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„Die Welten der Kaufleute und der Behörden driften auseinander“

Der zur Rücknahme von Elektro(nik)altgeräten verpflichtete Handel fühlt sich von der Politik nicht mitgenommen. Das machte eine Fachtagung zum Thema deutlich. Einige Großindustrien, die das Elektrogesetz ignorierten, würden nicht sanktioniert und kleine Hersteller bei kleinsten Vergehen verfolgt. Von verschobenen Verhältnismäßigkeiten und Nachsteuerungsbedarf bei WEEE war die Rede.

Am 10. Oktober trafen sich im Schloss Hohenkammer in der Nähe von Freising in Bayern über hundert kleine und mittelständische Hersteller, Vertreiber sowie Vertreter von europäischen Rücknahmesystemen für Elektro- und Elektronikaltgeräte, um mit Vertretern der Europäischen Kommission und des Umweltbundesamtes den politischen Anspruch und die aktuellen Probleme bei der europaweiten Umsetzung der WEEE-Richtlinie zu erörtern. Veranstaltet und moderiert wurde die Fachtagung vom Verband zur Rücknahme und Verwertung von Elektro- und Elektronikaltgeräten e.V. (VERE) und der take-e-way GmbH. Vorstand und Geschäftsführer Oliver Friedrichs führte durch das Programm mit Vorträgen und Diskussionsrunden.

Wie Produkte rechtssicher vermarkten?

Björn Bischoff (Umweltbundesamt) wertete als Erfolg des Elektrogesetzes, dass die vorgeschriebene WEEE-Sammelmenge in Deutschland – vier Kilogramm pro Einwohner und Jahr – übertroffen werde. Alle Elektroaltgeräte (im Anwendungsbereich) würden systematisch erfasst, die Abfallströme gebündelt und die Verwertungsziele erreicht. Verbesserungsbedarf machte der Referent bei der Erfassung der Altgeräte in den Wertstoffhöfen aus – und nahm hier auch die Verbraucher in die Pflicht, Fehlwürfe zu vermeiden: „Der Verbraucher ist das erste Glied in der Kette.“ Behördliche beziehungsweise polizeiliche Machtlosigkeit räumte Bischoff hingegen bei der Bekämpfung illegaler WEEE-Sammlungen im informellen Sektor ein: Die Aussender von Handzetteln und Flugblättern in Briefkästen, die Sammelaktionen frei Haus und von der Straße weg ankündigen, könnten nicht einfach ermittelt werden, da in der Regel keine Namen und Adressen, geschweige denn Telefonnummern für Rückfragen der Bürger angegeben seien. Inwieweit E-Schrott in qualitative Recyclingprozesse nach den Kriterien des Elektrogesetzes gelangt, ließe sich nur auf der Behandlungsebene überprüfen, stellte Björn Bischoff als weitere Defizite beim Vollzug fest.

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Schloss Hohenkammer (Foto: Marc Szombathy)

Wie Elektronikprodukte rechtssicher vermarkten? Dieser Frage ging Thomas Müller-Krusche (TMK Retail Service & Consulting GmbH) nach. Sein Vortrag erläuterte, welche umfangreichen Auflagen – „ein Strauß an Vorschriften“ – heute zu erfüllen sind, bis eine Neuentwicklung verkauft werden kann: Gesetzliche (Mindest-)Anforderungen in puncto Sicherheit, Produktprüfungen seitens des Herstellers und Inverkehrbringers, Dokumenten-Kontrolle und Artwork-Check (Verifikation der vorhandenen Dokumente, die nicht älter als zwölf Monate sein sollten; gegebenenfalls fehlende Prüfungen organisieren, zum Beispiel Verpackung, Typenschild, Bedienungsanleitung), Risikoanalyse (verbindliche Standard-Risikoanalyse nach der EU-Niederspannungsrichtlinie und/oder EU-Richtlinie über die elektromagnetische Verträglichkeit), Konformitätserklärung. Verstöße gegen die Dokumentations- und/oder Kennzeichnungspflicht können mit Bußgeldern in Höhe von bis zu 10.000 Euro je Artikel und im Wiederholungsfall mit Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr geahndet werden.

Glaubensbekenntnis ohne Konsequenzen

„Die Welten der Kaufleute und der Behörden driften auseinander“, kommentierte Jochen Stepp die Betrachtungen von Thomas Müller-Krusche. Der Vorstand und Geschäftsführer von VERE und take-e-way kritisierte in Bezug auf die Produktverantwortung und Marktüberwachung das gesetzliche Abfallvermeidungsziel als Glaubensbekenntnis ohne Konsequenzen. Der Verkauf von Elektro(nik)altgeräten über Plattformen Dritter werde weder als Vermeidung noch als Wiederverwendung abfallrechtlich anerkannt. Die Vorbereitung zur Wiederverwendung sei eine Abfallbehandlung, und bei größeren Mengen erweise sich das Genehmigungsverfahren als sehr aufwändig. Stepp zufolge sind seiner Organisation Demontageanleitungen von Herstellern bislang nicht begegnet. Ohnehin würden viele Hersteller bestraft, die hochwertige und recyclingfreundliche Elektronikgeräte produzieren. Teilweise müssten sie Altgeräte beim öffentlich-rechtlichen Entsorger übernehmen, die mit ihren Produkten nichts zu tun haben und dabei „alles andere als recyclingfreundlich“ sind. Der extreme Preiskampf, der auch von den Ausschreibungen der optierenden öffentlich-rechtlichen Entsorger begünstigt werde, fördere industrielle Großanlagen. Diese seien meistens an einer Wiederverwendung überhaupt nicht interessiert und würden das in ihren Ausschreibungen auch ausdrücklich untersagen.

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Jochen Stepp (Foto: VERE e.V./ take-e-way GmbH)

Die Regelung, dass Hersteller freiwillig zurückgenommene Altgeräte bis zum 15. des Folgemonats in das EAR-System (Elektro-Altgeräte Register) melden müssen – gemäß Geräteart und Gewicht –, hält Stepp für praxisfremd: „Wenn ihm das doch gelingt, muss er mit einer Gebühr zwischen 33,70 und 3.365,30 Euro rechnen, deren Höhe er vorher nicht einschätzen kann. Zusätzlich kann es sein, dass ein Sachverständigen-Testat eingefordert wird. Die Herstellerrücknahme, die aus unserer Sicht die konsequente Produktverantwortung verkörpert, wird durch den Gesetzesgeber in vielen Fällen undurchführbar und gerade für kleinere Firmen teilweise unkalkulierbar gemacht.“ Wie der Experte zudem erklärte, unterliege insbesondere der Onlinehandel einem erheblichen Wettbewerbsdruck durch ausländische Anbieter, die ihre Produkte teilweise über Plattformen vertreiben und hier nicht selten die gesetzlichen und/oder steuerlichen Anforderungen umgehen würden. Dadurch erhielten sie einen erheblichen Wettbewerbsvorteil gegenüber gesetzestreuen Marktakteuren. Die zuständigen Behörden sehen sich den Erfahrungen des VERE e.V. und der take-e-way GmbH nach außerstande, dagegen vorgehen zu können.

Ein praxistaugliches Register schaffen

Unabhängige Studien und auch Untersuchungen aus den Bundesländern belegen, dass die kommunalen Sammelstellen für Elektroaltgeräte in Deutschland oft keine Konsequenzen fürchten müssen, wenn sie gegen gesetzliche Regelungen verstoßen oder über keine Genehmigung für den Umgang mit gefährlichen Abfällen verfügen. Stepp erzählte von einem ihm bekannten Fall, in dem die Kommune vergessen hat, die Optierung zu verlängern: „Na und? Man hat einfach weiterhin selbst vermarktet und damit die Hersteller enteignet.“ Als wirklichkeitsfremd bezeichnete er zugleich, dass von Bevollmächtigten, die von sich aus einen Vertrag mit einem Hersteller fristlos gekündigt haben – weil sie von diesem keine Informationen bekommen, weiterhin eine Meldepflicht in das EAR-System verlangt wird. Und zwar solange, bis dort die Bevollmächtigung gelöscht ist, was bis zu sechs Monate dauern kann. Jochen Stepp: „Das kann dazu führen, dass der Bevollmächtigte gezwungenermaßen Meldebetrug unterstützt.“ Wer als Hersteller in Deutschland Produkte verkaufen will, dort aber keine Niederlassung hat, muss einen Bevollmächtigten beauftragen.

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Foto: O. Kürth

„Wie soll ein mittelständischer Unternehmer immer mehr Gesetze befolgen, deren Einhaltung behördlich nicht überwacht wird und deren Inhalte selbst den Behördenmitarbeitern nicht immer verständlich sind?“ Für Jochen Stepp gibt es zu viele offene Rechtsfragen und nicht genügend Personal, um einen wirkungsvollen Vollzug gewährleisten zu können. Als einzige Institution sieht er die Deutsche Umwelthilfe in dieser Richtung tätig und sprach sich dafür aus, dass der Ehrliche nicht der Dumme sein dürfe. Die Behörden sollten in die Lage versetzt werden, „die Gesetzesverweigerer, auch wenn sie kommunal sind, effizient zu verfolgen und diejenigen, die die Gesetze befolgen, zu unterstützen und nicht bei kleinsten Fehlern mit Ordnungswidrigkeiten zu bestrafen.“ Darüber hinaus sollte endlich ein praxistaugliches Register der verpflichteten Rücknahmestellen geschaffen werden. Denn nach wie vor könnten sich viele Industriezweige sanktionsfrei vor ihrer Verantwortung drücken. So würden einige Automobilkonzerne zum Beispiel größere Mengen an Ersatzteilen nicht registrieren lassen.

Das Thema von Jürgen Beckmann (Bayerisches Landesamt für Umwelt) war die Rücknahme und Entsorgung von Elektro(nik)altgeräten durch den Handel nach dem neuen Elektrogesetz und der LAGA-Mitteilung 31A. Wie sich die Produktverantwortung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gestaltet, zeigte dann Bettina Lorz (EU-Kommission), und über die Entwicklung Zentraler Stellen und Möglichkeiten der Digitalisierung – wie europaweit melden? – informierten Mattia Bertazzo und Hjalmar Vierle (beide take-e-way GmbH). Weitere Programmpunkte der Fachtagung befassten sich mit der Rücknahmepflicht der Vertreiber in der Praxis, der neuen Datenschutzgrundverordnung und den ab August 2018 geltenden, geänderten Elektrogesetz-Kategorien sowie der Produktverantwortung in Online-Marktplätzen. Referenten waren hier Wolfgang Obermeyer (take-e-way), Jan Lorenzen (CiBS/Reisswolf Gruppe), Sebastian Siebert (take-e-way) und Ivan Bremers (Händlerbund Management AG).

Das Ziel wird aus den Augen verloren

Zusammenfassend führte die Veranstaltung zu folgenden Ergebnissen:

■ Die zukünftigen Sammelquoten können nur erreicht werden, wenn die Bürger und der Handel genügend von der Politik mitgenommen und nicht durch stark belastende Bürokratie abgeschreckt werden.
■ Namhafte Online-Plattformen vermitteln Seriosität und fördern gewerbliche Direktimporte nicht registrierter, nicht geprüfter und im Zweifel gefährlicher Ware zu Billigpreisen, da Compliance-Kosten und selbst Steuerabgaben umgangen werden. Ein wirksamer Schutz von gesetzestreuen Unternehmen gegen diesen illegalen Wettbewerb ist nicht in Sicht.
■ Durch national verschiedenartige gesetzliche Umsetzungen der WEEE-Richtlinie und Unterschiede im Vollzug entstehen große Hürden für Unternehmen, die europaweit ihre Produkte verkaufen wollen.
■ Ganze oder Teile von Industriezweigen ignorieren das Elektrogesetz und werden trotzdem nicht sanktioniert, während kleine Hersteller bei kleinsten Vergehen verfolgt werden. Dies führt zu verschobenen Verhältnismäßigkeiten.
■ Einige mit der Revision des Elektrogesetzes (ElektroG2) einhergehende Neuerungen werden nicht praxistauglich umgesetzt, zum Beispiel die des Bevollmächtigten. Hier besteht nach Ansicht dringender Nachsteuerungsbedarf.
■ Konstruktive Kritik an solchen Zuständen wird von einigen beteiligten Verwaltungsstellen mit Ausschluss und Ignoranz begegnet.
■ Es besteht eine erfreuliche Kooperationsbereitschaft der Europäischen Kommission und des Umweltbundesamtes für eine Verbesserung der Bedingungen.

Der Verband zur Rücknahme und Verwertung von Elektro- und Elektronikaltgeräten e.V. (VERE) und die take-e-way GmbH hoffen, „dass dies nur der Auftakt für deutlich bessere Voraussetzungen für die Umsetzung der WEEE-Richtlinie durch kleine und mittelständische Unternehmen und den Handel ist. Wir setzen uns weiterhin dafür ein, dass deren Belange nicht ignoriert werden.“ Das eigentliche Ziel des Elektrogesetzes, hohe Sammelmengen von teilweise gefährlichen Elektroaltgeräten zu erreichen sowie deren Wiederverwendung oder ein hochwertiges Recycling zu gewährleisten, werde zugunsten einer nicht zielführenden Bürokratie aus den Augen verloren.

Foto: VERE e.V./ take-e-way GmbH

(EU-Recycling 12/2017, Seite 18)