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„Wir wollen auch morgen ein Industrieland sein“

„Weckruf aus China“ war die IFAT-Pressekonferenz von Remondis überschrieben. Geschäftsführer Herwart Wilms, Pressesprecher Michael Schneider und Prof. Dr. Martin Faulstich (Clausthaler Umwelttechnik Forschungszentrum, CUTEC) diskutierten die Auswirkungen des chinesischen Importverbots für Kunststoffe und andere Abfälle. Die Erkenntnis: China will keine Abfälle, sondern Rohstoffe.

Für Michael Schneider stellt sich der chinesische Importstopp für 24 Abfallarten, dem 36 weitere folgen sollen, als „klare Rohstoffstrategie“ dar: China will seine Produkte in der EU, in der westlichen Welt verkaufen und gleichzeitig reine Rohstoffe wieder rückführen. „Das sollte uns zu denken geben“, sagte der Remondis-Pressesprecher. „2050 werden laut UN zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben. In Deutschland werden pro Kopf und Jahr 22 Tonnen Rohstoffe verbraucht. Die Chinesen sind bei elf, die Inder bei vier Tonnen Rohstoffe pro Kopf und Jahr. Das kann der Planet nicht leisten. Dieses Jahr wird der Erdüberlastungstag im Juli erwartet. Letztes Jahr war er am 1. August. Er rückt jedes Jahr weiter nach vorne. Wir leben auf Pump. Wir verbrauchen mehr Ressourcen, als uns der Planet zu Verfügung stellen kann.“ Recycling beziehungsweise die Bereitstellung von Recyclingrohstoffen müsse zwingend elementarer Teil einer Gegenstrategie werden: „Sonst werden unsere Kinder und Enkel nicht mal ansatzweise die Lebensqualität erreichen, die wir heute gewohnt sind.“

Remondis-Geschäftsführer Herwart Wilms will diejenigen in der Industrie, die recyclinggerecht produzieren, besser gestellt wissen, als diejenigen, die es nicht tun. „Wir wollen auch morgen ein Industrieland sein und brauchen eine Rohstoffstrategie, die neben den eigenen Boden sicherstellt, dass wir importieren können. Wenn wir importieren, werden wir aber immer im Wettbewerb stehen. Wir werden immer mehr Menschen sein, die im Wettbewerb um Rohstoffe stehen“, appellierte Wilms an die Politik, Recycling ernst zu nehmen. Prof. Dr. Martin Faulstich sieht von den zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 rund 80 Prozent in Städten leben. „Ressourcenbewirtschaftung wird zunehmend in Mega­cities stattfinden“, glaubt der Direktor des CUTEC-Instituts und Vorstand der Ressourcenkommission am Umweltbundesamt. „Die Wirtschaft wird weiter wachsen. Wir werden unsere zukünftige Welt nicht mehr mit Primärrohstoffen bewirtschaften können, weil diese einfach endlich sind. Wir müssen in die Recyclingwirtschaft einsteigen. Wenn wir den Klimawandel begrenzen wollen, geht das nur, wenn unsere Energieversorgung auf erneuerbare Energien umgestellt wird. Eine weltweite Energiewende kann nur erfolgreich sein, wenn wir massiv auf Recyclingrohstoffe umstellen.“

Mehr Rohstoffe im Kreis durch Anreize?

Remondis hat einen dreiteiligen Lösungsansatz entwickelt, der – wie es heißt – in der Kombination der Maßnahmen ein gutes Fundament wäre, eine zukunftsfähige und tragfähige Rohstoffstrategie umzusetzen. Dabei gelte es, „die Rohstoffe hierzubehalten“. Als erste Maßnahme plädiert das Unternehmen dafür, dass die Europäische Union eine Ökodesign-Richtlinie erlässt, die sowohl Energieeffizienz und Dokumentationspflichten als auch die Rohstoffeffizienz enthält. Der Verbraucher soll mittels eines Recyclinglabels erkennen können, aus wie viel Prozent recycelten Rohstoffen ein Produkt besteht und zu wie viel Prozent es am Ende seines Lebenszyklus wieder recycelt werden kann. Schneider: „Nur das garantiert uns, dass wir die verwendeten Rohstoffe im Kreis führen. Als Verbraucher habe ich Einflussmöglichkeiten – kaufe ich das Produkt oder nicht.“ Dass der Verbraucher heute oft nicht wisse, was in den Produkten drinsteckt, müsse aufhören.

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Michael Schneider, Martin Faulstich und Herwart Wilms (von links) – Foto: Marc Szombathy

Zweite Maßnahme ist eine Qualitätsoffensive. „Alles nützt nichts, wenn wir nicht die Anlagen haben, die Technologie und das Know-how, um diese Rohstoffe qualitativ – gleich der Qualität von Primärrohstoffen – aufzubereiten“, betonte Schneider. Heute liegt die industrielle Einsatzquote von Rezyklaten in Deutschland bei 14 Prozent und weltweit bei zwölf Prozent. Remondis ist überzeugt, dass diese Quote auf 70 Prozent angehoben werden kann. Mehr Akzeptanz von Recyclingrohstoffen in der Industrie erfordere jedoch mehr Investitionen in bessere Sortierung, Aufbereitung und Verwertung.

Die dritte Maßnahme umfasst ein Anreizsystem, das die Politik für die Industrie schaffen soll, um den Einsatz von Recyclingrohstoffen deutlich zu erhöhen. „Wir stellen uns eine Ökodesign-Richtlinie vor, die dem Produzenten die Vorgabe macht, ihre Produkte von vornherein so herzustellen, dass sie am Ende zu hundert Prozent recycelt werden können“, veranschaulichte Herwart Wilms. Die Entwicklung müsse weg von Verbundstoffen, die dem Recycling bekanntlich große Probleme bereiten.

Ein Teilnehmer der Remondis-Pressekonferenz auf der IFAT im Publikum wertete die Einführung eines Anreizsystems als Eingeständnis, dass es der Recyclingwirtschaft bislang nicht gelungen sei, die verarbeitende Industrie von ihren Produkten zu überzeugen. Wilms entgegnete, dass tatsächlich aus vielen Abfällen nichts hergestellt werden könne, was den Qualitätsansprüchen der Indus­trie genügen würde. Nach den Vorstellungen könnte aber das angestrebte Recyclinglabel einen wesentlichen Beitrag zur Qualitätssteigerung und damit zum Erhalt der Industriestandorte Deutschland und Europa leisten. Dafür müsse zuerst eine wissenschaftliche Basis geschaffen werden. Das Label könnte dann nach dem Ampelsystem eingeführt werden: rot gekennzeichnete Produkte = nicht recyclingfähig; gelb = bedingt recyclingfähig; grün = recyclingfähig.

Theoretisch eine Lösung: Chemisches Recycling

Martin Faulstich sprach sich in diesem Zusammenhang für eine Produkt-Kennzeichnungsstelle zur Förderung der Ressourceneffizienz, Kreislauffähigkeit und Nachhaltigkeit von Produkten aus. „Langfristig müssten wir sogar zu einer Produkt-Zulassung kommen“, erklärte der Experte. „Jedes Elektronikprodukt, das in Europa auf den Markt kommt, braucht ein CE-Zeichen; es muss also bestimmte Sicherheitskriterien erfüllen. Aber es wird nicht geprüft, ob ein Gerät recyclingfähig ist. Die Produzenten sollten nachweisen, dass ihr Produkt zu einem bestimmten Anteil recyclingfähig ist und wie viele Recyclingrohstoffe verbaut sind.“

Wie Remondis auf der Pressekonferenz am 14. Mai weiter informierte, will das Unternehmen zusammen mit Partnern in den nächsten fünf Jahren ein chemisches Recyclingverfahren zur Rückgewinnung von Kunststoffen zur Marktreife bringen. Durch Depolymerisation könnten Kunststoffe zu hundert Prozent recycelt werden, so das Vorhaben. Auch ließen sich sämtliche Störstoffe abtrennen. Wilms zuversichtlich: „Dann hätten wir theoretisch eine Lösung für den Abfall, der im Meer schwimmt.“ Dann müsste man „nur“ mit Spezialschiffen dieses Material einsammeln.

Bis dahin gibt es noch einige technische Hürden zu überwinden. Das Projekt befindet sich in einer Frühphase, mit dem Sprung vom Labor- in den Industrie-Maßstab sei vor 2023 nicht zu rechnen. Auch nützt laut Herwart Wilms der beste Rohstoff nichts, wenn sich keine Abnehmer im Markt finden. „Der Ruf aus China ist ein Ruf nach Qualität“, fügte Martin Faulstich hinzu. „Eine solche Initiative kann nur dann wirklich erfolgreich sein, wenn es eine globale Initiative wird und diese Recyclingrohstoffe vom internationalen Markt abgenommen werden.“

Recyclingverfahren müssten jetzt entwickelt werden, damit sie in 25 Jahren, wenn Rohstoffe wirklich verknappt seien, zur Verfügung stehen. Der Markt allein könne auf Dauer die Verfügbarkeit von Primärrohstoffen nicht regeln.

Foto: O. Kürth

(EU-Recycling 07/2018, Seite 6)

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