Rekommunalisierung oder Reprivatisierung: Wohin geht der Trend?

Welche Herausforderungen und Perspektiven hält die Zukunft für die private Kreislaufwirtschaft bereit? Auf diese Frage versuchte am 10. April der Remondis-Vorstandsvorsitzende und Branchen-Experte, Ludger Rethmann, auf dem 30. Kasseler Abfall- und Ressourcenforum eine Antwort zu finden.

Als erste Herausforderung sieht Rethmann die Überkapazitäten auf dem Verbrennungsmarkt. Rund vier Millionen Tonnen liefern das Vereinigte Königreich und Irland jährlich nach Skandinavien, die Niederlande und Deutschland. Es sei wichtig, dass die dortigen Verbrennungskapazitäten ausgenutzt werden, wodurch vielleicht die niederländische Verbrennungsanlage näher stünde als eine solche in Kassel. Jedoch könne nicht davon ausgegangen werden, dass das langfristig so bleibt. Das Vereinigte Königreich habe insgesamt sieben Millionen Tonnen an Kapazitäten genehmigt; jedes Jahr würde eine Million Tonnen zugebaut. Das werfe die Frage auf, wie lange das noch gutgeht: Schon zehn Prozent Überkapazität könnten genügen, um den Preis zu kippen.

Große Entsorger schreiben Verluste

Der Blick auf die Umsätze der größten privaten Entsorgungsunternehmen in Familienhand – Remondis ausgenommen – zeigt, dass im Jahr 2015 vier der neun Betriebe Fehlbeträge nach Steuern ausweisen mussten. Von den insgesamt 3,9 Milliarden Euro Umsatz blieben als Bilanzsumme lediglich 7,5 Millionen Euro Überschuss – eine Rendite von 0,19 Prozent. Wie Ludger Rethmann berichtete, beliefen sich frühere Verluste von RWE Umwelt auf 750 Millionen Euro, Alba verkaufte Anteile nach China, und Tönsmeier sucht einen finanzstarken Partner. Besonders massive Verwerfungen kamen auf dem privaten Schrottrecyclingmarkt in den Jahren 2013 bis 2017 zum Vorschein: Interseroh musste Verluste im zweistelligen Millionen-Bereich verbuchen, während Scholz rund 800 Millionen Euro verlor und von Chiho-Tiande übernommen wurde. Rethmann vermutet, dass insbesondere chinesische Investoren in den letzten Jahren rund fünf Milliarden Euro in den deutschen Abfallmarkt investiert haben.

Rosinenpickerei eher in Großstädten

Aber auch innerhalb Deutschlands haben sich nach Ansicht des Abfallmarkt-Experten die Marktanteile der Privatunternehmen im Laufe der Jahre verschoben. Die Anteile der drei größten Unternehmen im Bereich Restabfall-Sammlung – 2003: Sulo/RWE/Suez beziehungsweise 2018: Remondis/Veolia/Suez – sanken von 31,2 auf 21,5 Prozent und verloren während dieser 15 Jahre insgesamt knapp zehn Prozent. Im Gegensatz dazu stieg in diesem Sektor der kommunale Marktanteil zwischen 2006 und 2018 um zehn Prozentpunkte, von 38,7 auf 48,1 Prozent. Innerhalb von zehn Jahren sank der Anteil beteiligter Privatunternehmen an der Hausmüllsammlung von 61,3 auf 44,1 Prozent, der der Kommunen samt hinzugerechneter öffentlich-privaten Partnerschaften wuchs von 38,7 auf 55,9 Prozent. Inzwischen ist die Hausmüllsammlung in so gut wie allen Großstädten kommunal organisiert: In 63 Großstädten mit über 100.000 Einwohnern und damit zu 82 Prozent sind die Kommunen selbst aktiv; nur in 17 Großstädten werden private Entsorgungsunternehmen tätig, darunter 15 im Rahmen einer PPP. Ludger Rethmann: „Aus Sicht der Privaten findet die Rosinenpickerei eher in den großen Städten statt.“

Gute Markt- und Investitionschancen

Diese Rekommunalisierungswelle der letzten Jahre wird sich nach Schätzung des Remondis-Vorstandsvorsitzenden nicht fortsetzen. Er zog zum Vergleich die Kennzahlen großer Energieversorger heran, die aus verschiedenen Gründen jetzt hohe Verluste abschreiben mussten – E.ON beispielsweise 50 Milliarden Euro, RWE zehn Milliarden Euro –, und sogar die Stadtwerke München verbuchten letzthin 700.000 Euro Eigenkapital. Und das in einer guten wirtschaftlichen Konjunkturlage, die durch Niedrigzinsen, hohe Steuereinnahmen und von in der Hälfte der Bundesländer aufgespannten „kommunalen Rettungsschirmen“ gekennzeichnet ist. Falls sich daran etwas ändert, werden Faktoren wie Nachholeffekte oder Migrationsauswirkungen die kommunalen Unternehmen treffen.

Für Ludger Rethmann wird – auch wenn noch kein Aufschwung für Privatunternehmen in Sicht ist – die Rekommunalisierungswelle insgesamt abebben. Privaten wie kommunalen Betreibern rechnet er zukünftig gute Markt- und Investitionschancen aus, die sich durch Zusammenrücken der Verbände – auch bei den dualen Systemen – noch verbessern können.

Erhebliche Verwerfungen befürchtet

Für die zukünftige Entwicklung der Branche dürfen allerdings ihre internationalen und nationalen Konsolidierungs- und Monopolisierungstrends nicht aus den Augen verloren werden. Hier sei beispielsweise an die Übernahme der Kunststoffrecycler Multipet und Multiport durch Veolia oder die strategische Partnerschaft von Interseroh Austria mit dem italienischen Consorzio Remedia erinnert. In den letzten Monaten war insbesondere Remondis auf diesem Gebiet sehr aktiv: Seit Dezember 2017 wurden die Unternehmen De Vocht (Niederlande), Entsorgungsdienst Lang GmbH, Lohner Kunststoffrecycling GmbH, Milieuservice Hoeksche Waard B.V. (Niederlande), Optisys GmbH, M. Larsen Vognmandsfirma A/S (Dänemark) und der Containerdienst Happe übernommen. Die geplante Acquisition der Duales System Holding GmbH + Co. KG scheiterte.

In den DSD-Übernahme-Absichten hatte Eric Rehbock, Hauptgeschäftsführer des bvse, bereits im Januar 2018 ein „Existenzvernichtungsprogramm für kleinere und mittelständische Unternehmen“ gesehen und „erhebliche Verwerfungen in der Recycling- und Entsorgungsbranche“ befürchtet. In seinem im Kasseler Tagungsband veröffentlichten Redebeitrag gab er noch einmal zu bedenken, dass flächendeckende Rückführungssysteme per se im Kern das Konzept dualer Systeme enthalten und damit „eine zwingende Tendenz zur Oligopol- oder gar zur Monopolbildung“. Er schlug vor, die Sammlung und Sortierung privater Verpackungsabfälle zukünftig nicht mehr durch die dualen Systeme, sondern neutral durch die Zentrale Stelle auszuschreiben. Es müsse gewährleistet werden, „dass funktionierende Märkte und mittelstandsfreundliche Strukturen erhalten beziehungsweise gefördert werden können“.

Der komplette Redebeitrag von Eric Rehbock kann unter K. Wiemer, M. Kern, T. Raussen (Hrsg.), Bioabfall- und stoffspezifische Verwertung, Witzenhausen 2018, ISBN 3928673769 nachgelesen werden.

Foto: Foto Fay, Burkardroth (Kommunalunternehmen Lk Bad Kissingen) / abfallbild.de

(EU-Recycling 05/2018, Seite 54)

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