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„Wir sind im Recycling nicht so gut, wie wir sein sollten“

Recyclingexperte Helge Wendenburg deckte Schwachstellen auf.

Es war ein weiter Weg vom Abfallbeseitigungsgesetz des Jahres 1972, das die „Bürgermeister-Kippen“ verschwinden lassen wollte, zum Circular Economy-Package der Europäischen Union des Jahres 2017, das Abfall als Ressource im globalen Zusammenhang versteht. Dennoch ist Dr. Helge Wendenburg, Ministerialdirektor im Bundesumweltministerium, mit dem Ergebnis noch nicht zufrieden. In seiner Rede auf der Jahresversammlung der BDSV am 30. November 2017 zog er Bilanz mit den Worten: „Wir sind im Recycling nicht so gut, wie wir sein sollten.“ Und fragte sich und die Anwesenden: Wie schnell können wir sein? Was können wir in den einzelnen Mitgliedstaaten erreichen? Und wie lange brauchen wir noch die Deponierung?

Recycling ist erst am Anfang

In der Behandlung von Permanentmaterialien wie Eisen, Kupfer, Aluminium und Glas werden seiner Meinung nach zwar hohe Getrenntsammlungs- und Recyclingraten erzielt. Das gelte aber nicht für Bauteile in Zukunftstechnologien mit Materialien wie Gallium, Indium, Seltenen Erden und einer Vielzahl von Metallen. So stehe beispielsweise Lithium für Batterien nirgendwo in Europa zur Verfügung. Um eine dauerhafte Versorgung für den gesellschaftlichen Ressourcenbedarf zu gewährleisten, den Europa haben will, müsse man rasch ins Recycling kommen; andere Quellen stünden nicht zur Verfügung. Für Wendenburg ist daher „Recycling nicht am Ende, sondern erst am Anfang“. Die Erfolge der letzten zwei Jahrzehnte sollten nicht kleingeredet werden. Immerhin sei die Recyclingquote zwischen 1997 und 2015 von 40,3 auf 66,7 Prozent gestiegen (wenn auch teilweise nur durch Umdefinition); zählt man die energetische Verwertung hinzu, so komme man knapp auf 100 Prozent. Dennoch seien nach wie vor Deponien nötig, um viele nicht aufbereitbare Stoffe zu lagern. Unter Ressourceneffizienz müsse aber etwas anderes verstanden werden. Denn das englische Wort Circular Economy umfasse mehr als die deutsche Bezeichnung Kreislaufwirtschaft. Das deutsche Ressourceneffizienzprogramm ProgRess gehe davon aus, die gesamte Wirtschaftskette zu berücksichtigen, da der Produktlebenszyklus schon mit der Gewinnung von Materialien im Bergbau beginnt. Wendenburg: „Wir brauchen nachhaltige Produktion und nachhaltigen Konsum.“

Anderer Konsum, andere Regeln

Das International Resource Panel hat darauf hingewiesen, dass Primärrohstoffe weniger knapp als nicht verfügbar sind. Wie sollen beispielsweise Seltene Erden und Metalle aus der inneren Mongolei ohne die entsprechende Infrastruktur geborgen und nach Deutschland transportiert werden? Angesichts wachsender Städte dränge sich die Frage auf, wie der Bedarf nach Mobilität gedeckt werden kann? So sei es nicht notwendig, dass jedermann ein Auto besitzt, sondern nur die Berechtigung braucht, in ein autonomes Gefährt einzusteigen zu können. Und wie können bei expandierenden MegaCities im Bausektor Ressourcen eingespart werden? Unter anderem, indem die Städte selbst als Minen für ein Urban Mining dienen und Materialien durch selektiven Rückbau wiedergewonnen werden. Der notwendige Konsumwandel erfordere gesellschaftliche Veränderungen und neue Regeln, über die nachgedacht werden müsse. Denn – so Wendenburg – „wir haben nur diesen einen Planeten, keine Erde 2.0.“

Nachdenken über Recyceln heißt auch, sich sehr viel stärker als bisher über die Herstellung Gedanken zu machen, damit später das Material zum Recycling taugt. Das stellt auch die deutsche Gesetzgebung vor Neuüberlegungen. So muss unter anderem bei der Altfahrzeugverordnung die Frage gestattet sein, wann ein altes Auto definitiv Abfall ist. Was kann getan werden, damit mehr End-of-Life-Fahrzeuge dem Schrotthandel zugeführt werden und nicht über Osteuropa den Weg nach Afrika finden? Die Frage, wann ein Fahrzeug Fahrzeug und wann Schrott ist, hänge vom Aufwand zur Reparatur und von der Perspektive ab: So werde in Afrika Bemerkenswertes mit Altautos geleistet, um dort die Bedürfnisse nach Fahrzeugen zu befriedigen. Laut Wendenburg dürfe man diese Bemühungen „nicht mit dem deutschen Abfallbegriff erschlagen“.

Auch: Repair, Reuse, Remanufacturing

Ohnehin sei zu überlegen, welche Maßnahmen bereits vor dem Recycling ergriffen werden können. Das International Resource Panel verweist auf Repair, Reuse, Remanufacturing und Refurbishment, durch die beispielsweise die großen medizinischen Apparaturen regelmäßig teilerneuert werden, aber im Bestand erhalten bleiben. Und auch gewerblich genutzte Drucker werden zunehmend nicht an Ort und Stelle repariert, sondern komplett vom Hersteller oder Verkäufer ausgetauscht. Durch Remanufacturing sollen die zurückgenommenen Geräte wieder aufbereitet und dazu gegebenenfalls Bauteile in die Zentrallager in Vietnam oder Thailand versandt werden. Das widerspreche jedoch dem Basel-Abkommen, wonach gefährliche Abfälle – Elektroabfälle gelten in der Regel als solche – nicht in Schwellen- und Entwicklungsländer exportiert werden dürfen. Das sei kein hinnehmbarer Zustand und sollte geändert werden, findet die Elektro(nik)branche.

Wendenburg wies auf zwei weitere Schwierigkeiten im Bereich des Elektrogesetzes hin. Zum einen würden Elektrogeräte immer leichter, weil trotz großem Volumen der Kunststoffanteil für geringe Masse sorgt. Hier müsste über die geeigneten Parameter für die Recyclingquote nachgedacht werden. Zum anderen sollten die Gerätehersteller – vielleicht durch vorgegebene Recyclingquoten für Seltene Erden? – dazu gebracht werden, ihre Produkte leichter demontier- und zerlegbar zu gestalten, um die gewünschten Recyclingstoffe leichter rückgewinnen zu können.

Recycling vom Produkt her denken

Auch für Europas Abfallwirtschaftspolitik sieht Wendenburg einige Herausforderungen. Mit dem bisherigen Trilogverfahren sei Deutschland wegen unklarer Begrifflichkeiten bei Siedlungsabfall und Quoten nicht ganz zufrieden. Zwar brauche Deutschland das Circular Economy Package nicht zu fürchten, selbst wenn neue Berechnungen statt 66,7 nur 55 Prozent Recyclingquote ergeben würden. Aber die neuen Quoten müssten einwandfrei statistisch berechnet werden. Der Teufel stecke hier ebenso im Detail wie bei der Definition von gefährlichem Abfall. Dessen Einstufung müsste sich stärker an der Chemie orientieren, worauf das geltende Recht – wie am Beispiel von HBCD zu sehen – bislang nicht eingestellt ist. Andererseits seien zwar alle Stäube an sich gefährlich und verlangen Arbeitsschutz und Containment, um nicht in die Umwelt zu gelangen. Aber nicht jedes staubige Material bilde auch gleich eine gefährliche Abfallmenge.

Recycling sollte nicht mehr vom Abfall, sondern vom Produkt her gedacht werden. Und man muss sich über die Stoffe Gedanken machen, um die am besten geeigneten Materialien einzusetzen. Das – so Wendenburg – gelte besonders für komplexere Produkte. Dazu sei vor allem Umdenken in den Köpfen der Unternehmen nötig, die die Produkte herstellen. Mit den Designern könne man darüber reden. Wenn aber der Materialeinkauf nicht am Material, sondern ausschließlich an den Kosten orientiert ist, dann komme das zustande, was das UBA bei einer Untersuchung herausfand. Die Forscher wollten wissen, welche und wie viele E-Motoren eines Wagens Neodym-haltig sind und ob sich deren Recycling lohnt. Das Ergebnis: Es waren zwischen 100 und 120 Motoren verbaut, aber nur der Hersteller konnte wissen, ob und wieviel Neodym eingesetzt wurde. Erfolgt der Materialeinkauf nur nach Preis, fehle jegliche Information für ein sachgerechtes Recycling. Das sollte bei der Produktgestaltung verändern werden; sonst drohe dem Fahrzeug oder anderen Produkten die unwirtschaftliche Komplettdemontage.

Wendenburg beendete seinen Vortrag mit einem Wunsch. Könnte er an den Koalitionsverhandlungen teilnehmen, würde er sich freuen, wenn im Koalitionspapier stehen würde: „Wir streben eine sozial gerechte demokratische Gesellschaft an, deren Wirtschaften sich unter anderem an effizienter Produktwahl, Nutzen statt Besitzen, Langlebigkeit und Wiedernutzbarkeit, kreislauffähigen Materialien und einer recyclingorientierten Abfallwirtschaft ausrichtet.“

Foto: Dr. Jürgen Kroll

(EU-Recycling 01/2018, Seite 22)

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