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Italiens Abfallwirtschaft im Aufbruch

Die Angleichung an EU-Standards treibt die Modernisierung voran. Vor allem im Süden Italiens ist die Abfalltrennung noch unterentwickelt. Es fehlen Verbrennungs- und Deponiekapazitäten, sodass große Abfallmengen exportiert werden.

Die wiederholten Müllkrisen in Städten wie Rom und Neapel verdeutlichen die Herausforderungen der italienischen Abfallwirtschaft. Die neuen Ziele der Europäischen Union sehen vor, dass bis 2030 maximal zehn Prozent der Siedlungsabfälle auf Deponien landen. In süditalienischen Regionen wie Molise, Sizilien oder Kalabrien liegt die Quote derzeit zwischen 58 und 90 Prozent. Per Gerichtsentscheid war 2013 die größte Deponie Europas (Malagrotta) in der Nähe der Hauptstadt geschlossen worden. Rom musste dringend eine neue Lösung für die kommunalen Abfälle suchen, was die rasche Einführung der Abfalltrennung bewirkte. Allerdings ist die Quote immer noch sehr niedrig. Siedlungsabfall wird vor allem in andere italienische Regionen und ins Ausland transportiert.

Viele Anlagen, vor allem in Süditalien, entsprechen nicht den EU-Standards. Im EU-15-Vergleich belegt Italien bei der Abfallentsorgung den Spitzenplatz in puncto Verstoßverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. Im Dezember 2014 verhängte dieser eine Strafe von 40 Millionen Euro für 200 nicht konforme Deponien. Und weitere 42,8 Millionen Euro alle sechs Monate bis zur Umsetzung der EU-Vorschriften. Anfang 2017 waren noch 77 Deponien betroffen. Um künftige Müllkrisen zu vermeiden, wurden 2014 die Betreiber der 41 bestehenden – hauptsächlich im Norden gelegenen – Verbrennungsanlagen verpflichtet, ihre Kapazitäten mit Müll aus anderen Regionen auszulasten. Zudem sollten zwölf neue Verbrennungsanlagen entstehen. Gegen die Ausbaupläne formierte sich Widerstand auf lokaler und regionaler Ebene. Darüber hinaus will auch die EU-Kommission keine weiteren Verbrennungsanlagen in der EU bauen. Die Anzahl der aktiven Anlagen in Italien hat sich seit 2014 nicht erhöht, sondern sogar reduziert.

Nicht nur auf Druck der EU hin

Im Zuge der langen Wirtschaftskrise ist das Abfallaufkommen im vergangenen Jahrzehnt zurückgegangen. Eurostat ermittelte für 2014 insgesamt 129 Millionen Tonnen. Pro Kopf liegt Italien damit im europäischen Mittelfeld. Mit der positiven Wirtschaftsentwicklung dürfte es in den nächsten Jahren wieder leicht ansteigen. Nach der Eurostat-Statistik von 2014 wurden 77 Prozent aller Abfälle in Italien wiederverwertet, 1,6 Prozent zur Energiegewinnung genutzt, 5,2 Prozent in Müllverbrennungsanlagen verbrannt und 16 Prozent deponiert. Im Recycling von Siedlungsabfällen gehöre Italien seit circa 15 Jahren zu den Ländern in Europa mit den höchsten Wachstumsraten. Jedoch war die Abfalltrennung bis vor wenigen Jahren stark unterentwickelt. Der Trend ist nicht nur auf Druck der EU zurückzuführen, sondern auch auf die steigende Akzeptanz in der Bevölkerung. Landesweit erreichte die Abfalltrennung 2016 eine Quote von 52,5 Prozent. In Norditalien lag sie bei 64,2 Prozent. Durch die steigende Abfalltrennung konnten 2016 gut 42 Prozent des gesammelten Kommunalabfalls wiederverwertet werden. Die neuen EU-Richtlinien für die Kreislaufwirtschaft geben der Modernisierung des Sektors in Italien neue Impulse. Mit dem Ziel, bis zum Jahr 2025 insgesamt 55 Prozent des Kommunalabfalls in Europa zu verwerten, werden Neuinvestitionen nötig. Für deutsche Unternehmen bieten sich Chancen vor allem in der technischen und strategischen Beratung und Planung, in der Lieferung innovativer Technologien für Abfalltrennung, -aufbereitung und Recycling sowie im Bereich Energieerzeugung aus Abfall. Wie es heißt, stehen die großen Entsorgungsfirmen, insbesondere im Norden des Landes, deutscher Technologie aufgeschlossen gegenüber.

Nachholbedarf bei Kunststoffen

Beim Recycling von Verpackungen hat Italien einige der neuen Ziele für 2030 bereits erreicht. Die Recyclingquote für alle Verpackungen soll von 67 auf 70 Prozent erhöht werden. Für Holz (Ziel: 30 Prozent, aktuell: 61 Prozent) und Aluminium (Ziel: 60 Prozent, aktuell: 73 Prozent) sind die Zielwerte bereits überschritten. Für Eisen muss das aktuelle Niveau von 77,5 auf 80 Prozent erhöht werden. Auch beim Glasrecycling soll die Quote von 71 auf 76 Prozent und für Papier von 80 auf 85 Prozent nur leicht ansteigen. Lediglich in der Wiederverwertung von Kunststoffen hat Italien mit derzeit 41 Prozent Nachholbedarf. Bis 2030 sollen es 55 Prozent sein. Charakteristisch für die italienische Entsorgungswirtschaft ist das ausgeprägte Nord-Süd-Gefälle. Während im Norden die Behandlung von Siedlungs- wie auch Spezialabfällen weitgehend den EU-Anforderungen entspricht, bleiben Mittel- und Süditalien weit dahinter zurück. So lag die Abfalltrennungsquote 2016 in Venetien bei 73 Prozent mit steigender Tendenz, in Sizilien bei nur 15 Prozent. Auch zwischen Klein- und Großstädten sind die Unterschiede erheblich. Während Provinzen mit weniger als 200.000 Einwohnern sowohl im Norden (Treviso, Venetien: 88 Prozent) als auch im Süden (Benevento, Kampanien: 71 Prozent) hohe Abfalltrennungsquoten vorweisen, erreichten unter den größeren Städten lediglich Mailand, Venedig, Verona, Padua und Florenz 2016 die 50-Prozent-Marke.

Konzentrationsprozess bei kommunale Entsorgern

Während Sammlung und Entsorgung kommunaler Abfälle per Gesetz Aufgabe der Kommunen und Provinzen ist, kümmern sich um Spezialabfälle traditionell private Unternehmen. Das Management des Siedlungsabfalls basiert auf den Plänen der 20 Regionen. Für das integrierte Abfallmanagement sind seit 2006 die 110 Provinzen verantwortlich. Die über 8.000 Gemeinden müssen weiterhin die Sammlung der Haushaltsabfälle garantieren. Ansprechpartner für interessierte Unternehmen sind damit nicht die Gemeinden, sondern die Provinzen. In der Praxis funktioniert dieses System insbesondere in Mittel- und Süditalien nur eingeschränkt oder gar nicht. Die kommunalen Entsorger in Italien sind häufig aus gemischten Kommunalbetrieben zur Wasser- und Stromversorgung und zur Müllentsorgung entstanden. Sie entwickeln sich zu vertikal integrierten Großunternehmen und decken vermehrt die gesamte Wertschöpfungskette ab. Beispiele sind A2A (Brescia/Milano, www.a2a.eu [1]), HERA (Bologna/Ferrara/Modena, www.gruppohera.it [2]) oder Acegas-APS (Triest/Padua, www.acegasapsamga.it [3]). Der Konzentrationsprozess dürfte weiter anhalten und sich auf die ländlichen Gebiete in Mittel- und Süditalien ausdehnen.

Unternehmenskonsortien dominieren Privatsektor

Die private Entsorgungswirtschaft erreichte gemäß Eurostat 2014 einen Umsatz von 23 Milliarden Euro. Es werden circa 6.200 Unternehmen der Recyclingbranche zugeschrieben. Wie in anderen Branchen ist die durchschnittliche Unternehmensgröße auch in der Abfallwirtschaft deutlich kleiner als zum Beispiel in Deutschland. In den letzten Jahren ist die Anzahl der Firmen leicht gestiegen, während die Mitarbeiterzahlen stagnieren. Anhand der stark zugenommenen Quantitäten, die die Branche verarbeitet, deuten diese Zahlen auf eine stärkere Integration der Branche hin.

Monopolistische Unternehmenskonsortien spielen bei Sammlung und Recycling, etwa von Verpackungen, eine bedeutende Rolle. Sie übernehmen auch die Wiederverwertung von Papier, Glas und Kunststoff und haben exklusive Rahmenabkommen mit dem italienischen Umweltministerium. Neue Akteure, beispielsweise für das Kunststoffrecycling, versuchen gegenwärtig auf dem Markt Fuß zu fassen. Für die Verwertung von Elektrogeräten ist der Wettbewerb größer, da hier mehr als 16 Konsortien tätig sind. Viele Spezialfirmen fungieren als direkte Abnehmer und Verwerter von Industrieabfällen, als Unterauftragnehmer von kommunalen Betrieben in Recycling oder Kompostierung, als Deponiebetreiber und als Ex-/Importeure von Abfall. Ein Unternehmensverzeichnis ist bei Legambiente (www.legambiente.it [4]) zu finden.

Schwächen und Leistungsfähigkeit

Schwächen und Leistungsfähigkeit der italienischen Entsorgungswirtschaft werden an der Struktur der Ein- und Ausfuhren von Abfällen deutlich. Während es sich bei den Importen hauptsächlich um recyclingfähigen Abfall handelt, den italienische Spezialunternehmen zur besseren Auslastung ihrer Kapazitäten ordern, sind die Exporte in der Regel Abfälle, die nur noch verbrannt oder endgelagert werden können.

Der gesetzliche Rahmen in Italien wird zunehmend durch EU-Richtlinien bestimmt, die von der Zentralregierung umgesetzt werden. Auf nationaler Ebene gibt es besondere Vorschriften. So müssen Unternehmen, die in den Handel mit Abfällen involviert sind (auch ohne Besitz des Abfalls), sich im Verzeichnis der Umweltfachbetriebe „Albo Nazionale Gestori Ambientali“ eintragen lassen. Dies gilt auch für Firmen, die keinen Sitz in Italien haben. Da die Anmeldevoraussetzungen auf italienische Firmen zugeschnitten sind, haben deutsche Anbieter oft Schwierigkeiten mit der Registrierung. Die Deutsch-Italienische Handelskammer unterstützt beim Eintragungsverfahren. Ausführliche Informationen in deutscher Sprache, unter anderem zu den neuesten Gesetzesänderungen vom Februar 2017, sind bei der Handelskammer Bozen abrufbar www.camcom.bz.it [5].

Ein wichtiger Teil der Organisation der Entsorgungswirtschaft liegt bei den Regionen. Hier kann die Umsetzung problematisch und erheblich verzögert sein. Provinzen und Gemeinden als eigentliche Träger der Entsorgung ignorieren häufig die Vorgaben der übergeordneten Körperschaften. Die Kooperation mit den großen Entsorgungsunternehmen im Norden des Landes funktioniert unproblematisch, ebenso wie die mit dem privaten Recyclingsektor. Dagegen sind die Entscheidungsstrukturen in Mittel- und Süditalien häufig undurchschaubar.

Verfasser: Robert Scheid, Quelle: Germany Trade & Invest

Foto: pixabay

(EU-Recycling 04/2018, Seite 28)

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