bvse-Alttextiltag: Dem Second-Hand-Kreislauf droht der Kollaps
Mit häufig wechselnden Kollektionen wirft die Modeindustrie zunehmend minderwertigere Materialmix-Bekleidung auf den Markt. Diese eignet sich bereits nach kurzer Tragdauer durch modebewusste Besitzer überwiegend nicht mehr zur weiteren Verwendung als Second-Hand-Ware. Die ökologischen und ökonomischen Auswirkungen dieses „Fast Fashion Trends“ waren ein Schwerpunktthema des 7. Internationalen Alttextiltages des bvse in Meisterschwanden am Hallwilersee in der Schweiz.
„Noch nie waren die Container so voll mit Ex-und-hopp-Kleidung“, berichtete der Vorsitzende des bvse-Fachverbands Textilrecycling, Martin Wittmann, von diesbezüglichen Rekord-Sammelmengen in Deutschland: Die Branche stellt bundesweit eine „Fast Fashion-Flut“ fest und warnt in diesem Zusammenhang vor einem „Second-Hand-Kreislauf-Kollaps“.
Nach normal erfassten Mengen im ersten Vierteljahr 2018 nahm das Spendenaufkommen insgesamt „explosionsartig“ zu. Seit dem Frühjahr quellen die Altkleidercontainer den Angaben nach über. Die illegalen Containeraufsteller leeren ihre Altkleidercontainer nicht mehr regelmäßig. Ausgediente Kleidung stapelt sich davor, so die Beobachtungen. Da der Bürger jedoch kaum zwischen legalen und illegalen Containeraufstellern unterscheiden könne, werfe dies laut bvse ein negatives Bild auf die komplette Alttextilbranche.
Recycling: schwierig bis unmöglich
Eine eindeutige Begründung gibt es für diese „konzentrierte Aussortierwut“ nicht, dafür aber umso mehr Probleme mit dem Abfluss in eine möglichst hochwertige ressourcen- und umweltschonende Textilrecyclingkette, die an erster Stelle die Wiederverwendung als Second-Hand-Ware und an zweiter Stelle das Recycling anstrebt. Denn wie auf dem diesjährigen bvse-Alttextiltag zu erfahren war, fehlt es an Abnehmern für die von der Fast Fashion-Industrie überwiegend produzierte „Wegwerfware“ aus meist minderwertigen synthetischen Stoffen. Als Second-Hand-Ware sei sie keine Option, und auch das Recycling gestalte sich aufgrund der eingesetzten Materialmixe oft als schwierig bis unmöglich.
„Um auf dem Zukunftsmarkt mitspielen zu können, wird die engere Zusammenarbeit unserer Branche mit der Modeindustrie ein zunehmend wichtigeres Thema“, machte Martin Wittmann vor den rund 100 Teilnehmern der Veranstaltung am 27. und 28. Juni in Meisterschwanden am Hallwilersee in der Schweiz deutlich. Die Vorgaben im neuen EU-Abfallpaket – so der Experte – nehmen in verstärktem Maße nun auch die Textilindustrie in die Pflicht für einen verantwortungsvollen Umgang mit den für die Herstellung von Bekleidung eingesetzten, endlichen Ressourcen. In der logischen Konsequenz seien die Mode-Produzenten gefordert, zukünftig auf nicht-recycelbare Stoffmischungen zu verzichten.
Nicht weiter zulasten der Qualität
Die Textilrecyclingbranche sollte die mittlerweile von zahlreichen Start-ups und Initiativen initiierten Projekte und Entwicklung zum Faserrecycling intensiv beobachten und begleiten. Dieser Markt werde in der Zukunft an Bedeutung gewinnen. Hier lägen gute Chancen für gemeinsame Kooperationen zwischen der Textilrecyclingbranche und den Herstellern. Die Textilrecyclingkette ist Wittmann zufolge mit ihrer Expertise in der Lage, „den Textilproduzenten genau die hochwertigen und spezialisierten Recyclingqualitäten zu liefern, die diese als Input für die Herstellung von Recyclingfasern brauchen.“ Es sollte jedoch auf keinen Fall in die Richtung gehen, „dass die Hersteller – vorbei an der bewährten und systemerfahrenen traditionellen Textilrecyclingbranche – eigene Sammel- und Anlagenstrukturen bauen und der Branche insgesamt Material entziehen.“
Bei der Anwendung des Faserrecyclings sollten die Bekleidungshersteller nicht allein die Schlagzahl neuer Modekollektionen erhöhen: „Die Wiederverwendung muss nach dem Nachhaltigkeitsprinzip des Kreislaufwirtschaftsgesetzes weiter an erster Stelle stehen, und das klassische Textilrecycling muss auch in Zukunft Vorrang vor der Reißerei haben und darf nicht davon verdrängt werden.“ Sorgen bereiten der Branche überhaupt schlechte Sammelqualitäten, zähe Absatzmärkte, volle Lager und der harte Konkurrenzkampf mit Kommunen und gegen illegale Sammler: „Die Textilrecyclingunternehmen treten gegenwärtig auf der Stelle.“ Selbst für sortierte Exportware, die auf dem ostafrikanischen Markt gewöhnlich gut nachgefragt wird, sind die aktuellen Absatzchancen eher mäßig einzustufen und werden sich voraussichtlich auch im Herbst nicht deutlich verändern.
Lagerkapazitäten so gut wie erschöpft
Derzeit sind die Lagerkapazitäten der Textilrecycler so gut wie erschöpft, informierte der Alttextiltag 2018. Teilweise müssten die Altkleidersammler und -sortierer Lagerflächen kostenintensiv erweitern, um der vertragsgemäßen Verpflichtung zur Leerung der Container nachkommen zu können, was zusätzlich durch fehlendes Fachpersonal erschwert werde. Da einige Sortierwerke im Hinblick auf die schwierige Absatzsituation verlängerte Sommer-Betriebsferien angekündigt haben, rechnen Sammler mit weiteren Engpässen in den nächsten Monaten.
Zugleich sorgt das Überangebot auf dem Altkleidermarkt – wo sich weiterhin, von kommunaler Seite mehr oder weniger unbehelligt, unzählige illegale schwarze Schafe tummeln – für niedrige Verkaufspreise. Nach Angaben der Sortierer kann selbst die Anlieferung und Abladung in den Betriebsferien von originaler Sammelware nicht gewährleistet werden. Bedingt dadurch werde sich die Menge der zwischengelagerten Alttextilien weiter erhöhen.
Neue Absatzwege gesucht
Dringend gesucht werden neue Absatzwege, vor allem für die mindere Fast Fashion-Qualität, die als Second-Hand-Ware nicht mehr tragbar ist. Kenia, Uganda, Tansania und Ruanda sind traditionell gute Abnehmer für hochwertige Second-Hand-Ware. Auf regionalen Altkleidermärkten (Mitumbas) versorgt sich die Bevölkerung zu erschwinglichen Preisen mit qualitativ guter Ware. Auf der Argumentationsgrundlage, die heimische Textilindustrie schützen zu wollen, hatten die ostafrikanischen Abnehmerländer in 2016 Schutzzölle erhoben und Importverbote ab 2019 angekündigt. Auf Druck der amerikanischen Regierung wurden diese, mit Ausnahme von Ruanda, aber wieder aufgehoben. „Besser wäre hier Überzeugungsarbeit für die Notwendigkeit eines funktionierenden Altkleiderhandels gewesen“, kommentierte Wittmann. „Ein Importverbot würde nicht der lokalen Textilindustrie helfen, sondern der Billigware und deren Produzenten aus Fernost.“
Die Nachfrage sortierter Waren in den West- und Ostafrikanischen Länder ist (Stand: Juni 2018) sehr verhalten. Gründe dafür sind unter anderem der sinkende Rohölpreis und die angekündigten Importverbote von Altkleidern in einigen ostafrikanischen Ländern ab 2019. Es werden zwar regelmäßig auch umfangreichere Exporte durchgeführt, jedoch unterscheidet sich die Zusammensetzung der Lieferungen zum Nachteil der Versender. Viele Artikel wie Hosen, Blusen oder T-Shirts können nur noch in begrenzten Mengen verladen werden und bleiben somit im Lager liegen. Erschwerend kommt hinzu, dass in einigen Staaten die Beschaffung von Devisen immer noch sehr kompliziert beziehungsweise teuer ist. Teilweise werden bis zu acht Prozent Kommission für eine schnelle Abwicklung erhoben. Dies fällt in der Regel zu 50 Prozent zulasten des Exporteurs. Die Nachfrage aus Russland und den anderen osteuropäischen Ländern ist sehr unterschiedlich (Stand: Juni 2018). Das liegt zum Teil an dem zu spät begonnenen Winter und ebenso an dem verzögerten Frühjahr- und Sommereinbruch. Der Markt für Putzlappen ist auf niedrigem Niveau jedoch seit Jahren relativ stabil. Die hohen Angebote im Vergabeverfahren für Sammelware sind keineswegs nachvollziehbar. Ob dieses dauerhaft so sein wird, bleibt abzuwarten. Für die Zukunft der Erfasser von Alttextilien ist diese Tatsache keineswegs von Vorteil. Eine Prognose für die zweite Jahreshälfte sei nicht möglich.
Mangelnde Voraussicht, fehlendes Einschreiten
Nach Einschätzung des bvse wird auch das neue EU-Abfallwirtschaftspaket die Lage der Branche nicht verbessern. Gebraucht würden marktgängige Sammelfraktionen und faire Wettbewerbsbedingungen. „Nicht nachvollziehbar ist, dass wir auch nach unzähligen Aufklärungskampagnen und Veröffentlichungen – wie dem bvse-Aktionsflyer gegen illegale Containergestellung und dem von unabhängigen Sachverständigen geprüften bvse-Qualitätssiegel für hochwertige Textilsammlung – von vielen kommunalen Vertretern immer noch mit unseriösen Sammlern in einen Topf geworfen werden. Insbesondere dann, wenn es darum geht, ein kommunales Sammelsystem durchzuboxen, um gleichzeitig die gewerbliche Sammlung zu verhindern. Erreicht wird damit nur eines: Wird den ordentlich arbeitenden Unternehmen die Containergestellung beispielsweise auf Supermarktplätzen untersagt, werden diese Plätze durch illegale Container besetzt“, kritisierte Martin Wittmann mangelnde Voraussicht und fehlendes Einschreiten der Kommunen. Illegale Sammler würden sich weder an umweltrechtliche Vorschriften noch an fairen Wettbewerb halten.
Und das befürchtet schließlich auch die Branche: Dass die neue Rechtsvorschrift im EU-Kreislaufwirtschaftspaket die Qualität weiter mindert. Das neue Kreislaufwirtschaftspaket verpflichtet die Kommunen, sofern noch nicht geschehen, ab 2025 auch getrennte haushaltsnahe Sammlungen für Textilien einzuführen, um die Quote zu erhöhen – damit weniger Textilien im Hausmüll landen. Gute Ware könnte sich dadurch aber mit nicht mehr verwertbaren Textilabfällen nachteilig zu schlechter vermarktbarer Recyclingware vermischen. Eine kostendeckende Sammlung wäre dann nicht mehr gegeben.
Foto: FWS GmbH
(EU-Recycling 08/2018, Seite 9)