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Eine vierte Reinigungsstufe für Kläranlagen: Nach Verursacherprinzip statt per Abwasserabgabe finanzieren

Mikroplastikpartikel aus Kosmetikartikeln, Pflegeprodukten und Plastikfasern aus Fleece oder Funktionskleidung können viele Klärwerke nicht aus dem Wasser filtern. Daher sollen neben mechanischen, biologischen und chemischen Verfahren zur Abwasserreinigung diese Anlagen eine vierte Reinigungsstufe erhalten. Inwieweit diese Aufrüstung wirkungsvoll und finanzierbar ist, steht seit einigen Jahren zur Diskussion.

Die Argumente pro und contra Ausbau einer vierten Reinigungsstufe listete 2014 Harro Bode auf, Vorstandsvorsitzender des Ruhrverbands sowie des Essener Wasserwirtschaftsverbands. Dafür sprachen seiner Meinung nach die Unterstützung der Trinkwasserversorgung durch ein Multibarrierensystem, nicht genauer zu beziffernde Vorteile für die Wasserökologie sowie die Reaktion auf den „Besorgnisgrundsatz“ des Wasserhaushaltsgesetzes. Als Gegenargumente zählte er die zusätzlichen Kosten auf, einen um 40 Prozent höheren Energieverbrauch, die Bildung anderer schädlicher Substanzen – sogenannter Transformationsprodukte – sowie die Befürchtung, dass andere Pfade und Sektoren für Mikroverunreinigungen unbeachtet oder vernachlässigt werden könnten: Schadstoffe aus gewerblichen und industriellen Produktionsprozessen, Pestizide aus der Landwirtschaft, Quecksilber-Emissionen vornehmlich aus Kohlekraftwerken und diffus anfallende polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK). Er riet daher, das Maß dabei erzielbarer positiver Effekte und die Reduzierung negativer Begleiteffekte weiter gründlich zu erforschen.

Zehn bis 90 Prozent Eliminierung

Wie der Verband Deutscher Ingenieure im Juni 2017 berichtete, lassen sich Human- und Tierarzneimittel, Rückstände von Körperpflegeprodukten, Pflanzenschutzmittel, Biozide sowie Industrie- und Haushaltschemikalien und Stoffe mit hormonähnlichen Wirkungen aus Kunststoffen in den Gewässern nachweisen. Diese Mikroschadstoffe seien nach derzeitigem Wissensstand zwar für den Menschen nicht unmittelbar gesundheitsgefährdend, würden aber die Gewässerökologie nachweislich schädigen und könnten sich in der Nahrungskette anreichern. In einer aufwändigen Untersuchung war das Bundesumweltamt schon ein Jahr zuvor zu der Erkenntnis gelangt, dass die vierte Reinigungsstufe mit Breitbandwirkung eine Vielzahl von bekannten und unbekannten Stoffen mit von zehn bis über 90 Prozent je nach Mikroschadstoff eliminieren und damit „in der Summe eine relevante Reduzierung der Gesamteinträge“ erzielen könnte. Maßnahmen bezogen auf PAK16, Nonylphenol und bestimmte Arzneistoffe würden ein „erhebliches Minderungspotenzial“ bergen.

Welches Verfahren?

Um in der neuen Reinigungsstufe eingesetzt zu werden, stehen laut Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik vier verfahrenstechnische Ansätze zur Verfügung: Ozonierung, Adsorption, Membran-Trennverfahren und biologischer Abbau. Bei der Ozonierung oder Ozonung oxidieren Abwasserinhaltsstoffe durch Zugabe von Ozon, wodurch hauptsächlich veränderte Stoffe und neue Zwischenprodukte entstehen, die weitere, nachgeschaltete Verfahren erfordern. Außerdem ist die Eliminationsleistung durch Ozon für Mikroplastik fraglich. Hingegen ist die Adsorption mit Aktivkohle in granulierter Form mit der Eliminationsleistung der Ozonierung vergleichbar, zumal sich durch ihre elektrostatischen Anziehungskräfte Schadstoffe sowie Mikroplastik anlagern können. Zudem hat der Einsatz von Aktivkohle Auswirkungen auf den chemischen Sauerstoffbedarf, abfiltrierbare Stoffe und den Gesamtphosphor.

Bei den Membran-Trennverfahren haben sich Mikro- und Ultrafiltration als „weit weniger wirkungsvoll“ herausgestellt, während Nanofiltration und Umkehr-Osmose als unwirtschaftlich und hinsichtlich Entsorgung als problembehaftet gelten. Das Abbauverfahren durch biologische Extraktion wird als bislang nicht umfassend erforscht charakterisiert, soll Zwischenprodukte und Verbindungen mit weitgehend unbekannten Auswirkungen hervorbringen und erfordert eine sehr individuelle Anpassung an Abwasser- und Kläranlagen-Eigenschaften. Daher kam auch das Bundesumweltamt zu dem Schluss: „Die Ozonung und Adsorption an Pulveraktivkohle oder granulierte Aktivkohle sind wirkungsvolle Verfahren für eine weitergehende Abwasserbehandlung.“
Triclosan und Diclofenac

Dennoch gibt es auch Arzneimittel wie den Stimmungsaufheller Carbamazepin, das entzündungshemmende Schmerzmittel Diclofenac, das Röntgenkontrastmittel Iopamidol und das antibakterielle Triclosan. Sie finden sich nach Darstellung des VDI nicht nur im Zu- und Ablauf von Kläranlagen, sondern auch im Grund- und Trinkwasser. Jedoch – merkt der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft an – würden neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass auch die Filtertechniken einer vierten Klärstufe nicht in der Lage seien, alle unerwünschten Stoffe vollständig aus dem Wasser zu entfernen. So musste auch das Umweltbundesamt mit Blick auf die mangelnde Eliminierung von Triclosan und Diclofenac, das auch mit zusätzlicher Reinigungsstufe nur auf 77 Prozent reduziert werden kann, einräumen: Solche nachgeschalteten Maßnahmen seien „dennoch keine Garantie für die flächendeckende Erreichung eines guten chemischen und biologischen Zustands der Gewässer“. Zudem lasse die Einführung einer weiteren Reinigungsstufe bei kommunalen Kläranlagen der Größenklasse 5 nur eine eingeschränkte Zielerreichung erwarten.

Laut VDI hatten sich im Jahr 2017 von insgesamt fast 10.000 Kläranlagen-Betreibern in Deutschland nur 18 aus freien Stücken für ein zusätzliches Verfahren zur Entfernung von Mikroschadstoffen aus dem Abwasser entschieden. Die „Zeitschrift für kommunale Wirtschaft“ eröffnete im Oktober 2018, dass in Deutschlands Südwesten 13 Anlagen auf das erweiterte Verfahren umgestiegen seien und 15 weitere Entwässerungsbetriebe dies planten. (Da die Bundesländer für den Unterhalt der Kläranlagen verantwortlich sind, liegen der Bundesregierung keine verlässlichen Zahlen vor, wie viele Kläranlagen über eine vierte Reinigungsstufe verfügen.)

Die Schweiz ist in dieser Hinsicht wesentlich weiter: Laut Harro Bode will die Alpenrepublik rund 50 Prozent der schweizerischen Kommunalabwässer bis 2031 zusätzlich reinigen, dazu eine Milliarde Euro investieren und schließlich 60 Millionen Euro an jährlichen Betriebskosten aufwenden. Das deutsche Bundesumweltministerium hält nach unbestätigten Angaben insgesamt rund 62 Millionen Euro für den flächendeckenden Ausbau vor. Dabei beziffert der BDEW die Investitionskosten für die Techniken einer weiteren Klärstufe auf 1,2 Milliarden Euro pro Jahr. Wobei laut Schätzungen des erwähnten Fraunhofer Instituts für die Aktivkohle-Umrüstung 2,7 bis 3,8 Millionen Euro und für die Installation einer Ozonierung rund 3,5 Millionen Euro notwendig werden.

Hinzu kommen an laufenden jährlichen Kosten 290.000 bis 360.000 Euro beziehungsweise 460.000 Euro (inklusive Energiekosten). Auf die Wassergebühr umgelegt, entspricht das laut Umweltbundesamt einer Erhöhung von zwei bis zehn Prozent, laut BDEW sogar einer Steigerung von 17 Prozent und mehr für einen Vier-Personen-Haushalt. So nimmt es nicht Wunder, dass das nordrhein-westfälische Umweltministerium die zwangsweise Aufrüstung für keine Option hält, das hessische Umweltministerium die Erstellung eines Forschungsberichts abwartet und einige hessische Kommunen ihren Bürgern steigende Abwassergebühren ersparen wollen und, solange verbindliche Vorgaben fehlen, erstmal nichts tun.

Eine Abgabe auf Arzneimittel

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Vierte Reinigungsstufe zur Entfernung von Spurenstoffen hin oder her: Auch wenn ihre gesetzliche Einführung vermutlich in den nächsten Jahren ansteht, gilt sie in der Fachwelt nicht als Allheilmittel. Denn selbst durch ihre Einführung wird keine Lenkungswirkung erzielt: Sie bietet den Herstellern von Medikamenten keinen Anreiz, auf umweltschonende Stoffe zu setzen oder möglicherweise zu entwickeln. „Da Kläranlagen auch mit neuen Techniken nicht alle Stoffe herausfiltern können, müssen wir an der Quelle der Verschmutzung ansetzen. Das Verursacherprinzip muss gestärkt werden; die Abwasserwirtschaft ist nicht der Reparaturbetrieb unserer Gesellschaft“, machte kürzlich Martin Weyand, BDEW-Hauptgeschäftsführer Wasser/Abwasser, deutlich.

In einer vom BDEW initiierten Studie wird deshalb eine Abgabe auf Arzneimittel vorgeschlagen. Als Grundlage werden die Kosten angesetzt, die die Einführung der vierten Klärstufe verursachen würden. Die Finanzierung über Medikamente wäre laut Studie „verursachungsgerecht“ und würde die Kosten auf alle Beteiligten – Hersteller, Handel, Apotheken, Krankenkassen und auch Patienten – verteilen. Als Alternative sieht die Studie eine Fondlösung vor, bei der die Hersteller pharmazeutischer Produkte entsprechend der Umweltbelastung ihrer Medikamente in einen Topf einzahlen, aus dem Maßnahmen zur Beseitigung der entstandenen Umweltschäden finanziert werden könnten.

Verursacherbegriff mehrfach interpretieren

Das Umweltbundesamt ging in seinen Empfehlungen noch einiges über diese neue Arzneimittelstrategie hinaus, zumal aus seiner Sicht eine bloße Abwasserabgabe noch keine Erweiterung für den Bereich Mikroverunreinigungen erwarten lasse. Daher plädierte das UBA für eine „verursachergerechte Kostenträgerschaft“ durch Einführung einer Produktabgabe, an der sich grundsätzlich Hersteller und Verbraucher beteiligen. Begründet wurde dieser Ansatz damit, dass alle Stufen des Lebenszyklus` möglicher Mikroschadstoffe betrachtet werden müssten: Herstellung, Transport, Inverkehrbringen, Stoff-/Produktanwendung sowie Freisetzung und Entsorgung. „In diesem Kontext kann der Verursacherbegriff mehrfach interpretiert werden. Sowohl Produzenten, Konsumenten als auch Entsorgern kann für das Inverkehrbringen beziehungsweise das Freisetzen der Stoffe eine Verursacherverantwortung zugewiesen werden.“

Spurenstoffstrategie gestartet

Erwartungsgemäß wird zunächst – vielleicht aber auch für unabsehbare Zeit – aber nur die gesetzliche Anordnung zur Aufrüstung von Anlagen kommen; das Kompetenzzentrum Mikroschadstoffe NRW erwartet sie für das Ende 2020. Zudem scheint es noch an entsprechenden Normierungen und Vorgaben zu mangeln: Europaweit wird lediglich der „gute chemische Zustand“ von Oberflächengewässern eingefordert, national ein „guter ökologischer Zustand“ gemäß Oberflächengewässer-Verordnung angestrebt. Zu den zu überwachenden Stoffen gehören in erster Linie Schwermetalle und organische Mikroverunreinigungen; Mikroplastik und Arzneimittel zählen nicht dazu.

Immerhin startete laut Angaben des Bundesumweltministeriums im Herbst 2016 ein Stakeholderdialog für die Entwicklung einer Spurenstoffstrategie des Bundes, die sowohl auf die rechtlich geregelten wie auch die rechtlich unregulierten Stoffe abzielt. Außerdem sollen im Rahmen dieses Prozesses bis ins Frühjahr 2019 Themen zu Maßnahmen konkretisiert werden, darunter ein Konzept zur langfristigen Festlegung relevanter Spurenstoffe und „quellenorientierte Empfehlungen“ für konkrete Maßnahmen zur Umsetzung der Herstellerverantwortung. Davon unabhängig wurde am 8. Oktober 2018 der Förderschwerpunkt „Innovative Abwassertechnik“ des Umweltinnovationsprogramms aufgelegt. Er soll großtechnische Umsetzungen besonders innovativer Technologien, auch zu Elimination von Spurenstoffen, fördern.

Es bleibt zu hoffen, dass der Einführung einer vierten Reinigungsstufe schnellstmöglich ein System der „verursachergerechten Kostenträgerschaft“ folgt und die Bevölkerung nicht jahrelang zusätzlich für eine technische Verbesserung zahlt, die Abwasser besser, jedoch nicht optimal reinigt. Sonst geschieht das, was schon bei der Erneuerbaren Energien-Abgabe eintrat: Die Bürger zahlen, ohne dass Erfolge sichtbar werden. Oder wie es Kay Scheller, der Präsident des Bundesrechnungshofes, ausdrückte: „Der enorme Aufwand und die starke Belastung der Bürger und Wirtschaft stehen in krassem Missverhältnis zum bisher dürftigen Ertrag der Energiewende.“

Foto: pixabay

(EU-Recycling 01/2019, Seite 27)