- EU-Recycling - https://eu-recycling.com -

Schuhrecycling: Ein Meilenstein für die Recyclingwirtschaft?

Allein in Deutschland landen jährlich über 380 Millionen Paar Schuhe im Hausmüll, in den Ländern der EU sind es 2,5 Milliarden. Das soll sich ändern. Nach fünfjähriger Entwicklungsarbeit haben SOEX und die I:Collect GmbH am 6. Juni 2018 die nach ihren Angaben „weltweit erste typenunabhängige Schuhrecyclinganlage in Wolfen“ in Sachsen-Anhalt vorgestellt. Ein Meilenstein für die Recyclingwirtschaft?

Der weltweite Verbrauch an Fußbekleidung wurde 2012 auf über 20 Milliarden Paar Schuhe pro Jahr geschätzt. Recyclinglösungen für das gemischte Material bestanden damals nicht: Tatsächlich wurden weniger als fünf Prozent recycelt, während der überwiegende Teil auf Deponien endete. SOEX und sein Tochterunternehmen I:Collect GmbH sahen darin eine Marktlücke, investierten rund eine Million Euro und entwickelten eine Schuhrecyclinganlage im industriellen Maßstab. Mit Verzögerung. Denn I:Collect hatte bereits in einer Pressemitteilung vom Herbst 2013 angekündigt, „innerhalb eines Jahres die Wiederverwertung aller in Schuhen verarbeiteter Materialien [zu] erreichen.“

40 verschiedene Materialien

Die stete Herausforderung für das Recycling solcher Produkte: Ein Schuh besteht aus bis zu 40 verschiedenen Materialien. Erst die SOEX-Schuhrecyclinganlage soll in der Lage sein, alle Arten von gebrauchten Schuhen zu recyceln, unabhängig von Schuhtyp und -hersteller. Letztlich stehen dann die voneinander getrennten Materialien Gummi, Schaumstoff und Leder als Sekundärrohstoff für die Herstellung neuer Produkte zur Verfügung; Metalle werden recycelt. Lediglich die Textilfasern werden derzeit noch zur Energiegewinnung genutzt, da bis heute noch keine geeignetere Einsatzform gefunden wurde.

2015 wurde das Sortierwerk in Wolfen mit täglich 54.000 Paar oder umgerechnet 27 Tonnen an gesammelten Schuhen beliefert. Etwa 83 Prozent der Schuhe – schreibt das Unternehmen – seien noch so gut erhalten, dass sie weitergetragen und weltweit als Secondhandware verkauft werden können. Rund 17 Prozent der Schuhe – 2015 also 9.180 Paar – galten als unbrauchbar und mussten fachgerecht entsorgt werden. In der neuen Anlage werden in jeder der drei Schichten 2.000 Paare und somit pro Tag 6.000 Paare oder neun Tonnen behandelt. Laut SOEX-Umrechnungsfaktor – eine Tonne Schuhe ergibt 700 Kilogramm Sekundärrohstoffe – gewinnt das Unternehmen demnach täglich 6,3 Tonnen zurück.

Die Frage, ob alle Arten von Schuhen recycelt werden können, beantwortet die Webseite des Unternehmens mit einem eindeutigen „Ja“ für Straßenschuhe, Sportschuhe oder Sandalen und für Frauen- wie für Männer-Fußbekleidung. Allerdings wird das Recycling von Arbeitsschuhen (Schuhe mit Metallkappen), speziellen Sportschuhen wie Skates und durch Schmutz und Öl stark verunreinigten Schuhen abgelehnt.

Sortenreinheit nach gewünschtem Output

[1]

Von links: Rainer Gsell (COO SOEX), Axel Buchholz (CEO SOEX und I:Collect), Alain Claudot (Directeur Général Eco TLC) bei der Einweihung der neuen Schuhrecyclinganlage in Wolfen-Bitterfeld am 6. Juni 2018 (Foto: SOEX/I:Collect)

Der Recyclingprozess läuft in mehreren Schritten ab: Zunächst werden die Schuhe zu Leder-, Gummi-, Stoff- und Metallteilen zerkleinert. Anschließend kümmert sich ein Magnetabscheider um Eisenmetalle wie Reißverschlussreste und Metallschnallen. Eine eigens von SOEX entwickelte Delaminationsmühle trennt die Verbundwerkstoffe voneinander. Ein Gegenstromsichter separiert die Materialien Gummi, Leder, Schaumstoff und Textilien. Im letzten Schritt werden die resultierenden Sekundärrohstoffe in jeweils unterschiedlichen Verfahren recycelt beziehungsweise zur Wiederverwendung aufbereitet. Als Reste bleiben Kork, Holz oder Kunststoffe übrig.

Nach Aussagen des SOEX-Pressesprechers Tim Krawczyk besteht der rückgewonnene Materialstrom – je nach Schuhtyp – zu 30 Prozent aus Gummi, zu 30 Prozent aus einer Schaumstoff-/Leder-Leichtfraktion und zu zehn Prozent aus Metallen. Textile, sonstige Abfälle und Schmutz belaufen sich auf an die 30 Prozent; für die enthaltenen Textilfasern werde nach geeigneten Einsatzformen gesucht.

Die Sortenreinheit der Recyclingstoffe richtet sich nach dem gewünschten Output. Nach Aussage von Tim Krawczyk werden die Schuhtypen für das Recycling vorsortiert. Will man möglichst viel Gummirezyklat erzielen, werden untragbare Schuhe mit einem hohen Gummianteil eingesetzt. Besonders viel Schaumstoff lässt sich aus nicht mehr tragbaren Sportschuhen gewinnen. Die restliche Separierung erfolge dann in mehreren Schritten durch die Schuhrecyclinganlage selbst.

Einsatzmöglichkeiten offen

Die Einsatzmöglichkeiten des Outputs beschrieb die ökologisch orientierte Agence Innovation Responsable noch während eines Pilotlaufs im Juli 2017 folgendermaßen: „Das Gummipulver kann nach Pulverisierung in eine neue Schuh-Laufsohle integriert werden. Tests, um die richtige Mischung zu finden, wurden mit mehreren Gummisohlen-Produzenten durchgeführt. Jetzt werden Partnerschaften mit Markenherstellern zur industriellen Produktion diskutiert. Nachdem der Schaum fein zermahlen wurde, können die Schaum-Granulate in neue Oberflächen-Beläge wie jene der Schuhmarke Nike integriert werden. Neue Untersuchungen laufen, um das wiedergewonnene Material bei neuen Mittel- oder Innensohlen einzusetzen. Für das Leder wurden viele Tests unternommen, um die besten Anwendungen für Leder wie beispielsweise Schallschutzwände zu finden. Allerdings ist die Wertschöpfung weiterhin zu gering. Daher wird momentan erneut untersucht, ob dünne Lederpaneele für die Teppichindustrie daraus gemacht werden können.“

Doch auch die aktuelle Webseite wird nicht konkreter. „Aus dem Gummigranulat“ – so die von SOEX ins Netz gestellte FAQ-Seite – „können z. B. neue Schuhsohlen und Bodenmatten entstehen. Das Schaumstoffgranulat eignet sich zum Beispiel zur Herstellung von Bodenbelägen, Schuhinnensohlen oder Judomatten. Für das Leder wird derzeit an verschiedenen Einsatzmöglichkeiten gearbeitet. Die gewonnenen Metalle werden recycelt. Lediglich die Textilfasern werden derzeit noch zur Energiegewinnung genutzt, da bis heute noch keine geeignetere Einsatzform gefunden wurde.“

Weltweites Take-back-System

SOEX‘ Schuhrecycling kann auf die Erfahrungen von I:Collect, seinem SOEX-Tochterunternehmen, zurückgreifen. Seit der Gründung 2009 bietet I:Collect mit seinem weltweiten Take-back-System für Textilien und Schuhe mit 3.000 Sammelstellen in 60 Ländern (Stand: 2015) eine Alternative zu herkömmlichen Sammelkonzepten. Es plant die Logistik, sortiert das Material und distribuiert die Ware, die Modehersteller und -händler in ihren Läden sammeln.

Dieses Erfolgsrezept brachte ihm 2014 den Cradle to Cradle Systems Innovator Award ein für „die innovativste Infrastruktur, um den weltweiten Kreislauf von Textilien und Schuhen zu schließen“. Im gleichen Jahr wurde I:Collect – als Vordenker im Bereich des Textil- und Schuhrecyclings – von der Organisation Sustainia unter die 100 internationalen Unternehmen, Projekte und Lösungen gewählt, die eine Vorreiterrolle im Bereich nachhaltiger Innovationen spielen. Und 2017 kam der 2. Platz des The Circulars Award 2017 in der Kategorie „Circular Economy SME“ hinzu, als Auszeichnung für einen namhaften Beitrag zur Förderung der Circular Economy.
Mit Gewinnen gerechnet

Im Gegensatz zu I:Collect nimmt sich die Input-Menge für das SOEX-Schuhrecycling vergleichsweise bescheiden aus. Über Absatzmengen kann das Unternehmen kurz nach Inbetriebnahme der Anlage keine Angaben machen. Allerdings wird mit Gewinnen gerechnet, da über eine zweite, größere Schuhrecyclinganlage nachgedacht wird, deren Standort noch nicht schlussendlich feststeht: Es seien sowohl Wolfen als auch Sharjah in den Vereinigten Arabischen Emiraten im Gespräch.

Auf diesem Hintergrund klingt es etwas übertrieben, was Axel Buchholz, Geschäftsführer der SOEX Textil-Vermarktungsgesellschaft m.b.H. sowie der I:Collect GmbH, bei der Eröffnung der Schuhrecycling-Anlage verkündete: „Heute eröffnen wir einen Meilenstein der Recyclingwirtschaft, der beliebig skalierbar ist und so zukünftig allen Schuhherstellern, -händlern und -konsumenten einen nachhaltigen End-of-Life-Ansatz bietet.“ Denn sollten die Absatzmärkte nicht gesichert sein, gilt auch für SOEX das, wovor Michael James Lee, der als Experte an der Entwicklung der Wolfener Anlage mitarbeitete, schon 2012 warnte: „Einer der Hauptgründe (für geringes Recycling) besteht darin, dass das meiste moderne Schuhwerk eine komplexe Mixtur aus Leder, Gummi, Textilien, Polymeren und metallischem Material ist, das die komplette Separation und Rückgewinnung der Materialströme in einer ökonomisch nachhaltigen Art und Weise schwer macht.“

Besser Nike Grind als Zero-Waste-Kartons

Aber auch der Sportschuh-Hersteller Nike unterhält – seit 1993 – ein Schuh-Recyclingprogramm. Über 1,5 Millionen Paar abgenutzter Sportschuhe aller Marken sammelt Reuse-A-Shoe jedes Jahr für das Recycling. Hinzu kommen mehrere Tausend Tonnen an Produktionsabfällen, die ebenfalls wiederverwertet werden. Seit Programmbeginn gingen so über 28 Millionen Paar ausgemusterter Sportschuhe ins Recycling. Allerdings sind die Recyclingmaschinen von Nike auf Material und Abmessungen ausschließlich von Sportschuhen eingestellt: Sandalen, Flip-Flops, Straßenschuhe oder Stiefel werden ebenso wenig angenommen wie Schuhe, die Metall wie zum Beispiel Stollen oder Spikes enthalten. Gummi, Schaumstoff, Faserstoffe, Leder und Textilien der Schuhe werden getrennt und zu vielfachen Granulaten unter dem Markennamen Nike Grind verarbeitet. Nike Grind findet anteilige Verwendung in neuer Sportkleidung oder als Bodenbeläge für diverse Sport- und Spielplätze.

Knut Sander, Experte für Kreislaufwirtschaft bei Ökopol, hält ein solches Recycling zu Bodenbelägen zwar für allemal besser als die Deponierung. Aber es müsste eigentlich „Downcycling“ heißen, eröffnete er 2015 gegenüber der Zeitschrift „Wirtschaftswoche“. Und fügte hinzu: „Denn das gewonnene Leder oder Gummi ist nicht gut genug, um daraus neue Schuhe herzustellen.“ Immerhin seien Bodenbeläge besser als nichts. Und der Endzweck ist allemal konkreter und für den Schuhbesitzer kostengünstiger als das Angebot des Multi-„Recyclers“ TerraCycle: Dieser bietet eine „Null-Abfall“-Lösung für Schuhe an, die ein Altschuh-Besitzer nach bestimmten Kriterien sammeln, in „Zero-Waste“-Schuhkartons verschiedener Größe zu Preisen zwischen stolzen 103 und 261 Dollar stecken und dann versenden kann, damit die gesammelten Stoffe – völlig ergebnis- und zweckoffen – „wiederverwendet, upgecycelt oder angemessen recycelt werden“.

Foto: SOEX/I:Collect

(EU-Recycling 08/2018, Seite 14)

[2]

Anzeige