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Sonderabfall­entsorgung: Die Politik muss umdenken

Eigentlich müsste es der deutschen Entsorgungsbranche für Sonderabfälle gut gehen. Letzten Zahlen zufolge ist ihr Materialzufluss konstant, die Anlagen entsorgen rund ein Viertel der in Europa deklarierten gefährlichen Abfälle, und die Verwertungs- und Recyclingverfahren sind anerkannt. Dennoch sah sich der bvse-Fachverband Sonderabfallwirtschaft im Oktober gezwungen, die Politik auf die Lage der Branche aufmerksam zu machen. Warum?

Die Entsorgung von Sonderabfällen hat sich konsolidiert. Im Jahr 2015 behandelten laut Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 3.100 Verwertungs- und Beseitigungsanlagen rund 25,7 Millionen Tonnen gefährlicher Abfälle. Diese stammten zu rund 40 Prozent aus dem Bau- und Abbruchbereich, waren zu 30 Prozent produktionsspezifisch, kamen zu 25 Prozent aus Behandlungsanlagen und bestanden zu fünf Prozent aus sonstigen Abfällen.

Die Gruppe der als gefährlich eingestuften Abfälle umfasst 407 der gelisteten 839 Abfallarten. Ihr Spezifikum: Sie sind in viele unterschiedliche Teilströme aufgegliedert, decken eine große Stoffbreite ab und bergen ein enormes Ressourcenpotenzial. Ihr Vorteil: Über die verschiedenen Stoffströme hinweg steht einem hohen Wertstoffpotenzial ein nur geringes Schadstoffpotenzial gegenüber. Oder wie bvse-Rohstoffexperte Dr. Thomas Probst es am Beispiel erklärte: „Das Mengenverhältnis von Schadstoff zu Wertstoff beträgt für typische Altöle der Sammelklasse I, bezogen auf PCB, nur vier ppm (Teile pro Million).“

Nicht einseitig auf Verbrennung setzen

Folglich zählt neben der Zerstörung organischer Schadstoffe und der Aufkonzentration sowie der Neutralisierung anorganischer Schadstoffe die Rückgewinnung potenzieller Wertstoffe zu den primären Aufgaben der Branche. Daher seien es gerade die mittelständischen Unternehmen, „die im Gegensatz zur öffentlich-rechtlichen Sonderabfall­entsorgung mithilfe moderner Aufbereitungstechniken die stoffliche Verwertung vorantreiben und nicht einseitig auf die Verbrennung setzen“, macht Fachverbands-Vorsitzender Werner Schmidt deutlich.

Das hätten die industriellen Hersteller teilweise noch nicht begriffen, meint Siegfried Kreibe vom bifa-Umweltinstitut. In seinem Vortrag auf der diesjährigen bvse-Jahrestagung in Baden-Baden wies er darauf hin, dass Unternehmer Abfälle in erster Linie als Kosten- oder Erlösfaktor bei der Entsorgung sehen, der zudem einen Wertverlust durch Personal- und Sachkosten verursacht. Somit würde der eigentliche Wert der Materialien, die in den Produktionsabfällen enthalten seien, nicht erkannt. Dabei enthalte beispielsweise Schleifschlamm 30NiCrMo12-6 einen so hohen Stahlanteil, dass dieser mit 434 Euro pro Tonne und zuzüglich Entsorgungskosten auf ein maximales wirtschaftliches Potenzial von 347 Euro pro Tonne Schlamm veranschlagt werden kann, von dem allerdings weitere Aufbereitungskosten abzuziehen seien.

Durch Mengensteigerung und -bündelung

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Foto: EU-R Archiv

Zudem – so Kreibe – stehe eine Reihe von Barrieren einer besseren Rückgewinnung und Verwertung im Wege, für die es aber auch Lösungen gebe. Projekte, die erst nach fünf Jahren profitabel werden, würden bei einer nach zwei Jahren geforderten Kapitalrendite vorzeitig beendet; Entsorger sollten daher mit Akteuren kooperieren, die längere Return-of-Invest-Vorgaben haben. Kleine Recyclingmengen seien für rohstoffintensive Industrien wie Stahlwerke oder Papierfabriken uninteressant; hierfür schlug der Referent die verstärkte Kooperation von mittelständischen Entsorgern und die Nutzung von Internetplattformen vor.

Abfallerzeugern, insbesondere solche mit großen Mengen, mangele es am Vertrauen in die Verlässlichkeit der Entsorgung von Sonderabfällen. Hier könnte die Entwicklung, Umsetzung sowie Überwachung von Qualitätssicherungs-Prozessen und die Einführung von Umweltkennzahlen Abhilfe schaffen, die zudem die Befürchtung der Rezyklate-Abnehmer zerstreuen könnten, durch Prozessstörungen oder nachlässige Behandlung der Abfälle bei der Aufbereitung schadstoffbelastete Produkte zu erhalten. Schließlich würden Entsorger und Aufbereiter auch mit dem Gedanken zur Kooperation innerhalb der Branche spielen, hätten aber Bedenken hinsichtlich des Kartellrechtes. Hierzu empfiehlt der Experte – neben juristisch gezieltem Vorgehen – einfache Kooperationen zur Mengensteigerung unter Einsatz digitaler Möglichkeiten. Insbesondere die Mengenbündelung könnte über elektronische Plattformen organisiert werden.

Vielfach fest im Markt etabliert

In diesem Sinne plädierte Thomas Obermeier von Tomm+C, Management+Consulting für einen stark vernetzten Mittelstand, um die zukünftigen Herausforderungen erfolgreich meistern zu können. Und auch nach Einschätzung von Siegfried Kreibe sollte sich der Mittelstand wappnen, sonst habe er das Nachsehen. Doch sieht er auch für kleine und mittlere Unternehmen Marktchancen, indem sie dort langfristig Lösungen konzipieren, vorbereiten und schließlich anbieten und umsetzen, wo Konzerne im Krisenfall mit Sofortmaßnahmen nur kurzfristig reagieren.

In etlichen Bereichen hat sich die Behandlung von gefährlichen Abfällen fest im Markt etabliert. Beispielsweise bei der stofflichen Verwertung von gebrauchten Schaumdosen, für die in Deutschland ein engmaschiges Rücknahmenetz mit 40.000 Anfallstellen bereitsteht, um die erfassten Dosen zu 95 Prozent zu verwerten beziehungsweise mit einer Quote von 80 Prozent zu recyceln. Oder bei der chemisch-physikalischen Behandlung von Abfällen aus der Metallverarbeitung, der Farb- und Lackherstellung, der Automobilindustrie oder der Erdöl- und Erdgasförderung. Um die hier entstehenden Flüssigkeiten in Fabrikations- oder Reinigungswasser, Abwasserschlämmen oder Säuren und Laugen kümmern sich aktuell 534 darauf spezialisierte Anlagen mit Verwertungsverfahren, die immerhin 25 bis 30 Prozent aller in Deutschland anfallenden gefährlichen Abfälle behandeln. Verbleibende, im Vergleich zu den Rezyklaten deutlich kleinere Schadstoffanteile gehen in die umweltgerechte Entsorgung.

Riskante Preisentwicklungen

Freilich bestehen stets Risiken in der Preisentwicklung. So beklagten beispielsweise die Altöl-Raffineure 2016 nicht nur stark rückläufige Mineralölnotierungen und erlebten einen drastischen Gewinn-Einbruch. Sondern sahen sich im April 2017 auch mit rückläufigen Altölmengen konfrontiert, da moderne technische Anlagen einen immer geringeren Verbrauch an Schmierstoffen aufweisen.

Auch mussten die Entsorger aufgrund von Preiserhöhungen in den Verbrennungsanlagen ihre Erwartungen für das laufende Jahr – trotz bisher anhaltend guter Wirtschaftslage – zurückschrauben. In anderen Bereichen werden die Gewinnmargen jedoch nicht nur durch Marktbewegungen, sondern auch durch legislative Vorgaben geschmälert. Denn der Gesetzgeber verschärft aus Sicht der Branche beständig seine Auflagen für das Aufbereiten und Verwerten von Sonderabfällen, sodass die Preiserhöhungen für die Beseitigungsanteile die bestehende Sonderabfallentsorgung verteuern, kritisiert Werner Schmidt.

Chemikalienrecht: zu statisch

So sehen sich die Unternehmen der Branche zunehmend bedrängt durch die zunehmende Anwendung des Chemikalienrechts auf das Abfallrecht. Bei kruder Auslegung des europäischen Chemikalienrechts, das in der Europä­ischen Union in der REACH-Verordnung von 2007, der CLP-Verordnung von 2009 und der POP-Verordnung von 2004 geregelt ist, laufen Abfallerzeuger und -besitzer Gefahr, Ordnungswidrigkeits- und Straftatbestände durch falsche Einstufungen oder Verstöße gegen Auflagen zu erfüllen.

Dabei lasse die Vision eines einheitlichen Stoffrechts die systematischen Unterschiede außer Acht. „Das ‚Denken von den Stoffen her‘ im Chemikalienrecht hat keinen Bezug zu abfallwirtschaftlichen realen Bedingungen und Verhältnissen und eignet sich daher nicht als Entscheidungsgrundlage zur Anwendung erweiterter Pflichtenkreise“, machte Rechtsanwalt Wolfgang Klett bereits im März 2017 deutlich. Und Thomas Probst ergänzte damals mit Blick auf die praktische Anwendung: „Die variable Zusammensetzung von definierten Abfallschlüsseln führt letztlich dazu, dass die statischen Beschreibungen des Chemikalienrechts äußerst unzutreffende Worst-Case-Szenarien gefährlicher Abfälle abbilden und somit ein Zerrbild gefährlicher Abfälle vermitteln. Die Abfallmatrix, die für die weitere Entsorgung entscheidend ist, bleibt völlig unberücksichtigt, und zudem ändert sich die Zusammensetzung der relevanten Abfallschlüssel von Annahmestelle zu Annahmestelle.“

HBCD-Dämmstoffe und Titandioxid

Welche chaotischen Folgen die – zugegebenermaßen damals von der Branche zunächst verschlafene – Umsetzung der POP-Abfall-Überwachungsverordnung im Herbst 2017 hinsichtlich der Entsorgung von Dämmstoffen mit dem Flammschutzmittel HBCD brachte, dürfte vielen noch in Erinnerung sein. Für die wachsenden Berge an unentsorgten Dämmstoffabfällen fand sich erst eine Lösung, als die Verordnung vom Kopf auf die Füße gestellt wurde und das Material auch auf Dauer als nicht gefährlicher Abfall – mit Nachweis- und Registerpflichten – eingestuft wurde.

Seit Juni 2017 steht jedoch ein weiteres Material auf der REACH-Liste, das – aufgrund einer Studie an Ratten unter Extrembedingungen – „mit Verdacht auf karzinogene Wirkung beim Menschen“ eingestuft wird, da es „vermutlich Krebs beim Einatmen erzeugen kann“: Titandioxid, das in Lacken, Farben, Kunststoffen, Papier, Baustoffen, Stahl, Glas, Kosmetika, Pharmaprodukten, Textilien, Leder, Klebstoffen oder Importkohle eingebunden vorkommt. Würden Produkte mit einem Titandioxid-Gehalt über ein Prozent als gefährlicher Abfall eingestuft, wären die Gelben Säcke voller Gefahrgut und eine haushaltsnahe getrennte Wertstofferfassung nicht mehr möglich, warnte BDE-Präsident Peter Kurth.

Wie BDE-Expertin Annette Ochs im September ausmalte, würde das unter anderem Nachrüstanforderungen an Industrieanlagen, höhere Dokumentationspflichten gemäß Nachweisverordnungen, neue Anforderungen an den Transport über Staatsgrenzen hinweg und einen größeren Aufwand bedeuten, um für die Rezyklate Absatzmärkte zu finden. Ebenso „weitreichende Folgen“ für die Recyclingbranche hätte nach Ansicht des EuRIC-Vertreters Peter Cech die Realisierung einer Eingabe der Niederlande: Danach sollte der Grenzwert für das ferromagnetische Übergangsmaterial Kobalt als krebserregendem Stoff von bisher 0,1 auf 0,01 Prozent im Rahmen der CLP-Verordnung neu eingestuft werden. Kobalt sei in allen Edelstählen enthalten und daraus nicht entfernbar. Damit bewahrheitet sich, was der bvse in einer Pressemeldung vom März 2018 titelte: „Chemikalienrecht ist eine schlechte Krücke für Abfallklassifizierung“.

Politische Irrungen und Wirrungen

Von derartigen Irrungen und Wirrungen ist die deutsche Politik – nicht zuletzt in Umsetzung von EU-Vorgaben – nicht freizusprechen. So bemerkte schon die eben erwähnte Presseerklärung vom März 2018, dass das gesetzliche Regelwerk bei der Sonderabfallentsorgung immer umfangreicher und komplexer werde und zu Rechtsunsicherheiten bei den beteiligten Kreisen führe. Außerdem würden Verordnungen bei den Behörden uneinheitlich ausgelegt und die einzelnen Bundesländern unterschiedliche Erlasse herausgeben, die teilweise über die Vorgaben der EU-Gesetzgebung hinausgingen.

Jüngst kündigte auf der bvse-Jahrestagung im Oktober Werner Schmidt – mit Blick auf zunehmende Konflikte zwischen Chemikalien- und Abfallrecht – an, man werde auf allen Ebenen (EU-, Bundes- und Landespolitik) aktiv darauf hinweisen, „dass das Recycling gefährlicher Abfälle aus falsch verstandener Umweltvorsorge teilweise unmöglich gemacht werde“. Und der neue stellvertretende Fachverbandsvorsitzende Gerhard Zimmermann betonte, dass es eine Reihe von Stoffen gebe, „die recycelt werden könnten, aber derzeit beseitigt werden müssen“. Zimmermann fordert daher ein Umdenken der Politik, um den Branchenunternehmen die Möglichkeit zu geben, ihre innovativen Verfahren überall da, wo es möglich und sinnvoll ist, auch umzusetzen. Somit wäre es höchste Zeit, sich auf den vormaligen Vorschlag von Wolfgang Klett zu besinnen: „Ziel sollte sein, zum abschließend bestimmten Katalog gefährlicher Abfälle zurückzukehren und sich in der Übergangszeit an einem normzweck-orientierten, differenzierten System auszurichten.“

Foto: EU-R Archiv

(EU-Recycling 12/2018, Seite 9)

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