KKW-Rückbauabfälle: Ist das radioaktiv oder kann das weg?

Wenn ein Kernkraftwerk zurückgebaut wird, fallen einige hunderttausend Tonnen an Bauschutt an. Aber nur einige Prozent dieser Abfälle weisen einen so hohen Anteil an radioaktiven Stoffen auf, dass sie als radioaktiver Abfall entsorgt werden müssen. Eine neue Messmethode, mit der Art und Menge der radioaktiven Stoffe in den Abfällen noch genauer und zuverlässiger bestimmt werden können, entwickeln jetzt Forscher der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) und der Kölner Universität.

Während ein Kernkraftwerk in Betrieb ist, werden bestimmte Teile des Gebäudes durch Neutronenstrahlung belastet. Die derart im Inneren von Bauteilen entstehenden radioaktiven Stoffe – sogenannte Radionuklide – weisen deshalb auch nach der Stilllegung noch eine so hohe Radioaktivität auf, dass sie als radioaktiver Abfall entsorgt werden müssen. Was und in welcher Menge als radioaktiver Abfall einzuordnen ist, ist für viele Aspekte der Stilllegung wichtig – etwa für die Planung des Strahlenschutzes, die Wahl geeigneter Methoden zur Dekontamination von Komponenten und die Wiederverwendung von Materialien aus dem Rückbau oder die Entsorgung als konventioneller Abfall.

Gesucht: schwer messbare Radionuklide

Die Messung oberflächlicher Kontaminationen stellt dabei meist kein Problem dar. Schwieriger gestaltet sich dagegen die Messung der Radionuklide innerhalb aktivierter Strukturen. An Ort und Stelle können von diesen Radionukliden nur diejenigen gemessen werden, die Gammastrahlung aussenden. Für die Bestimmung der übrigen wird in diesen Fällen auf sogenannte Leitnuklide und Nuklidvektoren zurückgegriffen. Da in bestimmten Anwendungsfällen Gammastrahler und andere, schwerer messbare Radionuklide in einem bestimmten Mengenverhältnis auftreten, lässt sich aus der Menge des leicht messbaren Leitnuklids die Menge der übrigen Radionuklide bestimmen.

Eins zu zehn Billiarden

Diese Methode stößt allerdings unter bestimmten Umständen an Grenzen. Hat das Leitnuklid eine kurze Halbwertszeit und zerfällt deshalb schneller als die übrigen Nuklide des Vektors, kann bereits nach einigen Jahren die verbleibende Menge des Leitnuklids zu gering sein, um gemessen zu werden. Ein ähnliches Problem stellt sich, wenn als Leitnuklid nur ein Element in Frage kommt, das von vornherein nur in sehr geringen Spuren vorhanden ist.

Die Forscher haben sich deshalb zum Ziel gesetzt, das radioaktive Inventar von aktiviertem Beton mit einer der genauesten Methode zu untersuchen, die derzeit zur Bestimmung kleinster Stoffmengen zur Verfügung steht: die sogenannte Beschleuniger-Massenspektrometrie – kurz AMS (accelerator mass spectrometry). Diese Methode ermöglicht äußerst präzise Messungen, sodass sich ein einzelnes Radionuklid in einer Menge von bis zu zehn Billiarden anderen, nicht radioaktiven Nukliden aufspüren lässt. Auf die Idee, diese Messmethode für die Untersuchung von Abfällen aus der Stilllegung von Kernkraftwerken zu nutzen, brachte die Forscher die Geschichte des mumifizierten „Ötzi“: „Inzwischen ist die AMS bei der Altersbestimmung oder der Spurenanalyse in der Klimaforschung das Mittel der Wahl – das Verfahren ist einfach deutlich präziser und weniger aufwendig als die übrigen“, erklärt der Physiker Matthias Dewald, der das Projekt bei der GRS leitet.

Erste neue Erkenntnisse

Zusätzlich zu den AMS-Messungen werden einige der Proben auch mithilfe der Gammaspektroskopie ausgewertet. Zusammen mit den Ergebnissen aus der AMS wird es damit möglich zu prüfen, wie realitätsnah die bislang verwendeten Nuklidvektoren sind. Daneben lässt sich auch klären, ob andere, sehr langlebige Radionuklide wie das Kalzium-41 als Leitnuklide in Frage kommen. Die ersten Analyseergebnisse bestätigen nach Einschätzung von Matthias Dewald den Ansatz, auf das für die Kerntechnik neue Verfahren zu setzen. Auf längere Sicht streben Dewald und seine Kollegen einen Materialwechsel an: Nach dem Beton soll mittels AMS aktiviertes Graphit untersucht werden, das in Reaktoren verbaut wurde. Das findet sich nicht nur in Reaktoren der Tschernobyl-Baulinie RBMK, sondern wurde auch in Deutschland im Hochtemperaturreaktor THTR-300 in Hamm und in mehreren Forschungsreaktoren verwendet.

www.grs.de

Foto: GRS

(EU-Recycling 10/2018, Seite 40)