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Chancen der Kreislaufwirtschaft: Die Potenziale wären vorhanden

Als Wirtschaftsmodell der Zukunft nutzt die Kreislaufwirtschaft eingesetzte Rohstoffe länger und häufiger als bisher.

Das globale Wirtschaftswachstum stieg im Laufe des letzten Jahrhunderts um das 23-fache, während sich die Materialentnahme im gleichen Zeitraum nur um das 8-fache erhöhte. Globales Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch sind daher lediglich relativ entkoppelt; der Ressourcenverbrauch steigt weiter an. Die Kreislaufwirtschaft hingegen verknüpft ökonomische und ökologische Chancen, um die heutigen Produktions- und Konsumsysteme nachhaltiger zu gestalten und ressourceneffizienter zu nutzen. Das belegen die folgenden Beispiele aus einer Studie zur „Analyse von Potenzialen und Ansatzpunkten für die IKT-, Automobil- und Baustoffindustrie“, die der Rat für Nachhaltige Entwicklung in Auftrag gegeben hatte.

Router: mieten statt kaufen

Würden Router ausschließlich über das Mietmodell vertrieben, könnten – so die Studie – im Vergleich zum jetzigen Gebrauch bis zu 80 Prozent der Rohstoffverluste und 45 Prozent der CO2-Emissionen vermieden werden. Das liegt in der höheren Sammel- und Rückgewinnungsquote vor allem von Gold und Kunststoffen durch das Mietmodell begründet. Auch hinsichtlich Wirtschaftlichkeit bietet der aufbereitete Router – verglichen mit einem Neuprodukt – Vorteile durch rund 35 Prozent geringere Kosten. Hinzu kommt der sozialwirtschaftliche Nutzen: Die amerikanische Umweltschutzbehörde hat errechnet, dass die Verbrennung von 10.000 Tonnen Abfall einen Arbeitsplatz, deren Deponierung sechs Arbeitsplätze, deren stoffliche Verwertung 36 neue Stellen und deren Aufarbeitung und Wiederverwendung 296 Arbeitsstellen schafft. RReuse, dem europäischen Netzwerk der Sozialen Wiederverwendungs- und Recyclingunternehmen, zufolge können dadurch sogar bis zu 800 Arbeitsplätze entstehen.

Voraussetzung dafür ist, dass die Hersteller das Design für Wiederaufbereitung optimieren, die Politik die bestehenden ökonomischen Anreize erhöht und die Sammler eine bessere Getrennthaltung der Geräte in Sammelvorrichtungen gewährleisten. Den Inverkehrbringern wird empfohlen, Mietmodelle oder „Product as a Service“-Geschäftsmodelle anzuwenden, gebrauchte Geräte in ihr Angebot aufzunehmen, den Anreiz zur Rückgabe von Geräten zu steigern und Wiederaufbereitungsprozesse bei externen Dienstleistern zu bündeln.

Zweitnutzung von Traktionsbatterien

Derzeitige Geschäftsmodelle im Automobilbereich schließen die Zweitnutzung von Automobilen mit Verbrennungsmotoren und ihren Fahrzeugkomponenten weitestgehend aus. Hingegen bieten Elektrofahrzeuge oder ihre einzelnen Komponenten Möglichkeiten eines weiteren Einsatzes. Insbesondere Traktionsbatterien verfügen nach ihrer üblichen Nutzungsdauer noch über eine Restkapazität von etwa 80 Prozent. Das Recycling der in ihnen enthaltenen wertvollen Rohstoffe stellt sich derzeit als unwirtschaftlich dar: Die Rückgewinnung ist kosten- und energieintensiv und beschert dem Verfahren eine schlechte Ökobilanz.

Hingegen dienen Second Life-Lithium-Ionen-Batterien in der Zweitnutzung als Komponenten für Aggregate zur Bereitstellung und Vermarktung von Primärregelleistung oder als gebrauchte Batterien im Einsatz als Speicher für Privathaushalte und Firmengebäude: In einem Pilotprojekt und mittlerweile im Regelbetrieb wurden und werden in der HafenCity Hamburg gebrauchte Traktionsbatterien als Puffer für Schnellladesäulen eingesetzt. Technische Entwicklungen sollen bereits zur Senkung der Recyclingkosten geführt haben und baldige Gewinne versprechen. Bis dahin sind die gebrauchten Batterien auch hinsichtlich Wirtschaftlichkeit bei der Energiespeicherung als direkte Konkurrenz zu Neubatterien einzustufen, da sie preislich günstiger als Neuware sind. Laut Schaufenster Elektromobilität des VDI lohnt sich – über 20 Jahre gerechnet – der Einsatz gebrauchter Batterien: Als Speicher zur Bereitstellung von Primärregelleistung steigt ihr Kapitalwert verglichen mit einer Neubatterie um 33 Prozent; der Sekundär-Speicher amortisiert sich schon nach wenigen Jahren.

Gips-Recycling noch unwirtschaftlich

In Deutschland fallen rund 600.000 Tonnen Bauabfälle auf Gipsbasis an. Bislang wird das Potenzial zur Verwertung von Gipsabfällen und zur Herstellung von Recyclinggips hierzulande nicht ausgeschöpft, da die Produktion – im Vergleich zu Deponierung oder Export – derzeit noch unwirtschaftlich ist. Das Material wird zum Teil bei der Rauchgasentschwefelung in Kohlekraftwerken gewonnen. Doch könnte es durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung in der Produktion von REA-Gips zu Engpässen führen.

Laut Studie kann Gips „grundsätzlich ohne Be­ein­träch­tigung der Materialeigenschaften und der Qualität beliebig oft recycelt werden. Hierfür muss er aber in einem sortenreinen Zustand vorliegen, und dieser ist häufig nicht gegeben.“ Dazu müsste beim Design gipshaltiger Bauelemente bereits die Möglichkeit der späteren Verwertung berücksichtigt werden; vor dem Rückbau ein Abfallwirtschaftsplan für das Gebäude erstellt und ein Audit zur Bestandsaufnahme vorgenommen werden; für eine möglichst sortenreine Separierung von gipshaltigen Innenausbaumaterialien gesorgt werden; und schließlich eine optimierte Bauschuttaufbereitung durch (Vor-)Sortierung, Zerkleinerung und Klassierung erfolgen.

Fünf Handlungsempfehlungen

Aus den ausgewählten Fallbeispielen stellen die Autoren fünf Handlungsempfehlungen auf, um die Kreislaufwirtschaft in der Praxis zu stärken.

■ Herstellerverantwortung stärken: Ein ihnen gesetzlich vorgeschriebener Verbleib der Produktverantwortung soll Hersteller motivieren, ihre Marktstrategie auf die Verbesserung der Ressourceneffizienz entlang des gesamten Produktlebenszyklus und sogar über Lebenszyklen hinweg auszurichten.
■ Designfähigkeiten aufbauen: Die Förderung von Designfähigkeiten in den Entwicklungsabteilungen von Unternehmen kann Reparatur, Wiederaufbereitung oder Zweitnutzung von Produkten und Materialien profitabler gestalten.
■ Bereichsübergreifende Zusammenarbeit ermöglichen: Durch enger abgestimmte, bereichsübergreifende Ziele aller relevanten Unternehmensbereice lassen sich Vorteile realisieren.
■ Geschäftsszenario ganzheitlich berechnen: Durch übergreifende Indikatoren wie Gesamtbetriebskosten können Unternehmen zusätzliche Erträge durch die Zweitverwertung, Reduzierung von Reputationsrisiken beziehungsweise die Abwendung möglicher Strafzahlungen berücksichtigen und erfassen.
■ Informationen über Materialien und Materialzusammensetzungen bereitstellen: Durch das gemeinsame Entwickeln und Durchsetzen von Informationsstandards über Art, Menge und Zusammensetzung eingesetzter oder verbauter Stoffe können Hersteller und Entsorger eine Grundvoraussetzung für ein qualitativ hochwertiges Recycling und letztendlich für die Bereitstellung von Sekundärrohstoffen erfüllen.

Hersteller stärker in Verantwortung nehmen

[1]Philipp Buddemeier, Senior Manager bei der Unternehmensberatung Accenture Strategy und Autor der Studie, fordert daher die Politik auf, die Hersteller stärker in die Verantwortung zu nehmen, zum Beispiel über eine Rücknahmepflicht. „Unternehmen müssen dann viel stärker darüber nachdenken, was mit den Produkten nach der Erstnutzung passiert“, erwartet Buddemeier. Wie das funktionieren kann, soll den Unternehmen überlassen bleiben. „Dann können Unternehmen ihre ganze Kreativität einsetzen, um am Ende des Lebenszyklus` andere Verwendungsmöglichkeiten zu finden, die nicht Verbrennung oder Deponierung bedeuten.“ Für ihn ist die Kreislaufwirtschaft das Modell der Zukunft. Nun gelte es, Politik und Wirtschaft zu überzeugen, marktfähige Lösungen zu entwickeln und voranzutreiben.

Es sollte nicht vernachlässigt werden, dass die Potenziale der Circular Economy nicht nur in der Produktion und Rückgewinnung von Rohstoffen im Recycling liegen. Sie verbergen sich auch in der Verlängerung von Lebenszyklen, der Nutzung nachwachsender Materialien im Produktdesign und in der Nutzung bislang verschwendeter Kapazitäten aufgrund geringer Auslastung: Einer Untersuchung der Unternehmensberatung Accenture Strategy zufolge stehen zu jedem Zeitpunkt Fahrzeuge im Wert von sieben Billionen US-Dollar ungenutzt herum.

Die Studie „Chancen der Kreislaufwirtschaft für Deutschland“ kann unter www.nachhaltigkeitsrat.de/fileadmin/user_upload/RNE-Accenture_Studie_Chancen_der_Kreislaufwirtschaft.pdf [2] heruntergeladen werden.

Photo: pixabay

(EU-Recycling 09/2017, Seite 32)

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