebe sind Partner. Welche Kriterien müssen dafür erfüllt werden, um solch ein zertifizierter Entsorgungsfachbetrieb zu werden?

Hans-Jürgen Drechsler: Grundlage des Zertifikates für Altreifenentsorger sind die Entsorgungsfachbetriebeverordnung und branchenspezifische Kriterien, die vom Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk festgelegt wurden. Außerdem werden allgemeine Anforderungen an Entsorgungsfachbetriebe gestellt, die das Kreislaufwirtschaftsgesetz definiert. Die vom BRV definierten, zusätzlichen branchenspezifischen Kriterien für Altreifenentsorgungsfachbetriebe beinhalten Vorschriften bezüglich:  Lagerung von Altreifen, Sortierung von Altreifen, Brandschutzbestimmungen,  Mengenstromnachweis (Betriebstagebuch), Verbringung von Altreifen.

Shredderanlage (Foto: Kurz Karkassenhandel GmbH)

Die ZARE-Partner – so ist zu lesen – „bieten verschiedene Recyclingwege an und decken das breite Spektrum an Möglichkeiten der Wiederverwertung ab“. Was heißt das für die alltägliche Praxis?

Hans-Jürgen Drechsler: Die ZARE-Partner entscheiden, welchen Verwertungsweg der Altreifen nimmt. Altreifen speziell im Lkw-Bereich mit einer qualitativ hochwertigen Karkasse werden der Runderneuerung zugeführt, der aus umweltpolitischen Gründen zu bevorzugende Recyclingweg. Die verbleibenden Altreifen werden entweder der stofflichen oder thermischen Verwertung zugeführt.

Wie stellen Sie sicher, dass die Entsorgungsqualität (professionell und umweltorientiert) Ihrer Partner eingehalten wird?

Da das in Rede stehende Zertifikat auf drei Jahre zeitlich befristet ist, werden die Zertifikat-Inhaber, also die ZARE-Partner, regelmäßig und wiederkehrend vor Ort von einer neutralen Prüforganisation überprüft/auditiert.

Was konnte die Initiative ZARE auf wirtschaftspolitischer Ebene in den letzten zwei Jahren schon erreichen?

Die Initiative ZARE wurde im September 2015 gegründet – richtig aktiv wurde sie erst im Februar 2016, mit der Live-Schaltung der Website. Die primären Ansätze liegen im ersten Schritt in der gemeinsamen Vermarktung der zertifizierten Reifenentsorger, weniger in der wirtschaftspolitischen Ausrichtung. Nach den elf Gründungspartnern konnten weitere fünf Partner gewonnen werden. Die Berichterstattung gegenüber dem Handel, sich zertifizierten Altreifenentsorgern zuzuwenden, zeigt erste Ergebnisse.

Mit welchen anderen Branchenverbänden und Organisationen arbeiten Sie diesbezüglich zusammen?

Der BRV und die Initiative ZARE arbeiten eng mit der GAVS, der Gesellschaft des Wirtschaftsverbandes der deutschen Kautschukindustrie e. V. (wdk) zusammen.

Shreddermaterial im Vergleich (Foto: Kurz Karkassenhandel GmbH)

Um auf Ihre wirtschaftliche Situation zu kommen: Im letzten Jahr zeigten sich die Branchenunternehmen bezüglich der Anfallmengen im Betrieb noch zufrieden. Wie sind die Aussichten in diesem Jahr, und mit welchen Herausforderungen und Problemen haben die Branchenunternehmen zu rechnen?

Für 2016 kann tatsächlich festgehalten werden, dass alle Reifen untergebracht werden konnten. Bei massiv gestiegenem Altreifenanfall war es somit ein gutes Jahr. Die aktuellen Aussichten werden von folgenden Faktoren beeinflusst: Die Kapazitäten bei den Zementwerken waren gegen Ende des Jahre 2016 erschöpft, was in einem Annahme-Stopp beziehungsweise in eine drastisch reduzierte Annahme der Altreifen zur thermischen Verwertung in Zementwerken führt. Die Granulierbetriebe als Abnehmer von Altreifen für die stoffliche Verwertung sind ebenfalls stark ausgelastet. Die Menge an Altreifen, die entweder der stofflichen oder thermischen Verwertung zugeführt werden müssen, steigt jährlich, da speziell durch minderwertige, günstige Importreifen die Anzahl an runderneuerungsfähigen Karkassen sinkt. Diese Faktoren führen dazu, dass auch die Entsorgungsfachbetriebe stark gefordert sind und irgendwann an ihre Grenzen der Lagerung ankommen.

Die Altreifenentsorgung soll noch teurer werden. Welche wirtschaftlichen und gesetzgeberischen Faktoren sind dafür verantwortlich?

Hans-Jürgen Drechsler (Foto: BRV)

Hans-Jürgen Drechsler: Erklärtes Ziel der Europäischen Union beziehungsweise der Bundesrepublik ist die Förderung der Kreislaufwirtschaft unter Beachtung der Abfallhierarchie. Reifen-Rezyklate sind heute Ausgangsmaterial für viele hochwertige Erzeugnisse im Bereich von Bauprodukten und im Sportstättenbau. Diese Märkte für Recyclingprodukte und die Ziele der Kreislaufwirtschaft zur stofflichen Verwertung von Altreifen geraten derzeit durch eine Überregulierung in Gefahr. Es werden überzogene Anforderung an einzelne Inhaltsstoffe (zum Beispiel PAK) formuliert, die bei der bestimmungsgemäßen Verwendung der Erzeugnisse weder für den Menschen noch für die Umwelt ein Risiko darstellen. Ein wichtiger Aspekt ist der bereits oben angesprochene Punkt der abnehmenden Anzahl von runderneuerungsfähigen Karkassen durch den Import minderwertiger, günstiger Reifen. Reifen, die früher der Runderneuerung zugeführt wurden, erhöhen nun die Anzahl der Altreifen, die der thermischen und stofflichen Verwertung zugeführt werden müssen, und wie oben beschrieben sinken die Abnahmequoten.

Welche Altreifenmengen verwertet die ZARE pro Jahr?

Die Partner der Initiative ZARE behandeln knapp 140.000 Tonnen der rund 570.000 Tonnen Altreifen, die bundesweit pro Jahr anfallen.

Spielt in diesem Zusammenhang die Reifen-Runderneuerung eine Rolle?

Hans-Jürgen Drechsler: Bei der stofflichen Verwertung spielt die Reifen-Runderneuerung speziell im Lkw-Bereich eine sehr große Rolle. Qualitativ hochwertige Reifen können der Runderneuerung zugeführt werden und können hierdurch ein zweites Leben erhalten. Dieser Weg ist aus umweltpolitischen Gesichtspunkten der weiteren stofflichen und thermischen Verwertung vorzuziehen. Der Anstieg des Imports von günstigen und qualitativ minderwertigen Reifen macht es den ZARE-Partnern immer schwieriger, geeignete Reifen der Runderneuerung zur Verfügung zu stellen.

Rentiert sich für Sie eher stoffliches Recycling oder eher die energetische Verwertung?

Diese Frage ist aus Sicht der Initiative ZARE nicht zu beantworten, da die ZARE, wie bereits erwähnt, keine wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Partner vertritt. Ziel der Initiative ZARE ist die professionelle Altreifenentsorgung, sprich das Einsammeln der Altreifen und die Weiterverteilung in die unterschiedlichen Verwertungswege.

Was könnte eine verstärkte Forschung auf diesem Gebiet bewirken?

Sofern die Forschung neue Wege für eine verbesserte stoffliche Verwertung der Altreifen findet, wäre dies zu begrüßen, da dieser Verwertungsweg aus umweltpolitischer Sicht der thermischen Verwertung vorzuziehen ist.

Verpressung von Reifen (Foto: HSM)

Was müsste sich ändern, damit Altreifen – so es die Branche überhaupt wünscht – stärker wertstofflich behandelt werden?

Neben der Runderneuerung müsste es weitere Anwendungsmöglichkeiten für die stoffliche Verwertung von Altreifen geben. Neben den bisherigen Anwendungsbereichen wie zum Beispiel Kunstrasen, Asphalt oder Roheisen, die aus den zurückgewonnenen Bestandteilen Gummi, Textilfasern und Stahl hergestellt werden, müssten weitere Anwendungsbereiche gefunden werden.

Wohin entwickelt sich aus Ihrer Sicht der Altreifenmarkt in Deutschland und Europa: in Richtung mehr stoffliche oder mehr energetische Verwertung?

Die ZARE-Partner werden in Zukunft weiterhin daran arbeiten, 100 Prozent der Altreifen der Verwertung zuzuführen. Aktuell gibt es teilweise einen Annahme-Stopp im Bereich der thermischen Verwertung. Die stoffliche Verwertung von Altreifen steht daher im Fokus der Altreifenentsorger. Ob wir hier von einem Trend sprechen können, ist aktuell nicht absehbar.

Sehen Sie neue Recyclingtechnologien oder zukünftige Handlungsfelder, durch die die Altreifenverwertung lohnender werden könnte?

Viele Entsorger und Newcomer haben sich dem Thema Pyrolyse angenommen. Bisher gab es jedoch keine Technologie, die sich durchgesetzt hat und eine wirtschaftliche Alternative bietet. Die Politik unterstützt die aktuellen Versuche mit Fördergeldern. Sollten sich hieraus realistische Ansätze mit Erfolgsaussichten entwickeln, würden die Entsorger diese gerne unterstützen.

Recyclingprodukten lastet vielfach noch ein schlechtes Image an. Viele Industrien haben Vorbehalte, sie in der Produktion einzusetzen. Wie wird die ZARE hier initiativ?

Dies ist nicht Aufgabe der Initiative ZARE. Die ZARE kümmert sich um eine sach- und fachgerechte Entsorgung der Altreifen in Form des Einsammelns und Weiterleitens an die diversen Verwertungswege in Form von Ganzreifen oder Reifenmehl und -granulat. An den weiteren Schritten des Recyclings sind die ZARE-Partner nicht beteiligt.

Herr Drechsler und Herr Lowin, vielen Dank für das Interview!
(Die Fragen stellte Marc Szombathy)

Partner der Initiative ZARE:
•  Allgemeine Gummiwertstoff und Reifenhandel GmbH
•  Bender Reifen Recycling GmbH
•  Containertransporte Wesseler GmbH
•  CVS Reifen GmbH
•  Danninger OHG Spezialtransporte
•  Hartung Speditions-, Handels- und Transport GmbH
•  HRV – Harzer Reifenhandel und Verwertung Wernigerode GmbH
•  Kargro b.v.
•  Kurz Karkassenhandel GmbH
•  MRH – Mülsener Rohstoff- und Handelsgesellschaft GmbH
•  REG Reifen-Entsorgungsgesellschaft mbH
•  Reifen Draws GmH
•  Reifengruppe Ruhr/RGR
•  Reifen Günay GmbH
•  Reifen OKA
•  RRB Reifen Recyclingbetrieb Brenz GmbH

www.brv-bonn.de, http://zertifizierte-altreifenentsorger.de

Foto: Kurz Karkassenhandel GmbH

(EUR0617S12)

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