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Ausgelastet oder überlastet? Der deutsche Abfallverbrennungsmarkt unter der Lupe

Der Markt für thermische Abfallbehandlung ist stabil, aber nicht unveränderlich. Welche Veränderungen es in jüngster Zeit gab und mit welchen zukünftig zu rechnen ist, untersuchte eine Session auf dem 29. Kasseler Abfall- und Bioenergieforum.

Nach Aussage von Carsten Spohn (ITAD, Düsseldorf) bestand 2016 der deutsche Anlagenpark für thermische Abfallbehandlung aus 66 Müllverbrennungsanlagen mit einem Durchschnittsalter von 19,5 Jahren und 35 Ersatzbrennstoff-Kraftwerken mit einem Durchschnittsalter von 8,5 Jahren. Als Anlagen zur Mitverbrennung waren zudem 33 Zement- und Kalkwerke sowie elf Kohlekraftwerke in Betrieb. In den Jahren 2012 bis 2014 stieg der Input an Abfällen zur thermischen Behandlung von 44,96 auf 46,82 Millionen Tonnen. Im gleichen Zeitraum erhöhten sich die Importe um 0,9 Millionen Tonnen, sind seitdem aber in der Tendenz rückläufig. 2014 wurden 25,3 Millionen Tonnen in Anlagen zur Abfall-, Klärschlamm- und Sonderabfallverbrennung und sonstigen thermischen Abfallbehandlungsanlagen eingesetzt; Feuerungsanlagen wie EBS-, Biomasse- und Kohlekraftwerke, Heizwerke sowie solche zur Mitverbrennung behandelten 21,5 Millionen Tonnen.

Energetische sowie stoffliche Rückgewinnung

Die rund 80 von den Mitgliedern der Interessengemeinschaft der Thermischen Abfallbehandlungsanlagen in Deutschland (ITAD) betriebenen Anlagen verwerteten im Jahr 2015 insgesamt 23,35 Millionen Tonnen an Abfällen energetisch; rund die Hälfte davon waren Siedlungsabfälle. Die in diesen Anlagen erzeugte Strommenge legte zwischen 2010 und 2015 von 6,6 Milliarden Kilowattstunden auf knapp acht Milliarden Kilowattstunden zu. In diesem Zeitraum stiegen die produzierte Wärmemenge (um sechs Prozent) ebenso wie der exportierte Strom (um 17 Prozent) moderat, während sich der exportierte Prozessdampf um 48 Prozent auf 13.211 Megawattstunden erhöhte. Aus den 5,5 Millionen Tonnen an Verbrennungsschlacken können 80 Prozent der enthaltenen Eisenmetalle und an die 60 Prozent der NE-Metalle zurückgewonnen werden. Daraus ergibt sich eine jährliche Rückführung von 500.000 Tonnen Eisenmetallen, 80.000 Tonnen Nichteisen-Metallen und fünf Millionen Tonnen Ersatzbaustoffe in den Wertstoffkreislauf. Angenommen, dass europaweit mit dem Deponieverbot für unbehandelte Siedlungsabfälle ernst gemacht wird und dass zehn Prozent der bei Recycling und Kompostierung anfallenden Sortierreste und Störstoffe ausgeschleust werden, so ergibt sich ein Materialstrom von mindestens 80 Millionen Tonnen zur thermischen Behandlung, errechnete 2014 die europäische Statistikbehörde Eurostat. Diese Menge könnte durch energetisch verwertbare Gewerbe- und Industrieabfälle in etwa gleiche Höhe noch verdoppelt werden. Von einer Überkapazität der in Betrieb befindlichen Anlagen könne also keine Rede sein, allerdings auch von keinem Engpass: Die Anlagen sind mit über 100 Prozent gut ausgelastet. Importe und Exporte seien ebenso ausgeglichen wie die Marktsituation.

Keine Konkurrenz

Eine Konkurrenz der thermischen Abfallbehandlung zum Recycling sieht Spohn dabei nicht: Gerade die EU-Mitgliedstaaten, die hohe Recyclingquoten beim Siedlungsabfall erzielen, entsorgen rund ein Drittel bis die Hälfte dieser Abfälle thermisch. Allerdings sollte beim Recycling eher auf die Qualität der Ergebnisse geachtet werden, anstatt nur die Quantität bei Recyclingquoten zu steigern. Eine sinnvolle Abfallbewirtschaftung sollte vorhandene Behandlungskapazitäten nutzen und neue Vorbehandlungskapazitäten schaffen, da zukünftig immer wieder unvorhersehbare Stoffströme entstehen können, die gegebenenfalls thermisch entsorgt werden müssten. Die Problematik der HBCD-Dämmstoffe liefert dafür ein aktuelles Beispiel. Insofern seien thermische Behandlungsanlagen – zur Schadstoffsenke, zur Garantierung der Entsorgungssicherheit und bei sinnvoller und intensiverer Kombination mit stofflicher Behandlung von Schlacken – ein „integraler und nachhaltiger Bestandteil des Systems“.

Am oberen Limit der Kapazität

Laut Stefan Visser (EEW Energy from Waste, Helmstedt) arbeiten die klassischen Müllverbrennungsanlagen in Deutschland am oberen Limit ihrer Kapazität: Nahezu alle Anlagen von Betreibern, die dem ITAD angehören, sind zu mindestens 95 Prozent ausgelastet, 23 Anlagen zu über 100 Prozent. Aus den kontinuierlich steigenden Verbrennungspreisen lässt sich ableiten, dass auch die Kapazitäten anderer Anlagen zur Mitverbrennung ihre Belastungsgrenze erreicht haben. Für das zurzeit hohe Abfallaufkommen ist die wirtschaftliche Entwicklung verantwortlich, die die Mengen von gewerblichen Mischabfällen, Baumischabfällen und Hausmüll steigerte. Milde Winter ermöglichten längere Bauphasen und höhere Abfallvolumina. Auch führt die gute Konjunktur und privater Konsum dazu, dass der zunehmend anfallende Sperrmüll direkt in die Müllverbrennungsanlagen verbracht wird.

Kapazitätsverluste bei MBA und Kraftwerken

Allerdings hat sich der Markt für thermische Abfallentsorgung verändert, zurückführbar auf die Niedrigpreis-Phase infolge der Finanzkrise 2009 und die höheren Kosten für MBA im Vergleich zu MVA. Während bei mechanisch-biologischen Anlagen die Entsorgung nach Abzug der Erlöse Kosten zwischen 80 und 104 Euro pro Tonne erfordert, fallen bei der Müllverbrennung Kosten in Höhe von 57 bis 92 Euro pro Tonne an. Seit 2015 wurden daher drei MBA stillgelegt oder zu reinen Behandlungsanlagen für Bioabfälle umstrukturiert. Dadurch entgehen dem MBA-Markt 350.000 Tonnen Kapazität; für das nächste Jahr werden weitere 140.000 Tonnen Verlust erwartet. Insgesamt verliert die MBA-Branche 692.000 Tonnen beziehungsweise 14 Prozent seiner 5,1 Millionen Tonnen an Behandlungskapazität. Hinzu kommt die Abschaltung der 42 Jahre alten Hamburger MVA Stellinger Moor, mit der 165.000 Tonnen vom Markt verschwanden. Und auch etliche Kohlekraftwerke werden in wenigen Jahren nicht mehr zur Verfügung stehen: Werden diese fünf und plus zwei Braunkohlekraftwerke nach vier Jahren „Sicherheitsbereitschaft“ stillgelegt, gehen weitere 435.000 Tonnen Kapazität zur Mitverbrennung außer Betrieb. Im Gegenzug zu diesem Trend entwickelte sich der Einsatz von Ersatzbrennstoffen in der Zementindustrie. Während 2006 noch 2,61 Millionen Tonnen als Brennstoff verwendet wurden, waren es 2015 bereits 3,18 Tonnen – ein Anstieg von 22 Prozent. Diese Entwicklung soll anhalten: Im schwäbischen Zollernalbkreis durfte die Einsatzquote für EBS auf 100 Prozent erhöht werden, in Bernburg (Saale) soll eine Klärschlamm-Trocknungsanlage für täglich 384 Tonnen Durchsatz sorgen, und Heidelberg Cement investiert 100 Millionen Euro in einen neuen Ofen, um die EBS-Einsatzquote zu erhöhen. Langfristige Entsorgungssicherheit bietet die Zementindustrie jedoch nicht: Trotz boomender Bauwirtschaft soll der Zementversand rückläufig sein. Alles in allem – so Stefan Visser – soll der Markt für thermische Abfallbehandlung auch in den nächsten Jahren stabil und ausgelastet bleiben. Mit Entlastungen von hohen Abfallaufkommen wird dabei ebenso wenig gerechnet wie mit der Einrichtung neuer Behandlungskapazitäten.

EBS-Importe aus England

Seit 1996 wird im Vereinigten Königreich sukzessive auf die Deponiekosten eine Deponiesteuer aufgeschlagen. Im Jahr 2011 erreichten die Gesamtdeponierungskosten die Höhe von 100 Britische Pfund (116 Euro pro Tonne). 2011 standen außerdem für rund 30 Millionen Tonnen an Haus-, Gewebe- und Industrieabfällen nur Behandlungskapazitäten für 15 Millionen Tonnen zur Verfügung. Damit erschien die Abfallverwertung im Ausland kostengünstiger. So meldete Eurostat 2011 erstmals den Export von 15.000 Tonnen Ersatzbrennstoffe nach Deutschland. Mittlerweile führt UK 3,2 Millionen Tonnen an Ersatzbrennstoffen aus, davon 695.000 Tonnen in die Bundesrepublik – geschätzte zusätzliche 125.000 bis 155.000 Tonnen an Vorprodukten, grün gelisteten Abfällen, Teppichen, Textilien und Kunststoffen nicht gerechnet. Für die deutschen Abfallverwerter ergibt sich daraus ein Umsatz von 40 bis 45 Millionen Euro.

Verluste von 320 Millionen Euro

Nach Ansicht von Dirk Lechtenberg (MVW Lechtenberg Projektentwicklungs- und Beteiligungsgesellschaft, Duisburg) beträgt derzeit die Lücke zwischen Abfallaufkommen und Behandlungskapazitäten weiterhin 15 Millionen Tonnen; die englische Umweltschutzbehörde rechnet für 2025 noch mit 4,5 bis sechs Millionen Tonnen Fehlbestand. Schnelle Abhilfe ist nicht in Sicht: Zum einen herrscht auf der Insel eine „Not in my backyard“-Stimmung gegen Abfallbehandlungsanlagen, zum anderen erschweren die kommunalen Behörden Genehmigungen und zeigen wenig Bereitschaft für langfristige Verträge. Darüber hinaus tragen die Investoren das alleinige finanzielle Risiko. Da es nur geringe rechtliche Vorgaben zur Erhöhung der Recyclingquoten gibt, ist folglich die mechanische Behandlung samt Export von Ersatzbrennstoffen nach wie vor die kostengünstigere und einfachere Entsorgungsmethode. Allerdings sind nach Schätzung der FCC Environment durch insgesamt 3,2 Millionen Tonnen an Abfällen den britischen Verwertungsunternehmen Einnahmen in Höhe von 320 Millionen Euro entgangen.

Gefahr durch den Brexit?

Falls die britische Regierung die Deponiesteuer nicht aussetzt und damit den Export überflüssig macht, dürfte der – nach jetzigem Kenntnisstand „harte“ – Brexit den Export erschweren. Die Verabschiedung neuer abfallrechtlicher Rahmenbedingungen stünde an. Der Genehmigungsaufwand wird mit Sicherheit steigen. Als grenzüberschreitende Lieferungen müsste die Einfuhr von Abfällen zolltechnisch angemeldet und abgerechnet werden. Ohnehin würden die Liefervereinbarungen kurzfristiger abgeschlossen. Und auch der Kursverlust des Pfunds würde zu Buche schlagen, da Verträge in Euro abgerechnet werden.

Allerdings müsste wohl auch Deutschland Federn lassen. Da für Abfälle immer der günstigste Weg gesucht wird und Ersatzbrennstoffe gewöhnlich auf dem Landwege transportiert werden, liegen die Niederlande näher als die Bundesrepublik. Und da die Niederlande bereits seit 2011 ihre Überkapazitäten mit Abfällen aus dem Vereinigten Königreich reduzieren, wird sich dies vermutlich nicht ändern. Während sich die ost- und dann die westdeutschen Betreiber von Verwertungsanlagen dann nach Ersatz umsehen müssen.

Die Beiträge von Carsten Spohn, Stefan Visser und Dirk Lechtenberg sind nachzulesen unter Bio- und Sekundärrohstoffverwertung XII, herausgegeben von Klaus Wiemer, Michael Kern und Thomas Rausssen, Witzenhausen 2017, ISBN 3-928673-74-2.

Foto: Sergey Nivens / fotolia.com

(EU-Recycling 07/2017, Seite 26)

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