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„Der Mengenzuwachs durch die Mantelverordnung scheint beherrschbar“

Der Deponiebedarf der deutschen Bundesländer ist angesiedelt zwischen Entsorgung-Sicherheit und -Notstand. Das wurde auf dem Karlsruher Deponie- und Altlastenseminar ebenso deutlich wie die Schwierigkeiten, neue Deponien zu kalkulieren und zu beantragen. Eine Bestandsaufnahme.

Ab 2030 sollen nach Vorstellung von Europarat und EU-Kommission höchstens zehn Prozent der Siedlungsabfallmenge unvorbehandelt auf Deponien kommen. Das – erklärte Dr. Karl Biedermann, Referatsleiter im Bundesumweltministerium, auf dem 27. Karlsruher Deponie- und Altlastenseminar am 18. Oktober – sei für Deutschland kein Problem: Bereits 2015 seien hierzulande von den 52 Millionen Tonnen an Siedlungsabfällen der Gruppen 20 xx xx und 15 01 xx lediglich 0,12 Millionen Tonnen und damit 0,2 Prozent direkt auf Deponien verbracht worden.

Würden strenggenommen der deponierte Feinkornanteil aus MBA, der MBA-Input zur Deponierung bei Rotten und der Anteil nicht verwertbarer Aschen aus Müllverbrennungsanlagen hinzugerechnet, bliebe Deutschland mit rund zwei Prozent immer noch weit unter dem Reduktionsziel von zehn Prozent. Ohnehin gehört Deutschland neben Österreich, Belgien, Dänemark, Niederlande und Schweden zu den „Musterstaaten“, die unter der 10-Prozent-Marge der Siedlungsabfallentsorgung liegen: Laut Eurostat entsorgten 2015 hingegen noch 17 Mitgliedstaaten mehr als 25 Prozent, zwölf Mitgliedstaaten mehr als 50 Prozent und sieben Mitgliedstaaten über 70 Prozent ihrer Siedlungsabfälle unvorbehandelt auf Deponien.
Kein bundesweiter Bedarf erkennbar

Im Jahr 2015 waren in Deutschland – den jüngsten Zahlen zufolge – 1.110 Deponien in Betrieb. Für die 787 DK 0-Deponien hat sich die gesamte Restlaufzeit im Laufe der letzten Jahre deutlich reduziert: Wurden 2012 noch 19 Jahre veranschlagt, so wird aktuell eine Restlaufzeit von elf Jahren kalkuliert.

Als Ursachen des sich abzeichnenden Bedarfs an Inertdeponie-Volumen werden eine regere Bautätigkeit und eine gestiegene Verfüllung bergbaufremder Abfälle übertage angenommen. Die 23 Jahre Restlaufzeit der 138 DK I-Deponien müssen durch die nordrhein-westfälischen Monodeponien für Verbrennungsrückstände aus der Braunkohleverstromung und eine brandenburgische Deponie relativiert werden: Die 133 übrigen Deponien verfügen über eine restliche Laufzeit zwischen 17 und 19 Jahren und lassen keinen bundesweiten Bedarf für Bau- und Abbruchabfälle erkennen. Allerdings zeichnet sich für bestimmte Regionen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen spezifischer Bedarf für zusätzliche Deponievolumina ab. Sollte die Mantelverordnung nach jetzigem Stand der Verhandlungen kommen, hätte das zwei unterschiedliche Auswirkungen. Im Anwendungsbereich der Ersatzbaustoffverordnung würden mineralische Abfälle und Ersatzbaustoffe unmittelbar oder aufbereitet in technischen Bauwerken eingesetzt; dies dürfte allenfalls die Verwertbarkeit verbessern und keine Verschiebungen in Richtung Deponie bewirken. Da hingegen im Geltungsbereich der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung geänderte Vorsorgeanforderungen für bodenähnliche Anwendungen greifen, rechnet man hier mit einem zusätzlichen Deponierungsbedarf von zehn bis 13 Millionen Tonnen pro Jahr.

Diese Menge müsste zum jährlichen Abfallaufkommen für DK 0- und DK I-Deponie in Höhe von rund 26 Millionen Tonnen addiert werden und würde eine erhöhte Materialzufuhr von 50 Prozent bedeuten. Nach Darstellung von Kurt Biedermann könne dabei keinesfalls – wie von den Bau-Verbänden behauptet – von einer Zunahme von 50 bis 70 Millionen Tonnen ausgegangen werden. Zudem sei in der Bundes-Bodenschutzverordnung eine achtjährige Übergangsfrist vorgesehen, die die Stoffstromverschiebungen für DK 0- und DK I-Deponien zeitlich entzerren und verschieben würde: „Der Mengenzuwachs für Deponien durch die Mantelverordnung scheint beherrschbar.“

Zwischen Entsorgung-Sicherheit und -Notstand

Für Hartmut Haeming von der InwesD – Interessengemeinschaft Deutsche Deponiebetreiber stellt sich die deutsche Deponielandschaft sehr uneinheitlich dar. So hat beispielsweise Schleswig-Holstein Deponiebedarf, da seine Lagerstätten spätestens 2024 verfüllt sein werden. Im Saarland könnte zeitnah sogar der Entsorgungsnotstand eintreten. In Mecklenburg-Vorpommern ist hingegen Entsorgungssicherheit und in Sachsen weitestgehend Entsorgungssicherheit gegeben. Der Verbrauch an Deponieraum setzt sich zusammen aus der eigentlichen Deponierung (44,45 Millionen Tonnen) und der Verwertung durch Deponiebaumaßnahmen (11,85 Millionen Tonnen), insgesamt aktuell also 56,3 Millionen Tonnen jährlich. Daraus errechnet sich ein Volumenverbrauch von 35,19 Millionen Kubikmetern pro Jahr. Die Mantelverordnung sieht Zusatzmengen von 13,0 Millionen Tonnen vor, woraus sich ein Volumenverbrauch von 43,3 Millionen Kubikmetern pro Jahr ergibt.

Der aktuelle Bestand lässt sich anhand einer Musterrechnung verdeutlichen. Dazu müssten die bestehenden Restkapazitäten der DK 0-, DK I- und DK II-Deponien aller Bundesländer und die hinreichend konkretisierten DK I-Planungskapazitäten addiert werden. Würden nun – rein rechnerisch – diese Lagerbestände seit Jahresbeginn 2017 unter Annahme der Mantelverordnung verfüllt, so wäre im August 2028 jeglicher Deponieraum aufgebraucht. Mit anderen Worten: Bei einem Gesamtvolumen der DK 0- bis DK II-Deponien von 466,42 Millionen Kubikmetern (Destatis-Daten) errechnet sich bei einem jährlichen Verbrauch von 43,3 Millionen Kubikmetern eine Verfülldauer von 10,77 Jahren. Das vom BDE geschätzte jährliche Verbrauchsvolumen von 67,61 Millionen Kubikmetern würde eine bundesweite Restlaufzeit von 6,9 Jahren bis zum November 2024 bedeuten, und der von der Bauwirtschaft in die Diskussion eingebrachte Volumenverbrauch von 82,61 Millionen Kubikmetern würde nach 5,7 Jahren zum August 2023 zur Schließung der bundesdeutschen Deponien führen.

Mengenprognosen mit Unsicherheiten belastet

Zwar wurden seitens der Politik etliche Kunstgriffe angewandt, um die Mantelverordnung zu entschärfen, beispielsweise durch neue Verwertungskriterien für Sulfat und TOC, die erwähnte achtjährige Übergangszeit für bestehende bergbauliche Verfüll-Genehmigungen oder länderspezifische Unterscheidungen. Dennoch sind die Mengenprognosen mit Unsicherheiten belastet, da die Ersatzbaustoffe noch wenig akzeptiert sind, teilweise kein Bedarf am Markt besteht, ihr Einsatz stellenweise verboten ist, kaum öffentliche Ausschreibungen zur Unterstützung getätigt werden und ein Risiko besteht, dass die CLP-Vorgaben auch andere Materialien zu nicht mehr marktfähigen Stoffen machen.

Wenn aber die Verfüll-Kapazitäten aufgebraucht sind und die Preise in allen Deponie-Klassen steigen, steige – so Haeming – die Gefahr nicht-rechtskonformer Ablagerungen, die wiederum durch vermehrte Kontrollen finanziert werden müssten, und es drohe ein „vermeidbares Notfallmanagement“ – ob zunächst ohne oder später mit Mantelverordnung. Sein Fazit: „In nahezu allen Bundesländern ist die Schaffung neuer Deponiekapazitäten zeitnah erforderlich, wenn Entsorgungsengpässe vermieden werden sollen.“ Auf weitere Stoffstromverschiebungen durch verschärfte Umweltgesetzgebung sei die deutsche Deponielandschaft noch nicht vorbereitet.

Neu: DK I- und gleichwertige Deponien

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Foto: Reinhard Weikert / abfallbild.de

Auf eine länderspezifische Besonderheit wies Gunther Weyer vom niedersächsischen Umweltministerium hin. Er verdeutlichte, dass in Niedersachsen DK 0- und DK II-Deponien noch über Restlaufzeiten von 15,7 beziehungsweise 27,5 Jahre verfügen, die DK I-Deponien jedoch nur noch auf 4,2 Jahre limitiert sind. Allerdings würden eine neue Deponie und vier Erweiterungsvorhaben für eine rechnerische Restlaufzeit von 16 Jahren realisiert: Bei diesen handele es sich um neu kategorisierte „DK I und gleichwertige“ Deponien, die mit einer Basisabdichtung gemäß Deponieklasse II ausgestattet sind, aber ohne Deponiegaserfassungs- oder Behandlungssysteme. Somit stünden hier Ablagerungskapazitäten für mäßig belastete mineralische Abfälle gemäß Klasse I zu vertretbaren Annahmepreisen zur Verfügung. Bislang seien solche Abfälle nicht in DK II-Deponien verfüllt, sondern ins Ausland verbracht worden.

Engpässe bei der Ablagerung industrieller Abfälle bereiten auch dem Bundesverband der Deutschen Industrie Sorgen. Hinzu kommt – wie Rechtsanwältin Catrin Schiffer ausführte –, dass bestehender Deponieraum regional höchst ungleichmäßig verteilt sei und an vielen Indus­triestandorten nahegelegene Deponiestandorte fehlten. Aus diesem Grund fordert der BDI eine systematische Ermittlung des regionalen Deponiebedarfs, die Verankerung einer gebundenen Entscheidung, die die Erfüllung geforderter technischer und rechtlicher Voraussetzungen definiert, beschleunigte Planfeststellungsverfahren sowie eine nach Möglichkeit ordnungsgemäße Verfüllung von auch höher belasteten Böden und Bauschutt. Da der BDI „Deponieraum als Standortfaktor“ sieht, müssten private Investoren durch Planungsbeschleunigung motiviert werden.

Durch Planungsbeschleunigung motiviert?

Die Praxis sieht jedoch anders aus. Denn auf welche Hindernisse öffentliche oder private Investoren im Genehmigungsverfahren für neuen Deponieraum stoßen
könn(t)en, illustrierte Dr. Peter Kersandt (Andrea Versteyl Rechtsanwälte). Er schilderte, was es mit dem Nachweis der „Planrechtfertigung“ auf sich hat und wie beispielsweise das Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommerns den „Bedarfsnachweis“ auf die Prüfung anderer Zulassungsverfahren, Angaben zur zukünftigen Abfallsituation, die stoffliche Eignung der Abfälle zur Deponierung, mögliche andere Entsorgungswege und jeweilige Vorlagen von Entsorgungsverträgen oder Absichtserklärungen ausdehnte.

Auch die „gesicherte Erschließung“ zählt zu den kritischen Punkten der Prüfung, kann der Zugang zur Deponie doch durch Abstufung, Einziehung oder Verkauf der zuführenden Erschließungsstraßen verhindert oder doch erschwert werden. Ebenso bergen Alternativen-Prüfungen, Klagebefugnisse der Gemeinden und Umweltverbänden oder eine „folgenorientierte Interessenabwägung“ per gerichtlichem Eilverfahren Gefahrpunkte bei der Deponie-Genehmigung. Kersandts Zusammenfassung: „Trotz des dringenden Bedarfs an Deponieraum DK 0/ DK I in den meisten Bundesländern fehlt häufig die Akzeptanz und bestehen erhebliche Risiken bei der gerichtlichen Überprüfung.“

Ein Plan B

Um solche Probleme zu umgehen, schlug Prof. Horst Görg (Überwachungsgemeinschaft BU e.V.) einen prinzipiell anderen Weg vor. Mit Blick auf die aufgeschobene Mantelverordnung und die damit vorerst auf Eis gelegte Ersatzbaustoffverordnung sieht sein „Plan B“ eine Sondergesetzgebung für Bauabfälle vor. Diese sollten aus der Verordnung herausgenommen und einem separaten Bauabfall-Verwertungsgesetz unterstellt werden. Dadurch könnte an der Abbruchstelle der selektive Rückbau so geregelt werden, „dass wir nicht dort, wo das Material anfällt, doch noch mit den festen Regeln der Lager arbeiten, aber hinten, wo wir das Material einsetzen, die Ersatzbaustoffverordnung zum Tragen kommt“. Zudem würde nach Kabinettsbeschluss die momentane Mantelverordnung mit Begründung 349 Seiten umfassen. Österreich hingegen verfüge über ein Bauabfall-Verwertungsgesetz inklusive Regelungen für selektiven Rückbau – und das habe keine 20 Seiten.

Die entsprechenden Vorträge sind nachzulesen in „Abschluss und Rekultivierung von Deponien und Altlasten. Planung und Bau neuer Deponien“, Bauen und Umwelt, Band 32, hrsg. Thomas Egloffstein/Gerd Burkhardt, Karlsruhe 2017, ISBN 978-3-939662-21-1.

Foto: Foto Fay, Burkardroth, Kommunalunternehmen Lk Bad Kissing

(EU-Recycling 12/2017, Seite 6)

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