Stahlstandort Deutschland – mit guter Zukunft?

Deutschland ist ein wichtiger Stahl- und Stahlschrott-Standort; das ist unbestritten. Doch hat diese Industrie hier auch eine gute und sichere Zukunft? Das versuchte Frank Schulz, Vorsitzender der Geschäftsführung der ArcelorMittal Germany Holding GmbH, am 30. November den Teilnehmern der BDSV Jahrestagung in Dortmund zu beantworten.

Laut Frank Schulz ist der Welthandel tendenziell aufwärtsgerichtet; der Internationale Währungsfonds rechnet für 2018 mit einem globalen Wirtschaftswachstum in Höhe von 3,7 Prozent. Hatte in Deutschland die Industrieproduktion 2016 lediglich um ein Prozent zugelegt, stieg sie von Januar bis September 2017 um drei Prozent. In den stahlverarbeitenden Branchen verbesserte sich das Geschäftsklima seit dem vergangenen Jahr bei Metallwaren, Maschinenbau und Kraftwagenherstellung im einstelligen Bereich, im Bauhauptgewerbe hingegen seit 2008 um insgesamt knapp 50 Prozent. Die Rohstahlproduktion hat sich – nach Tiefpunkt im Jahr 2009 – oberhalb der 42 Millionen Tonnen-Grenze stabilisiert; die effektive Kapazitätsauslastung beträgt seit drei Jahren 86 Prozent.

Unfaire Handelspraktiken

Zu den Gefahren der internationalen und deutschen Stahlindustrie gehören neben geopolitischen Risiken, der Brexit-Debatte, dem wirtschaftspolitischen Kurswechsel der USA und den volatilen Rohstoff- und Finanzmärkten vor allem unfaire Handelspraktiken. Hierunter fallen insbesondere Überkapazitäten. Die weltweite Produktionsauslastung betrug von Januar bis September 2017 rund 75 Prozent; diese Unterauslastung von Hochöfen und Stahlwerken gilt als globales Strukturproblem. So stieg von 2010 bis 2016 die effektive Rohstahlkapazität der Welt von 1,8 auf über 2,2 Milliarden Tonnen, während die Marktversorgung lediglich von 1,4 auf etwa über 1,6 Milliarden Tonnen anzog: Der globale Kapazitätsüberhang vergrößerte sich in diesem Zeitraum von 389 auf 620 Millionen Tonnen Stahl, die teilweise nur durch Subventionen am Markt gehalten werden konnten. Allein die Hälfte dieser Überkapazitäten geht auf das Konto Chinas, das seinen Kapazitätsüberhang allerdings in den letzten vier Jahren von 363 auf geschätzte 238 Millionen Tonnen reduziert hat. Aber es herrscht weiterhin Einfuhrdruck in die EU: Zwar legten in den letzten Jahren Walzstahlimporte aus Drittländern um 44 Prozent zu, doch reduzierte China seine Lieferungen in die EU um letzthin 36 Prozent, sodass nach wie vor die Importmengen kritisch sind.

Energie- und Klimapolitik als Risiko

Als zweites Risiko für einen fairen Handel nannte der ArcelorMittal-CEO die europäische Energie- und Klimapolitik, da die mit ihr verbundenen Zusatzkosten in Höhe von zwei Milliarden Euro für die deutsche Stahlindustrie deren internationale Wettbewerbsfähigkeit in Europa bedrohen. Er gab zu bedenken, dass die Stahlindustrie sehr viel für diesen Sektor tut. So sparen beispielsweise innovative Stähle in der Anwendung sechsmal mehr CO2 ein, als bei ihrer Produktion entstehen. Anders ausgedrückt: Durch Produktion von leichterem Stahl für Pkw und Lkw oder für effizientere E-Motoren entsteht ein CO2-Einsparpotenzial von insgesamt 74 Millionen Tonnen, das die produktionsbedingten Emissionen von zwölf Millionen Tonnen mehrfach aufwiegt. Die Reduktionen ergeben sich aus direkter Vermeidung im Prozess (Carbon Direct Avoidance; CDA), aus Erfassung und Speicherung (Carbon Capture and Storage; CCS) und aus Erfassung und Wiederverwertung (Carbon Capture and Use; CCU) von Emissionen. Seit 1990 hat sich der Primärenergieverbrauch der deutschen Stahlindustrie um rund 16 Prozent, deren primärenergie-bedingte CO2-Emissionen um knapp 18 Prozent verringert.

Frank Schulz (Foto: Dr. Jürgen Kroll)

Als praktisches Beispiel für Einsparmaßnahmen durch Prozessoptimierung stellte Frank Schulz einen neuen Hubbalkenofen vor. Die 15-Millionen-Euro-Investition ermöglicht die Reduktion von sieben Prozent CO2-Emissionen und eine weitere Effizienzerhöhung durch Wärme-Rückgewinnung aus Abgasen. Schulz schilderte, wie bei der Erwärmung von Knüppeln Erdgas durch Strom mit Induktion ersetzt wird, der aus Windkraftanlagen auf dem Werksgelände gewonnen wird. Und er präsentierte das Steelanol-Projekt, das Biokraftstoffe aus Prozessgasen erzeugt: Es soll nicht nur die Treibhausgas-Emissionen im Vergleich zu fossilen Brennstoffen um 80 Prozent senken, sondern als Pilotwerk 70.000 Tonnen pro Jahr für Ethanol-versetztes Benzin herstellen.

Stahl ist außerdem innovativ. 50 Prozent der Stahlprodukte von ArcelorMittal wurde in den letzten fünf Jahren neu in die Produktpalette aufgenommen. Dazu gehört eine neue Initiative 2018, die Stahl im modernen Gebäudebau einsetzt, wodurch 20 Prozent weniger CO2-Emissionen als mit Betonlösungen erzielt werden. Mit Histar steht ein hochfester Qualitätsstahl zur Verfügung, der eine leichtere Bauweise, erhöhte Tragfähigkeit sowie Gewichtsreduzierung von 32 Prozent bei Stützen und 19 Prozent bei Trägern verspricht. Und mit S(teel)-in-motion und iCARe sind hochfeste Stähle beziehungsweise innovative Elektrostähle auf dem Markt, die neue Flachstahlverwendungen im Automobilsektor ermöglichen.

Verbunden: Stahl und Recycling

Insgesamt beurteilte Schulz Stahl als den „Champion der Kreislaufwirtschaft“, der Verbrauch und Emissionen reduziert, Material in langen oder kurzen Kreisläufen recycelt, Rohstoffe wiederbenutzt und Schrott und metallische Rohstoffe zurück- und beibehält. Zumal Stahl und seine Nebenprodukte hohe Grade an Weiterverwendung aufweisen: neben Stahlrecycling von über 90 Prozent auch Stäube und Schlämme über 90 Prozent, Schlacke sowie Gase über 95 Prozent und Walzzunder über 97 Prozent.

Auch schneide bei Baustoffen Stahl im Vergleich mit Beton und Holz sehr gut ab. Beton lässt sich zu 20 Prozent recyceln, zu fünf Prozent deponieren und zu 75 Prozent downcyceln. Holz wird zu 58 Prozent auf Deponien gelagert, zu je 13 Prozent wiederverwendet und recycelt, zu zehn Prozent downgecycelt und zu sechs Prozent verbrannt. Als Baustoff eingesetzter Stahl kann hingegen zu 93 Prozent recycelt und zu sechs Prozent wiederverwendet werden, während nur ein Prozent auf Deponien endet. Zum recycelbaren Stahl gehören Spundwandprofile mit einer Sammelrate von 99 Prozent (74 Prozent Recycling und 25 Prozent Wiederverwendung) und Betonstahl mit einer Sammelrate von 85 Prozent. Bei ArcelorMittal wurden 2016 in Deutschland – laut Angaben – pro Tonne Rohstahl 216 Kilogramm Schrott eingesetzt, in der EU sogar jeweils 304 Kilogramm, und weltweit 296 Kilogramm Schrott je Tonne Rohstahl.

Stahl ist im Wettbewerb

Der Außenhandel mit Stahlschrott, der sich nach der Finanzkrise 2010 wieder erholt hatte, nahm seitdem stark ab. Die Importe sanken zwischen 2010 und 2017 von 6,5 auf unter drei Millionen Tonnen, die Exporte von gut zehn auf etwa 5,5 Millionen Tonnen; daraus ergab sich ein Saldo zwischen 3,2 und 4,2 Millionen Tonnen pro Jahr, der 2017 rund 2,8 Millionen Tonnen erreichte. 2017 wurden aus Drittländern 1,4 Millionen Tonnen importiert; Exporte dorthin betrugen 5,1 Millionen Tonnen. Deutschland gilt als traditioneller Netto-Exporteur von Stahlschrott und die EU als bedeutendster Netto-Exporteur seit 2014. Sie befinden sich im Konkurrenzkampf zu den wesentlichen Importeuren und Exporteuren der Branche: Hierzu zählen die Türkei als weiterhin wichtigster Treiber auf dem Stahlschrottmarkt, Indien, für das die EU die größten Stahlschrottmengen liefert, und China, das zunehmend zum Selbstversorger wird und kaum weitere Netto-Exporte erwarten lässt. Hinzu kommen Russland, dessen Nettoexporte aufgrund steigenden Eigenbedarfs und Ausfuhrblockaden sinken, und die USA, deren Bedeutung als Exporteur ebenfalls schwindet.

Somit konnte Frank Schulz zusammenfassen: Die Stahlindustrie ist wettbewerbsfähig, sie ist innovativ, und sie hat ihre Hausaufgaben gemacht, um auch zukünftige Winde zu überstehen. „Wir haben mit der Stahlrecyclingwirtschaft sehr gute Partner.“ Aber die stahlverarbeitende Industrie braucht auch entsprechende Rahmenbedingungen und setzt darauf, dass sie unter fairen Wettbewerbsbedingungen arbeiten kann. „Stahl hat in Deutschland und Europa eine gute, eine sehr gute Zukunft.“

Foto: pixabay

(EU-Recycling 01/2018, Seite xx)

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