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Entsorgung von Kriegsmunition und Rüstungsaltlasten: Es gibt viel zu tun

„Etwa 1,6 Millionen Tonnen konventionelle und 220.000 Tonnen chemische Kampfmittel – so die aktuellen Schätzungen – lagern am Grund von Nord- und Ostsee und rotten seit Jahrzehnten vor sich hin“, meldete Anfang August das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT.

Die Rede ist unter anderem von geschätzten mindestens 30.000 Seeminen in der Ostsee, von circa 8.000 in der Kieler Außenförde versenkten Torpedosprengköpfen, von unzähligen detonierten und vor allem nicht detonierten Wasserbomben, von Schiffswracks mit Bewaffnung sowie von bis zu 65.000 Tonnen Munition mit den Kampfstoffen Senfgas, Tabun, Phosgen, Adamsit und Clark. Solche „explosiven Hinterlassenschaften der Kriege“ rücken zunehmend in den öffentlichen Fokus und bedürfen einer zufriedenstellenden Unschädlichmachung und Entsorgung.

Das wachsende Interesse erklärt sich zum einen daraus, dass Sprengbomben, Brandbomben, Torpedos und Giftgasgranaten von Jahr zu Jahr stärker korrodieren, ihren Inhalt – unter anderem den hochentzündlichen weißen Phosphor – ins Meerwasser abgeben und so Menschen, Tiere und Pflanzen schädigen können. Zum anderen, weil sie ein enormes Gefahrenpotenzial beim Verlegen von Unterseekabeln oder Pipelines, beim Ausbaggern von Fahrrinnen oder bei der Anlage von Aquakulturen darstellen. Und sie können auch den Bau von offshore-Windparks behindern: „Auf einer Strecke von 45 Kilometern hatten wir in der Planungsphase mit etwa 50 auf Sprengstoff zu untersuchenden Objekten gerechnet“, berichtete Jan Kölbel, technischer Direktor des Kampfmittelräumdienstes der Firma Boskalis Hirdes. Dabei befinden sich auch außerhalb der markierten Munitionsgebiete noch Mengen von Kriegsmunition, zumal Strömungen und Grundschleppnetz-Fischerei im Laufe der Zeit alte Minen, Torpedos und Bomben stark umgelagert haben.

Abhilfe durch RoBEMM

Auch wenn sich Schleswig-Holstein seit Jahren und Mecklenburg-Vorpommern zunehmend in der Kartierung, Beseitigung und Öffentlichmachung von Kriegsüberbleibsel engagierten, sahen sich die Länder von einer tatsächlichen Lösung noch weit entfernt. Daher forderte im Februar 2014 der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck im Namen des Bund/Länder-Expertenkreises „Munition im Meer“: „Wir alle müssen mit Hochdruck daran arbeiten, die vielversprechenden technischen und wissenschaftlichen Forschungsansätze der Munitionsbergung aus dem Meer zu einem integrierten System zusammenzuführen, das in der Lage ist, Munitionsaltlasten unter Wasser aufzuspüren und unschädlich zu machen.“

Hier soll RoBEMM Abhilfe schaffen: bei der „Entwicklung und Erprobung eines robotischen Unterwasser Bergungs- und Entsorgungsverfahrens inklusive Technik zur Delaboration von Munition im Meer, insbesondere im Küsten- und Flachwasserbereich“. Ziel des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten und von mehreren Industriepartnern getragenen Forschungsprojekts soll die Entwicklung eines sinnvollen Verfahrenswegs samt zugehöriger Technik sein, um die Freilegung und thermische Beseitigung der Kampfmittel an Ort und Stelle ohne detonative Umsetzung zu ermöglichen und nur mit Metallschrott an Land zurückzukehren. Nach der Identifizierung und Charakterisierung der verwendeten Explosivstoffgemische unter Wasser ist die Delaborierung vorgesehen, bei der die Hülle geöffnet und der Sprengstoff ausgespült wird, bevor dieser separiert und vernichtet und der Metallschrott gelagert wird. Die Munition will man somit bereits am Fundort unter Wasser teilautomatisiert unschädlich machen und umweltgerecht entsorgen.

Noch 222.732 Fässer Atommüll

Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass mit dieser Technik auch die Fässer mit Atommüll entsorgt werden können, die frühere Regierungen in 4.700 Metern Tiefe im Meer endlagerten. Wie das Magazin Report Mainz im November 2011 berichtete, „versenkten bis 1982 neun Staaten schwach- und mittelradioaktive Abfälle im Nordost-Atlantik, darunter auch Deutschland. Insgesamt wurden offiziellen Statistiken zufolge an 15 Stellen 114.726 Tonnen Atommüll in 222.732 Fässern verklappt, und zwar Alpha-, Beta- und Gammastrahler.“

Auf diese Fässer angesprochen, sah im August 2012 die damalige Bundesregierung das Gefahrenrisiko für den Menschen „als vernachlässigbar“ an und hatte – da zumindest im Ärmelkanal keine Fässer aus Deutschland versenkt worden seien – auch weder eine Machbarkeitsstudie noch ein Rechtsgutachten über die Bergung von derartigen Abfallfässern aus dem Meer vorliegen.

Rund 90.000 Tonnen noch scharf

Über dem neuen Hype für die Unterwasser-Entschärfung von Kampfmitteln darf die Entsorgung auf den Festland nicht aus dem Blick geraten. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete zwischen Juli 2013 und Juli 2018 von 27 Bombenentschärfungen. Das Berliner Polizeipräsidium meldete rund eintausend Einsätze seiner Feuerwerker an Munitionsfundorten pro Jahr. Außerdem seien seit 1947 bereits über 1,8 Millionen Sprengkörper in Berlin aufgefunden und hier vernichtet worden. Laut Güteschutzgemeinschaft Kampfmittelräumung Deutschland e.V. wurden im Zweiten Weltkrieg geschätzte 1,4 Millionen Tonnen Bomben über Deutschland abgeworfen, von denen circa 15 Prozent als Blindgänger nicht explodierten. Und noch immer sollen laut Experten rund 90.000 Tonnen scharfer Bomben im Boden liegen.

Deren Unschädlichmachung sowie deren Entsorgung haben zunächst juristische Hürden zu überwinden. Denn wie das Merkblatt „Arbeitshilfe Kampfmittelräumung 2014“ des GUBD feststellt, existiert keine bundesweit gesetzliche Regelung zur Kampfmittelbeseitigung, die Zuständigkeiten, Finanzierung, Haftung oder materielle Anforderungen an die Kampfmittelräumung regelt. Die Beseitigungskosten auf seinen eigenen Liegenschaften und für ehemals reichseigene Kampfmittel auf nicht bundeseigenen Liegenschaften tragen der Bund sowie das Sondervermögen des Bundes. Die Länder übernehmen die übrigen Beseitigungskosten, das heißt die Ausgaben für die Beseitigung der von den Alliierten verursachten Kampfmittelbelastung auf allen anderen als im Eigentum des Bundes stehenden Flächen.

Vernichtung im mehrstufigen Prozess

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Foto: pit24 / fotolia.com

Zur Entschärfung von Kampfmitteln an Ort und Stelle hat das Land Mecklenburg-Vorpommern – wie auch andere Bundesländer – eine Hochdruck-Wasserstrahlschneidanlage angekauft; Beschaffungskosten: rund 376.000 Euro. Das Wasser-Abrasiv-Suspensions-Schneidverfahren ermöglicht durch einen Hochdruckwasserstrahl und ein scharfkantiges Abrasivmittel die berührungsfreie Entschärfung beispielsweise von Bombenblindgänger. Das Aggregat kann bei besonders gefährlichen Einsätzen aus sicherer Entfernung von mehreren hundert Metern zum Objekt gesteuert und durch definierte Schnitte der Zünder aus der Bombe geschnitten werden.

Üblicherweise erfordert die Vernichtung von brisanter Munition, Sprengmitteln und chemischen Kampfstoffen einen mehrstufigen Prozess. Zunächst stehen Röntgen, Analyse und Identifizierung des Kampfmittels an. Bei der anschließenden Delaborierung wird die Munitionshülle geöffnet und der brennbare Inhalt der Hülle entnommen. Kampf- und Sprengstoff können nun voneinander getrennt und separat weiter behandelt werden. Sprengöfen dienen der Entspannung von Explosivstoffen. Schädliche Materialien wie Haut-, Nerven- oder Reiz-Kampfstoffe müssen in einer eigenen Anlage thermisch behandelt werden. Der Entsorgungsprozess jedes einzelnen Objektes wird dabei genauestens dokumentiert und archiviert. Die Unschädlichmachung von Giftgas aus dem syrischen Chemiewaffen-Arsenal bestand laut dem Munsteraner Entsorger GEKA – eine 100-prozentige Tochter des Verteidigungsministeriums – beispielsweise aus einer Hydrolyse mit heißem Wasser, der Neutralisierung der Salzsäure mithilfe von Natronlauge und der Verbrennung des Hydrolysats zur Vernichtung aller organischen Bestandteile. Zurück blieben ungefährliche Salze, die in einer Deponie entsorgt wurden; Metalle wurden gesammelt.

Nicht zu vergessen: Rüstungsaltlasten

Zu den militärischen „Folgeschäden“ zählen auch sogenannte Rüstungsaltlasten. Darunter sind ausschließlich solche Flächen zu verstehen, die nachweislich mit Sub­stanzen aus militärischer Nutzung kontaminiert wurden. Ausdrücklich davon ausgenommen sind während des Zweiten Weltkrieges bombardierte Areale – also die meisten Städte – und ehemalige Flak-Stellungen mit zu vermutenden Sprengstoff-Belastungen.

Das Büro für Altlastenerkundung und Umweltforschung rechnete 1993 mit insgesamt rund 6.000 Standorten und einem Flächenverbrauch von 970.000 Hektar – der halben Fläche von Rheinland-Pfalz. Hier ist unter anderem mit übergelaufenen Flüssigkeiten, Leckagen, Demontageverlusten, metallischen und mineralischen Abfallstoffen, Brandschäden und Abwässern zu rechnen. Inwieweit diese Flächen inzwischen erfasst und untersucht sind, ist heute nicht mehr nachvollziehbar: Das Umweltbundesamt nimmt spätestens seit 2003 keine Datenaktualisierung mehr vor.

Nichtsdestotrotz bleibt für die Kommunen – zumal bei Terrains, die keine Rüstungsaltlasten sind, sondern nur Rüstungsaltlastverdachts-Standorte – die Frage der Zuständigkeit für den Umgang mit Rüstungsaltlasten von erheblicher Bedeutung. Denn deren Erfassung, Untersuchung und mögliche Sanierung inklusive Wertminderung der Grundstücke müssen die Kommunen finanziell tragen. Zwar fallen Rüstungsaltlasten als Folgelasten des Zweiten Weltkrieges in den Zuständigkeitsbereich des Bundes; dieser übernimmt laut Büro für Altlastenerkundung und Umweltforschung aber nur die Kosten der Kampfmittelräumung. Somit musste vermutlich beispielsweise das Land Baden-Württemberg die Kosten übernehmen, als 2016 der Kampfmittelräumdienst eine Fläche von 194.000 Quadratmetern auf Belastung absuchte, um eine Bebauung der Areale zu ermöglichen.

Verantwortlich: die Grundstückseigentümer

Gleiches Recht gilt für Grundstückseigentümer. „Die Erforschung und Beseitigung von Gefahren, die von Kampfmitteln ausgehen können, liegt in der Verantwortung der Grundstückseigentümer. Dabei gehört es nicht zu den Aufgaben des Kampfmittelbeseitigungsdienstes, die Kampfmittelbelastung beziehungsweise -freiheit von Grundstücken zu beurteilen oder zu bescheinigen“, teilt das Bayerische Staatsministerium des Inneren mit und fügt hinzu: „Sind auf dem Grundstück konkrete Maßnahmen veranlasst, wie die vorsorgliche Nachforschung nach Munitionsgegenständen und deren Bergung, ist es Aufgabe des Grundstückseigentümers, Fachfirmen zu beauftragen, die nach dem Sprengstoffgesetz dazu berechtigt sind.“ Zusätzlich kommen auf den Bauherrn mit Sicherheit die Entsorgungskosten für belastete Bauabfälle zu.

Foto: pixabay

(EU-Recycling 10/2018, Seite 32)

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